Im Krankenhaus
John blinzelte. Um ihn herum war es weiß. War er tot? Er selbst war auch in weiß gekleidet, eine Art weißer Kittel mit....schwarzen Punkten??
Nein, er fühlte ein unangenehmes Pulsieren im Oberarm...und wachte endgültig auf. Er lag in einem Krankenbett. Um ihn herum schwirrte der typische Krankenhausflair, es roch nach Desinfektionsmittel, frischem Bettbezug und Medikamenten. John betätigte den Knopf an seinem Bett, wodurch das Kopfteil nach oben fuhr und er sich fast sitzend im Bett befand.
„Na, endlich wach?“, stöhnte eine Stimme links von ihm. Sherlock lag – ebenfalls sitzliegend – im Bett daneben. Er war wohl auch eben erst aufgewacht und bediente sich noch des Morphins. Seine Augen glänzten matt, seine Arme lagen erschlafft neben ihm, er hatte viele kleine Schrammen; der sonst so vor Energie nur so sprühende Detektiv war in seiner Drogenwelt verschwunden. Aus der er – zugegebenermaßen – gerade auftauchte. Sherlock dosierte das Morphin ein wenig herunter.
„Du lebst noch, John“, krächzte er und wandte den Kopf so, dass er John anschaute. „Wie schön.“
„Was...was ist passiert, Sherlock? Ich wollte dein Paket holen, da hat Moriarty -“ Auf einmal dämmerte es John. „Du wusstest es! Du wusstest, dass Moriarty mich irgendwie...warum hast du mir das angetan? Ich dachte, nach der Sache in Baskerville tust du mir so etwas nie wieder an!“ Er erinnerte sich wieder schaudernd daran, wie er dachte, dass er mit diesem grauenhaften Hund in einem Labor eingeschlossen war. Beim Gedanken daran, dass Sherlock feixend irgendwo in Sicherheit gesessen und ihn beobachtet hatte, wurde er wieder wütend.
„Ich....John. Ich musste Moriarty irgendwie überlisten, und du hättest mich – beziehungsweise uns – wahrscheinlich verraten. Also habe ich vorgetäuscht, dich allein in der Wohnung zu lassen, um -“
„Du hast es nicht vorgetäuscht. Du hast mich wirklich allein gelassen.“
„Nein, hab ich nicht.“
„Hast du wohl.“
„Hab ich nicht.“
„Hast du wohl und das weißt du auch, Sherlock.“
Der Detektiv seufzte. „Jedenfalls...ich verfolgte Moriarty bis zum Fuß des London Eye und sah, wie er in eine der Gondeln stieg. Er trug dich über der Schulter und-“
„Er trug mich über..?!“, rief John erbost, um gleich darauf „Aua, verflixt“, zu fluchen, da sein Körper derartige Anstrengungen noch nicht mitmachte. Beim Gedanken daran, dass Moriarty ihn wie einen Sack Kartoffeln über der Schulter getragen hatte, lief es ihm eiskalt den Rücken runter und ihm wurde übel. Sherlock nickte.
„Ja, über der Schulter. Und ich wäre dankbar, wenn du mich nicht ständig unterbrechen würdest, John.“, sagte der Detektiv in seinem arroganten Tonfall, den er immer anschlug, wenn er seinen Gegenüber gerade unausstehlich fand.
„Ich folgte Moriarty unauffällig und hielt mich unter der Gondel fest, damit ich im richtigen Moment reinkommen konnte. Vorher schaltete ich noch den Sicherheitsmechanismus aus, durch den sich die Türen nicht öffnen lassen. Ich musste natürlich vorsichtig sein wegen Moriartys Männern, aber da Moriarty wollte, dass ich dich rette, drohte keine Gefahr, erschossen zu werden. Ich harrte dort aus, bis ich mir sicher war, dass du wach warst. Dann öffnete ich die Tür der Gondel und den Rest kennst du ja.“
John seufzte. „Sherlock, ich stand unter dem Einfluss irgendeines Gifts. Ich habe kaum noch Erinnerungen..“
„Na schön. Ich lenkte Moriarty ab, um die Bombe aktivieren zu können und im letzten Moment, bevor sie explodiert, mit dir herauszuspringen.“ Sherlock lächelte überheblich, wie immer, wenn er glaubte, eine Meisterleistung vollbracht zu haben.
„War das nicht brillant?“
„Ja, ganz fantastisch, Sherlock. Aber wie...ich meine..wie sind wir von der Themse ins Krankenhaus gekommen? Du warst doch auch schon verletzt, immerhin sind wir von hoch oben ins Wasser gestürzt und außerdem wärst du ohne Verletzung kaum an Morphin gekommen -“
Da dämmerte es dem Doktor. „Sherlock, du...du hast nicht wirklich eine schlimme Verletzung vorgetäuscht, um an Morphin zu kommen?!“
Sherlock zögerte kurz, entschied sich jedoch, dieses kleine Geheimnis für sich zu behalten, und nickte. „Ja, habe ich. Kleine Opfer muss man bringen.“ Er lächelte.
John lehnte sich nur stöhnend in sein Kissen zurück und schloss die Augen. „Was für ein Opfer du gebracht hast, wirklich großartig, Sherlock.“ Aber insgeheim freute er sich und war gerührt, dass Sherlock ihn ein zweites Mal gerettet hatte, obwohl er ihn ja erst in Gefahr gebracht hatte.
Der Detektiv dachte an den Sprung vom London Eye und fuhr über seine Verletzung, dort, wo ein spitzer Fels, der unter Wasser war, seine Schulter getroffen hatte. Eine Narbe würde bleiben, eine Kriegsverletzung. Aber das war es ihm wert. Er war extra so gesprungen, dass John so gering wie möglich verletzt werden würde. Doch das würde er John nie sagen, genauso wenig wie das waghalsige Ende seiner Rettung: Er war mit dem bewusstlosen John und einer stark blutenden Schulter noch bis zum nächsten Ausstieg aus der Themse geschwommen, hatte John – über der Schulter getragen – bis zum nächstgelegenen Krankenhaus geschleppt und war dann in der Eingangshalle zusammengebrochen.
Sherlock lächelte sein schönes Lächeln, sein ganz natürliches, ohne jegliche Arroganz oder Spott. Sein ganz spezielles Sherlock – Lächeln, das er nur machte, wenn er ganz alleine war oder für Menschen, denen er vertrauen konnte, die er mochte und die ihn mochten, so wie er war. Wie John.
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