Kapitel 57

"Kommst du?" Verschlafen nickte ich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, bevor ich mich meinen Schnürsenkeln und dem Versuch, diese anständig zum halten zu bringen, zuwandte. Anschließend nahm ich mir meine schwarze Lederjacke vom Haken und schulterte auch noch meinen Rucksack.

Als ich endlich aufsah, bemerkte ich Jimins schmunzelnden Blick auf mir, den ich, müde, wie ich war, einfach ignorierte und zu ihm ging. "Fertig", nuschelte ich dabei, nicht achtetend, ob er mich verstehen würde oder nicht.

Auch auf dem Weg nach unten, philosophierte ich noch weiter über die Frage, wie ein Mensch so früh am morgen schon so wach seien konnte, während diese, mit diesem Gedanken betrachtet verrückte Person neben mir irgendetwas vor sich hin laberte. Naja, vermutlich sprach er gerade sogar mit mir... mein Gehirn war allerdings noch nicht wach genug, um die Worte in einen logischen Zusammenhang zu bringen.

"Jimin?!" Angesprochener hörte auf zu reden und sah mich fragend an. "Gib's auf. Ich hör dir sowieso nicht zu." Für einen Moment blieb der Silberhaarige stehen, während ich meinen Weg weiter zur Schule fortsetzte.

Ziemlich schnell hatte ich meinen Freund allerdings wieder neben mir und zudem noch seine linke Han um meiner Hüfte, die mich näher an ihn drückte. "Wird da jemand frech?", raunte er mir in mein Ohr, worauf ich nur ein stumpfes, "Ne, aber hoffentlich bald wach", erwiderte. Jimin lachte nur leicht, senkte ansonsten allerdings seinen Geräuschpegel auf null.

Je näher wir der Schule kamen, desto mehr hatte ich das Gefühl, am liebsten wieder umdrehen zu wollen. Zwar hatte ich Jimin an meiner Seite und wie ich Suji kannte würde auch sie mir nicht von dieser weichen, doch die anderen hatten ja keine Ahnung, was am Wochenende bei mir abgegangen war. Und das war prinzipiell auch gut so. Ich wollte nicht, dass irgendjemand etwas davon erfuhr. Ich hatte keine Lust auf die dauernden sorgenvollen Blicke und die Gefahr, es könne sich weiter herumsprechen. Doch gleichzeitig bedeutete das für mich, dass ich den Tag über so tun müsste, als seie alles in bester Ordnung. Und ob mir das so wirklich gelingen würde, wagte ich stark zu bezweifeln.

Als wir schlussendlich den Schulhof erreichten und an der Mauer vorbeigingen, an der ich mich wenige Tage zuvor noch weinend versteckt hatte, drückte ich mich automatisch näher an den Jungen rechts neben mir. "Alles okay?", wollte dieser sofort wissen, woraufhin ich zwar reflexartig nickte, meine Worte allerdings etwas anderes sagten. "Es ist... komisch..." Ich lies mir kurz Zeit, einmal ein und auszuatmen. Nicht sonderlich laut oder lang, einfach ein paar Sekunden für mich, zum herunterkommen. "Ich will den anderen nicht in die Augen schauen müssen." Nicht, weil ich mich schuldig fühlte oder so. Es war einfach nur... merkwürdig... meine Freunde anzuschauen und zu wissen, das ich sie mit allem, was ich sagte, mit all der positiven Stimmung, nur anlügen würde.

"Du schaffst das, Süße. Und du bist ja auch nicht alleine." Ich nickte zwar, wirklich überzeugt war ich allerdings nicht. "Es wird dir helfen, dich ein bisschen abzulenken, wenn du einen normalen Alltag hast", versuchte der Silberhaarige weiterhin mich von den positiven Sachen zu überzeugen. Ob das so wirklich klappte, war mal dahingestellt. Trotzdem lächelte ich leicht. Es war schön zu wissen, dass jemand für einen da war. "Danke." Ich konnte spüren, dass auch Jimin ein Lächeln auf den Lippen hatte, als er mir einen Kuss auf den Kopf drückte.

Kaum betraten wir das Schulgebäude, schoss auch schon ein blondes Etwas names Taehyung auf uns zu. "Okay, langsam reicht's." Nicht verstehend, worauf er hinauswollte, zog ich eine Augenbraue hoch. "Erst gestern das im Café und jetzt kommt ihr Arm in Arm zusammen zur Schule. Lächelnd. Beide.", dabei sah er vor allem mich prüfend an, "Erklärung. Jetzt."

Obwohl ich innerlich die Augen verdrehte behielt ich mein Lächeln aufrecht. Ich hatte mir ja denken können, dass uns solche Fragen nach allem, was VOR dem Wochenende schon passiert war, erwarten würden. "Wir sind zusammen. Problem damit?" Das ich dieses Mal diejenige war, die diese Worte aussprach und nicht mein Nebenmann, schien für den Neuankömmling nur noch verwirrender zu sein. Und als ich kurz darauf Suji an der Tür entdeckte, Jimin einen schnellen Abschiedskuss auf die Lippen drückte und mit einem hoffentlich unbesorgt klingenden "Bis später", zu meiner Freundin huschte, war es um den Schließmechnaismus der Kinnlade meines besten Freundes nun wirklich geschehen.

Allerdings verdrängte ich den verwirrten Jungen ziemlich schnell aus meinen Gedanken, als ich von der Schwarzhaarigen in eine Umarmung gezogen wurde. Um den konnte sich Jimin ja kümmern. "Wie geht's dir", flüsterte meine beste Freundin in meine Haare, sodass es glücklicherweise nicht jeder mitbekam. "Es geht", antwortetet ich in der gleichen Lautstärke wahrheitsgetreu, "Es ist alles ziemlich unwirklich." Verstehend nickte Suji, bevor wir uns auf den Weg zu unserem Klassenraum machten.

Es kam selten vor, dass wir beide eher zu den letzten gehörten, die das Zimmer betraten, doch da meine Motivation heute, hier anzukommen, nicht die größte gewesen war, saßen schon beinahe alle auf den Tischen herum und quatschten mit ihren Freunden. Ein schneller Blick durch den Raum zeigte mir, dass sowohl mein eigentlich bester Freund, bei dem ich allerdings auch noch herausfinden musste, was los war und der sitzengeblibenene Lockenkopf anwesend waren. Oh Gott... auf seine übermäßig gute Laune konnte ich heute wirklich getrost verzichten.

Sie blieb mir allerdings glücklicherweise fürs erste auch erspart, da unser Lehrer kurz nach uns ebenfalls in die Klasse gekommen war und zum Reden sowieso keine Zeit blieb. Von dem Gequatsche meines vermeintlichen Retters, bekam ich die nächsten 90 Minuten allerdings auch eher wenig mit. Das lag zugegemeraßen nicht mal an ihm, sondern einfach an meinen nicht vorhandenen Aufmerksamkeitskompetezen, die mir sowohl in den ersten beiden, als auch in den nächsten vier Stunden mehrfach eine Ermahnung einhandelten.

"Yuna, passt du bitte im Unterricht auf." "Yuna, nicht Träumen." "Ich erzähl das hier nicht für mich, Yuna." "Möchtest du nicht auch dem Unterricht beiwohnen, Yuna." "Yuna, könntest du deine Aufmerksamkeit bitte zur Tafel lenken."  "Yuna..." "Yuna..." "Yuna..."

Ich konnte es nicht mehr hören. Durfte man nicht einen Tag mal einfach mit den Gedanken ganz woanders ein, ohne gefühlt alle zwei Minen doof angemacht zu werden?! Zwar versuchte Suji neben mir, mich einigermaßen beim Stoff zu halten, als es allerdings endlich zur Mittagspause klingelte, hatte ich nicht das Gefühl heute irgendeine neue Information in mein Gehirn geprügelt bekommen zu haben.

"Sag mal, in welchen Dimensionen bist du denn heute unterwegs?!" Lachend schuckte mich Mr.Happy leicht zur Seite, als wir endlich das stickige Klassenzimmer verließen. "Nicht in dieser", antwortete ich stumpf. Mit Hoseok herumzualbern war wirklich das letzte, worauf ich gerade Lust hatte. "Das hat man gemerkt", lachte dieser trotzdem weiter. Jungkook blieb wie in letzter Zeit immer, erstaunlich still. Und Suji kam mit dem Sitzengebliebenen ja sowieso nicht gerade blendend aus, weshalb dieser schlussendlich der einzige war, der über seine witzig gemeinte Bemerkung lachte. Traurig...

Und obwohl ich wusste, dass die Begeisterung meiner besten Freundin gegenüber den Jungs sich mehr als in Grenzen hielt, hatte ich es irgendwie geschafft, sie überreden zu können, sich in der Mittagspause nicht zu den Mädchen aus der Parallel zu verdrücken, sonder mit mir zu kommen. Okay, irgendwie war vielleicht gelogen... Aber wenn es mir schon mal nicht sonderlich gut ging, dann konnte man das doch wenigstens nutzen, um seine Freundin dazu zu zwingen, bei einem zu bleiben... oder...

Ich wusste nicht, woher dieser Wunsch kam, doch seit dem gestrigen Tag oder besser gesagt dem Abend und noch genauer dem versprochenen Neustart, wollte ich irgendwie, dass sich meine Freund und Suji vielleicht nicht mehr ganz so hassten, wie zuvor. Ob mir das gelingen würde stand bislang allerdings noch in den Sternen.

"Hey." Mit einem schnellen Kuss stieß mein Freund und Tae zu unserer kleinen Gruppe hinzu. Das letzterer den anderen mit seinem dämlichen Hermgefuchtel mit der flachen Hand vor seinem Gesicht signalisiert, was er von Jimin und mir hielt, ignorierte ich dabei gekonnt und lehnte mich einfach beim Weiterlaufen an den Silberhaarigen. "Suji kommt mit", informierte ich meinen Freund dabei leise. "Freiwillig?!" Unglauben war in Jimins Stimme herauszuhören. "Naja... mehr oder weniger", kicherte ich leicht.

Suji wirkte als einzige von meiner Einstellung zu Jimin wenig überrascht. Sie kannte ja zum einen die Geschichte mit meinem Vater und alles weitere, was nach unserer Café-krisensitzung passiert war, hatte ich ihr irgendwie zwischen der physikalischen Formel für eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung und der Bedeutung erneuerbaren Energien für unsere Umwelt erklärt.

Und auch wenn es mir irgendwie weh tat, hatte ich mit Jimin ausgemacht, dass sie auch die einzige bleiben würde, die von all dem, was passiert war, mitbekommen sollte. Zwar würde ich Tae und Kookie erzählen, dass meine Mutter gestorben war - darauf hatte mein Freund bestanden - doch der Rest würde fürs erste ein Geheimnis bleiben.

Zwar wirkten vor allem Tae und Hoseok etwas überrascht, als die Suji uns zum Tisch begleitete, groß kommentieren taten sie es glücklicherweise trotzdem nicht. Und während ich über Jins und Namjoons enladendes Lächeln ziemlich dankbar war - die beiden waren mir sowieso immer noch am sypmathischtsten - könnte ich Pfefferminz-Kaugummi-Yoongi sein dämliches Grinsen am liebsten aus dem Gesicht schlagen. Schlussendlich beließ ich es allerdings bei einem Todesblick, welcher mein Opfer wenig zu interessieren schien.

"Was haben wir nochmal gleich?", eröffnete ich das Gespräch. "Bist du jetzt so weit abgedriftet, dass du sogar deinen Stundenplan vergessen hast." Während ich meinen Killerblick nun auf den Lockenkopf richtete, konnte ich mir im Hinterkopf Jimins Fragenden schon denken. Und damit schien ich wohl recht zu haben, da sich der ach so lustige Spaßvogel kurz darauf an meinen Nebenmann wandte. "Deine Freundin war heute sagen wir mal... nicht ganz bei der Sache... nicht wahr?!" Das letzte richtete sich selbstverständlich wieder an mich, was ich mit einem "Jaja", quittierte.

Um dem sorgenvollen Blick des Silberhaarigen auszuweichen, richtete ich meinen eigene auf meinen blonden Gegenüber - was sich wenig später auch nicht gerade als gelungene Alternative herausstellte. Dieser hatte wohl ebenfalls Jimins Ausdruck bemerkt und wollte nun eine Antwort auf seine unausgesprochene Frage, die ich ihm allerdings nicht geben konnte... oder wollte...

"Sogar ich weiß, was ihr Montags in den letzen beiden Stunden habt", lachte auf einmal Namjoon und lenkte damit seine Aufmerksamkeit auf sich. "Du?!", sprach schließlich ausgerechnet Yoongi das aus, was ich mir auch gerade dachte. "Ja, ich. Und glaub mir, freiwillig hab ich's mir nicht gemerkt, aber mit der Zeit hat es mir Jimin zu oft unter die Nase gerieben, als das ich es nicht wissen könnte." "Ach stimmt... da war ja was...", schien sich nun auch der zweite der mir sympathischen Jungs an unser Fach zu erinnern.

Als ich dann doch Jimins leicht peinlich berührtes Lächeln sehen konnte, fiel auch bei mir der Groschen. "Och nö." Im Chor sprachen Suji und ich erst unseren gemeinsamen Gedanken aus, bevor wir gleichzeitig die Hände hoben und einschlugen.

"Tja, Korb Jimin", lachte Hoseok meinen Freund aus, wobei sich meine fehlende Motivation mehr auf das Fach, als auf die Tatsache, dass ich dieses mit dem Silberhaarigen gemeinsam hatte, bezog. Das war nämlich das vermutlich einzig Gute an dem Kommenden.

Heilige Scheiße... Wenn mir jemand am Freitag noch gesagt hätte, dass ich am nächsten Schultag so denken würde... dann aber Abfahrt meine Lieben...

"Ich geh dann danach zum Tanzen", sagte ich extra etwas leiser, sodass es nur meine zwei Sitznachbarn mitbekamen. Und während Suji mich erst entgeistert ansah, hatte Jimin unsere gestrige Unterhaltung bei ihm und die dort getroffene Abmachung wohl noch im Kopf, weshalb er es bei einem einfach Nicken beließ. Und da mein Freund keine Anstallten machte, dieser Aussage in irgendeiner Form zu Wiedersprechen, entspannte sich wunderbarerweise auch die Gesichtszüge meiner besten Freundin ein wenig.

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