Kapitel 77
Jimins Sicht:
Mit halb geschlossenen Augen steckte ich den Schlüssel in das passende Schloss, öffnete die Tür und trat in den dahinter liegenden Flur. Es war nicht meine Wohnung. Es war nicht einmal mehr irgendeine Wohnung; eine halbe Villa traf dieses Gestell von Haus meiner Eltern wohl eher.
Vor wenigen Stunden müsste Yuna ins Flugzeug gestiegen sein und entfernte sich somit jede Sekunde noch ein Stückchen mehr von mir. Jedenfalls körperlich. Emotional lagen sowieso schon Welten zwischen uns. Von außen betrachtet wirkte unser Verhätnis vielleicht, wie vor ein paar Monaten, der Unterschied lag jedoch darin, dass mich Yuna nicht mehr hasste. Und das machte alles nur noch schlimmer. Früher hatte sie mich angegiftet, jetzt sah sie mich nicht einmal an. In unserem Projektfach hatte sie sich weggesetzt, in den Pausen sah ich sie höchstens über den Gang huschen. Sie existierte und gleichzeitig auch nicht.
Ob sie sich mit Tae und Kookie vertragen hatte, wusste ich nicht. Und die beiden darauf anzusprechen, traute ich mich auch nicht. Jin hatten wir drei es zu verdanken, dass wir wieder problemlos an einem Tisch sitzen konnten. Das war es aber auch schon. Hassen tat sich niemand. Vertrauen jedoch auch nicht.
„Mum", rief ich einmal durchs Haus, „Ich bin da." Es war eine Zeit her, dass ich dieses Gebäude betreten hatte. Und mein Drang, einfach wieder umzukehren, wurde mit jedem Schritt nach vorne größer. „Hallo, Schatz." Ich wendete meinen Blick nach links, von wo meine Mutter auf mich zu kam und mich in eine zarte Umarmung zog. „Ist alles in Ordnung, bei dir?" War es mein trüber Blick? Das falsche Lächeln? Meine Körperhaltung? Irgendetwas musste ihr an mir nicht normal erscheinen. „Alles gut, hab nur schlecht geschlafen", versuchte ich meine Mutter zu beruhigen, was glücklicherweise auch funktionierte. „Achso, na dann. Wir können gleich los. Eine Minute." Ich war mir nicht sicher, ob die Frau vor mir noch etwas sagen wollte. Zu Wort kam sie jedenfalls nicht mehr. Da machte der Hausbesitzer ihr einen Strich durch die Rechnung. „Ein Park bleibt eben doch ein Park." Mit einem Grinsem im Gesicht schritt mein Vater die Treppe herunter. Meine Augen verengten sich ein wenig, meine Finger spannten sich an. Ich war hier, das bedeutete nicht, dass ich unser letztes Treffen vergessen hatte. „Ich wusste, du würdest von alleine zur Vernunft kommen", plapperte er weiter, ohne auf sein Umfeld zu achten.
„Wo ist deine Mutter?" Ich antwortet nicht. So laut, wie er gerufen hatte, würde die Gesuchte ihn auch von alleine hören und zu uns kommen. Und wie ich es vermutet hatte, hörte man nur wenige Sekunden später das ruhige „Wir können los", woraufhin mein Vater selbstsicher zur Tür Schritt.
Freiheit. Genießerisch sog ich die frische Luft ein. Während ich im Haus schon beinahe das Gefühl gehabt hatte, langsam aber sicher zu ersticken, durchflutete hier der Sauerstoff meine Lungen. Länger hielt die Erholung jedoch nicht. Viel zu kurz war der Weg von der Hausür bis zum Auto und viel zu schnell musste ich wieder näher zu meinen Eltern rücken.
Mit zunehmender Genervtheit öffnete ich die Autotür. Doch gerade, als ich mich in das Fahrzzeug setzten wollte, stockte ich. Täuschte ich mich oder hatte da gerade jemand gestanden? Fokussiert scannte ich die Mauer neben dem Tor der Einfahrt ab, konnte jedoch nichts und niemanden in der Dämmerung erkennen.
„Was starrer du so in der Gegen herum, Junge?" Kaum hatte ich die liebliche Stimme meines Vaters vernommen, schüttelte ich den Kopf und setzte mich auf die Rückbank. Ich sollte endlich diese Einbildungen aus dem Kopf bekommen. Schon auf dem Weg zu meinen Eltern, den ich dieses Mal zu Fuß angetreten war, hatte ich mich wie ein Verfolgter alle zwei Minuten umgedreht. Und hatte ich irgendetwas, außer das normale Treiben auf der Straße erkennen können? Natürlich nicht.
Die Autofahrt verlief schweigend. Ein paar Mal regte sich mein Vater über den vielen Abendverkehr auf, der verursachte, dass vermutlich sogar die Fußgänger schneller an ihrem Ziel seien würde. Ansonsten sagte niemand etwas. Diese Stille kam mir zugegebenermaßen ziemlich entgegen. Ich hatte keine Lust mit ihm zu reden. Und das, was der Mann hinterm Lenker zu sagen hatte, würde er schon im Restaurant von sich geben.
Die Reifen rollten immer langsamer, bis sie schlussendlich stehen blieben. Ich stieß meine Autotür auf und schabte förmlich nach der rettenden frischen Abendluft. Unmenschlich, wie mich das Glück allerdings heute verfolgte, dauerte es nur wenige Minuten, in denen ich diesen Luxus an Sauerstoff genießen konnte. Schon nach wenigen Metern verschluckten uns die gläsernen Schiebetüren des Gebäudes und verschleppten uns in ihre Tiefen. Gut, die Tiefen waren nichts weiter, als einer der Räume, in welchem wir an unseren Platz gebracht wurden.
Hier waren wir die einzigen, die bereits an einem Tisch saßen. Ob ich das wirklich gut oder schlecht fand, konnte ich gar nicht sagen. Würden weitere Gäste meinen Vater vielleicht daran hindern, den einen oder anderen Kommentar abzulassen? Oder hatte der Mann vor mir bereits sämtliche Skrupel verloren?
„Deine Freundin konnte heute nicht?" Meine Mutter hatte weder laut, noch kräftig gesprochen. Und dies war vermutlich nicht nur den nun zusammengezogenen Backen meines Vaters zuschulden, denn auch ich konnte gut auf dieses Thema oder besser gesagt die darauffolgenden Kommentare verzichten. „Wir sind getrennt", ratterte ich so schnell, wie es nur ging, herunter.
Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie meine Mum mit ihren großen Augen hinter der Karte zu mir herüberschickte. Auf die körperliche Reaktion meines Vaters achtetet ich nicht. Seine Meinung würde er auch so kund tun. „Hab ich's doch gesagt." Innerlich zog sich alles in mir zusammen. Äußerlich reagierte ich nicht, in der Hoffnung somit einer weiteren Ausführung des Themas zu umgehen.
„Ich hab doch gesagt, das mit dieser Nutte wird nichts." „Sie ist keine Nutte." Ich erschreckte mich ein wenig vor mir selber, als ich mit einer Gelassenheit sprach, als würden wir uns darüber streiten, ob morgen die Sonne schien oder nicht. „Nutte, Stripperin - ist doch alles das Gleiche." „Ist es nicht", flötete ich schon förmlich. Es war ein Gefühl der völlig einnehmenden Gleichgültigkeit, die mich durchströmte, je länger ich dem Gespräch beiwohnte. Vermutlich war es der Tatsache zu schulden, dass ich wusste, das egal, was mein Vater sagen oder tun würde, er mir nichts anhaben konnte, da mir das wichtigste bereits aus dem Herzen gerissen worden war.
„Ob ich jetzt deine nette Form von Tänzerin sage oder nicht. Was macht das für einen Unterschied? Fakt ist, dieses talentlose Ding bekommt Geld dafür, dass sie ihre weiblichen Körperteile zur Musik hin und her bewegt." Ich legte die Karte beiseite und blickte meine Vater und direkt in die Augen. „Talentlos?" Ein leichtes Lachen verließ meine Lippen. Es war ein trauriges, ironisches Lachen. Es beinhaltete die Trauer um das Mädchen, was mir genommen wurde. Und es war die Ironie über diese Situation. Über die Situation, in der mein Vater neben seiner eigenen Frau einen abfälligen Kommentar nach dem anderen über das Mädchen abließ welches ich liebte. Die Situation, in der wir uns noch immer über ein Thema stritten, was er als völlige Nichtigkeit abhaken könnte, da es kein Thema mehr in meinem Leben spielte. „Weißt du, warum wir uns getrennt haben?", setzte ich meinen angefangenen Kommentar fort, „Wir haben uns getrennt, weil Yuna nach New York geht; weil sie dort ein Angebot von einer Tanzacademy bekommen hat; weil diese sie unbedingt haben wollen; weil sie ihr Talent gesehen haben." Stille. Für einen Moment sagte niemand etwas.
„Du verteidigst dieses Gör also immer noch, huh?" „Ja, weil ich sie Liebe." Dieses Mal war es mein Vater, dem ein Lachen aus dem Mund entwischte. Es war genauso wenig ein freundliches, wie es meines gewesen war. „Liebe. Das ist nicht dein ernst, Junge. Du glaubst wirklich, dieser Schwachsinn von Liebe hätte irgendetwas zu bedeutet. Aber das hat er nicht. Genau so wenig, wie du. Merkst du eigentlich, wie schwach du bist? Und du willst dich mein Sohn nennen oder wie? Wach erst einmal aus deiner Kindergartenwelt auf und werd erwachsen. Denn davon bist du mit deiner verrückten naiven Vorstellung noch weit entfernt. Du kannst nichts, du hast nichts und du bist nichts. Und wenn du so weiter machst, wirst du auch nie etwas sein."
Erneute Stille machte sich am Tisch breit. Kurz war das Klappern zu hören, als meine Mutter ihre Karte neben den Teller und somit auf das Besteckt legte. Ansonsten passierte nichts. Mein Mund war staub trocken. An dem reibenden Stoff der Tischdecke, welche meine Hände berührte, merkte ich, dass ich zitterte. Es war das eine, ein distanziertes Verhältnis zu seinen Eltern zu pflegen, diese Ansprache aber war etwas ganz anderes gewesen.
Offensichtlich zufrieden mit sich selber lehnte mein Vater in seinem Stuhl. Lange sollte es jedoch nicht dauern, bis ihm das Lachen verging. Ein klatschen war zu hören. Es war nur das langsame zusammenschlagen von einem einzelnen Händepaar, doch es hatte die erwünschte Wirkung auf meinen Gegenüber. „Eine sehr schöne Reden, muss ich schon sagen. Sind Sie jetzt stolz auf sich?" Meine Beine verkrampften sich, mein Herz zog sich zusammen, mein Hals schnürrte mir die Luft ab. Dennoch wagte ich es nicht, mich umzudrehen, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
„Pass mal auf, du-„ „Nein, jetzt passen Sie mal auf. Ich weiß nicht, was in Ihrer Kindheit falsch gelaufen ist, aber ich gehe schwer davon aus, dass Sie nicht nur einmal vom Wickeltisch gefallen sind, bei all dem Mist, den Sie um sich spucken. Was denken Sie, wer Sie sind? Wo denken Sie, dass Sie sind. Wir sind hier nicht mehr im Mittlelater. Und doch klingen Sie so, als wenn Ihre wenigen Gehirnzellen genau dort aufgehört haben, sich weiterzuentwickeln. Wer Sie sind, kann ich Ihnen nicht beantworten. Und das will ich auch nicht. Denn das würde voraussetzten, dass ich Sie kennen würde und ich würde lieber für mein restliches Leben auf der Schultoilette wohnen, anstatt auch nur eine Stunde mit Ihnen und Ihren überheblichen, selbstgefälligen und völlig hirnlosen Kommentaren zu verbringen. Wachen Sie auf", die Person hinter mir schnipste drei Mal in die Luft, „vor Ihnen sitzt Ihr Sohn, falls Ihnen das nicht aufgefallen seien sollte. Vor Ihen sitzt einer der gefühlvollsten, lustigsten und liebenswertesten Personen die ich kenne und Sie sollten stolz sein, einen solchen Jungen in Ihrer Familie haben zu dürfen. Und alleine wegen die Tatsache, dass Sie das anscheinend nicht seien können, tun Sie mir wirklich, wirklich sehr Leid."
Wütend war vermutlich kein Audruck dafür, was sich in dem Gesicht meines Vaters abspielte. Sein Wangenknochen stachen so sehr hervor, dass man meinen könnte, sie würden gleich herausplatzen. Seine Augen funkelten, als wolle er alles zu Asche brennen lassen, was noch ein Wort gegen ihn sagte. Seine Halsschlagader zitterte unter der enormen Anspannung, die auf ihr lastete.
Erst jetzt schaffte ich es, mich umzudrehen und das imaginäre Bild, was ich schon die ganze Zeit im Kopf hatte durch ein echtes zu ersetzen. Ich wollte nicht wissen, was gerade im Kopf des Mannes nun hinter mir vor sich ging. Und ich würde zu meinem Glück wohl auch nie erfahren, was er diesem Angriffkommentar entgegensetzten wollte. „Ich denke, das Gespräch ist hiermit beendet." Yuna drehte sich mit Schwung um und machte sich zurück zum Durchgang, durch welchen sie auch gekommen seien musste. Kurz bevor sie jedoch um die Ecke verschwinden konnte, blieb sie noch einmal stehen. „Kommst du?" Es stand nicht zur Debatte, wer mit dieser Aufforderung gemeint war. Aus dem Augenwinkel erhaschte ich noch einen Blick meines Vaters. Ich war mir sicher, würde ich jetzt auch nur einen Schritt von ihm weg machen, würde ich keinen mehr auf ihn zu machen können.
Das Quietschen eines Stuhels über den Boden war zu hören. Dann das dumpfe Tapsen von Schritten. Niemand sagte etwas. Nicht einmal, als ich meine Hand in Yunas legte und wir gemeinsam das Restaurant verließen.
Hellou, meine Lieben!
Langsam aber sicher neigt sich hier alles zum Ende. Ich will nicht zu viel sagen, aber das Ende erreicht euch in weniger als 48 Stunden...
Das bedeutet aber nicht, dass mein Profil danach in Richtung Friedhof wandert, stattdessen sind die nächsten zwei Geschichten schon geplant und seit heute die eine auch veröffentlicht. Ich würde mich natürlich riesig freuen, wenn ich den ein oder anderen dazu begeistern könnte, meiner neuen Story eine Chance zu geben und mal in den Prolog hereinzulesen. Eine Update Pause - und das kann ich euch glücklicherweise zu mindestens 99% versichern - wird es dort sobald es richtig los geht auch wirklich nicht geben!
Eure Nelxy <3
SWITCHED - Gefangen in einem fremden Körper
In einem fremden Körper aufzuwachen ist alles, nur nicht lustig! Und sobald es dann darum geht, diesen Spuk wieder rückgängig zu machen, hat man den Moment erreicht, in dem es richtig spaßig wird...
Die Feelds - die düstere Seite der Los Angeler Innenstadt. An keinem Ort der Welt könnte sich Tay jemals wohler fühlen. Ob das wohl an ihren Freunden liegt oder doch der unendlichen Freiheit, die sie in den Schatten der Nacht erwartet? Vermutlich könnte das Mädchen diese Frage nicht einmal selbst beantworten. Doch bei einem ist sie sich ganz sicher: Es ist ihre Heimat, und nicht einmal eine Gruppe von Jungs auf der anderen Seite der Welt wird sie davon abhalten können, in diese zurückzukehren.
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