Kapitel 40
"Und ich kann dich wirklich alleine lassen, Baby?"
Ich hatte unter meinen Fingern schon das kühle Metall des Türgriffes gespürt, als mich Jimins Stimme meine Hand zurückziehen lies. Nicht, weil ich wirklich mit dem Gedanken spielte, freiwillig noch mehr Zeit mit dem Silberhaarigen zu verbringen, aber seine Aussage hatte mich an etwas erinnert, was ich lieber vergessen wollte.
Mit der Ausrede, dass ich alleine seien wollte - was sogar der Wahrheit entsprach - hatte ich ihn überzeugen können, nicht noch bei mir zu bleiben, aber jetzt, wo mich mein Zuhause nur eine Etage trennte, erinnerte ich mich daran, was mich vermutlich gleich erwarten würde. Und ich konnte mir sicher sein, dass ich NICHT alleine seien würde.
Bei dem Gedanken an meinen vermutlich fuchsteufelswilden Vater, zog ich sogar für einen Moment in Erwägung, meinen Freund zu fragen, ob ich noch eine Nacht bei ihm schlafen konnte. Doch kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, schüttelte ich ärgerlich über mich selber, meinen Kopf, was meinen Gegenüber natürlich stutzig werden lies.
"Alles in Ordnung Süße?" "Was? Achso... Ja ne... alles gut." Wow Yuna... wirklich sehr glaubwürdig...!
Das schien auch Jimin zu finden, welcher kurz darauf seine Hände an meine Hüfte legte und mich näher zu sich zog. "Und jetzt die Wahrheit." Er hatte wieder seinen durchdringenden Blick aufgesetzt und hätte ich nicht gewusst, dass das alles nur schlimmer machte, hätte ich meinen eigenen nach unten gesenkt. So aber, versuchte ich meine Augen auf Jimin zulassen, während ich die passenden Worte für eine Antwort zusammensammelte. "Ich will einfach in mein Bett und schlafen."
Wahrheit. Nur, das ich wusste, dass es bis dahin vermutlich noch ein bisschen dauern würde.
"Und trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass du mir etwas verheimlichst." Und mit dieser Aussage hatte er natürlich völlig ins Schwarze getroffen. Doch da meine Angst vor Jimin mindestens genauso groß war, wie die vor dem Kommenden und ich nicht so schnell vergessen würde WOHER diese Angst kam, hatte ich nicht vor, ihm mit dieser Aussage zuzustimmen.
"Mir geht's gut", meine Stimme klang monoton, beinahe schon wie ein Roboter, der nur darauf programmiert war, diesen einen Satz zu sagen, "War halt alles n bissle viel heute." Der skeptische Blick des Älteren verwandelte sich in einen besorgten, auch wenn ich mir sicher war, dass er mir nicht glaubte. "Und genau deswegen wäre es mir lieber, wenn ich noch bei dir bleibe. Wenigstens, bis du eingeschlafen bist." "Bitte, Jimin, ich-" "Ist okay, ich hab's verstanden."
Selbst, als mir der Silberhaarige noch einen langen Abschiedskuss auf die Lippen drückte, konnte ich nicht glauben, dass er gerade wirklich einfach so zugestimmt hatte. "Aber ruf mich direkt an, sobald irgendetwas ist, ja?!" Ich beantworte die Frage lediglich mit einem Nicken, was meinem Gesprächspartner nicht zu reichen schien. "Versprochen?" Wieder nickte ich. So konnte ich nicht Gefahr laufen, etwas falsches zu sagen.
Zu meinem Glück kommentierte Jimin dies zwar mit einem Seufzen, beließ dann aber dabei und wartete, bis ich im Hochhaus verschwunden war. Was er danach tat, konnte ich nicht mehr sehen, aber das kleine Männchen in meinem Gehirn hatte hinter seinen Namen auch schon längst einen Haken gesetzt und blickte nun angsterfüllt auf den darunterstehenden Punkt meiner To-do Liste.
Noch nie war ich die Stufen zu unserer Wohnung so langsam hochgegangen. Selbst nachdem meine Mutter vom Krankenwagen mitgenommen worden war, war ich schneller gewesen. Da kam mir mein Zuhause ja auch noch als rettender Rückzugsort vor. Nicht, wie jetzt, wo ich bei jedem Schritt nach vorne, den Drang verspürte, zwei nach hinten zu machen.
Und doch... nach gefühten Ewigkeiten, lag meine eine Hand zitternd auf dem Türgriff, während die andere es nicht wagte, den Schlüssel, welchen ich bereits ins Schloss gesteckt hatte, umzudrehen.
Okay, Yuna. Tief ein- und ausatmen. Du schaffst das!
Ich fühlte mich wie ein Einbrecher, als ich schließlich durch den Flur schlich, auf der Suche nach irgendeinem Hinweis, wo sich mein Vater befand. Dabei konnte mn wirklich nicht von Glück sprechen, dass mir diese Frage schon nach dem Blick in den ersten Raum beantworte wurde.
Kaum hatte mein Vater den Blick gehoben und gesehen, wer da im Türrahmen stand, stand er ruckartig auf, mit dem Plan, auf mich zuzukommen. Reflexartig wich ich zurück, wobei ich mir um sonst Sorgen gemacht hatte, wie sich wenig später herausstellte.
Wie es aussah, war mein Vater zu betrunken, um auch nur die wenigen Schritte vom Esstisch zu mir zu bewältigen, weshalb er sich wieder auf dem Stuhl niedergelassen hatte. Seine Miene war dabei genauso düster, wie zuvor.
"Wie kannst du es wagen, erst jetzt nach Hause zu kommen?!" Innerlich hoffte ich, dass er noch hinzufügen würde, er hätte sich Sorgen gemacht, doch ich wusste, dass das nicht passieren würde. Das würde vielleicht mein richtiger Vater sagen, aber nicht dieser jemand, der mir meinen Vater genommen hatte.
"Aber wie ich sehe, hattest die kleine Schlampe mal wieder ihren Spaß." Erst jetzt fiel mir ein, dass ich ja noch immer das Kleid von Jimin trug, was es für mich natürlich noch schwerer machte, mich aus der Situation zu retten. "Nein, ich-"
Mein kläglicher Versuch, mich zu verteidigen, wurde von meinem Vater im Keim erstickt. "Ach, kann die kleine Nutte nicht einmal dazu stehen, dass sie ihren Körper an irgendwelche reiche Typen verkauft?!"
Ein weiteres Mal starte ich einen Anlauf, meinen Gegenüber vom Gegenteil zu überzeugen. "Ich war nur mit einem Freund etwas essen." "Mit EINEM Freund also?! Von wie vielen lässt du dich denn gleichzeitig benutzen?!"
Die Tränen stiegen mir in die Augen und ich konnte sie gerade so wegblinzelnd. Es tat weh. Es tat so weh. Und auch wenn ich noch immer davon überzeugt war, dass mein wirklicher Vater so etwas niemals sagen könnte, war es schwer solche Wörter zu ertragen. Vorallem, wenn sie aus seinem Mund kamen.
"Du bist so ein undankbares, kleines Drecksstück. Vögelst dich durch die halbe Welt, um dein Leben zu finanzieren." Ich wollte Wiedersprechen, doch der Mann vor mir lies mich garnicht zu Wort kommen. "Irgendwo kannst du einem Leid tun. Ich meine, so dumme Gören, die nichts anderes können, sind halt zu nichts weiterem zu gebrauchen."
In Schockstarre stand ich einfach nur da. Abgesehen davon, dass ich keine Zeit bekam, um mich zu verteidigen, wusste ich auch garniert, was ich sagen sollte. "Ja, du hast schon richtig gehört. Du bist zu nichts zu gebrauchen. Es ist eine Schande, dass solche Schlampen wie du überhaupt leben dürfen."
Ich wollte das nicht hören. Ich KONNTE das nicht hören.
Mein Körper legte den Notschalter um und machte sich selbstständig. Und ausnahmsweise war ich ihm dafür äußerst dankbar.
Ehe ich mich versah, war ich zurückgewichen, bis ich den Türrahmen durchquert hatte. Ab da war alles, was ich tat, rennen. So schnell es ging, flitze ich in mein Zimmer. Das Rufen meines Vaters ignorierte ich dabei. Hauptsache, ich war endlich weg.
Kaum hatte ich die mir sicher erscheinende Schwelle meines Zimmers erreicht, verschloss ich die Tür. Erst, als ich mir sicher war, dass man den Raum nicht mehr einfach so betreten konnte, kam ich zu mir zurück.
Zittend wankte ich ein paar Schritte durch mein Zimmer, bis ich schließlich einen Meter vor meinem Bett zusammenbrach, sodass ich nun vor diesem kniete, während mein Gesicht sich in meine Decke drückte.
Mein Körper bebte. Immer wieder wurde ich von Zitterwellen überrollt, die mich nur noch stärker weinen ließen.
Warum? Warum ich? Warum gerade jetzt? Warum alles gleichzeitig? Warum nur?
Als ich mir die gesamte Panik aus den Gedanken geweint hatte, waren diese wieder frei genug, um wenigstens das Geschehene zu realisieren und verarbeiten. Und bei jedem Satz, jedem Wort, jeder Beleidigung, die mir in den Sinn kam, stellet ich erschreckenderweise fest, dass es nicht das erste Mal an diesem Tag war, dass ich solche Wörter gehört hatte.
Ich erinnerte mich an die Wut auf Jimins Vater. Wie gern ich ihm die Meinung gesagt hätte. Was für ein Arschloch er gewesen war. Und dann verglich ich ihn mit meinem Vater...
...und so unähnlich waren sich die beiden garnicht...
Geschockt von meinen Gedanken, fuhr mein Kopf in die Höhe. Wie konnte ich nur so etwas denken?!
MEIN Vater würde so etwas nie sagen! MEIN Vater war ein lieber, fürsorglicher und rücksichtsvoller Mensch. MEIN Vater war stolz auf mich und MEIN Vater liebte mich! Und daran würde sich nie etwas ändern!
Alles, was ich tun musste, war ihn davon zu überzeugen, dass ich es wert war, seine Tochter zu sein, dass ich etwas konnte, dass er einen Grund hatte, stolz auf mich zu sein. Und dann... vielleicht würde er dann auch wieder zu mir zurück kommen.
Eine kleine, klitzekleine Stimme in mir, sagte mir, wie dumm dieser Gedanke war und das ich nicht auf den Schwachsinn hören sollte, doch die lautere, größere Stimmte hatte schon längst die Oberhand übernommen. Der Ehrgeiz hatte mich gepackt.
Ja! Ich würde es schaffen!
Ich würde so viel üben und trainieren, bis mein Vater wieder stolz auf mich war!
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