Siebenundzwanzig
Die Tage vergingen und mit jedem Tag der an mir vorbeizog, starb ein kleines Stück meiner Selbstachtung in mir.
Dienstag, 17:30 Uhr
Ich bin in der Halle, kommst du vorbei?
Dienstag, 22:27 Uhr
Seit wann ist dein Fenster verschlossen?
Mittwoch, 09:44 Uhr
Okay, was ist dein beschissenes Problem?
Donnerstag, 19:28 Uhr
Warum hast du mich heute bei der Schicht ignoriert?
Freitag, 10:56 Uhr
Ist das dein Ernst?
Keine einzige Nachricht zu beantworten?
Freitag, 23:41 Uhr
Fick dich, Skyler.
Ich war ein Heuchler.
Einer, der Kane ins Gesicht log und so tat, als wüsste er nichts von dem Gespräch zwischen Luna und ihrem behandelnden Arzt. Als wüsste ich nichts von der Tatsache, dass Kanes Mutter ihre Chemotherapie nicht fortsetzen wollte und somit dem Tod freiwillig die Hand reichte.
Deswegen versuchte ich zunächst mir selbst einzureden, dass es okay war, nichts zu sagen und darauf zu warten, dass Luna es ihrem Sohn eigenständig sagen würde.
Doch mit jedem Tag der verstrich und nichts passierte, ging es mir schlechter. Besonders dann, wenn Kane mir Nachrichten schickte, in denen er versuchte zu kommunizieren und mein Fehlverhalten zu verstehen. Und obwohl seine geschriebenen Worte meinen Körper für mehrere Sekunde in Ekstase versetzten, dauerte es nicht lange, bis Dunkelheit alles überschattete und ich unseren Chat unbeantwortet verließ.
Mir ging es auch bei der Schicht am Donnerstag in der Bar beschissen. Alles was ich wollte, war die Momente zu genießen, in denen Kane Sinclair glücklich war.
Was ich im Endeffekt tat, waren mir Vorwürfe und Gedanken zu machen.
Bis ich schließlich seit vier Tagen versuchte, Kanes Gegenwart zu vermeiden. Immer wenn er mich ansah, senkte ich den Blick oder konzentrierte mich auf irgendwas Anderes. Natürlich merkte er es sofort. Und er fragte mich Freitagabend fünfmal am Dach, was mein beschissenes Problem sei. Fünfmal log ich ihm ins Gesicht und sagte, es wäre nichts. Ein sechstes Mal fragte Kane mich nicht mehr, ging und ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er enttäuscht war und seine letzte Nachricht an mich „Fick dich, Skyler" lautete. Dass er dabei nicht einmal „Heaven" schrieb, tat noch mehr weh und zeigte mir, wie sehr ich es vergeigt hatte.
Scheiße, verdammt. Ich konnte mich selbst nicht einmal mehr im Spiegel ansehen, so frustriert war ich von mir. Dennoch würde ich nicht derjenige sein wollen, der Kane den letzten Schubs gab, bevor er von der Klippe, auf der er sich befand, stürzte.
Stattdessen sah ich ihm dabei zu, wie er sich in genau dasselbe Schneckenhaus zurückzog, aus dem ich ihn ursprünglich herausgeholt hatte.
Dementsprechend jämmerlich sah ich wohl an diesem Samstagabend aus, denn Mom fragte kritisch: »Okay, was ist los? Habt ihr euch gestritten?«
Ich wünschte, es wäre so, denn dann wüsste ich, wie ich reagieren konnte. Ich wusste, wie man sich bei Streitigkeiten verhielt. Man reflektierte sein eigenes Fehlverhalten und das des anderen. Dann redete man darüber und suchte nach einer gemeinsamen Lösung. Aber wie um alles in der Welt sollte ich mich verhalten, wenn ich ungewollt etwas erfahren hatte, dass Kanes Welt zerstören würde...endgültig?
»Leider nicht«, murmelte ich deshalb und schob mit der Gabel die Nudeln auf meinem Teller lustlos hin und her. Mir war der Appetit schon lange vergangen. Dad war mit seinem Kollegen noch draußen auf dem Meer und fischte, während Mom und ich zu Abend aßen. Zumindest tat sie es bis gerade eben noch.
»Möchtest du mir davon erzählen, Sky? Es scheint so, als wäre das mit dir und Noahs Bruder um vielfaches ernster als das mit Gavin damals«
Mom streckte mir über den Tisch hinweg ihre Hand aus, während sie ihre Gabel ablegte und ihre gesamte Konzentration auf mich richtete.
Ich holte durch die Nase tief Luft, bevor ich meine Finger auf ihrem Handrücken ablegte und dankbar lächelte, als mich eine schwache Welle des Trostes versuchte zu besänftigen. Vielleicht war mit Mom darüber zusprechen das, was ich im Moment brauchte. Vielleicht hatte sie einen guten Rat, der mir weiterhalf.
»Kanes Mutter hat Krebs«, begann ich also zögernd und fuhr mit meinem Zeigefinger gedankenverloren über die weiche Haut ihrer Hand, die weniger gebräunt als meine war.
Ihr forschender Blick veränderte sich und ein Schleier der Traurigkeit legte sich über ihre dunkelgrünen Augen. Mom presste die Lippen aufeinander, nickte und fragte eine Spur leiser: »Wie schlimm ist es?«
Ich sah auf meine Nudeln, die so abrupt verschwammen, dass ich die Hände zurückzog, um sie mir verzweifelt auf mein Gesicht zu legen, welches sich selbstständig machte und zu einer Maske der Verzweiflung formte. Fuck. So war das ganz bestimmt nicht geplant gewesen.
»Oh, Sky...«, hauchte Mom. Ich hörte, wie sie aufstand und der Stuhl daraufhin über den Boden kratzte, dann – keine zwei Sekunden später – zog sie mich in ihre warmen Arme.
»Sie bricht die Chemotherapie ab, das hat mir Noah erzählt, weil er das Gespräch zwischen ihr und ihrem Arzt aufgeschnappt hat. Kane weiß glaube ich nichts davon«, platzte es aus mir heraus, während meine Handinnenflächen nass wurden. Ich hatte keine Ahnung, wann ich angefangen hatte zu weinen. Und erst recht hatte ich keine Ahnung, wie ich damit wieder aufhören sollte, denn da war so viel Frustration, Sorge, Angst, Hass und Panik in mir...und das wollte und musste in Form von hunderten von Tränen raus.
Mom schwieg, während wir darauf warteten, dass ich mich beruhigte. Wir warteten lange.
Ihre Hand glitt sanft über meinen Rücken, als sie ihre Lippen kurz auf meinen Scheitel drückte und mich bat, aufzustehen, damit sie mich richtig in den Arm nehmen konnte.
Ich erhob mich schwerfällig und vergrub meine Nase an dem weichen Stoff ihres Shirts. Dabei tat mir der Nacken weh, weil sie ein Stück kleiner als ich war.
Sie wartete weiter geduldig, bis ich keine Tränen mehr über meine Wangen rollen spürte. Erst als Mom sich sicher schien, dass ich dazu in der Lage war, ihr zuzuhören, fragte sie: »Dieses Wissen löst Angst in dir aus. Du willst nicht derjenige sein, der Kane das erzählt«
Oh, Mom. Warum kennst du mich besser, als ich mich selbst? Warum weißt du, was in mir vorgeht?
»Ich finde Luna sollte es ihm sagen, Mom. Ich will...ich...Mom...ich will nicht, dass sie stirbt. Ich will...Kane soll...«, gab ich sinnlos von mir und ein heftiges Beben erfasste meinen gesamten Körper.
»Sch, Sky. Beruhig dich«, flüsterte sie beschwichtigend, wobei sie ihre Umarmung verstärkte, um mich halbwegs zu stabilisieren. Ich spürte ihren unruhigen Herzschlag, spürte und hörte das Rauschen meines eigenen Blutes in meinen Ohren. Meine Augen kniff ich so stark zusammen, dass weiße Funken die Finsternis zerstörten. Und warum verflucht kam keine Luft in meine Lunge, obwohl ich schon fast wie ein Hund hechelte?! Scheiße, ich bekam keine Luft.
»Du musst dich beruhigen, Skyler«, durchschnitt meine Mutter meine panischen Gedanken. Sie klang lauter und drängender. Das war ihr Befehlston, auf den mein Körper instinktiv reagierte und ich einmal stark nach Atem rang. So sehr, dass mein Brustkorb innerlich zu brennen begann.
»Nochmal«, drängte sie und ich schnappte ein weiteres Mal nach Luft. Wieder entzündete sich ein Feuer in mir, nur um direkt danach zu verschwinden, damit meine Lunge ihren regulären Job weiterführte, als wäre ich nicht gerade eben vor einer Panikattacke gestanden.
Ich riss die Augen auf und wich zurück. Sah den Schock in ihren dunkelgrünen Augen, dann blinzelte sie und fuhr sich mit beiden Händen über ihr gerötetes Gesicht, so wie sie es immer tat, wenn ihr irgendwas zu nah ging.
»Soll ich mit Luna sprechen, Skyler? Oder mit Simon? Mit Kane? Mit irgendwem, damit es dir bessergeht?«, fragte sie und die Hilflosigkeit mit der sie das sagte, gefiel ihr nicht. Sie betrachtete unglücklich meine verheulten Augen und strich mir mit der Hand liebevoll über die Wange. Doch während die Hilflosigkeit in ihren Augen immer stärker wurde, dachte ich über Moms erste Frage nach.
»Mit Luna sprechen«, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das hätte ich schon lange tun können...
»Okay, dann lass mich kurz nachdenken, wie-«, setzte Mom an.
»Nein. Ich werde mit ihr sprechen. Ich will sie fragen, warum sie es Kane bisher noch nicht erzählt hat. Vielleicht... gibt es einen Grund«, unterbrach ich sie.
Mom blinzelte einmal. Ein zweites Mal und dann nickte sie zögernd, als hätte sie diese Wendung nicht erwartet.
»Okay. Okay, ja. Das klingt gut, Sky«
Ja. Das tat es. Ich ging wie in Trance an ihr vorbei, da hielt sie mich am Unterarm fest und sah mich eindringlich an.
»Jetzt?«
Wann, wenn nicht jetzt? Ich kann nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen, in der ich Kane und mir selbst wehtue.
»Ja«
Es dauerte, bis Mom ihre Hand zurückzog und mich gehen ließ. Bevor ich allerdings aus dem Haus verschwand, bedankte ich mich bei ihr, indem ich sie in eine weitere Umarmung zog und flüsterte: »Ich hab' dich lieb«
Und ich bin dankbar, dass es dir gut geht. Dass es dich gibt und du nicht um dein Leben kämpfen musst, sondern mir dabei zuzusehen kannst, wie ich mich in einen Kerl verliebe, der dabei ist, seine Mutter zu verlieren.
»Ich dich auch, Sky. Ich dich auch...«
• • •
Die Tür öffnete sich und vor mir stand Simon Sinclair, der kurzzeitig relativ perplex dreinschaute und dann höflich meinte: »Hey, Skyler. Die Jungs sind nicht da. Noah ist vor zehn Minuten mit Marie losgezogen und Kane ist seit einer guten Stunde in der Halle«
Ich räusperte mich, um meine Stimme wieder zu finden. Fuck, warum war das so verflucht schwer? Das war nur Simon. Ihn kannte ich schon mein ganzes Leben.
Aber mein Leben veränderte sich und der Grund dafür war Simons erstgeborener Sohn. Der mit der krebskranken Mutter, mit der ich sprechen musste.
»Ich wollte ehrlich gesagt mit Luna sprechen«, erwiderte ich und registrierte Simons Erstaunen. Er zog die Augenbrauen auf dieselbe Weise hinauf, wie Kane es manchmal tat. Er trug eine Jogginghose und ein Shirt, auf dem ein Fleck war. In den 18 Jahren hatte ich Simon Sinclair noch nie mit Schmutz auf der Kleidung erlebt.
»Komm rein« Simon ging beiseite und ich konnte für einen zittrigen Atemzug nicht glauben, dass ich das nun wirklich tun würde. Aber ich tat es, weswegen ich über die Türschwelle trat und wenig später meine Schuhe neben Noahs kaputte, karierte Vans schob.
»Sie ist oben, in ihrem Zimmer mit Lea«, sagte er in einem zögernden Tonfall. Ich stand mit dem Rücken zu ihm und blickte die Treppen empor, während mein Herz so stark klopfte, dass mir für einen Moment die Luft zu atmen fehlte. Er blieb hinter mir und da wurde mir klar, dass nicht nur Noah von Lunas Entscheidung wusste.
»Ich weiß, dass sie die Therapie abbricht«, stieß ich unerwartet ruhig aus.
Hintergrundgeräusche wie das Ticken der großen Küchenuhr und ein leiser Radio erfüllten nun den Flur, so laut wurde die Stille zwischen Kanes Dad und mir.
Er trat vor mich, legte eine Hand auf meine Schulter und sah mich durch seine hellbraunen Augen an. Sein eigentlich stets gepflegter und gestutzter Drei-Tage-Bart war länger als üblich und die Schatten unter seinen Augen waren mir ebenfalls neu.
»Woher?«
Ich schluckte schwer, denn da war sie nun...die endgültige Gewissheit. Die ich nicht akzeptieren wollte, weswegen ich tonlos fragte: »Also stimmt es?«
Simons Blick wurde dunkler. Er trat beiseite, sagte nichts mehr und deutete stattdessen auf die Treppen, weswegen ich nicht mehr lange fackelte und mich auf den Weg zu Luna machte.
Das konnte doch nicht sein, dass keiner hier das aussprach, was Fakt war.
Dass keiner Kane an die Hand nahm und sagte, dass seine Mutter eben nicht mehr die Alte werden würde. Absolut nicht.
Oben angekommen gab es nur eine geöffnete Tür, zu der ich ging und einen unsicheren Blick hineinwarf. Und was ich da sah...darauf war ich nicht vorbereitet.
»Skyler«, kam es von Lea, die als erste registrierte, dass ich den Raum trat. Ich bekam kein Wort heraus. Das einzige, wozu ich imstande war, war ans Bettende zu treten und Luna fassungslos anzusehen.
Warum um alles in der Welt hatte Kane mir nichts gesagt? Warum war er so...normal die letzten Tage?
Die Luna, die ich am Leuchtturm kennengelernt hatte, sah im Vergleich zu dieser Version ja noch fast...gesund aus.
Ihre Haut war so weiß wie Schnee, ihre Lippen spröde und blau verfärbt. Das lilafarbene Kopftuch war verrutscht und entblößte einen großen Teil ihres kahlen Kopfes. Ihre Wangen waren noch weiter eingefallen und es schien beinahe so, als wäre diese dünne Schicht Haut alles, was sie noch zusammenhielt.
Die Augenringe von Simon waren lächerlich im Vergleich zu diesen gräulich, blauen Schatten, die in Lunas Gesicht ragten.
Verflucht.
Sie sah mich an und so wie sie mich ansah, da spürte ich deutlich etwas in mir reißen.
»Skyler«
Luna sprach meinen Namen aus.
Kraftlos, hoffnungslos, tonlos.
Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und obwohl der Sommer noch immer in South Carolina herrschte, war es in diesem Raum eiskalt.
Das Zimmer wurde noch kälter, als Lunas Fingerspitzen ihrer linken Hand zu zucken begannen, als würde sie wollen, dass ich ihre Hand hielt.
»Komm her, mein Junge«, flüsterte sie rau. Mit stocksteifen Gliedern, rasendem Herzen und Panik in den Augen trat ich neben sie und griff vorsichtig nach ihrer Hand. Ich spürte Knochen, dünne Haut und noch mehr Kälte. Ich spürte mehr Tod als Leben.
Wie um alles in der Welt konnte Kane mir nichts von dieser rapiden Verschlechterung erzählen?
Warum hatte Noah nichts davon gesagt? Warum lenkte er sich lieber ab? So viele Fragen und keine Antworten.
Ich konnte das nicht mehr, deswegen biss ich die Zähne zusammen, bis es schmerzte, erst dann fragte ich die Fragen, auf die nur Luna die Antwort hatte.
»Warum brichst du die Therapie ab? Warum hast es ihm noch nicht gesagt?«
Lunas Augen, die so dunkel wie die ihres Sohnes waren, sahen zu mir auf. Selbst diese kleine Reaktion schien ihr schwerzufallen.
Der Schlauch in ihrer Nase machte es noch anstrengender, ruhig zu bleiben, während ich ihre Hand hielt, die ohne jegliche Reflexe in meiner lag. Es war, als hielt ich die Hand einer Puppe.
Meine Augen brannten, ich kämpfte gegen die aufkommenden Tränen an, von denen ich dachte, ich hätte für heute keine mehr übrig.
»Ich hab's probiert. Ich hab' gekämpft. Das habe ich wirklich, Skyler... Aber ich kann nicht mehr und alles, was ich jetzt noch will, ist ich selbst zu sein, wenn ich gehe«
Der Schmerz in ihren Augen rührte nicht von ihrem körperlichen Schmerz.
Sie litt auch psychisch.
Da lag diese Frau, die keine Kraft mehr hatte, zu leben.
Wie unfair war das?
Sie lag da und hatte sicherlich Schmerzen und trotzdem beantwortete sie meine lächerlich dreisten Fragen, obwohl ich ihr bisher nur einmal persönlich begegnet war.
Sie sprach vom gehen – vom Gehen für immer.
Lea, die gerade noch gesessen hatte, erhob sich und legte eine Hand auf meiner Schulter ab, die irgendwann zu Beben begonnen hatte.
Luna, die meinen Ausbruch registrierte, zwang sich zu einem Lächeln. Das glaubte ich, doch alles was sich in ihrem Gesicht regte, war ihr linker Mundwinkel, der minimal zuckte.
»Woher weißt du von Lunas Entscheidung, Skyler?«, fragte Lea neben mir, die in einer Geste der Aufmunterung meine Schulter streichelte.
»Noah, er hat es versehentlich belauscht«, brachte ich hervor. Keine Ahnung, wie. Es war, als würde mein Körper genau wissen, was er tun sollte, während ich innerlich immer weiter erstarrte.
Luna hatte gekämpft und jetzt war sie am Verlieren. Alles umsonst. Das war nicht fair.
»Ich...«
Luna holte tief Luft.
Es klang grauenvoll, weil sie röchelte wie eine Ertrinkende und da war weit und breit keine Hilfe für sie.
Alles was wir tun konnten, war mit verbundenen Händen ihr beim Ertrinken zuzusehen.
»Ich wollte es ihm sagen, Skyler«, stieß sie aus. Ihre Stimme bebte genauso sehr, wie meine Schultern. Ihre Augenlider flatterten wie die Flügel eines verletzten Schmetterlings.
»Ich wollte es ihm sagen«, wiederholte sie voller Verzweiflung. In ihren Augen sammelte sich feuchte Traurigkeit.
Ich glaubte ihr.
»Kanes Emotionen sind in den letzten Tagen zu stark. Er verdrängt die Realität, Skyler. Er redet sich ein, dass alles wieder gut wird«, ertönte die Stimme von Simon, der im Türrahmen stand.
Ich sah ihn an, während heiße Tränen der Qual über meine Wangen rannen. Oh mein Gott.
»Und dann fängt er an, davon zu erzählen, was er und ich noch alles zusammen erleben könnten. Es...es bricht mir das Herz. Ich will doch nur, dass mein Junge glücklich ist«, kam es von Luna, die immer langsamer sprach, als fiele es ihr unsagbar schwer, überhaupt zu sprechen.
Ich sah ihr wieder in die Augen.
Ihr Blick brannte sich in meinen und ich verstand nun, warum sie Kane noch nichts gesagt hatte.
Weil wir beide wollten, dass Kane nicht noch mehr litt.
Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie es ihm sagen sollte. Kane verdiente die Wahrheit, auch wenn sie sein Leben zerstörte.
»Ich weiß, wie sehr er an mir hängt und sein Glück von mir abhängig macht... Ich will die letzte Zeit, die mir mit meinem Jungen...Nein, ich will ihm nicht das Herz brechen, Skyler. Weil ich weiß, dass unter seiner distanzierten Maske mein kleiner, ängstlicher Junge schlummert, der Angst hat, von mir verlassen zu werden. Weißt du, es gab immer nur Kane und mich... Wir gegen den Rest der Welt... Kane hat Träume, die ich nicht zerstören möchte, weil ich nicht weiß, was mit ihm passiert, wenn er sich nicht mehr in seinen Fantasien verstecken kann...Ich weiß, dass mich das zu einer schrecklichen Mutter macht und ich hasse mich dafür«, wisperte Luna, während sie während jedem Satz pausierte und hustete.
Ihre Stimme klang so fremd in meinen Ohren.
Der Krebs fraß sie von innen auf und jetzt sah man das nicht mehr nur, man hörte es deutlich.
Man spürte es sogar.
»Das macht dich zu einer Mutter, die Angst um ihren Sohn hat, Luna. Du bist keine schlechte Mom. Das warst du nie. Du warst für unseren Jungen da. Immer. Er verehrt dich, also red' dir so einen Unsinn nicht ein, hast du mich verstanden?«, entgegnete Simon streng und ging auf die andere Seite des Bettes.
Er legte seine große Hand so zärtlich und behutsam auf Lunas Kopf, wie ich es noch nie gesehen hatte. Sein Daumen strich eine weiche Feder über ihre Haut. Ich presste meine Lippen aufeinander, die zu beben begannen.
»Oh, Simon. Es wäre leichter, wenn er dich als Vor-«, setzte Luna an, doch da schüttelte Kanes Vater augenblicklich den Kopf.
»Nein. Nach allem was passiert ist, ist es nur richtig, dass du sein Vorbild wurdest und nicht ich«, flüsterte Simon ehrlich. Seine Augen waren gerötet.
Ich fuhr mir mit dem Handrücken über meine nassen Wangen und räusperte mich, um auf der einen Seite den Mut zu finden, das auszusprechen, weswegen ich hier war, und auf der anderen Seite, um meine Stimme wieder zu finden. Kane war alles für mich und er verdiente es, sich anständig verabschieden zu können.
Luna sah mich an.
Ich sah sie an und wirklich nur sie.
Und während ich die Mutter von dem Jungen, in den ich mich verliebt hatte, ansah, da brach mein Herz in tausende von einzelnen Teilen.
»Ich weiß, dass es dreist ist, dir mit meinen 18 Jahren Ratschläge zu erteilen...«, murmelte ich matt und drückte ihre Hand ganz leicht.
»Aber ich finde, dass du es Kane sagen solltest, Luna. Er hat die Wahrheit verdient«
Ihr Blick verklärte sich, als Tränen aus ihren Augenwinkeln traten und da wusste ich, dass auch ihr Herz zersprang.
Stille war noch nie so laut.
Noch nie so schmerzhaft und ängstigend.
Und sie wurde noch nie so schrecklich durchschnitten wie mit diesen drei Worten, die folgten.
»Mir was sagen?«
• • •
Ich hoffe ich konnte und
kann in den nächsten Kapiteln
diese Wucht an Emotionen gut an
euch herantragen.
btw, auf Spotify gibt's Playlists
von mir erstellt für meine Werke.
Wer gerne während des Lesens
Musik hört...
bei der Liste
„Be my Lifeline" sind die ausgewählten
Songs drin, zu denen ich schreibe.
<3
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