Eins
Ich wusste seit einer Weile, dass es irgendwann darauf hinauslaufen würde.
Aber dass dieses ›Irgendwann‹ genau jetzt war...das traf mich dennoch unerwartet.
Es traf mich und riss mich innerlich in Stücke, während ich äußerlich in einem der Türrahmen meines Elternhauses verweilte und meine Mutter ratlos fixierte. Ich hatte keine Ahnung welchem Stück ich folgen sollte, also blieb ich stehen.
Sie sah mich mit diesem Blick an und ich wusste, ich hatte keine Chance.
Ich wusste, ich würde ihrer Bitte - welche es auch wäre - schlussendlich zustimmen, ob ich wollte, oder nicht. Es spielte keine Rolle.
Und an der Art und Weise, wie sie mich von ihrem Bett aus friedlich betrachtete, wusste sie es auch.
»Ich denke darüber nach«, flüsterte ich und ballte die Hand, die ich hinter meinem Rücken versteckt hielt, zu einer Faust.
Meine Fingernägel bohrten sich spürbar in die Handinnenfläche und dort begann es zu brennen. Ein Schmerzempfinden, welches erträglicher für mich war, als meine Mom anzusehen und zu wissen, dass ihr Schmerz größer war als der meine.
»Komm zu mir, mein Schatz«
Ein schwacher Hauch aus dem anderen Ende ihres Schlafzimmers wehte zu mir.
Ihre Haut war blass und ihre gesamte Gestalt wirkte eingefallen.
Moms dunkles, lockiges Haar war dünn und sah stumpf aus.
Ihre Wangenknochen hoben sich so scharfkantig hervor, dass ich Angst hatte, ihre Haut würde dem Druck bald nicht mehr standhalten.
Der Krebs zerrte an ihren letzten, noch übrigen, Kraftreserven.
Der Kampf gegen Leben und Tod hinterließ seine Spuren, egal wie stark der Kämper war.
Schreckliche Spuren, die mich schließlich vor ihrem Bett in die Knie zwangen.
»Dein Vater und dein Bruder würden sich sehr freuen, wenn du in der Zeit bei ihnen lebst«, sie lächelte. Zumindest versuchte sie es, aber mehr als ein Zupfen an ihrem linken Mundwinkel war es nicht.
Ich verzog die Lippen zu einer dünnen Linie und starrte ihre Lieblingsbettwäsche, mit den roten Mohnblumen darauf, an, weil ich ihren Anblick nicht ertrug.
»Du bist meine Familie, Mom. Nicht Dad oder Noah. Die haben ihre eigene Familie. Ich kann mitkommen und das Luna weiterhin geschlossen lassen. Mom, du bist nicht alleine. Ich bin da«, widersprach ich harsch und schämte mich sofort für meinen Ton ihr gegenüber.
Es entstand eine Pause die mich zwang den Blick zu heben.
»Kane. Wir haben doch schon darüber gesprochen und mein Entschluss steht fest. Ich möchte das alleine machen. Ich will nicht, dass du dein Leben hier wegwirfst, um mir weiter beim Verkümmern zusiehst. Das macht dich noch mehr kaputt«, stöhnte sie erschöpft und ich bekam Gänsehaut, als über ihr Gesicht ein gequälter Ausdruck huschte.
Sie sollte aufhören.
Sie sollte verdammt nochmal aufhören, diesen Bullshit zu sagen.
Sie sollte einfach aufhören, das zu denken und sie sollte mich sie begleiten lassen. Ich war nicht kaputt.
»Du wirst nicht sterben. Das wirst du nicht. Du gehst nach Texas und dort wirst du wieder ganz die Alte und ich bin bei dir«, zischte ich aufgebracht, stand auf, um den Raum zu verlassen - damit ich endlich wieder Luft bekam - da streckte sie ihre dürre Hand nach mir aus.
Ich erstarrte umgehend.
Ihre Finger bebten und waren so dünn, wie gebrechliche Zweige.
Der Anblick rief Schmerz in mir hervor.
Puren Schmerz - direkt in meinem Herzen.
Und obwohl ich es nicht ertrug, umfasste ich ihre eiskalten Finger und hielt sie so sanft wie möglich fest, bevor meine Beine nachgaben.
Ich ging unsanft wieder auf die Knie und sah sie verzweifelt an.
»Mom...«
»Kane Nicholas Sinclair.«
Ich biss die Zähne zusammen und das Brennen in meiner Brust zog sich wie ein Lauffeuer durch meinen gesamten Körper.
Es verbrannte mich von innen heraus und da war niemand, der es löschen konnte. Nicht einmal sie.
»Hör mir erstmal zu, bevor du widersprichst. Versteh' auch meine Sichtweise als Mutter. Du hast mir versprochen, du hörst mir zu. Sobald...«
Mom machte eine Pause und ihre schwarzen Augen, die gerötet und nur halb geöffnet waren, schlossen sich.
Das tat sie nur, wenn sie wusste, dass sie im Begriff war, mich zu verletzen. Und dabei konnte sie mich nicht einmal ansehen.
Wie konnte sie mir das nur antun?
»Sobald es mir besser geht, komme ich zurück. Aber ich will, dass du in der Zeit ein normales Leben führst, Kane. Das ist alles, was ich mir für dich wünsche. Normalität und dass du nicht das weitermachst, was du seit drei Jahren schon tust.
Dich andauernd um mich zu kümmern und dich selbst dabei zu vernachlässigen. Du bist seit Monaten nicht mehr ausgegangen. Deine Freunde wollen mit dir sprechen, für dich da sein und du sperrst dich hier mit mir ein. Das bist du nicht. Das ist nicht der Kane, den ich kenne. Du bist schlau und offen, du liebst es im Ring zu stehen, zu boxen und einfach zu leben. Aber alles, was du gerade eben und die letzten Jahre getan hast, hast du nicht für dich getan. Du hast dich selbst verloren. Und das ist falsch.
Du hast ein eigenes Leben. Du hast einen Vater und einen Bruder da draußen, die sehnsüchtig auf dich warten. Die uns finanziell helfen, wo sie können und die du trotzdem von dir stößt...immer und immer wieder...weil du Angst hast. Außerhalb dieser Wände wartet die ganze Welt nur auf dich und du sperrst dich mit mir ein und verpasst...alles. Einfach alles.«
Ich schüttelte verzweifelt den Kopf, während eine einzelne, jämmerliche Träne über mein Gesicht lief und sich auf meine Haut brannte.
Wie kann sie nur.
»Was für eine Mutter wäre ich, wenn ich dir die Chance auf ein gutes Leben in der Zeit, in der ich nicht da bin, nehme...nur damit du bei mir bleibst und dein ganzer Alltag in einem Krankenhaus stattfindet? Was für eine Mutter wäre ich, wenn ich mein Wohl über deines stelle?«
Sie wurde immer leiser, bis ihr die Energie fehlte und ich verschwommen wahrnahm, wie Moms Atmung ins Stocken geriet.
Nein.
Nein, das war so nicht. Sie war keine Belastung, sie war mein Leben.
Es war okay, bei ihr zu bleiben und zurückzustecken, Hauptsache, ihr ging es gut. Es war okay, so weiterzumachen wie bisher.
»Mom, ich kenne den Ablauf. Ich kann dich zu deinen Sitzungen bringen und all das. Und es wäre okay für mich, auch wenn es bedeutet, eine Weile von hier...«, setzte ich verbissen an, doch der geringe Druck ihrer Finger reichte, um mich zum Schweigen zu bringen.
Hatte sie wieder Schmerzen?
»Ist alles okay?«, fragte ich alarmiert und beugte mich über sie, als Mom ihre Augen ganz öffnete und mich liebevoll ansah.
»Kane, so schnell wirst du mich nicht los, darum kämpfe ich doch. Für dich, für uns...«
Eine Träne verließ den geröteten Winkel ihres linken Auges. Die lilafarbenen Augenringe sahen in direkter Nähe noch schlimmer aus.
Mom, tu' mir das nicht an, dachte ich, während ich mich zwang, durchzuhalten.
»Es ist okay, Angst zu haben, mein Schatz. Ich habe auch Angst. Aber du sollst dein Leben leben und einmal an dich denken. Und dein Vater, wie auch Noah, werden dich, in der Zeit in der ich weg bin, begleiten, bis ich wieder zurück bin. Ich komme wieder. Aber du musst mir jetzt versprechen, tapfer zu sein. Versprich mir, dass du mich das alleine machen lässt und versuchst, nach vorne zu sehen.«
Nein.
Du bist meine Familie.
Ich will bei dir sein.
Ich will dir helfen und ich will deine Hand halten, wenn es dir schlecht geht.
Ich will keine 1118 Meilen zwischen dir und mir haben.
Ich will mich weiter mit dir verbarrikadieren und einfach sein.
Ich bin doch dein Sohn, wer kümmert sich sonst um dich?
»Ich verspreche es.«
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