》24.《

Seit einer gefühlten Ewigkeit hocken wir hier alle am Boden und müssen die abrasierten Haare aufsammeln, per Hand.

Der Chief hat Luke mit in sein Büro genommen und kam ein paar Minuten später mit einer aufgeplatzten Lippe, einer blutigen Nase und einem angeschwollenem Auge zu uns, um uns zu helfen. 

Bis jetzt hat er noch kein Wort über das verloren, was passiert ist und bückt sich stumm, um die Haare in den dafür vorgesehenen Eimer zu legen.

,,Ich werde von hier abhauen! Ich hab kein Bock mehr! Dieses Arschloch kann uns hier doch nicht festhalten!", schmeißt Luke plötzlich in die Runde. 

Mein Blick schießt zu ihm, als er die Worte ausgesprochen hat und ich bin nicht der Einzige der so entsetzt reagiert, weil jetzt wirklich jeder ihn ansieht. Tristan, der Junge mit dem Luke hier angekommen ist, hat seinen Mund vor Unglauben leicht geöffnet.

Ich reagiere so überrascht, weil ich nicht glaube, dass er es durchziehen wird. Es ist eine Sache es zu wollen, aber es wirklich zu tun...

Ich kann Luke auf jeden Fall verstehen und ich will auch hier raus- nichts lieber als das- , deswegen habe ich nicht so reagiert, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Die Aufseher und der Chief werden besonders auf Luke achten, nachdem was er heute abgezogen hat.

Ich glaube, dass aus Luke nur der Hass und die Wut auf den Chief spricht und nicht der wirkliche Wille hier raus zu wollen. Er ist noch nicht zu lange hier und die kurzzeitigen starken Emotionen drängen ihn dazu zu fliehen. Am Ende des Tages wird er es doch nicht tun, weil er nicht dafür gemacht ist hart durchzugreifen, etwas durchzuziehen und die Konsequenzen dafür zu tragen. Ich glaube, dass Luke oft aus seinen Launen heraus entscheidet.

Ich bin zwar still und mische mich nicht gerne ein, aber ich habe eine sehr gutes Beobachtungsvermögen, das erlaubt es mir Menschen sehr gut zu durchschauen und zu verstehen.

,,Ist das dein ernst?", gibt Jake als erstes von sich.

,,Ja, wieso nicht? Ich bin bestimmt nicht der Erste der das macht."

,,Stimmt. Du bist nicht der erste. Du wärst dann einer von vielen  der er es nicht schafft. Du wirst es bereuen.", mischt sich Lewis ein und gibt das wieder, was er mir vor meiner Flucht auch versucht hat einzureden.

,,Vertraut mir! Ich überlege mir etwas und dann bin ich in null komma nichts hier verschwunden. Bleibt mal locker und lasst das meine Sorge sein!", sagt Luke und macht eine wegwerfende Handbewegung.

,,Hör auf das so locker zu sehen. Wenn die dich erwischen, dann...", Jake lässt nicht locker.

,,Dann was?", Lukes selbstsichere Fassade bröckelt, aber dennoch schafft er es die Worte ziemlich gefasst rüberzubringen, als würde er genau wissen was er tut.

,,Dann bist du sowas von am Arsch!", beendet Jake seinen Satz.

,,Woher willst du das wissen?", Luke hält scheinbar noch an seiner waghalsigen Idee fest, aber dennoch bin ich überzeugt, dass er schon jetzt von seinem möglichen Fluchtversuch absieht.

Zu viel Angst kontrolliert Luke, zu viele Emotionen hat er nicht unter Kontrolle und ich glaube, dass ist auch der Grund für seine Ausraster. Seine Aggressionen kommen daher, dass er seine Angst in bestimmen Situationen nicht in Zaum halten kann und aus der Angst heraus so reagiert, wie er immer reagiert. Aggressiv.

,,Frag Jaden!", gibt Connor auf einmal von sich.

Alle Blicke richten sich auf mich. Ich hatte mir das Gespräch angehört und ich konnte Luke absolut verstehen. Genauso habe ich mich auch gefühlt. Ich sehe Luke an, sage aber nichts. Was soll ich bitte sagen? Ja ich bin abgehauen, habe mich aber auf erbärmliche Art und Weise wieder hier einsperren lassen. Es kratzt an meinem Ego, dass ich  wieder hierher geschleppt und erniedrigt wurde und es nicht geschafft habe zu entkommen.

,,Du wolltest von hier abhauen?", fragt Luke sichtlich überrascht.

,,Er wollte nicht nur, er hat es sogar hier raus geschafft.", ein bisschen Stolz schwenkt in Connors Stimme mit, als würde er damit prahlen, dass ich es geschafft habe, mich einen oder zwei Kilometer vom Camp zu entfernen.

Ich stoße einen Seufzer aus, doch bevor ich irgendetwas erwidern konnte, meldet Luke sich wieder zu Wort.

,,Naja besonders erfolgreich warst du ja nicht, wie man sieht.", entgegnet ihm Luke und zieht dabei eine Augenbraue spöttisch nach oben.

Ich war immer jemand, der den Streit gesucht hat. Mit Gewalt konnte ich eigentlich immer alles lösen und ich kannte es nicht anders, als den Status und den Einfluss ständig unter Beweis zu stellen. Wenn mich jemand blöd angemacht hat, dann tat er das nur einmal, denn danach hat er sich nicht nochmal getraut, mich auch nur komisch anzugucken.

Aber durch die Zeit in dem Camp hatte ich durch die etlichen schlaflosen Nächten mein Leben reflektiert und erkannt, dass ich so ziemlich alles verbockt habe in meinem Leben.

Die Schuld daran liegt nicht ausschließlich bei mir. Meine Kindheit hat mich geprägt und zu dem geformt, der ich vor dem Camp war und das Camp hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin und wird mich wahrscheinlich durch die restliche Zeit, die ich hier bin, weiter prägen. 

Mein Leben habe ich so falsch gelebt, wie man es nur falsch leben kann und habe mich mit Gewalt durch alles durchgeboxt, aber hier drin zählt nicht, wer man draußen war. Wie reich man ist, was für einen Status man hat, wie bekannt man ist.

In dem Camp sind alle gleich. Alle stehen auf der Rangliste ganz unten. Deswegen wird es mir nichts bringen, wenn ich mich mit Luke prügele und ihm eine verpasse. Wir sitzen hier fest und sollten unsere Zeit hier nicht noch schwerer machen.

,,Halt deine Klappe Luke. Lass es sein und mach dich nicht unnötig lächerlich.", zische ich ihn an.

Damit wende ich mich ab und beginne wieder die Haarbüschel aufzusammeln. Auch die anderen Jungs fangen wieder mit der Arbeit an.

Lewis kniet sich neben mich hin und guckt mich von der Seite an.

,,Er wird es eh nicht durchziehen, hab ich recht?" , fragt mich Lewis mit Belustigung in seiner Stimme.

,,Auf keinen Fall. Hast du sein Gesicht gesehen, als der Chief nur auf ihn zu kam? Dafür hat Luke keine Eier in der Hose.", antworte ich ihm und sehe ihn kurz mit einem Grinsen an, bevor ich wieder mein teilnahmsloses Gesicht aufsetze.

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