Kapitel 24

Yunas Sicht:

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.

Zitternd stand ich vor der Tür, unschlüssig, ob es wirklich so eine gute Idee war, diese zu öffnen. Im Bad hatte ich mich umgezogen. Jetzt trug ich nichts weiter, als ein T-Shirt von Jimin, welches er mir gegeben hatte und meine Unterwäsche. Und wohl fühlte ich mich definitiv nicht. Da machte der Gedanken, gleich zum Teufel in die Hölle zu wandern auch nichts besser.
Mental machte ich mich schon einmal auf den gleich kommenden Kommentar seinerseits gefasst, denn bei dem was ich trug oder besser gesagt nicht trug, war ich mir sicher, dass er sich diesen nicht verkneifen konnte. Dabei konnte ich ja froh sein, dass das Oberteil schwarz war und auch bis zu meinen Oberschenkeln reichte. Ich glaube, ich war noch nie so früh über meine eher kleine Portion an Wachstumsschub in meinen Genen.

Vorsichtig legte ich meine Finger auf die Klinke, drückte gegen das Hindernis vor mir und huschte, sobald es ging durch den entstandenen Spalt. Auf der anderen Seite angekommen, analysierte ich erst einmal die sich bietende Situation, welche aus einem auf dem Bett sitzenden Jungen bestand, der seelenruhig auf sein Handy sah. Durch den kurzen Lichteinfall, der durch mein Eintreten in das ansonsten etwas abgedunkelte Zimmer gefallen war, hatte er allerdings trotzdem bemerkt, dass ich nun im Zimmer stand. Erst hob sich nur sein Blick, dann verschwand das Handy aus seiner Hand und schließlich richtete sich mein Gegenüber vollständig auf, um sich mir mit langsamen Schritten zu nähern. Es wirkte beinahe so, als koste er jeden Schritt förmlich aus während ich nicht wusste, wohin mit mir.
Ich wollte abhauen, ich wollte rennen, ich wollte weg von hier. Überall hin, nur Hauptsache raus aus diesem Raum, der mir, je länger ich hier stand, immer kleiner vorkam.

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.

Meine Entspannungstechnik wurde unterbrochen, als Jimin mir mit einem Mal direkt gegenüber stand. „Auf einmal so schüchtern?!" Schmunzelnd betrachtete er, wie ich stocksteif vor ihm stand, seinem Blick ausweichend und mit einer katastrophalen Körperhaltung, die verriet, dass ich absolut nicht hier sein wollte. Nicht in diesem Raum, nicht bei diesem Jungen und schon gar nicht in diesem Outfit.
Ich reagierte nicht auf Jimins Frage - oder war es schlichtweg eine Aussage gewesen? So ganz lies sich das nicht bei ihm heraushören. Wobei im Zweifel mein Schweigen Antwort genug seien sollte.
„Wo ist denn mein kleines, starkes Mädchen hin?" Ich war mir nicht sicher, ob der Satz eine direkte Anknüpfung an der vorherigen darstellen sollte oder einfach eine neue Provokation war, die mich zum reden bringen sollte. Es machte prinzipiell aber auch keinen Unterschied, da ich es nicht wagte, den Mund auf zu machen. Und das lag nicht nur an dem durchdringenden Blick, der meine Zunge schwer wie Blei anfühlen lies. Denn auch, wenn Jimin momentan noch äußerst spielerisch klang, kannte ich den Jungen mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sich dies in Sekundenschnelle ändern konnte.

"Du bist wunderschön, meine Kleine." Ohne zu Zögern haute ich auf die Bremse meiner Gedankenbahn, die daraufhin mit einem Quietschen zum Stehen kam. Der Themenwechsel und die damit verbundene neue Stimmung kam plötzlicher, als erwartet. Mit einem mal war alles so ruhig. Nicht von der Lautstärke. Es waren die provokanten Spannungen, die beim Silberhaarigen nachließen, um dann mit voller Wucht auf mich überzugehen, als Jimin mir auf einmal eine Strähne aus dem Gesicht strich, während ich seine andere Hand an meinem Rücken spüren konnte. Nicht damit rechnend zuckte ich kurz zusammen, was meinen Gegenüber dazu veranlasste, mich ein Stückchen zu sich zu drücken.
"Shhht. Alles gut", wollte mich mein Freund mich beruhigen, wobei seine darauffolgenden Handlungen eher das Gegenteil bewirkten. Nachdem er mir einen leichten Kuss auf die Stirn aufgedrückt hatte, wanderte seine rechte Hand, von meinen Haaren herunter zu meinem Kinn, welches er leicht anhob, bevor er seine Lippen auf meine legte. Ich mochte es nicht, wie er mich berührte, wie er seine Lippen bewegte, um meine zu animieren, mit zu machen. Aber ich wollte nicht mitmachen. Und doch tat ich nichts. Ich erwiderte nicht, ich ging nicht auf den Kuss ein. Jedoch stoppte ich ihn genau so wenig. Stattdessen versuchte ich es so gut, wie möglich zu ignorieren. Ich versuchte zu ignorieren, wie er immer fordernder wurde, wie er ganz offensichtlich deutlich machte, dass er mehr wollte. Ich blendete es einfach aus, den Gedanken im Hinterkopf behaltend, dieses Speichelaustausch möglichst schnell hinter mich zubringen.
Zunächst funktionierte meine Taktik. Alles, was ich tun musste, war dastehen und hoffen, dass es bald vorbei seien würde. Doch als ich mit einem Mal spürte, wie beide seiner Hände meinen Körper herunter wanderten, bis sie schließlich langsam unter das T-Shiert krochen, warf ich meine Prinzipien über Board. Geschockt von dem, was der Silberhaarige ganz offensichtlich vorhatte, öffnete ich meine Augen. Einen Kuss konnte ich tolerieren. Bei einem Kuss konnte ich die Augen schließen und mich auf etwas anderes konzentrieren. Aber mit jedem Schritt weiter wurden bei mir Grenzen überschritten, die Jimin nicht zu überschreiten hatte. Ich wollte nicht, dass mich der Silberhaarige an diesen Stellen berührte. Ich wollte seine Finger nicht an meinem Rücken spüren. Nicht unter meinem T-Shirt, nicht auf meiner bloßen Haut.
Die Hände wanderten weiter. Eine nach oben, die andere nach unten. Und dann... dann war auf einmal alles vorbei. Ich hatte es beendet, ich hatte verhindert, dass Jimin noch weitere Grenzen überschreiten konnte, ich hatte ihn von mir gestoßen. Es war nicht so, dass nun Welten zwischen uns lagen - uns trennten höchstens ein, zwei Meter - aber er hatte mich losgelassen. Seine Hände waren von meinem Körper gerutscht, meine Lippen wurden nicht mehr von seinen beschlagnahmt.

Einen kurzen Moment sahen wir uns einfach nur an. Der Schock war mir vermutlich ins Gesicht geschrieben und auch mein stark verlangsamtes, sachtes Kopfschütteln sprach für sich. Genauso, wie Jimins Gesichtszüge. Wie erwartet, hatten sich nicht nur diese, sondern auch seine gesamte Körperhaltung deutlich angespannt. Er hatte nicht vorgehabt, aufzuhören oder sein Handeln zu unterbrechen. Und auch, als er wenig später mit schnellen Schritten auf mich zukam, glaubte ich nicht daran, dass er so weinfach beenden würde, was er angefangen hatte.
Mein Körper reagierte schneller, als mein Verstand. Rückwärts. Einfach nur Rückwärts. Ehe ich mich versah, stand ich mit dem Rücken an der Wand. Aber auch diese Position hielt nicht sonderlich lange an. Kaum schnitten mir die muskulösen Arme des Älteren die Wege nach rechts und links ab zuckte ich stark zusammen, drehte mich leicht seitlich und verdeckte mein Gesicht mit meinen Armen. Es würde nichts bringen, dem war ich mir bewusst. Und doch vertraute ich auf den Schutzinstinkt meines Körpers.

"Ach Kleines, warum tust dus dir es so schwer?" Seine Stimme war nah; zu nah. Ich konnte seinen Atem an meinem zu ihm gewandten, linken Ohr spüren. "Bitte nicht", war alles, was ich flüstern konnte. Und flüsterten war noch nett gesagt, piepsen traf es wohl eher. Ich wollte das alles hier nicht. Ich wollte nicht als Jimins Freundin angesehen werden, ich wollte ihn nicht küssen müssen, ich wollte nicht hier sein und ich wollte erst recht nicht bei ihm schlafen. Aber mein erstes Mal - und da setzte die Panik ein - war das letzte, was ich hier, heute, an diesen Jungen verlieren wollte. Es sollte doch ein schöner Moment sein, mit jemanden, den ich liebte.
Das war Jimin allerdings sichtlich egal. Anstatt von mir abzulassen, legte er seine Hände an meine Arme und entferne diese erst sachte, dann energischer von meinem Gesicht, sodass er nun wieder freie Sicht auf dieses hätte, würde ich nicht immer noch schräg nach unten schauen. Seine Hände hatten meine Arme losgelassen, was allerdings nicht bedeutet, dass wir keinen Körperkontakt mehr hatten. Nun ruhten beide wieder locker an meiner Hüfte.

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.

"Schau mich an, Baby." Ich bewegte mich kein Stück. Vermutlich war das nicht gerade das schlauste, angesichts meiner momentanen Situation, doch ich konnte es einfach nicht. Ich konnte ihm nicht auch noch in die Augen schauen.
Als Jimin merkte, dass seine Worte nichts bewirkten, entfernte er eine Hand von meiner Seite und führte sie zu meinem Kinn. Er musste garnicht viel Kraft aufwenden, um dieses zu drehen, da mich meine eigene verlassen hatte. Und schließlich sah ich ihm doch ins Gesicht. Schon wieder war das passiert, was ich nicht gewollte hatte.
Jimin hatte sich nicht von mir entfernt, keinen Zentimeter. Noch immer war er mir so unglaublich nah, dass ich bei jedem Atemzug glaubte, diesen auf meiner Haut spüren zu können. „Glaub mir, Kleines, ich werde dich heute Nacht ganz zu meinem machen, egal, ob du das willst oder nicht. Aber du entscheidest, wie wir das machen. Du kannst dich ruhig weiter so zieren, dass ändert nichts an dem, was ich mit dir anstellen werde. Oder aber, du lässt dich auf alles ein und genießt es einfach. Die Entscheidung liegt ganz aber dir, aber glaub mir, ich finde es auch angenehmer, wenn ich dich nicht zu alldem zwingen muss."

Stille. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Ähnlich, wie im Schulflur musste ich sein Gesagtes erst einmal verdauen. Erneut konnte ich nicht glauben, was ich da gehört hatte und es überforderte mich in jeder Hinsicht, dass der Größere das alles mit so einer ruhigen Ernsthaftigkeit sagen konnte, als sprächen wir über eine schlecht gelaufene Klausur. Doch das taten wir nicht. Und so sah ich den Silberhaarigen einfach stumm an.
Sollte ich mich weiter wehren und versuchen, hier raus zu kommen? Nicht nur aus dieser Situation, sondern aus dem Zimmer, aus der Wohnung, einfach raus. Oder sollte ich drauf eingehen?
Wie hoch war den meine Chance, dass ich aus dem Mist hier heraus kam? Und wie groß war das Risiko, mit dem ich dabei spielte? Würde ich meine Entscheidung später bereuen?

Ich zögerte. Lange. Es gab keine perfekte Lösung. Man konnte die Lösungen vermutlich nicht einmal gut nennen. Und auch wenn ich mich weigerte, es zu akzeptieren, wusste ich schon längst, für was ich mich entschieden hatte.
Ich sprach es nicht aus. Alles, was ich tat, war mich leicht nach vorne zu lehnen und somit den letzten Abstand zwischen uns zu überbrücken. Es war ein zögerlicher, vorsichtiger Kuss, aber er reichte, dass Jimin erkannte, wofür ich mich entschieden hatte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top