Kapitel 78

Yunas Sicht:

Der leichte Geruch von Rosen stieg mir in die Nase, als sich die Schiebetüren hinter uns schlossen. Erst jetzt bemerkte ich die Rosenranken, welche an der Hauswand empor wuchsen. Es tat gut, diesen süßlichen Duft beim einatmen zu riechen. Es zeigte mir, dass wir draußen waren, nicht mehr da drinnen, nicht mehr bei diesem Idiot von Vater.
Niemand sagte etwas. Stumm liefen wir einfach geradeaus. Es musste auch keiner etwas sagen. Es wurde auch so deutlich, dass weder Jimin, noch ich ein großes Interesse daran hatten, länger als nötig nahe dieses Gebäude zu sein. Und so liefen wir eine ganze Zeit nebeneinander, die Finger ineinander verschlungen, die Straße hinunter, bis wir auf einen Platz mitten in der Einkaufspassagen stießen. Die Läden waren gerade dabei, zu schließen und so hatten sich auch die Einkaufsbegeisterten Leute bereits in ihre Wohnungen verzogen. Erst hier, direkt neben einem der drei großen Bäume, die ordentlich in einer Reihe mit reichlich Abstand von einander angepflanzt worden waren, blieben wir stehen.

„Was machst du hier? Du... du..." Nie hatte ich diese Stimme zitterte hören. Nicht ein einziges Mal. Und vielleicht war das auch der Auslöser dafür, dass ich mich einfach zu dem Jungen neben mir drehte, auch seine anderen Hand in meine nahm und mich hoch zu seinen Lippen streckte, bis ich diese auf meinen spürte. In den ersten Sekunden tat Jimin nichts und es stieg schon die Angst in mir hoch, er wäre längst über mich hinweg. Doch kurz, bevor ich mich wieder von ihm lösen konnte, befreite der SIlberhaarige seine Hände aus meinen, um seine Finger stattdessen an meine Hüfte zu legen und mich noch stärker an sich heranzuziehen. Lange zögerte ich nicht. Und so standen wir schließlich eng umschlungen in Mitten des Platzes und konnten uns nicht voneinander lösen.
Schließlich fand ich mich an seine Brust gedrückt wieder. Auch wenn wir den Kuss unterbrochen hatten, hatte keine von uns beiden vor, sich vom jeweils anderen zu entfernen. Ich konnte spüren, wie Jimin vereinzelte Küsse auf meinem Kopf verteilte, ansonsten passierte nichts.

„Du bist nicht in New York." Ich konnte nicht ganz heraushören, ob Jimin eine Frage stellte oder lediglich eine Tatsache in Wort fasste. Aus Reflex jedoch schüttelte ich einfach den Kopf. „Wieso?", hauchte er, noch immer den Kopf in meinen Haaren vergraben. Ein wenig klang es so, als würde er weinen. Gleichzeitig konnte ich hören, wie sich seine Erleichterung in dem einen Wort wiederspiegelte. Vielleicht stand er auch einfach den Tränen nahe.
Erst jetzt löste ich mich ein wenig mehr vom Größeren. Nicht komplett. Seine Hände ruhten noch immer an meinen Hüften, meine an seinen. Jedoch konnte ich ihm wieder ins Gesicht sehen. Das leichte glitzern in seinen Augen verriet mir, dass ich mit dieser Vermutung recht gehabt hatte. Ein Seufzer entwich meinen Lippen. Für einen kurzen Moment sah ich nach unten. Dann richtete ich meine Blick wieder auf. „Ich war bei meinem Vater."


Flashback 

Gespenstisch still wirkte die Welt um mich herum, obgleich doch alle ihrem gewohnten Gang nachgingen. Alles war wie immer und zugleich... nicht. Still stand ich vor dem riesigen Gebäude mit den Fenstern, die sich alle akkurat, immer gleich angeordnet an der Hauswand nach oben und zur Seite ziehen. Von außen war die Klinik so unscheinbar weiß, dass es beinahe schon ironisch wirkte, wie mich diese Farbe im Inneren des Gebäudes an den Rand des Wahnsinns brachte. Weiß, weiß, weiß - alles war leer und weiß, genau wie das innerste meiner Gedanken, die um sich selbst kreisten und doch nicht zu einem Schluss kamen. 

Was würde gleich passieren? Wie würde er reagieren? Wie würde ich die schwarze Tinte auf die gewünschte Stelle des Papiers bringen? 

Krampfhaft versuchte ich mich daran festzukrallen, dass dies die einzigen Ängste waren, die mich davon abgehalten hatten, den Koffer zu schließen und damit auch das Wirrwarr meiner Gedanken. Und dennoch wusste ich tief in mir drinnen, dass es nicht besser werden würde, je länger ich mich an diese Lüge klammerte. 

„Miss Choi, hab ich recht?" Wie oder wann ich es genau geschafft hatte, durch die Schiebetüren zu treten und mich in das Reich der einnehmenden Leere zu begeben, wusste ich schon nicht mehr, sobald ich den ersten Fuß vor den anderen gesetzt hatte. Wie auch immer es allerdings zu dieser Fortbewegung gekommen war, hatte sie zur Folge, dass mich nun die junge Koreanerin am Empfang anlächelte, in der Hoffnung, eine Antwort von mir zu erhalten. 

Noch einen langen Augenblick lies ich mir Zeit, bis ich versuchte, ein einigermaßen freundliches Lächeln aufzusetzen und die Frage mit einem kurzen Nicken zu bestätigen. „Sie waren lange nicht mehr hier", stellte die junge Frau mit der weißen Bluse und dem faltenfreien Blazer verwundert fest, was ich zwar wieder mit einer nickenden Geste bestätigen konnte, mir eine ausführlichere Antwort jedoch nicht ersparen würde. „Nach dem letzten Mal... also... es hatte mich etwas Überwindung gekostet." Für einen Moment blickte die Schwarzhaarige - ihre Mähne in einem strengen Dutt aus dem Gesicht gesteckt - auf ihr Tablet, bevor sie einen ernsten Gesichtsausdruck aufsetzt und wissend nickt. Offensichtlich konnte sie sich an den Eintrag meines letzten Besuches noch wenigstens ein bisschen erinnern. 

Dann aber überraschte mich die junge Koreanerin mit einem wiederkehrenden Lächeln. „Nun bin ich aber umso erfreuter, Sie wieder hier zu sehen. Und noch mehr freu es mich, ihnen mitteilen zu können, dass es ihrem Vater deutlich besser geht." Das Lächeln verschwand aus meinem Gesicht. Zurück blieb der Ausdruck der Überraschung, gepaart mit dem bisschen Hoffnung, welches ich meinen Gefühlen zugestanden hatte. „Kommen Sie mit, er müsste noch im Hauptraum sein. Die ganzen letzten beiden Wochen hat er sich dort zu einem Stück Kuchen eingefunden." 

Wortlos folgte ich der Schwarzhaarigen durch die Gänge und schon nach den ersten Abbiegungen wurde mir klar, dass ich dieses Bereich der Klinik noch nie so wirklich betreten hatte. „Der Hauptraum", wie meine Führerin ihn genannt hatte, war schön. Viel schöner, als der Rest, den ich bislang erblicken durfte. Ja, auch hier wurde jedem Besucher klar, dass es sich nicht um das nette Café um die Ecke handelte, die vielen Pflanzen und die hellbraun und besch nahmen mir allerdings wenigstens ein wenig das Gefühl der Beklemmtest, als die Dame mit einem Mal auf einen Zweiertisch ein paar Meter entfernt deutete und sich dann mit abschließenden Worten wieder entfernte. 

Ich erlaubte mir noch ein, zwei letzte Atemzüge. Gerade genug, um herunterzufahren, jedoch keiner zu viel, als das ich auf den Gedanken kommen könnte, mich schnellstmöglich wieder umzudrehen. 

„Hallo." Mit gemischten Gefühlen und zittrigen Fingern setzte ich mich auf den freien Stuhl. Hatte mein Blick am Eingang Überraschung gezeigt, so war dies nichts im Vergleich zu dem Ausdruck, welchen mein Vater nun auf dem seinen trug. „Yuna, du... es... es tut mir so leid, also... alles... du... also...hier?" Viel konnte ich gar nicht dagegen machen - beinahe von ganz alleine schlich sich ein sanftes Lächeln auf meine Lippen, als ich die Ruhe in der Stimme meines Vaters hörte, die ich schon so lange nicht mehr hatte hören dürfen. Etwas müde klang sie sicher, doch lange nicht mehr so angespannt, wie seit der Diagnose meiner Mutter. 

Stumm nicke ich auf seine zuletzt ausgesprochene Frage. Dann aber fiel mir ein, weshalb ich eigentlich hier war und das Lächeln verschwand genau so schnell, wie es gekommen war. Dieser Stimmungswechsel schien auch meinem Vater nicht entgangen zu sein, welcher wie früher Anstalten machte, nach meiner Hand zu greifen um diese zu drücken, dann allerdings doch wieder inne hielt. „Was ist los?", fragte er stattdessen mit eindeutiger Sorge in den Augen. 

Ich hatte keine wirkliche Lust es auszusprechen. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich vor hatte, ihn zu verlassen. Und schlussendlich tat ich es auch nicht. Ohne, dass auch nur ein Wort meine Lippen verlies, legte ich die Papiere aus meiner Tasche auf den Tisch. Und genau so stumm, wie ich sie übergeben hatte, studierte mein Gegenüber das Geschriebene für viel zu lange, angespannte Minuten. 

„Du willst nach New York." Es klang wie eine Feststellung, sollte wohl aber doch wie eine Frage gemeint sein, weshalb ich mir ein vorsichtiges Nicken abringen musste. „Ich bin nicht Volljährig", begann ich dann, brach nach den ersten Worten jedoch gleich wieder ab. Mein Vater schien den Sinn dennoch verstanden zu haben. 

„Hör zu", setzte er nach einer Pause den Denkens an, „Ich habe Fehler gemacht. Viele Fehler. Fehler, die nicht wieder gut zu machen sind, egal, wie sehr ich sie bereue. Aber ich will nicht, dass du noch eine weitere Sekunde unter diesen Fehlern zu leiden hast. Also wenn du das wirklich willst", er blickte auf die Blätter in seinen Händen und kurz darauf wieder hoch, „dann werde ich mich dem nicht in den Weg stellen." Es tat weh, das zu sagen, aber es verwunderte mich erheblich, wie normal dieser Mann vor mir wirkte. Er war wieder mein Vater. Er war wirklich wieder mein Vater. Oder jedenfalls wirkte er so. 

Als ich nichts mehr sagte, griff mein Vater stumm nach dem Kugelschreiber, welchen ich mit auf den Tisch gelegt hatte und setzte seine Unterschrift auf die schwarze Linie. Dann reichte er mir beides, sodass ich es in meiner Tasche verstauen konnte. „Fürs erste sind es ja nur ein paar Tage und... und wenn du wieder da bist, also... ich würde mich freuen, wenn... also wenn du mir die Chance geben würdest, einiges mit dir nachzuholen." Wieder lächelte ich. Aussprechen konnte ich es nicht. Meine Zunge fühlte sich dafür viel zu taub an. Ein kurzes Nicken schien meinem Gegenüber jedoch mehr als zu reichen. 

Mit der Absicht, endlich einen Schlussstrich hinter alles zu ziehen, erhob ich mich von meinem Platz. Kaum, dass ich jedoch den ersten Schritt vom Platz weggemacht hatte, spürte ich, wie mich etwas zurückzog: Meine Gedanken; meine Gedanken, Ängste und Sorgen hielten mich genau hier. Sie sprachen das aus, was ich tief im inneren wusste. 

„Papa?" Lange hatte ich dieses Wort nicht mehr gesagt. Und genau so komisch es sich anfühlte, genau so erleichternd war es, als ich mich umdrehte und in die Augen zu sehen, die meinen so sehr ähnelten und aus denen eine einzelne Träne lief. „Ja?" „Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will. Ich weiß nicht, ob... ob das wirklich mein Weg ist, ob ich da wirklich hingehöre." Je länger ich sprach, je mehr brach meine Stimme. Und je liebevoller wurde das Lächeln meines Gegenübers. 

Ich bemerkte gar nicht, wie es wirklich dazu kam, am Ende aber saß ich wieder auf dem Stuhl, meine Hände in denen meines Vaters. „Weißt du, Schätzchen. Das ist eine große Entscheidung, vor die du dich da stellst. Und ich bin mir sicher, es gehört eine gute Überlegung dazu, welchen Weg man für sich wählen möchte. Aber gleichzeitig, werden die am Ende vielleicht nicht immer sinnvollsten aber mit Sicherheit richtigsten Entscheidungen nicht da oben getroffen, sondern hier drinnen." Er nahm meine Hände und legte sie an mein Herz. Für einen Moment sagte niemand etwas. Ob mein Vater auf eine Antwort wartete, konnte ich nicht wirklich sagen. Zum Ende hin aber war es doch er, welcher das Wort erneut ergriff. „Und, was sagt dir dein Herz?" Es dauerte nicht nur ein paar Sekunden, bis sich etwas in mir regte. Dann aber schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen - ein Lächeln, des Verstehens. 

Flashback Ende


Ein paar Minuten beherrschte die Stille die Nacht. Es war kein unangenehmes Schweigen. Das Lächeln auf Jimins Lippen reichte einfach nur aus, um alles zwischen uns zu sagen, was gesagt werden musste. Die Dämmerung war bereits von einem dunklen Nachthimmel verdängt worden. Die wenigen, die sich vor einigen Minuten noch auf der Straße verirrt hatten, waren nun ebenfalls entweder nach Hause oder in Richtung des Clubs verschwunden. Hier, zwischen den dunklen Ladenfenstern und kleinen Seitengassen verbrachte kaum einer die Nacht.

„Und?", das leichte Lächeln war zu einem spielerischen Grinsen mutiert, „Was hat meiner Kleinen das Herz gesagt?" Ich wusste, er machte nur Spaß. Ich wusste, er wollte mich nur ein wenig ärgern. Und doch blieb ich ernst. Nicht im Sinne von, etwas Schreckliches war passiert. Ich stieg nur einfach nich auf sein Lachen ein.
„Dass ich die Liebe", hauchte ich in die Stille der Nacht, kaum, das Jimin wieder ruhiger geworden war. Dann legte ich erneut meine Lippen auf seine und dieses Mal brauchte es keine wenigen Sekunden, bis dieser Kuss von meinem Freund erwidert wurde.

Ich hab nicht vor, euch noch eine ganze Woche bis zum wirklich letzten Kapitel warten zu lassen. Deshalb heute nicht nur ein Update, sondern noch ein zweites gleich hinterher... 

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