Vierunddreißig

Irgendwie verlor ich nicht nur den Kampf gegen die aufkommenden Gedanken an die Vergangenheit...ich verlor den kompletten verdammten Überblick im Hinblick auf das, was man mein derzeitiges Leben bezeichnen würde.

Ich hatte keinen blassen Schimmer mehr, wann ein Tag anfing und wann einer endete. Meine Augen blieben größtenteils, mehr als gut für mich war, geschlossen, weil ein Teil in mir sich dazu entschied, aufzugeben.
Alles was ich tat, war den Grundbedürfnissen nachzugehen.
Trinken, Essen und der Gang zur Toilette.

Manchmal zwang ich mich unter den viel zu heißen Duschstrahl, der meine Tränen versteckte und sie so untergehen ließ, wie mich selbst.

Die Temperaturen draußen bekam ich nicht mehr mit, denn in dem Zimmer meiner Mom war es andauernd stockfinster und relativ kühl. So kühl wie es Ende August in einem ständig abgedunkelten Raum werden konnte.
Seit - ich wusste nicht genau seit wann - löste sich Moms Duft von den Bettlaken und stattdessen roch in diesen bescheuerten Haus alles nach...mir.
Nach salzigen Tränen, verschwitzten Alpträumen und dem Waschmittel von Lea, die meine Sachen wusch und hier zweimal die Woche heimlich putze, wenn sie der Meinung war, ich würde schlafen. Ich bekam jedes Mal mit, dass sie da war und tat ihr – und mir – zuliebe so, als würde ich tatsächlich schlafen.

Aber wenn ich dann mal tatsächlich schlief und anschließend aufwachte, roch es jedes beschissene mal nach Limetten und ich wusste, dass ich mir das nicht einbildete.

Ich wünschte, es wäre Einbildung, denn...

Verstand Skyler nicht, dass ich ihn loslassen musste, weil er sonst den Scheiß weiter mitmachte, den er meinetwegen durchlitten hatte? Ich hatte am Tag der Beerdigung seinen Schmerz nicht nur gesehen, ich hatte ihn bis durch seinen Finger und direkt in meinem dämlichen Herz gespürt.
Das war nicht fair.
Ich wollte nicht, dass ich zu einer Bürde für ihn wurde, die nur eines bedeutete: Schmerz.
Das war meine Mom, die ich verlor. Das war mein Schmerz, meine kaputte Zukunft, mein bescheuertes Leben. Heaven sollte leben – richtig leben. Das hatte er verdient, nach allem, was er bereits unbewusst für mich getan hatte.
Deswegen hatte ich das einzige getan, was ich in diesem Moment, indem ich realisierte, dass Skyler King immer weiter mit mir leiden würde, für richtig befand. Ich ließ Skyler ziehen.

Leider wehrte er sich dagegen. Er wollte scheinbar nicht, dass ich mitbekam, wie er weiterhin zu mir kam, deswegen kam er heimlich. Ich hatte diesen Jungen kennengelernt und ich glaubte auch zu wissen, dass er wahrscheinlich dachte, ich bekäme das nicht mit. Aber Heaven war dumm zu glauben, dass ich nicht jedes verdammte Mal aufwachte und an dem Kissen neben mir roch, das schwach nach ihm duftete und manchmal sogar noch warm war. Er war dumm, wenn er freiwillig weiter versuchte, mich zu retten.
Mich von Heaven zu lösen sollte in erster Linie ihm selbst helfen.
Ich wollte nicht, dass er in dasselbe Loch fiel, indem ich seit der Beerdigung festsaß.

Leise seufzte ich, drehte mich um und starrte in die Dunkelheit, die mir mittlerweile vertrauter war als das Tageslicht.

Dad war dreimal täglich da. Ich vermutete, dass es morgens, mittags und abends war, wenn er auftauchte.

Wenn Dad dann neben mir saß, redete er solange auf mich ein, bis ich das Essen zu mir nahm, das er mitbrachte.
Noah war manchmal auch dabei, aber er mied es, mich anzusprechen.

Wobei er wahrscheinlich dieselbe Reaktion bekam, wie Dad...Keine. Kein Schulterzucken und erst recht keine Worte, die meine Lippen verließen. Ich hatte weder die Motivation dafür, noch die Kraft.

Alles wurde ziemlich schnell ziemlich heftig grau.
Also, mein Leben war schon seit ein paar Jahren an manchen Stellen grau, ja. Aber seit Moms Beerdigung...ab dem Zeitpunkt, zog alles an mir vorbei und ich konnte mich nicht selbst rausziehen.

Doch als es an der Tür klopfte, spürte ich, wie sich seit dem Tag, an dem Moms Leichnam unter die Erde kam, etwas in mir tat.

Klopfen bedeutete Heaven. Heaven klopfte. Auch wenn er es seit...seit... keine Ahnung wie lange...nicht mehr getan hatte, weil ich ihn sonst fortgeschickt hätte und er das wusste.

Heaven Anwesenheit würde aber jetzt – in diesem Moment - bedeuten, dass ich, wenn es gut lief, wenigstens für ein paar lächerliche Augenblicke zurückfand. Zurück ins Leben und raus aus dieser Taubheit. Das wusste ich und wenn er es war, dann...scheiße, dann würde ich egoistisch sein und mir nehmen, was er mir geben konnte – was er mir geben wollte. Ich würde ihn nicht nochmal fortschicken.

Mir war nicht klar, woher dieser Sinneswandel kam und seit wann ich ihn hatte...vielleicht war es auch einer meiner letzten Instinkte, die mich versuchten, am Leben zu halten. Auch wenn das bedeutete, Heaven weiterhin sein Leben mit den Bruchstücken meines Lebens, kaputt zu machen. Das war unfair Skyler gegenüber, ja verflucht, aber alles, wonach mein Kopf und in gewissermaßen auch mein Körper schrie, lechzte, bettelte... war Heaven. Heaven, der zu meinem Sauerstoff in dem dunklen Meer wurde. Der Sauerstoff, den ich so dringend brauchte.

Also sah ich auf. Bewegte mich nicht, weil mein Körper ohnehin nicht mehr unter meiner Kontrolle stand.
Doch als das Licht anging und die Helligkeit in meinen Augen brannte war mir klar, dass das nicht Heaven sein konnte. Heaven hätte sich schweigend zu mir gelegt und mich gehalten – obwohl er es nicht sollte, wenn er irgendwie wieder Normalität in seinem einst so harmonischen Leben wollte.

Deswegen blinzelte ich kraftlos, sah zu Dad, der sich mit einer vollen Box mit Essen zu mir setzte und schloss die Augen wieder.

Dads Arm legte sich auf meine Schulter und ich wusste, dass er mich noch immer ansah. So wie er es seit...einer Weile tat.

Waren es drei Tage, seit Moms Beerdigung?
Vielleicht war es auch schon eine Woche her. Vielleicht war meine Orientierung so schlecht, dass es auch erst ein Tag war.

»Kane, das kann so nicht weitergehen«, flüsterte Dad eindringlich und rüttelte dabei an mir, als müsste er feststellen, ob ich bewusstlos war.

Ich erwiderte nichts darauf, weil ein anderer Teil in meinem Kopf ebenfalls wusste, dass er recht hatte.
Dieser Teil sagte mir auch, dass Mom das nicht wollen würde.

Ich hatte seit der Beerdigung andauernd über ihre Worte von dem Brief nachgedacht. Ich hatte über Skylers Worte nachgedacht.
Ich hatte so viel nachgedacht, dass ich nicht mehr wusste, worüber ich nachgedacht hatte. Irgendwie ergab nichts in meinem Kopf mehr Sinn, denn je mehr ich nachdachte, desto leerer wurde es in mir... keine Ahnung, wie ich dieses Gefühl, diesen Zustand, beschreiben sollte. Mir fehlte auf der einen Seite der Mut dazu, meinen Zustand zu benennen und auf der anderen Seite...wollte ich mich nicht selbst weiter analysieren. Ich war am Arsch, traf es wohl am besten.

»Kane. Das alles bringt mich wirklich an den Rand meiner Verzweiflung. Nicht nur mich. Uns alle. Ich weiß als dein Vater nicht mehr, was ich tun soll. Und deswegen tut es mir jetzt wirklich leid, dich so vor die Wahl zu stellen, aber...«, setzte Dad an und ich hörte allein an der Art, wie er das sagte, wie unangenehm ihm das war.

Jetzt kommt die Psychiatrie, dachte ich matt.

Oder vielleicht bietet er mir eine Selbsthilfegruppe an, fügte ich in Gedanken hinzu und machte mich auf diese Vorschläge, oder etwas dergleichen, gefasst.

»Entweder du sagst mir jetzt, was du brauchst... oder ich zerre dich aus dieser Höhle und nehme dich mit Nachhause«, drohte Dad, während seine Stimme immer leiser wurde, als ob er sich tatsächlich dafür schämte, das zu sagen.

Nachhause...

Ich blinzelte und dachte an Mom, dann runzelte ich die Stirn und öffnete die Augen.
Ich war irgendwo in der Vergangenheit steckengeblieben.

Mom hatte sich geirrt.
Ich war kein Kämpfer.
Ich war ein jämmerliches Wrack.

Dieses Wrack, das nur eines in diesem Augenblick des Selbstmitleids wollte. Dads Drohung war nicht wirklich eine Drohung. Es war ein harter Griff unter die Arme, der mich dazu zwang, verzweifelt nach Luft zu schnappen.

Das würde meine letzte Chance sein auch nur annähernd aus dieser Trance zu kommen. Ich wusste es und es war nicht fair, das nun zu verlangen, nachdem ich derjenige war, der gegangen war wie ein Feigling.

Es war ihm nicht fair gegenüber, weil er meine Dämonen nicht verdient hatte oder all das Schlechte, was ich, mein Leben und irgendwie auch mein Herz, mit sich brachten.

Das alles war feige, aber es war notwendig. Ich brauchte Hilfe, denn ich spürte den Meeresgrund nach mir schreien und wenn ich jetzt nicht nach der Leine griff...dann war es zu spät.

Also sprach ich mein erstes Wort seit...keine Ahnung. Seit Moms Beerdigung.

»Heaven«
Meine Stimme klang nicht nach meiner Stimme. Sie klang mir fremd und fern. Kratzig und kraftlos.
Allerdings hörte mich Dad, denn seine Finger gruben sich schmerzhaft in mein Shirt, als klammerte er sich an mir fest.

»Was?«, fragte er. Ich sah ihn enttäuscht an. Enttäuscht von mir, dass ich es nicht selbst schaffte. Ich hatte es probiert, aber der zerlegte Spiegel im Bad war einer der vielen Versuche, den Tod meiner Mutter selbst zu überstehen. Es gelang mir nicht. Es wurde nicht besser.

Also flüsterte ich erneut: »Ich will Heaven sehen«, und erinnerte mich an den Geruch von Limetten. Erinnerte mich an sein Lachen und seine Hand, die meine gehalten hatte. Seine Worte, die die Taubheit in mir immer ein Stück weit zurückgedrängt hatten. Heaven hatte mehr getan für mich, als ich geahnt hatte. Mein Hals schnürte sich vor Sehnsucht zusammen.
Scheiße, ich brauchte ihn so dringend.

Dad runzelte die Stirn und meine Kehle wurde daraufhin trocken.
Warum sah er mich so an, als ob er ihn nicht kannte?
Hatte ich mir Heaven eingebildet? Träumte ich gerade?

Panik kroch durch meine Glieder und trieb die nötige Kraft in meine abgebauten Muskeln, um mich aufzusetzen. Viel zu schnell, mir war sofort schwindlig, aber das spielte keine Rolle, wenn...

Heaven, hol mich hier raus.

»Wer ist das, Kane? Wen soll ich anrufen?«, hakte Dad nach und ich atmete schwer aus.

Fuck, vielleicht sollte ich Heaven bei dem Namen nennen, den jeder kannte.

»Skyler. Ich brauche Skyler«, sagte ich also und klang schon eher nach mir, weil die Panik, Heaven konnte ein Hirngespinst sein, abflachte.

»Oh...also...er ist noch in der Schule, Kane. Noah und Skyler bereiten für den Halloweenball etwas vor. Aber ich schreibe ihm«, sagte Dad und setzte mir eine unsichtbare Pistole direkt auf meine Brust.

Halloween.

Aber Mom starb im Sommer.

Die Beerdigung war Ende der großen Sommerferien - Ende August.

Aber wenn Dad Halloween sagte, dann...

Halloween war Ende Oktober.

Die Beerdigung war keine zwei Monate her.
Das konnte nicht sein.

Fassungslos starrte ich in die hellbraunen Augen meines Vaters, der mich beobachtete, als rechnete er mit einem Nervenzusammenbruch. Ich wünschte ich hätte die Nerven für so etwas, das würde es vielleicht leichter machen.

»Wir haben...Oktober?«

Dad sah mich traurig an, was Antwort genug war.
Mein Herzschlag, von dem ich nicht wusste, dass es tatsächlich noch regelmäßig schlug, setzte aus.

Es konnte wohl doch sein.

Oktober.
Ich spürte nichts in mir brechen, denn es lag ohnehin alles in Scherben.

»Es ist zwei Monate her?«

Dad nickte erneut und ich löste meinen Blick von seinen Augen, starrte stattdessen in die Ferne und wusste nicht, was ich sagen sollte. Was ich denken sollte. Was ich fühlen sollte.

Zwei Monate.

Ich hatte zwei Monate gelebt ohne zu atmen.

Zwei Monate, Mom.
Du bist zwei Monate weg.

Ich habe zwei Monate ohne dich hinter mir und alles was mir blieb, war Dunkelheit.

Scheiße, Mom.
Du hast mal gesagt, ich soll mein Leben leben.
Ich erinnere mich noch so gut, als du zur Chemotherapie in Texas eingewilligt hast.
Wie könnte ich deine Worte vergessen?

›Es ist okay, Angst zu haben, mein Schatz. Ich habe auch Angst. Aber du sollst dein Leben leben und einmal an dich denken. Und dein Vater, wie auch Noah, werden dich, in der Zeit, in der ich weg bin, begleiten, bis ich wieder zurück bin. Also musst du mir jetzt versprechen, tapfer zu sein. Versprich mir, dass du mich das alleine machen lässt und versuchst, nach vorne zu sehen.‹

Ich schluckte einen großen Kloß hinunter und schüttelte den Kopf.

Ich versuche es, Mom. Ich will es versuchen, versprochen.

»Bitte ruf Heaven an, Dad.«, flüsterte ich erstickt, bevor er nach meiner Hand griff und mit der anderen Hand auf seinem Smartphone tippte.

Mom würde nicht wollen, dass ich das weiterführte, was ich seit zwei fucking Monaten tat.
Sie würde wollen, dass ich tapfer war. Dass ich nach vorne sah.
Aber ich musste dabei ehrlich zu mir selbst sein und das war ich gerade.

Und es stellte sich heraus: ich schaffte es nicht alleine aus meinem Tiefpunkt heraus.

Ich brauchte Heaven, auch wenn es ihm gegenüber nicht fair war.

• • •

Dad war vor ein paar Minuten gegangen. Ich wusste, dass es sieben Minuten und siebenunddreißig Sekunden waren, seit er weg war, weil ich seitdem die Uhr über meiner Tür anstarrte, während das Sonnenlicht von draußen mein Zimmer erleuchtete.

Ja, mein Zimmer. Ich hatte Moms Bett verlassen und saß nun auf meinem eigenen Bett, als es an der Tür klopfte und wenig später die einzige Person hereinkam, die mich wirklich hier rausholen konnte.

Doch...scheiße.

Ich fühlte mich schrecklich, als ich ihn sah, wie er da vor mir stand und nicht wusste, was er tun sollte.
In seiner verwaschenen Jeans und dem grauen Shirt, während seine grünen Augen mit den braunen Sprenkeln darin mich unsicher beobachteten.

Er sah fertig aus.
Sein Haar war länger, seine Augen strahlten nicht die Wärme aus, die sie sonst immer ausgestrahlt hatten.
Das leichte Lächeln wurde ersetzt durch einen geraden, dünnen Strich. Seine Augenringe waren tief und schimmerten in einem ungesunden Farbton, der mir verriet, dass er kaum Schlaf abbekam.

Und je länger ich Heaven ansah, desto heftiger wurde ein Gefühl in mir, das ich lange nicht mehr so intensiv in mir vernommen hatte.
Das waren Schuldgefühle.

Also platzte es aus mir heraus, was ich schon vor Wochen hätte sagen müssen.
»Ich schwöre, ich wollte das vermeiden. Ich schwöre, ich wollte dir nicht weiterhin eine Belastung sein oder eine Bürde - nenn es wie du willst, ist eigentlich auch egal. Ich wollte nur, dass wenigstens dein Leben wieder dem gleicht, wie es einmal war. Ohne meine...Probleme«
Zögerlich zog ich meine Knie an meine Brust und legte meine Arme um meine Beine.

Skyler blinzelte, dann schloss er die Tür zügig hinter sich und kam schweigend auf mich zu. Fast so, als wäre ich ein scheues Tier und er der Eindringling in meinem Rückzugsort. Dabei war er kein Eindringling, das war er nie.

Er war mein Rückzugsort.

»Du weißt, dass ich schon immer egoistisch war, Heaven. Deswegen bist du jetzt da, wo du nicht sein solltest. Es tut mir wirklich leid«, murmelte ich, als er nur noch wenige Schritte von mir entfernt stehen blieb und mich von oben bis unten genauestens betrachtete, ohne was zu sagen.

In seinen müden Augen tat sich etwas.
Und dann sah er mich so ruckartig, so sanft an, dass mir schlecht wurde.
Er sollte wütend sein. Er sollte mich hassen und er sollte das, was da zwischen uns andauernd passierte, langsam leid werden und das Weite suchen. Aber dafür war sein Herz zu groß. Er war zu stark für den leichten Weg. Er war der wahre Kämpfer.

»Du bist so vieles, Kane. So verflucht vieles. Aber du warst und wirst niemals eine Bürde für mich sein...Hast du das verstanden?«, gab er von sich und mir wurde warm und kalt zugleich.

Glaubte er das wirklich?

Gott, Heaven. Sieh dich an. Sieh dir an, wie sehr du leidest.
Und dann denk an den Jungen, dessen kleinstes Problem der arschige Halbbruder seines besten Freundes war.

Der Unterschied?
Die Welt des Jungens bevor ich kam, war intakt. Sie war ganz.

Seine Welt nach mir?
Genauso zerlegt wie meine eigene.

»Heaven...warum siehst du dann so aus? Warum zittert deine Hand? Warum spüre ich deine Müdigkeit bis in jeden Winkel meines eigenen Körpers?«, sagte ich misstrauisch und wollte nicht so verzweifelt klingen, aber so hörte ich mich nun mal an und so fühlte ich mich.

Skyler sank vor meinem Bett in die Knie, er griff nach zwei Monaten so selbstverständlich nach meinen Füßen und zog sie zu sich auf den Boden, dass meine Taubheit mit einem Blinzeln weniger wurde. Nicht verschwand, ich spürte sie noch immer deutlich in mir, aber sie wurde weniger, weswegen ich an die Kante des Bettes rutschte und zu Heaven hinabblickte.
In seinem Blick lag noch immer Zärtlichkeit, Stärke und da sickerte endlich Wärme hindurch.

»Ich sehe so aus, weil ich dachte, du würdest dich verabschieden von mir, Kane. Weil ich zwei Monate lang davon überzeugt war, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest. Allein dieser Gedanke hat mich so geängstigt, dass es an all meinen Kräften gezerrt hat. Der Glaube, dich zu verlieren...hat mich kaputt gemacht«, flüsterte Heaven und seine zitternden Finger legten sich auf meine Oberschenkel. Die Stelle unter seinen Fingerspitzen fühlten sich schlagartig wärmer an, als der Rest meines Körpers.

Ich biss die Zähne aufeinander und wusste nicht recht, was ich sagen sollte.
Dieses Wissen ängstigte mich, aber es löste auch pure...war es...
Ich...also... Es löste etwas in mir aus. Etwas verdammt starkes. Etwas verdammt schönes, von dem ich nicht dachte, es nochmals spüren zu können.

Du hast mich nie verloren, Heaven.
Nie.
Du hattest mich, seit du mich gefragt hast, ob ich Noahs Bruder bin, obwohl du die Antwort ganz genau kanntest.

»Ich wollte dich nur vor mir selbst schützen, aber ich schaffe es nicht. Ich bin ein verfluchter Egoist und das tut mir so leid, dass ich dich zu mir gerufen habe«

Heaven presste die Lippen für zwei Sekunden aufeinander, dann holte er tief Luft und sagte: »Kane, wenn man es fair betrachtet, dann war ich genauso egoistisch wie du. Ich war jeden Tag bei dir. An manchen lag ich sogar im selben Bett. Aber immer nur dann, wenn du geschlafen hast, weil ich nicht wollte, dass du mich fortschickst. Weil ich egoistisch war und dich trotz deiner Entscheidung weiterhin wollte«

Ich weiß, dass du da warst, Heaven.
Aber...

»Du solltest dich nicht von mir abhängig machen...Ich bin das beste Beispiel dafür, was passiert, wenn man sich emotional von Jemanden abhängig macht. Es wird dich kaputt machen- ich werde dich kaputt machen. Das will ich nicht, Heaven«, gestand ich und entgegen jeglicher Vernunft, legte ich meine Hand auf seine und hielt sie fest. So fest, wie vor zwei Monaten in der Kirche.

Heaven sah von meinem Gesicht, zu unseren Händen und runzelte dann die Stirn.

»Ich bin nicht von dir abhängig, Kane. Das was du und ich haben, nennt sich Bindung - keine Abhängigkeit, verstanden? Ich habe mich emotional an dich gebunden. Und so eine Bindung besteht aus einem Geben und einem Nehmen«, erklärte er, den Blick noch immer auf unsere Hände gerichtet.

Geben und nehmen...

»Aber du gibst und gibst und gibst andauernd, Heaven. Alles, was du von mir bekommst, ist mein beschissener Schmerz und...du bekommst nur Schlechtes, wenn du mit mir zusammen bist, Skyler. Das ist einfach nicht fair«, flüsterte ich halb frustriert, halb verzweifelt.

Heavens Blick schoss so schnell zu mir auf, dass mir die Luft zum Atmen für den Bruchteil einer Sekunde fehlte und ich mir wünschte, nichts gesagt zu haben.
Aber ich hatte es und...es war wahr.

»Das stimmt nicht, was du da sagst«, hielt Heaven entgegen und schüttelte, um seine Aussage zu unterstreichen, den Kopf.
Seine kastanienbraunen Haare fielen ihm dabei in die Stirn, weswegen ich sie ohne groß zu überlegen wieder an ihren ursprünglichen Ort brachte.

Dabei stellte ich fest, wie weich sein Haar war. So weich, dass ich meine Fingerspitzen darin vergrub und ihm wenig später erneut in die Augen sah und lächelte.

Grün und Braun waren eigentlich nur zwei Farben. Aber in seinen Augen waren sie so viel mehr. Sie wurden zu meinen Lieblingsfarben.

»Heaven. Es ist okay sich einzugestehen, dass du was Besseres als meine verfluchten Dämonen verdient hast. So viel mehr«, sagte ich und nahm jedes letzte bisschen Kraft, welches ich noch besaß und zwang mich zu einem Lächeln, dass Heaven schnaubend betrachtete.

»Das stimmt nicht, Nicholas«, zischte er plötzlich so wütend, dass ich meine Hände zurückzog.

»Was gebe ich dir denn?«, forderte ich ihn heraus und verschränkte die Arme vor der Brust.

Er brauchte nicht einmal eine Sekunde um über meine Frage nachzudenken. Wahrscheinlich hatte er bereits damit gerechnet, denn er sagte lauter als davor: »Du schenkst mir dein Vertrauen, zum Beispiel als du mich in dein Leben gelassen hast - mir von deiner Vergangenheit, von Luna - erzählt hast. Du schenkst mir deine Ehrlichkeit, zum Beispiel, als du mir erzählt hast, dass du auch was für mich empfindest. Du gibst mir die Kraft, über mich selbst hinauszuwachsen, indem ich einfach mal etwas wage. Du wolltest mich beschützen, indem du mich loslassen wolltest. Das verstehe ich jetzt...«, zählte er auf und vertrieb damit die Schatten, die sich in meinem Kopf und meinem Herzen ausgebreitet hatten.

Er vertrieb das Grau immer weiter und überall wo Heaven war, verteilte er bunte Farbe.
Er vertrieb die Taubheit und er ersetzte die Leere durch warme Gefühle und Kraft.

Ich blinzelte und als Heaven nach meinen Händen griff, da gab ich sie ihm, weil ich ihm glaubte.

»Du gibst mir so vieles, Kane. Ohne, dass du es bemerkst. Also lass mich dir auch etwas geben«, murmelte er und rieb mit dem Daumen über meine Haut, die durch diese Berührung langsam rot wurde.
Ich schluckte und umschloss seine Hände nach einer Weile fest. Unterbrach seine Handlung und sah in seine Augen.

»Und was?«, hakte ich nach.

Du gibst mir schon so viel, Heaven. Was also willst du mir noch geben?

Skyler lächelte ehrlich.

»Meine Liebe für dich, Kane.«

• • •

Ich freue mich auf das nächste Kapitel.
Seit ich wusste, dass es das geben wird, hat es mir in den Fingern gebrannt, es schreiben zu können.

Wie findet ihr die Geschichte bisher?

Wir haben mittlerweile über 100 tausend Wörter - eine ganz schöne Menge.
Ich hoffe ihr mögt die Story trotz der sehr ernsten Thematik & der traurigen Atmosphäre.

Liebe Grüße,
Ana

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