Kapitel 67

Yunas Sicht: 

Ich spürte die Nervosität. Um ehrlich zu sein, hätte ich mich auch sehr gewundert, würde ich dies jetzt nicht tun. Doch auch, wenn sie da war, wenn ich gut spürte, wie sie durch meinen Körper floss, merkte ich gleichzeitig, wie viel geringer sie war, verglichen mit dem letzten Mal, dass ich durch die gläsernen Schiebetüren getreten war. 

Stolz konnte ich sogar sagen, dass ich ein kleines Lächeln auf den Lippen trug, als ich mich durch die Gänge schlängelte. Den Weg hatte ich mir das letzte Mal gemerkt, eine Führerin brauchte ich demnach nicht. Alles, was ich hatte tun müssen, war mich am Empfang anzumelden und dem freundlichen Herren, der dort saß, zu versichern, ich würde den grauen Knopf neben der Tür drücken, sollte es Probleme geben. 

Ich hatte gelächelt, ich hatte genickt und den Gedanken währenddessen schon ganz hinten in meinem Gehirn abgespeichert. Vor beinahe einer Woche, sechs Tagen um genau zu sein, war alles gut verlaufen, wieso sollte sich das mit voranschreitender Zeit also verändert haben?

So hatte ich den ernsten Ton des Mannes schon längst aus meinem Kopf verdrängt, als ich vor der weißen Türe stehen blieb und die kühle silberne Klinke unter meinen Fingern spürte. Die drei Zahlen auf dem Schild an der Wand - 311 - zeigten mir, dass ich auch tatsächlich vor dem richtigen Zimmer stand. Noch ein letztes Mal erlaubte ich mir, durchzuatmen, bevor ich meinen Griff verfestigte und etwas Druck auf das Edelstahl ausübte, wodurch sich der Durchgang vor mir öffnen lies. 

Ich machte erst einen und dann zwei weitere Schritte in das mir bereits bekannte Zimmer. Dann schloss ich die Tür wieder. Mein Plan war es gewesen, mich mit einem freundlichen "Hallo", umzudrehen, um weiter in den Raum zu laufen. Der erste Teil des Planes funktionierte sogar noch, doch kaum hatte die erste Silbe erfolgreich meinen Mund verlassen, stürzte mein Planhaus in sich zusammen.


Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, alles an einem Stück zu erzählen und mich nicht unterbrechen zu lassen. Weder von Jimin, noch von mir selber. Und während mein Freund es auch tatsächlich dabei belassen hatte, mir zärtlich durch die Haare zu streichen, hatte mein eigener Körper mich selbst und meine Vorsätze verraten. 

Bei dem Gedanken, was danach passiert war, verschnellerte sich meine Atmung wieder und ich hielt in meiner Bewegung, die daraus bestand, mit den Bändeln von Jimins Hoodie zu spielen, inne. 

"Hey, nicht weinen, Süße." Zugegebenermaßen hatte ich gar nicht mitbekommen, dass mir wieder einmal vereinzelte Tränen aus den Augen geflossen waren. "Sorry", nuschelte ich mehr zu mir selber, während ich meine Handflächen dazu nutze, mir das Nass von der Wange zu streichen. Gehört hatte Jimin mich natürlich trotzdem. Und gefallen schien ihm das so gar nicht. "Sag das nicht, Kleines. Du musst dich für gar nichts entschuldigen, verstanden?" Nur halb bei der Sache nickte ich stumm.

Noch einmal küsste sich der Silberhaarige seinen Weg über meine Wangen, dort entlang, wo auch meine Tränen geflossen waren, bevor er seine Stirn sachte gegen meine lehnte. "Was ist passiert?", flüsterte er nach einem Moment der Stille. Und genau diese wollte ich noch einen Moment beinhalten, bevor ich mich wieder vorsichtig von meinem Gegenüber löste und mich stattdessen mit dem Kopf an sein Schlüsselbein lehnte. 


Im Nachhinein gesehen war es vielleicht interessant zu sehen in wie wenig Millisekunden eine entspannte Stimmung sich so verdrehen konnte. Während man allerdings in der Situation stand, war es weder spannend, noch interessant, noch sonst irgendwas. 

Von null auf hundert hatte der Mann, den ich eigentlich hatte besuchen wollen, in der Hoffnung ein einigermaßen normales Gespräch führen zu können, angefangen wie verrückt zu schreien. Komplett geschockt stand ich mehrere Sekunden einfach nur starr da. Ich verstand nicht, was er von sich gab. Der Mischmasch an Wörtern zog wie eine undefinierbare Pampe einfach an meinem Ohr vorbei. 

Erst nach einer guten Minute - vielleicht mehr, vielleicht weniger -  glaubte ich einzelne Worte aus den Schreien herauszuhören. Und jeder von ihnen traf mich, wie ein Messer ins Herz. 

"Haut ab!" "Ich hab gesagt, ich will allein sein!" "Ich will das hier nicht!" "Lasst mich gehen, sofort!" "Ihr glaubt, ich habe diese Drecksgöre mit Absicht geschlagen?! Ja, verdammt, habe ich! Und tut es mir Leid? Nein!" "Das ist alles Schwachsinn!" "Ich bin kerngesund!" "Schließlich bin ich der einzige, der erkennt, was für ein Miststück da noch zuhause ist." 

"Dad?" 

Es war nur ein Flüstern, eher ein Hauchen, was da aus meinem Mund kam. Und auch, wenn ich bezweifelt hatte, dass mein Vater irgendetwas verstand, schien ihm doch nicht zu entgehen, das die Person bei ihm noch im Raum war. 

"Nein, nein, nein!" "Ich sagte verschwinde!" 

Ich bewegte mich kein Stück. Vermutlich wäre es tatsächlich das beste gewesen, einfach kehrt zu machen, aus dem Raum zu laufen, sich Hilfe zu holen. Doch ich tat... nichts... Ich konnte mich einfach nicht bewegen. 

DAS hatte ich nicht erwartet. 

Es war, als bliebe die Zeit stehen, als mein Vater hysterisch anfing, sich im Bett zu winden, an irgendwelchen Befestigungen zu rütteln und komplett die Kontrolle zu verlieren. Erst jetzt, wo die Situation komplett aus dem Ruder zu laufen schien, machten sich meine Beine selbstständig. 

Schritt für Schritt, ganz langsam, fanden sie ihren Weg zurück. Es war ja nicht weit, höchstens zwei Meter, und doch kam es mir wie die Ewigkeit vor, bis meine nach hinten ausgestreckten Hände den Türrahmen zu fassen bekamen. Dort tatstete ich mich voran, bis ich einen kleinen Kasten erfühlen konnte. 

Erst jetzt schaffte ich es, meinen Blick von dem Geschehen vor mit loszureißen, um sicherzustellen, dass es sich bei dem, was ich gefunden hatte, auch um das handelte, was ich gesucht hatte. Glücklicherweise war es tatsächlich der kleine graue Knopf, bei welchem eigentlich schon mein Verdrängungsprozess eingesetzt hatte, den ich wenig später betätigt hatte. 

vermutlich wäre es immer noch das sinnvollste gewesen jetzt einfach aus der Tür zu gehen, doch genau, wie auch kurz zuvor, bewegte ich mich keinen Millimeter. Selbst, als ich mir sicher war, dass hinter mir die Tür aufging, machte ich keine Antsalten, meinen geschockten Blick von meinem Vater abzuwenden. 

Es brauchte zwei fremde Hände an meinen Schultern, gepaart mit irgendeiner Stimme, dessen Worte ich nicht verstand, um mich aus dem Zimmer zu bugsieren. Erst, als wir - damit meine ich mich und die fremde Person, die sich jetzt als eine Pflegerin herausstellte - auf dem Gang waren und die nun wieder geschlossene Tür die Schreie erfolgreich abdämpfte, begann mein Gehirn wieder anständig zu arbeiten. 


Es war der Moment, in dem ich abermals abbrach. Zu Ende war alles zwar noch nicht ganz, aber es war ein Abschnitt hinter den ich wenigstens einen abschließenden Punkt setzen konnte. 

Ich spürte, wie Jimin seinen Kopf in meinen Haaren vergraben hatte. Kurz wartete er noch, bis ich vielleicht weitersprechen würde, als jedoch nichts kam, löste er sich mit einem abschließenden Kuss von mir. Ich glaube, er beobachtete mich immer noch von oben. Mit Sicherheit sagen konnte ich das zwar nicht, es fühlte sich schlichtweg so an. 

"Haben sie dir irgendetwas gesagt? Also wieso dein Vater so war?" Wieder einmal nickte ich. Das hatten sie tatsächlich. Nachdem mich die Frau zurück in den Empfangsbereich geführt und mir ein Glas Wasser in die Hand gedrückt hatte, hatte sie sich noch zu mir gesetzt, um mir das Geschehene zu erklären. 

"Kurz nachdem er angekommen war, war alles relativ in Ordnung, wie wir ja auch gesehen hatten. Er hatte schwache Medikamente gegen seine Entzugserscheinungen bekommen, da er ansonsten allerdings recht friedlich wirkte, wollten sie ihn mit so wenig Chemie vollpumpen, wie nur geht", ich gönnte mir eine kurze Pause, zum tief Durchatmen, bevor ich weitersprach, "Sonntag - also zwei Tage, nachdem wir da waren - ist er dann wohl immer nervöser und aufbrausender geworden. Die Frau meinte das sei Recht normal. Bei manchen Patienten fielen diese Sympthome eben stärker und bei manchen schwächer aus." 

"Und bei deinem Vater sind sie ziemlich stark", schlussfolgerte mein Freund nach einer kurzen Pause meinerseIts, was ich abermals mit einem Nicken quittierte. "Er hat dagegen ein Beruhigungsmittel bekommen, dass sie seit gestern allerdings versuchen schon wieder abzusetzten, um seinen Körper nicht abhängig zu machen. Deshalb auch der Hinweis am Empfang." 

Ich konnte ein leises Seufzen von Jimin hören und ksuchelte mich augenblicklich mehr an ihn. "Aber hätten sie dich denn dann eignetlich gar nicht erst zu ihm lassen dürfen?" Ich zuckte lediglich mit den Schultern. Das hatte ich mich auch gefragt gehabt. "Die Pflegerin meinte, gestern wäre wohl soweit stabil gewesen, weshalb sie gedacht hatten, es müsste bei einem kurzen Beusch funktionieren." Dieses Mal war Jimin derjenige, der nckte. 

Stille kehrte wieder ein. Ich genoss sie. Sie war schön... irgendwie. 

Jedoch schwirrte ein Gedanke in meinem Kopf herum, den ich einfach aussprechen MUSSTE. Es war, als würde er sich immer weiter in meinem Gehirn ausbreiten, bis mein Schädel platzen würde. Stille hin oder her. "Jimin? Glaubst du, er... er wird wieder...? Also... dass es wieder normal wird... irgendwie?" Seine Antwort kam schneller, als ich sie erwartet hatte. Und genauso unerwartet war sie. "Glaubst du denn daran?" Ich zuckte mit den Schultern. Sie hatten mir gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen, dass so ein Rückschlag passieren konnte und doch... bekam ich den Gedanken einfach nicht aus meinem Kopf.

Ein Kind sollte seinen Vater nicht so sehen. Es war nicht richtig. Und doch passierte es... leider...

"Warte mal kurz hier, Süße, ja?" Als Anwort lockerte ich lediglich meinen Klammergriff um meinen Freund, sodass dieser aufstehen konnte, was er auch tat.

Und kaum war der Silberhaarige aus dem Raum verschwunden, beugte ich mich kurz nach vorne, um das zu tun, was ich schon viel früher vorgehabt hatte. Und jetzt war mein Tee auch glücklicherweise trinkbar, was bedeutete, dass ich wenig später schon den süßlich bitteren Geschmack auf der Zunge spührte. 

Jimin hatte nicht gelogen. Es dauerte maximal zwei Minuten, dann saß er schon wieder neben mir. Mit dem Unterschied, dass er nun etwas in seinen Händen hielt. Und obwohl ich diesen Gegenstand eigentlich besser kannte als sonst jemand, brauchte ich einen Augenblick, um ihn zu erkennen. 

"Woher hast du-?" Ich unterbrach mich selber, indem ich meinem Freund vorsichtig den bereits leicht kaputten Rahmen aus der Hand nahm. "Ich hab ihn mitgenommen, als wir bei dir waren, um ein paar Sachen zu holen." Ungläubig sah ich von dem zierlichen Bilderrahmen in meiner Hand zu Jimin nach oben. "Ich hoffe, das war okay. Ich dachte, du könntest die Erinnerung vielleicht noch einmal gebrauch-" 

Noch ehe der Silberhaarige hatte aussprechen können, hatte ich das Familienbild mit einer Hand an mich gedrückt und mit der anderen meinen Gegenüber in eine Umarmung gezogen. "Danke", flüsterte ich, meinen Mund nahe seines Ohres, "Du bist der Beste." 

Nun legte auch mein Freund seine Arme um mich, bevor er seinen Jimin-Kommentar abgab, den ich beinahe schon vermisst hatte. Aber eben nur BEINAHE. "Was sollte ich auch sonst sein?" Jedoch lachte ich nur und vergrub meinen Geischt nur noch mehr an seiner Schulter. 

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