Dreiunddreißig
Ich starrte den verschlossenen hellgrauen Sarg am Altar vorne an. Sah mir die roten Mohnblumen darauf eingehend an.
Lea hatte mir gestern erzählt, dass das Lunas Lieblingsblume war und weil ich Luna kennengelernt hatte, wollte ich wissen, warum. Luna hatte sicherlich einen Grund.
Das Internet gab mir schlussendlich einen Tipp.
Die Mohnblume stand für Fruchtbarkeit und das Vergehen. Leben und Tod. Man sprach dem Klatschmohn ebenfalls große seelische Kraft zu und ich fragte mich, was Luna wohl sagen würde, wenn sie das alles mitbekommen hätte.
Ob es sie gefreut hätte, dass Kane das auf den letzten Drücker wollte, dass dort vorne Mohnblumen an jeden Ecken standen, statt Rosen. Sie wäre sicherlich stolz auf Kane.
Aber was würde Luna zum Rest sagen?
Zu all den Menschen, die da waren und ich keinen davon kannte.
Keiner von ihnen war in der Zeit, in der sie im Sterben lag, bei ihr gewesen. Keiner von den Leuten hier hatte ihre Hand so gehalten, wie es Kane tat. Keiner hatte ihr Witze erzählt, über die Luna nicht einmal lachen konnte, weil sie keine Kraft dafür hatte.
Keiner von ihnen - da war ich mir sicher - hatte so viel Zeit mit ihr verbracht, wie es Kane tat.
Ich sah auf, als ich an ihn dachte und es war, als hätte ich einen sechsten Sinn. Den Sinn, der mich gerade genau wissen ließ, wo er sich befand.
Kane stand hinter Simon Sinclair, halb versteckt in der vordersten Reihe der Sitzbänke.
Aber auch die Hälfte seiner Gestalt genügte, um zu erkennen, dass Kane am Ende war.
Er sah so aus, wie ich mir den Tod vorstellte, wenn er Besitz über einen lebenden Körper hatte.
Und als ich Kane genauer ansah, zog sich mein Magen abrupt zusammen.
Er war mager, sein Gesicht schaute eingefallen aus. Und blass. Sein Körper war von Kopf bis Fuß bis zum Zerreißen angespannt, das sah ich trotz des schwarzen Anzugs, der ihm ein kleines bisschen zu groß war, während Kanes Blick ausdruckslos auf den Sarg mit der Leiche seiner Mutter darin, lag.
Mein Herz flatterte, als ich seine Krawatte entdeckte. Alle Anwesenden - einschließlich mir - trugen von Kopf bis Fuß schwarz.
Kane auch, nur seine sauber gebundene Krawatte strahlte in einem hellen Fliederlila.
Die Farbe von Lunas Kopftuch, schoss es mir in den Sinn. Es war exakt dieselbe Farbe. Scheiße, er war durch und durch ein guter Sohn. Ihr Sohn.
Um Kane herum standen diese Fremden, die Simon und auch Kane Beileidsbekundungen aussprachen.
Wenn sie Kane direkt ansprachen, sah er durch diese Menschen hindurch.
Nur Simon reagierte und schüttelte für Kane ein paar Hände.
Von meiner Position aus, ich war auf der linken Seite der Sitzbänke, relativ weit in der Mitte, hatte ich einen guten Überblick. Die Leute kamen wirklich in Scharen und gingen auf direktem Weg zu Simon und Kane.
Wer zur Hölle war das alles? Wo waren sie vor ihrem Tod?
»Das sind alles Verwandte von Luna. Oder sogenannte Freunde, als sie damals noch in Jacksonville gelebt hat, bevor sie hierhergezogen war für meinen Vater. Sie alle haben Luna dafür verspottet, dass sie sich und ihren kleinen Sohn nach der Trennung mit einer Bar über Wasser halten wollte. Keiner glaubte an ihren großen Traum und nach ihrem Entschluss, trotz Trennung und Kind, weiter in Georgetown zu bleiben, gingen viele Kontakte in die Brüche. Insbesondere weil sie in deren Augen eine alleinerziehende Frau ohne Collegeabschluss und mit nichts als einem kleinen Haus und einer alten Strandbar war. Sie haben Luna alle im Stich gelassen und jetzt stehen sie hier und trauern...verdammte Heuchler«
Noah neben mir hatte angefangen, mir das leise zu erzählen, während die Menge an Leuten mehr wurde und sich in der Kirche verteilte.
Mittlerweile setzten sich einige nach hinten, andere standen unschlüssig herum und beobachteten wie ich, Lunas einzigen Sohn.
Andere starrten den geschlossenen Sarg in der Mitte an und beteten.
»Woher weißt du das alles?«, murmelte ich zurück, während ich meinen Blick nicht von Kane losreißen konnte, dessen Kiefer bereits zuckte, als ob er sich wirklich, wirklich verletzende Worte verkneifen wollte.
Die Schulter von Simon berührte für einen Augenblick sanft die von Kane, doch der Moment war so schnell vorbei, nachdem Kane einen großzügigen Schritt zurückgetreten war, dass man es nur bemerkte, wenn man Kane kannte. Wirklich kannte.
»Von Dad. Er hat in den letzten Wochen viel mehr von seiner und Lunas Vergangenheit erzählt, als sonst«
Ich schluckte und schüttelte dann den Kopf, als Kane einer Frau mittleren Alters den Rücken zudrehte, obwohl sie offensichtlich Tränen in den Augen hatte und mit ihm sprechen wollte.
Nachdem, was Noah mir da gerade erzählt hatte, konnte ich Kane absolut verstehen.
Ich verstand, wenn er all diese Worte nicht hören wollte, wenn sich all die Jahre keiner für ihn oder Luna interessiert hatte.
Doch als die Orgelmusik ertönte und alle sich einen Platz in der Kirche suchten, sich niederließen, Ruhe einkehrte und die Konzentration eines Jeden zum Altar, zu Lunas Sarg, wanderte, blieb Kane wie angewurzelt stehen und sah auf.
Mein Blut dröhnte in meinen Ohren, meine Handflächen wurden schwitzig, doch als sein Blick meinen traf, wurde alles in mir ganz still.
So still, dass sogar atmen zu laut gewesen wäre, weswegen ich die Luft anhielt.
In seinen dunklen Augen lag ein stummer Hilferuf, der wie eine Reinkarnation in mir war.
Ein heftiger Knall und ich war ganz bei ihm. Zurück in seinem Leben.
»Geh lieber zu ihm, bevor er es sich anders überlegt«, flüsterte Noah wieder an mein Ohr.
Seine Stimme brach dabei und er klang so verletzt, dass ich instinktiv nach der Hand von Kanes jüngeren Bruder griff und mich erst dann auf den Weg zu Simon und Kane machte.
Die Leute sahen uns schief an, das spürte ich, ohne sie anzusehen.
Alles, was ich sah, alles was wichtig war, waren Kanes obsidianfarbene Augen, die meinen Blick festhielten, als ob es in dieser Kirche nur ihn und mich gab und keinen sonst.
Über sein Gesicht huschte ein dunkler Schatten, den er versuchte zu unterdrücken, doch mit jedem Schritt, den ich ihm näherkam, brach seine Maske der Gleichgültigkeit in sich zusammen.
Je näher ich ihm kam, desto näher kam ich seinem Schmerz.
Noah ließ meine Hand los, ging schweigend zu seinem Dad, das hörte ich, aber mein Körper bewegte sich zielstrebig weiter, weil er wusste, dass mein Ziel noch vor mir lag.
Erst als ich vor Kane trat, bemerkte ich, dass dieser sich kein bisschen bewegte, oder gar geblinzelt hatte.
Erst, als sein Mund sich zu einem qualvollen Lächeln verzog, rührte er sich, trat einen kleinen Schritt beiseite, so, dass ich mich zu ihm stellen konnte. Besser gesagt, dicht neben ihn. So dicht, dass ich sein Zittern an meiner gesamten rechten Körperhälfte spürte und unwillkürlich seine Finger mit meinen vernetzte, die eiskalt waren.
Es dauerte ein paar Sekunden, doch dann drückte er meine Hand fest und ich beobachtete ihn dabei, wie Kane die Augen schloss und unruhig ausatmete, als ob er einem Schwächeanfall sehr nahe war.
Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine steile Falte, als er den Kopf in den Nacken legte und es so aussah, als ob Kane Sinclair ein stummes Stoßgebet gen Himmel sandte.
Die Orgelmusik trieb meine Gänsehaut nur immer und immer weiter voran und die Atmosphäre war erfüllt von Trauer und Verlust.
Unsicher zog ich an Kanes Hand und spürte absolut keinen Widerstand. Seine Schulter lehnte mit einem Mal so schwach an meiner, dass ich seine Hand instinktiv losließ und meinen Arm stattdessen stützend um seine Taille schlang, die...scheiße. Er war so dünn.
Ich schluckte schwer und riss meinen Blick von Kane los, starrte hoffnungslos zu dem Altar. Starrte auf Lunas Sterbefoto, auf dem sie liebevoll lächelte und ihre schwarzen Locken ihr hübsches Gesicht umschmeichelten.
Die Tränen kamen schneller, als das Feuer in meiner Kehle seinen Lauf nahm.
In diesem Moment betete ich ebenfalls zu wem auch immer, dass Kane diesen Tag überstand und alle Tage danach.
Dass sein Schmerz weniger wurde - egal wie.
»Bitte lass mich nicht los«
Es war so leise, dass ich es nur kaum verstand.
Aber ich hörte Kane und als Antwort - weil ich meiner Stimme nicht traute - verfestigte ich meinen Griff und zog ihn so nah zu mir, dass ich genau das tat, worum er mich bat.
Ich ließ ihn nicht los.
Nicht während der Begrüßung, der Gebete oder etwas anderem.
Ich ließ ihn erst los, als Simon, Noah, Lea und Kane vorneweg gemeinsam mit dem Sarg und Luna darin nach draußen gingen.
• • •
Der warme Wind ordnete meine Haare neu, während ich wie alle anderen Simon Sinclair dabei zusah, wie er einen Zettel aus seiner inneren Sakkotasche zog und darauf sah.
Luna lag unter der Erde seit genau 7 Minuten und Kane neben mir hatte sich seitdem nicht mehr bewegt. Seine Fingernägel gruben sich in meine Knöchel, aber das war in Ordnung. Selbst, als jegliches Gefühl aus meiner Hand wich und alles was blieb, Taubheit war, die meinen Arm hinaufkroch und wenig später mein Herz verpestete.
Lea stand mit Noah neben mir, sah ihren Mann an und tupfte sich währenddessen mit dem bereits nassen Taschentuch weitere Tränen von ihren Wangen.
»Ich weiß nicht so recht, wie ich anfangen soll. Aber ich wollte noch was sagen. Besser gesagt...Luna Miller wollte noch etwas sagen.«
Simon hielt den Zettel hoch, der ein wenig wegen seine Hand bebte.
Ich blinzelte, dachte über seine Aussage nach und verstand nicht. Bis Kanes Griff noch fester wurde, noch verzweifelter und ich ihn leise nach Luft schnappen hörte
Ich traute mich nicht in sein Gesicht zu sehen, weil ich wusste, dass ich seinen Schmerz nicht lindern konnte. Deswegen tat ich das einzige, was ich als sinnvoll betrachtete.
Ich ließ meinen Daumen über seinen Handrücken gleiten und erinnerte ihn daran, dass ich da war.
Dass ich bei ihm war und wenn er erneut unterging...dann war ich immer noch bei ihm.
Um uns herum richteten sich alle Trauergäste auf. Die Augen wanderten zu Simon – weg von Kanes und meiner Hand.
Sogar Noah neben mir schien nichts von diesem Brief gewusst zu haben, denn seine Stirn runzelte sich verwirrt.
Kanes Vater begann, Lunas Worte vorzulesen: »Ich weiß nicht so recht, was genau ich sagen möchte. Aber ich will Simon danken, der das für mich schreibt und schlussendlich euch allen vorträgt. Ich weiß, das ist ganz schön dramatisch, aber wer mich kennt, der weiß...das...«
Simons Stimme brach. Er räusperte sich und fuhr sich mit der Hand durch sein hellbraunes, lockiges Haar. Seine Augen überflogen die Worte auf dem weißen Papier wieder und wieder, bis er sie vollendete.
Diesmal leiser.
Aber alle auf diesem Friedhof, die noch da waren, waren so still, dass Simon es flüstern hätte können und dennoch hätte diese Worte jeder gehört.
»Aber wer mich kennt, der weiß, dass das ich war.«
Kane zuckte so heftig zusammen, dass ich meine Augen von Simon losriss und ihn ansah und zeitgleich instinktiv festhielt, weil er flüchten wollte.
Ich spürte es mit jeder Faser meines Körpers, dass Kane wegrennen wollte.
Doch meine Hand und ich zwangen ihn zum Bleiben.
Weil ich wusste, dass er es bereuen würde.
Er würde es bereuen, wenn er jetzt ging.
Wenn er sich das nicht anhörte, was Luna zu sagen hatte.
Er würde sich genau solche Vorwürfe machen, wie er es tat, weil er nicht bei ihr war, als sie starb.
Kane sah mich an – sah aus, als wäre er geschlagen und gepeinigt worden.
Allerdings verstand er scheinbar, warum ich das tat.
Warum ich nicht das tat, was er sich gerade wünschte.
Kane blieb, auch wenn in seinen Augen die pure Panik stand.
Er schluckte und dann drehte er sein Gesicht seinem Vater zu, der stur weiter auf das Blatt starrte.
Ich wollte in keiner anderen Haut stecken.
Nicht in der Haut von Simon – der die Worte seiner ersten Frau vorlas und dabei so tapfer klang.
Nicht in der Haut von Lea, die Noah umklammerte, als wäre er ihr Rettungsanker.
Nicht in Noahs Haut und erst recht nicht...in Kanes, die mit jedem kommenden Wort das Simon vortrug, blasser und lebloser wirkte.
»Ich will aber eigentlich gar nicht zu dramatisch werden und euch allen kurz von dem Wertvollsten erzählen, dass ich in meinem Leben hatte. Mein kleiner Rebell. Mein Draufgänger, mein Boxer, mein Kämpfer, mein bester Freund, meine provokante Katze...mein Sohn. Mein Kane.«
Wieder hielt Simon inne und sah hoch. Sah mit seinen hellbraunen Augen in Kanes und biss die Zähne zusammen, als sein Schmerz dem von Kane die Hand reichte, bevor Simon erneut weitermachte.
Wüsste ich es nicht besser, dann könnte man meinen, ich hielt die Hand einer Statue. Steif und eiskalt, obwohl die Sonne unnachgiebig weiter auf unsere Köpfe schien.
»Ich will dir ein letztes Mal danken, weil ich dir nicht genug in den letzten 21 Jahren danken konnte. Und ich will, dass jeder der heute hier steht, weiß, dass du der Grund bist, warum ich keine Angst davor habe zu sterben. Weil ich weiß, dass ich jemanden hinterlasse, den diese grandiose Stadt – meine Stadt – braucht. Georgetown war immer das Richtige für mich. Und du warst das Beste daran. Du und unsere kleine Bar«
Neben mir spürte ich Noahs Blick. Spürte die Blicke eines Jeden.
Alle sahen sie Kane an, doch er sah die Bewunderung der anderen nicht, weil er den Zettel in Simons Händen anstarrte, als wäre er ein Gedicht über einen Serienkiller, der Kanes Namen trug.
Verstand Kane, wie dankbar seine Mutter war?
Verstand er, dass sie seinetwegen keine Angst vor dem Tod hatte?
Ich wusste nicht, ob er es verstand.
Ich wusste nicht, ob er an ihre Worte glaubte.
Alles was ich wusste, war, dass Kane jedes einzelne Wort mitten in Herz und Seele traf.
Es huschten so viele Emotionen über sein Gesicht, dass ich sie weder zuordnen, noch benennen konnte.
Diesmal gab ich mehr Kraft in meine Finger, doch er reagierte nicht. Blinzelte nicht einmal.
»Ich bin dir auch dankbar Simon. Und Lea und eurem fantastischen Sohn. Ich bin froh, dass Noah Kane so liebt, wie ein Bruder geliebt werden sollte. Ich bin Kanes kleinem Himmel dankbar. Deswegen möchte ich...«
Simon sah aus, als würde er am liebsten aufhören, denn er schob den Brief in seine Hose und richtete sich gerader auf.
»Luna wollte mehr sagen. Sie hatte noch so viel zu sagen. So viel zu erleben. Aber sie konnte nicht mehr... Ich will euch an der Stelle allen heute danken, dass ihr hier seid und uns an diesem schweren Tag begleitet. Luna war ein wichtiger Teil in dem Leben der Sinclairs. Sie war und wird selbst immer eine Sinclair bleiben und...«
Kanes Dad sprach noch weiter, aber spätestens als Kane mir seine Hand ruckartig entriss und das Friedhofsgelände mit großen Schritten verließ, hielt Simon kurz inne.
Ich starrte Kane nach, aber der Rest sah zu Simon, der sich fing und weiter bei Menschen bedankte, bei denen man sich nicht bedanken musste.
Fuck, ich konnte es Kane nicht verübeln, dass er ging.
Das war die Beerdigung seines alten Lebens. Seiner Welt.
Seiner Mutter und keine Worte dieser Welt, keine Zeremonie, kein Gebet und kein Beileid nahm ihm diesen Schmerz, den er jetzt und für immer in sich trug.
Auch ich nicht. Trotzdem folgte ich Kane und hielt ihn erst kurz vor seinem alten Lexus auf.
»Kane«, murmelte ich und trat näher zu ihm, als ich erkannte, dass er das Auto nicht entriegeln konnte, weil seine Finger so verkrampft darum lagen und er die Knöpfe einfach nicht traf.
»Kane«, wiederholte ich zaghaft und nahm ihm den Schlüssel aus der Hand.
Erst dann sah er auf und mein Herz brach wie so oft in den letzten Wochen in tausend Teile. Wann es wohl aufhörte, sich immer und immer wieder zusammenzusetzen?
»Wann hat sie ihm das gesagt, Skyler?
Warum ist sie nicht zu mir gekommen und hat mir das persönlich gesagt?
Warum tut es so beschissen weh, obwohl alle da waren? Warum fühle ich mich so beschissen allein, obwohl unsere Verwandten und sogar ihre Tante da waren?
Du hast meine Hand gehalten und trotzdem hat es sich so angefühlt, als ob ich allein auf dem Friedhof stand...
Sie ist weg, Skyler.
Mom liegt unter der Erde.
Hast du eine Vorstellung, was das mit mir macht?
Hast du eine Idee, was es mit...«
Kane hielt abrupt inne, seine Hände glitten stattdessen an den Seiten seines Kopfes durch sein Haar, bis er die Finger am Hinterkopf verschränkte und verzweifelte Tränen versuchte, wegzublinzeln. Seine bleiche Haut hatte noch immer keine Farbe. Er war so hell wie die vereinzelten Wolken über uns.
Ich hielt seinem Blick stand, schloss meine Faust enger um seinen Autoschlüssel, während ich keine Ahnung hatte, was ich dazu sagen sollte.
Ich hatte den schleichenden Tod meiner Mutter nicht miterlebt. Auch nicht ihre Beerdigung. Kane hatte es miterlebt. Erlebte den Schmerz und alles was dazugehörte.
»Es tut so beschissen weh zu hören, dass sie schon vor ihrem Tod so mit ihrem Leben abgeschlossen hatte.
Das hier war der endgültige Abschied.
Sie ist weg.
Das macht mich...ich kann nicht einmal beschreiben, was das mit mir macht...«
Kane schüttelte den Kopf, fuhr sich nun mit beiden Händen übers Gesicht. Er war völlig durch den Wind aber wer war das nicht nach der Beerdigung seiner eigenen Mom?
Ich griff nach seinen noch immer zitternden Händen und hielt diesmal beide fest. Der Schlüssel drückte sich auf einer Seite unangenehm in mein Fleisch, aber das war sowas von egal.
Okay, vielleicht fühlte er sich noch immer allein, auch wenn ich das tat. Wenn ich ihn festhielt.
Jedoch sah er mich endlich richtig an und deswegen sagte ich mit so viel Überzeugung und Kraft: »Sie ist hier, Kane. Genau hier, okay?«
Nur weil er mir zuhörte, ließ ich seine linke Hand los und drückte meinen freien Zeigefinger auf die Stelle, an der sein Herz am lautesten schlug.
Es schlug zwar einen gebrochenen Rhythmus, aber es schlug und das zählte.
Seine geröteten Augen richteten sich auf meinen Finger und starrten diesen voller Leiden an.
»Und das wusste sie. Deswegen ging sie ohne Angst. Weil Luna daran glaubte, dass du sie nie ganz gehen lässt. Dass du für immer einen Teil von ihr in dir tragen wirst. Jetzt bist du dran, Kane«
Kane holte schwach Luft.
Er flüsterte: »Womit?«
Ich wartete darauf, dass er mich ansah, aber er tat es nicht. Er sah weiterhin meinen Finger an.
»Glaub daran, dass sie bei dir ist. Genau hier drin.«
Wieder bewegte ich meinen Finger auf seinem Herzen.
Er stieß einen Laut aus, der mir selbst Tränen in den Augen bescherte.
Und dann tat er etwas, womit ich nicht rechnete.
Kane lehnte sich zu mir, seine freie Hand legte sich um meinen Zeigefinger und hielt ihn fest.
Dann küsste er mich.
So vorsichtig, so leicht, dass ich hätte schwören können, dass ich es mir einbildete.
Aber das war keine Einbildung, denn ich fühlte den Abschied darin so deutlich, dass mir ganz schlecht wurde.
Seine Lippen waren kalt, als sie sich auf meine legten. Sie waren weich und schmeckten nach Verlust.
Nachdem er sich genauso schnell zurückgezogen hatte, wie er sich vorgebeugt hatte, war der Ausdruck in seinen Augen auch kalt.
So kalt, dass ich wusste, ich hatte recht.
Das war ein Abschied, versteckt in einem Kuss, der die Teile meines Herzens mit Benzin übergoss.
Kane nahm mir die Schlüssel aus meiner anderen Hand, die immer noch seine gehalten hatte. Ich erstarrte und konnte nicht fassen, dass ich im Begriff war noch mehr zu verlieren.
Dann ging er rückwärts - weg von mir.
Löste seinen Blick - nahm mir die letzte Hoffnung darauf, dass ich mich irrte.
Er stieg in seinen Wagen und als er tatsächlich fortfuhr, setzte er damit den jämmerlichen Muskel in meiner Brust in Brand.
War das ein Abschied für immer, Kane?
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