Fünfundzwanzig
Mir rann der Schweiß meinen Rücken hinab, während ich den letzten Tisch für heute Nachmittag abwischte und kurz danach innehielt, um endlich durchzuatmen.
Was für eine Schicht. Die Leute waren in Scharen rein geströmt und ich kam gar nicht dazu, an Kane zu denken oder über Luna zu grübeln, so viel war los gewesen. Nicht einmal Noah und ich hatten Zeit, einander überhaupt anzusehen.
»Skyler, kannst du mir helfen die Gläser zu trocknen?«, hörte ich Noah fragen und schloss die Augen.
Schon allein anhand seines Untertons und der Tatsache, dass er meinen vollen Namen aussprach, wusste ich, was nun kam. Das Gespräch, welches wir schon viel zu lange aufgeschoben hatten.
Ich presste die Lippen aufeinander und warf Noah einen Blick über meine Schulter zu. Und als er ihn erwiderte, wurden seine strengen Gesichtszüge ein bisschen sanfter. Er sah mir an, dass ich mit unserer derzeitigen Situation genauso unzufrieden war, wie er selbst.
»Sky«, verbesserte Noah sich und grinste sein typisches Grinsen, das meine Schultern entspannen ließ und ich nicht mehr ganz so versteift dastand.
Stattdessen warf ich den nassen Lappen in den Eimer, nahm ihn und ging gleich danach um den Tresen herum.
Kurz vor meinem besten Freund stellte ich alles auf den Boden und zog Noah wenig später kommentarlos an meinen verschwitzten Körper.
Ekelhaft, aber notwendig. Da Noah sich nicht wehrte, legte ich meine Stirn auf seiner Schulter ab und seufzte leise.
Es dauerte, bis Noah sich bewegte und seine Arme um mich schlang, als hätte er mich ebenfalls vermisst. Wir umarmten uns selten. Aber wenn wir es taten, dann war es keine halbherzig gemeinte Umarmung und darüber war ich gerade eben heilfroh.
Dass er mit der Hand über meine Wirbelsäule glitt, machte mir Mut, das auszusprechen, was ausgesprochen werden musste.
»Ich glaub', ich steh auf deinen Bruder. Und es tut mir leid, dass ich es dir erst jetzt sage«, murmelte ich in den feuchten Stoff seines schwarzen Shirts hinein und spürte, wie er tonlos lachte. Sein Körper vibrierte, ansonsten war alles ganz einfach und friedlich.
Ein leiser Song drang aus den Boxen, das Rauschen des Meeres vermischte sich mit dem Geräusch unseres leisen Atems und der Geruch von Spirituosen, wie auch der von süßen Fruchtsäften lag in der Luft.
Noah klopfte mir zweimal leicht auf den Rücken, ohne sich zurückzuziehen und erwiderte: »Das dachte ich mir schon«
Langsam lehnte ich den Kopf nach hinten und sah in Noahs blaue Augen, die mich aufmerksam betrachteten. Wir lösten uns voneinander und ich vergrub in einer Geste der Nervosität meine Hände in den vorderen Taschen meiner Jeansshorts.
Ich hatte es tatsächlich ausgesprochen. Und es fühlte sich - nachdem ich gestern Abend noch mit Kane Sinclair rumgemacht hatte - verflucht gut an, das laut sagen zu können.
Auch wenn ich Kane heute noch nicht gesehen und wir nicht darüber sprechen konnten, hatte ich ein gutes Gefühl, dass das keine einmalige Sache zwischen uns war.
Das durfte es nicht gewesen sein, denn das würde ich nicht akzeptieren können. Dafür war es zu spät. Ab dem Moment, als er diese unsichtbare Wand zwischen uns niedergerissen hatte und mich bat, ihn zu küssen, ab da verlor ich die Kontrolle über meine Zurückhaltung.
Ich wollte Kane.
Ich wollte ihn küssen, ihn verführen, ihn an den Rand seiner Geduld drängen, um seine Grenzen herauszufinden, mit ihm Zeit verbringen, um noch mehr über Kane Sinclair zu erfahren und ich wollte für ihn da sein.
Insbesondere seit ich wusste, dass er einem Abgrund näherkam, der ihn fallen lassen würde und ich nicht verhindern konnte, dass nach dem Fall ein heftiger Aufprall kam.
»Ich will nicht, dass du dich ausgegrenzt fühlst oder wir uns auseinanderleben, Noah«, gab ich zu bedenken und erkannte, wie für eine Sekunde ein dunkler Schatten über sein Gesicht huschte, bevor er den Blick senkte und leiser sagte: »Ich auch nicht, Sky...«
Das schrie nach einem ›Aber‹. Ich wappnete mich und hatte recht mit meiner Vermutung.
»Aber es tut weh zu sehen, wie mein eigener Bruder dir mehr Vertrauen schenkt, als mir«
Ich fühlte mich schlecht, ohne dass ich etwas für Noahs Gefühlszustand konnte.
Ich konnte nachvollziehen, dass ihn das mit Kane verletzte.
Aber ich war irgendwo auch unwahrscheinlich glücklich darüber, dass Kane sich mir anvertraute und mir langsam seine andere Seite zeigte.
Und das machte mich vielleicht zu einer egoistischen Person, aber auch zu einem Menschen, der sich verliebt hatte.
Noah sah mir an, dass meine Meinung diesbezüglich gespalten war, denn er legte seine linke Hand auf meine Schulter und übte leichten Druck auf sie aus.
»Das war nicht als Vorwurf gedacht. Ich wollte dir nur sagen, wie es in mir aussieht. Denn obwohl ich irgendwo neidisch bin, bin ich auch verdammt froh und stolz, dass Kane dir vertraut«
Ich lächelte dankbar und Noah schmunzelte, bevor er mir ein nasses Glas in die Hand drückte und ich ihm half, die restlichen Gläser zu trocknen.
So waren Gespräche mit Noah.
Sie waren brutal, weil die Wahrheit nicht oft einfach zu verdauen oder auszusprechen war.
Aber am Ende eines jeden ernsten Gespräches mit Noah, tat es was mit unserer Freundschaft. Sie wurde stärker.
»Ich dachte wirklich, zwischen dir und mir bricht der totale Streit aus«, grinste ich, während ich die Feuchtigkeit von dem Longdrinkglas entfernte.
Noah erwiderte mein Grinsen nicht, seine Miene wurde wieder ernst und nachdenklich.
»Warum? Weil du meinen Bruder glücklich machst?«
Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch, während mein Herz einen mir unbekannten Rhythmus trommelte.
»Mache ich das denn?«
Es dauerte, bis mein bester Freund antwortete. In der Zwischenzeit stellte er sein Glas ins Regal und als ich ebenfalls fertig war, ergriff er meines und stellte es neben das von ihm.
»Er hat heute gefrühstückt, Sky. Zwar nur ein Stück Brot, aber er hat was gegessen. Vor meinen Augen«, sagte Noah und in seiner Stimme schwang ein Ton mit, der stark nach Eifersucht klang.
Ich wollte vor Freude und Frustration seufzen. Es waren trotzdem tolle Neuigkeiten, auch wenn Noah nicht ganz mit der Situation zufrieden war. Sein Bruder machte Fortschritte. Das war gut. Sehr gut. Auch wenn Kane es womöglich erst seit er mich besser kannte, tat.
Ich biss mir von innen auf die Wangen, um nicht glücklich zu schmunzeln. Scheiße, da passierte was mit mir und ich wusste ganz genau, was. Kane Sinclair ging mir unter die Haut und kroch auf direkten Weg zu meinem Herzen. Dabei hatte er es schon längst erreicht.
»Und warum denkst du, das er meinetwegen glücklich ist?«, hakte ich nach, weil ich es nun doch wissen wollte.
Noah warf sein Geschirrtuch über die Schulter, verschränkte die Arme vor der Brust, während ich ein weiteres Glas trocknete und auf seine Antwort wartete. Diesmal zögerte er nicht so lang und wieder brach das sanfte Lächeln durch die ernste Miene hindurch.
»Weil er gestern Abend mit geschwollenen Lippen und Tonnen an Knutschflecken aufgetaucht ist. Und ich gesehen habe, wie du aus seinem Wagen gestiegen bist. Vielleicht weiß ich es deswegen. Oder vermute zumindest, dass du Grund für Kanes plötzlichen Stimmungsumschwung und seinen massakrierten Hals bist«
Meine Wangen waren schneller rot, als dass ich blinzeln konnte. Und das fette Grinsen in meinem Gesicht konnte ich nun auch nicht mehr verstecken oder zurückhalten.
»Aber ich merke jetzt erst, dass er deinen Hals vollkommen in Ruhe gelassen hat...«, kommentierte Noah nachträglich skeptisch.
Ich dachte daran, warum Kane diese Flecken hatte und ich nicht.
Weil ich Kane lieber berühren und küssen wollte, statt über das zu sprechen, was ich gesehen hatte.
Kane hatte zwar versucht, mich zu fragen, was los war. Aber statt zu antworten, hatte ich Kane und auch seinen Hals geküsst...oder mehr getan. Immer und immer wieder.
Das Grinsen brach in sich zusammen und mit ihm rutschte mir das Glas aus den Händen und wäre auf den Boden gedonnert, hätte Noah nicht Reflexe wie eine Schlange.
Er sprang vor und fing es, starrte mich erstaunt an und schüttelte dann verständnislos den Kopf.
»Was war das denn jetzt?«
Ich holte leise Luft.
Meist tat Stille gut.
Meist war sie genau das: still und friedlich.
Aber diese Stille, die entstand, nachdem Noah mich ansah und das fragte...
Diese Stille war schmerzhaft.
Sie war laut und aggressiv.
Es dauerte, bis ich in der Lage war, zu sprechen.
»Er hat gesagt...dass sie wieder wird, Noah«
Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dem wirklich so ist. Nicht, nachdem ich den Schmerz in Lunas Augen gesehen habe. Nicht, nachdem ich gesehen habe, wie traurig sie ihren Sohn beobachtet hat, wenn er mich angestarrt hat. Sie weiß, dass sie gehen wird. Damit meine ich leider nicht Texas.
Und als Noah so laut schluckte, dass ich trotz der Hitze Gänsehaut bekam, da war mir klar, dass Noah mehr wusste.
»Bitte sag mir nichts, ich will nicht-«
»Luna wird die Therapie abbrechen und-«
Wir sprachen zeitgleich.
Keiner konnte seine Worte zurücknehmen und als ich verstand, was ich da gehört hatte, fühlte ich mich schuldig. Ich fühlte mich schuldig, weil ich mir sicher war, dass Kane davon noch nichts wusste.
Als Noah den Blick senkte und flüsterte: »Ich hab's gestern Abend aufgeschnappt, als ich zur Toilette musste. Die Tür von Luna stand offen. Der Arzt und meine Eltern waren auch dabei...Tut mir leid, dass ich dich da mit reinziehe. Tut mir so leid, Sky, aber du bist mein bester Freund und wir haben uns geschworen, keine Geheimnisse voreinander zu haben«
Oh, Noah. Ja, verdammt. Aber dieses Geheimnis kann alles kosten. Und ich bin nicht bereit, jemanden zu verlieren, der mir so wichtig ist, wie dein Bruder.
»Ich will ihm das nicht sagen, Noah«, erwiderte ich und sah ihm dabei zu, wie er sich auf den Boden setzte, als ob er nicht mehr stehen konnte.
Als er von unten zu mir hoch sah, waren seine Augen geflutet von Tränen.
Ich seufzte tief und fühlte mich taub, während ich mich neben ihm niederließ und mir wünschte, dass dieses Gespräch bei Kanes spärlichen Frühstück geendet hätte.
Noah stellte das Glas neben sich auf den Boden und zog die Knie an sich.
»Das musst du ihm auch nicht sagen. Das ist eine Sache zwischen Luna und Kane«
Ich gab einen gequälten Laut von mir.
»Wenn er rausfindet, dass ich Bescheid weiß und nichts gesagt habe...Er wird mich hassen, Noah. Und dabei hat er gerade erst angefangen, mich zu mögen«
Noah sah mich verzweifelt an und ohne es zu wollen, war ich für einen Augenblick wütend auf ihn. Diesen Moment nutzte mein Mund, um sich selbstständig zu machen.
»Warum sagst du mir das alles? Sobald ich ihm gegenüberstehe, werde ich an nichts anderes mehr denken können. Er wird es merken und mich hassen, Noah. Kane wird-«
»Sky-«, versuchte Noah mich zu unterbrechen und griff mit einer Hand nach meinen, die kraftlos in meinem Schoß verweilten. Meine Oberschenkel bebten. Das Trommeln meines Herzen wurde lauter und kräftiger. So heftig, dass ich es hören und schmerzhaft spüren konnte.
»Fuck, Noah! Fuck! Ist dir überhaupt klar, was das bedeutet? Luna wird sterben. Nicht erst in einem Jahr. Und Kane ist davon überzeugt, dass sie wieder wird. Hast du dir diese Frau schon mal angesehen? Sie...Noah, sie...«
Ich wollte es nicht aussprechen. Und ich wollte nicht daran denken. Ich wollte zu Kane, ihn küssen und alles vergessen.
Ich wollte die verfluchte Zeit anhalten.
Für ihn, für Luna.
Luna brauchte mehr Zeit mit Kane.
Kane brauchte mehr Zeit mit seiner Mutter.
Und ich - so egoistisch das alles war - brauchte mehr Zeit mit diesem Kane, der er gerade eben war.
Der, der langsam zum Vorschein kam und mich an sich heranließ.
»Ich weiß, Sky«, war alles, was Noah murmelte, obwohl er nicht wusste, was ich noch zu sagen hatte, es aber wieder nicht aussprechen konnte.
»Fuck, Noah«, hauchte ich erneut verzweifelt. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Jetzt saßen wir hier, hatten unseren Streit geklärt und nun kam das nächste Problem.
Ein Geheimnis, das zu viel kosten konnte.
Ein leises, unscheinbares Vibrieren in meiner vorderen Hosentasche entriss mich meiner Angst für einen Moment und ich fischte nach meinem Smartphone, während mein Blick nicht klar und ins Nichts gerichtet war.
Dementsprechend sah ich auch nicht richtig auf mein Display, registrierte im Augenwinkel nur, wie ich auf den grünen Hörer klickte und hielt mir das Gerät ans Ohr.
»Hallo?«, fragte ich und war überrascht von meiner Stimme, die sich nicht anhörte, als wäre gerade ein Teil meiner Welt in sich zusammengesackt.
»Heaven. Bild dir nichts drauf ein, aber ich bin gerade in der Boxhalle und da musste ich an dich denken. Du hast gestern gemeint, wir können gemeinsam an meinem...Problem arbeiten«, ertönte es kühl aus der Leitung.
Oh Gott. Ich bekam keine Luft mehr.
Noah, der mir gegenübersaß, sah mir an, dass ich um Fassung rang. Er nahm mein Smartphone, stellte es auf laut und machte uns beide auf stumm.
»Was hat er gesagt?«
»Er will mich sehen. In der Boxhalle«
Noahs Augenbrauen schossen in die Höhe und in seinen blauen Augen blitzten so viele Emotionen auf einmal auf, dass ich sie nicht richtig deuten konnte.
War er eifersüchtig? Überrascht? Hatte er Mitleid mit mir, weil ich Kane nun eine Information verschwieg, die er vielleicht wissen wollte? Wissen musste?
»Ich muss absagen. Ich kann nicht. Ich kann ihm nicht ins Gesicht sehen, wenn er voller Hoffnung ist und ich weiß, dass...Was, wenn er merkt, dass ich-«, stotterte ich.
Noahs Blick wurde liebevoll.
»Er braucht dich, Skyler«
Kane räusperte sich ungeduldig am anderen Ende der Leitung. Mein Herz war stehen geblieben, da war ich mir sicher. Warum also lebte ich noch? Warum konnte ich atmen, wenn sich alles wieder so taub anfühlte?
»Aber mein Verhalten ist widersprüchlich, Heaven? Du bist derjenige, der mir die Zunge in den Mund gesteckt hat und dann nicht mehr aufhören konnte, meinen Hals zu verunstalten. Und jetzt sagst du nicht mal...scheiße, hast du dich auf stumm gestellt, Heaven?«
Noah drückte mir das Handy ins Handy, als hätte er sich verbrannt und ich holte tief Luft.
Zitternd und voller Panik stellte ich mich wieder auf laut und sagte rasch: »Bin in einer halben Stunde da.«
Dann legte ich auf.
Erschrocken starrte ich mein Handy an, dann Noah.
Ich hatte Kane Sinclair einfach so weggedrückt. Shit.
»Noah, er wird merken, dass was nicht stimmt. Du kennst mich und Kane ist dabei, mich kennenzulernen«, stieß ich aus und fuhr mir in einer Geste der Verzweiflung durch mein feuchtes Haar.
»Tut mir leid, Sky«, antwortete Noah sichtlich geknickt.
Ich schloss die Augen und tastete nach Noahs Hand, die scheinbar sein linkes Knie festhielt.
Seine Haut war wärmer als meine. Sie war auch ein bisschen rauer als meine.
»Luna wird mit ihm sprechen, vertrau mir. Genieß das, was zwischen euch ist, solange es noch so ist, wie es im Moment ist«, sagte Noah.
Es sollte sicherlich beruhigend klingen und das tat es irgendwie auch. Es klang beruhigend und es hätte mich vielleicht auch ein wenig entspannt, aber da war nichts.
Nur diese Taubheit, die ich akzeptierte und mich fragte, wie das weitergehen sollte.
• • •
Mom saß neben mir im Auto und konzentrierte sich auf den zähen Verkehr, während das Navi sie an der Ampel nach links lotste.
Als die Ampel auf Grün schaltete, lenkte Mom unseren kleinen Wagen in die richtige Richtung und sagte schließlich: »Du siehst nicht so glücklich aus, wie beim letzten Mal, als du mir von ihm erzählt hast«
Heute war wohl der Tag der deprimierenden Gespräche.
»Kanes Leben ist nicht so einfach, wie ich anfangs dachte, Mom«, gestand ich.
Mom runzelte nicht die Stirn, wie ich erwartet hätte. Sie nickte stattdessen.
»Verstehe...Das macht dich traurig?«, fragte sie und ich verschränkte meine Finger heftiger ineinander.
»Er ist stark, Mom. Ich glaube, ich wäre an seiner Stelle schon lange zusammengebrochen und nicht wieder aufgestanden«, erwiderte ich ehrlich. Das war meine Mutter und wenn ich daran dachte, sie irgendwann zu verlieren, wurde mir ganz schlecht. Ich zwang mich, diese Gedanken zu verdrängen.
Moms Blick huschte zu mir und Besorgnis machte sich auf ihrem ungeschminkten Gesicht und in ihren müden Augen breit. Die Sonne war am untergehen und ihr Tag war anscheinend sehr lang.
»Scheinbar ist er der geborene Boxer«, versuchte sie die Stimmung aufzuhellen und tatsächlich entfloh mir ein kleines, trauriges Lachen.
»Vielleicht macht er auch einen aus mir«, murmelte ich, als das Navi sagte, dass wir das Ziel erreicht hatten.
Mom parkte den Wagen am Straßenrand, nahm den Gang raus und zog die Handbremse an, bevor sie sich zu mir drehte.
»Soll ich dich später abholen?«
Sie beobachtete mich und nahm sich die Zeit, mich genauestens zu studieren.
Mom war wirklich besorgt. Und das nicht nur meinetwegen, da war ich mir sicher. Sie machte sich auch Sorgen um Kane, obwohl sie ihn nicht wirklich kannte. Ich liebte Mom.
»Ich bin mir sicher, dass Kane mich mitnimmt. Danke für's fahren, Mom«, sagte ich, während ich mich abschnallte, die Tür öffnete und schließlich aussteigen wollte.
Doch da legte sich Moms Hand vorsichtig um meinen Unterarm.
Ich hielt inne und sah sie fragend an.
»Morgen habe ich frei. Wir können uns einen schönen Tag machen. Und reden, wenn du das möchtest«
»Ich hab dich lieb, Mom«
Mom lächelte, als sie den zerknirschten, aber ehrlichen Tonfall bemerkte.
»Ich dich auch, Skyler. Hab Spaß und schalt einfach mal mit ihm gemeinsam ab. Und schreib mir, wenn ihr losfahrt.«
Ich nickte, dann stieg ich aus und sah mir das Gebäude von außen an.
Es sah aus wie eine ältere Lagerhalle, die silberne Eingangstür war zweimal so hoch, wie ich selbst.
Erst als Mom wegfuhr, ging ich dorthin und öffnete die Tür mit gemischten Gefühlen.
Ich freute mich, dass Kane mich sehen wollte. Ich freute mich, dass er mein Angebot annahm. Ich war aufgeregt, was mich erwartete. Wie ich ihm helfen konnte.
Aber all die guten Gefühle wurden von einer Menge Angst und Vorsicht begleitet.
Die Lichter innen waren hell, die Halle war klimatisiert, denn als die riesige Tür hinter mir ins Schloss fiel, war mich nicht mehr so heiß, wie noch gerade eben.
Die Luft hier drin war kühler, sie roch nach Androstenon und schwitzenden Körpern.
In der Mitte der Halle stand ein Ring, indem zwei Frauen trainierten, rechts gab es mehrere von Kerlen besetzte Fitnessgeräte, von denen ich keine Ahnung hatte, welche Körperpartien sie trainierten.
Und als ich nach links sah, an die Stelle, an der zehn Boxsäcke in gleichmäßigen Abständen von der Decke hingen, da fand ich den Ursprung meiner gemischten Gefühle.
Seine Haut glänzte in dem künstlichen Licht aufregend, während seine dunklen Augen das Ziel vor sich fixierten und er dem Boxsack mehrere Hiebe gab.
Langsam ging ich zu ihm und verdrängte mit aller Gewalt den heutigen Nachmittag.
Ich wollte für die nächsten Stunden einfach nur das dankbar annehmen, was Kane Sinclair mir gab.
Zum Beispiel diesen heißen Blick, der mich traf, als Kane erkannte, wer da vor ihm stehen blieb.
Oder das verruchte Grinsen, welches er mir schenkte und mein Blut in den Adern vor Lust kochen ließ.
»Hast du geduscht?«, fragte er und betrachtete mich von oben bis unten.
Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch, nickte aber.
Die Begrüßungsworte schienen für Kane heute überflüssig zu sein.
»Das ist dämlich, Heaven«, grinste Kane spöttisch, was mich skeptisch werden ließ.
Er hatte definitiv was vor.
»Warum?«
Nach der Schicht in der Bar hatte ich nicht nur Schweißpfützen unter meinen Armen. Alles an mir hatte geklebt.
Und seit ich wusste, dass Kane eine Schwäche für Limetten hatte, mochte ich mein Duschgel noch lieber.
Klar war es vielleicht nicht schlau, vor einem Boxtraining duschen zu gehen, aber ich wollte mich auf gar keinen Fall wundreiben oder das von Kane kommentieren lassen, dass ich womöglich stank.
»Weil du ziemlich ins Schwitzen kommen wirst.«
Irgendwas an der Art, wie Kane das sagte, ließ nicht nur mein Herz schneller pulsieren. Auch mein Schritt pulsierte aufgeregt.
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