Kapitel 59

"Okay, dann bis gleich", beendete ich das Gespräch und steckte mein Handy zurück in meine Jackentasche. Jimin war anscheinend mit den Jungs am See und da er gemeint hatte, er wolle mir noch etwas erzählen, was wir besser persönlich besprechen sollten, machte nun auch ich mich auf den Weg zu der kleinen Gruppe. 

Zwar hatte mir der Silberhaarige versichert, ich solle mir keine Gedanken machen, da alles soweit in Ordnung sei, doch wie das immer so schön ist, kann man in genau diesen Momenten die Gedanken nicht abstellen. Und so philosophierte ich die gesamten 25 Minuten, die ich zu Fuß brauchte, um zu dem etwas abgelegenen See und seiner wunderschön breiten Wiese zu gelangen, um was es sich bei dem Gespräch handeln könnte. 

Was, wenn doch nicht alles so in Ordnung war, wie mein Freund behauptete? Aber... was könnte passiert sein? Wer könnte in Schwierigkeiten sein? Und was hast ich wiederum damit zu tun???

In der Hoffnung, meine Gedanken ein bisschen ausblenden zu können, steckte ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und drückte auf die Play-Taste meiner Playlist. So richtig viel helfen tat das allerdings auch nicht sodass sich, als ich schließlich eine mir sehr bekannte Person auf mich zulaufen sah und die Musik wieder abstellte, ein ganzer Haufen an Szenarien in meinem Kopf angesammelt hatten. 

"Hey", begrüßte ich den Koreaner, woraufhin dieser mich an der Taille packte und mir einen schnellen Kuss auf die Lippen drückte. Sich groß von mir entfernen tat er danach dann allerdings auch nicht, sodass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte, als Jimin ebenfalls ein leises "Hey, Süße", flüsterte. 

Erst danach löste er sich wieder von mir. Und just in dem Augenblick, indem sich sein Gesicht von meinem entfernte, verschwand auch das glückliche Lächeln von seinen Lippen und seine Miene wurde ernst. "Lass uns in paar Schritte gehen." Seine Stimme war ruhig und doch bestimmt, sodass ich beinahe reflexartig nach seiner Hand griff und in Richtung des hinter mir liegenden Weges nickte. Jimin nickte erst nur, weiterhin mit einem Strich als Mund im Gesicht, gab mir dann allerdings noch einen schnellen Kuss auf die Wange, bevor wir losliefen. 

"Es geht um deinen Vater", eröffnete der Junge neben mir das Gespräch. Augenblicklich begann mein Gehirn alle Dateien mit der Aufschrift "mögliche Szenarien", die dieses Schlagwort nicht enthielten in den Papierkorb zu werfen. 

"Zuerst", fuhr er fort, "es geht ihm gut, also keine Sorge." Und damit konnte ich meinen Aussortiervorgang deutlich verschnellern, sodass am Ende zum einen alle meine Ideen, als auch eine große Last von mir abfiel. 

Gerade wollte ich nachhaken, was denn dann los sei, da beantwortete mein Gesprächspartner die Frage von ganz alleine. "Er ist jetzt in einer Klinik." Augenblicklich blieb ich stehen. Damit hatte ich nicht gerechnet. "Wie hast du...? Was hast du...? Seit wann ist er...? Also...", versuchte ich all meine Fragen auszusprechen, was kläglich scheiterte. 

Jimin griff erneut nach meiner Hand, die ihm, durch mein ruckartiges Stehenbleiben entglitten war, wobei er sich auch beim Weitergehen ein kleines Lachen nicht verkneifen konnte. "Alles der Reihe nach." 

Mein Freund gab mir glücklicherweise noch einen Moment Zeit, um sein Gesagtes auf mich wirken zu lassen, bevor er schließlich ganz von vorne anfing. "Wie ich dir ja bereits gesagt habe, habe ich durch meinen Vater gewisse Kontakte, mit denen ich einen Platz in einer anonymen Klinik sichern konnte. Es tut mir Leid, aber auch wenn die Leute dort nicht viele Fragen gestellt haben, ein bisschen was musste ich schon erzählen." Der Silberhaarige wartete, bis ich ein zustimmendes "Ist okay", von mir gegeben hatte, bevor er seine Erzählung fortsetzte. 

"Die Klinik wollte sich zuerst selbst um die Sache kümmern, wie sie es nannten", ich musste mich stark zusammenreißen, nicht zischend die Luft einzuziehen, doch als Jimin weiterredete verflog auch dieser Drang wieder, "Ich hab sie dann allerdings davon überzeugen können, dass ich selbst zu deinem Vater gehen möchte." 

Ein weiteres Mal blieb ich aprubt stehen. "Du warst bei meinem Vater?!" Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte, was vermutlich auch meinem Gesicht anzusehen war. "Ja." Seine Stimme war so ruhig und entspannt, was die Sache für mich noch absurder machte. 

Trotz dessen, versuchte ich mich schnellstmöglich wieder einigermaßen zusammenreißen, schüttelte einmal den Kopf und schloss wieder zu dem Älteren auf. "Wie... wie hat er reagiert?", stellte ich schließlich die Frage, die mich am meisten interessierte. "Das... wäre der nächste Punkt", führte Jimin vorsichtig an, wobei seine nicht mehr ganz so vorhandene Selbstsicherheit auch in mir für Zweifel sorgten. Was war nur passiert?

"Generell hatte ich wohl Glück und er war ziemlich bei Sinnen - naja jedenfalls schien er so." Das letzte sagte der Silberhaarige mehr zu sich selbst, doch natürlich hörte ich es trotzdem. Dennoch viel mir ein großes Stück des Steines von meinem Herzen, als ich das hörte. "Ich hab ihm dann erklärt wer ich bin, hab ihm gesagt, wo du momentan bist, dass es dir gut geht und so weiter." Ich wusste, dass Jimin es generell nicht sonderlich mochte, wenn er unterbrochen wurde, doch ich konnte nicht anders, als die Frage zu stellen. "Hat... hat es ihn.. also... hat es ihn interessiert?" 

Kurz herrschte Stille und ich rechnete schon mit dem Schlimmsten, als mir auch diese Sorge genommen wurde. "Ich glaube schon", der Silberhaarige seufzte einmal tief, "Er wirkte die ganze Zeit sehr emotionslos, doch als ich über dich gesprochen hatte, hatte er für einen Moment so ein kleines Lächeln auf den Lippen. Ich weiß es nicht, aber es schien ihm jedenfalls nicht egal zu sein." Ich war froh, dass Jimin mir einfach die Wahrheit sagte. Er machte mir keine falschen Versprechungen, sondern erzählte alles einfach so, wie es auch wirklich passiert war. 

"Als ich ihm dann von der Klinik erzählt habe. Es war etwas merkwürdig, er... er hat nicht ein Wort wiedersprochen oder irgendetwas nachgefragt. Er saß einfach da und hat genickt." "Mehr nicht?!" Entgeistert sah ich hinauf zu meinem Freund, doch der Größere zuckte nur mit den Schultern. "Nein. Es war mehr, als hätte er nur auf den Moment gewartet. Wie ein Verbrecher, der schon weiß, dass er ins Gefängnis muss und nurnoch drauf wartet, dass der Richter es öffnetlich bekannt gibt." Ich nickte. Es war ein stummes Nicken. Es sagte nichts aus, es hatte keine Bedeutung. 

"Erst, als wir rausgegangen sind, da... da hat er noch etwas gesagt", dieses Mal war es nicht ich, die stehen blieb und den anderen intensiv ansah, "er hat eine Bedingung gestellt, dafür, dass er in die Klinik geht." Nachdenklich zog ich meine Augenbrauen zusammen. In meinem Hinterkopf hatte ich eine Idee, was es seien könnte und als mein Gegenüber diese wenige Sekunden später bestätigte, wusste ich nicht, ob ich erleichtert oder besorgt seien sollte. "Er will, dass du ihn besuchen kommst. Diese Woche noch." Ich nickte. Eine andere Wahl hatte ich ja sowieso nicht. 

Jimin wollte gerade weiterlaufen, als ich ihn am Oberarm festhielt. Der Silberhaarige bekam keine Zeit, um zu fragen, was los sei, da hatte ich ihn bereits in eine Umarmung gezogen. "Danke", nuschelte ich mit geschlossenen Augen und an seine Brust gedrückt. Schnell hatte auch der Größere seine Arme um mich gelegt und ich konnte spüren, wie er mir einen langen Kuss auf den Kopf drückte. 

Noch immer war es für mich etwas seltsam, den Schritt zu machen und meinen Freund beispielsweise zu küssen oder wie jetzt in eine Umarmung zu ziehen. Es war einfach etwas gewesen, vor dem ich mich Ewigkeiten gesträubt hatte und es war schwer solche Prinzipien auf einmal wegzuwerfen und den Körperkontakt zuzulassen. Doch gleichzeitig war es ein schönes Gefühl, sobald ich mich überwunden hatte. 

Ich würde nicht sagen, dass ich den Jungen aus tiefstem Herzen liebte, aber da war etwas zwischen uns, was ich noch nicht ganz beschreiben konnte. Alles, was ich wusste war, dass es wuchs. Mit jeder Sekunden, mit jeder Minute, mit jeder Stunde, in der wir zusammen waren, in denen wir Momente wie diese miteinander teilten. 

"Und jetzt vergisst du das Thema aber wieder erst einmal für einen Moment und kommst mit runter zu den anderen", grinste der Silberhaarige, sobald wir uns voneinander gelöst hatten. Erst jetzt viel mir auf, dass wir tatsächlich beinahe einmal um den See herumgegangen waren. Ein Dreiviertel hatten wir locker geschafft und einmal quer über die Wiese war die kleine Gruppe an Jungs auch von hier deutlich zu erkennen. 

Und obwohl mein Freund vermutlich sogar Recht hatte und es das beste war, jetzt auch nochmal für einen Moment abzuschalten, musste ich eine Frage noch loswerden. "Aber Jimin?", der Angesprochene sah mich fragend an - der ernste Gesichtsausdruck war zurückgekehrt, "du kommst doch mit oder?" Ein leichtes Grinsen bildete sich auf dem Gesicht meines Gegenübers. "Aber klar doch, Baby." Und mit einem letzten Kuss auf die Lippen, machten wir uns auf den Weg zu den anderen, wobei die Ablenkung in Form eines aufgedrehten blonden Wuschelkopfes bereits auf uns zugestürmt kam. 

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