Viertes Kapitel...
...in dem eine Frau von ihren Fehlern berichtet und die Hölle losbricht
{Soundtrack: Hans Zimmer - Is it Poison, Nanny? aus dem Sherlock Holmes OST
https://youtu.be/jXEeG-U4mlI
und Hans Zimmer - A Family Affair aus dem PotC: Dead Man's Chest Soundtrack.
https://youtu.be/chWrhd4IlO8
Letzteren starten, sobald die ersten Schüsse erklingen.
Außerdem Sindrak in Full Hex Mode.}
~
Mir war, als könnte ich die Banshee sehen, jedes Mal, wenn mein Blick an Valentina vorbei strich, statt sie direkt anzusehen. Der rauchige, schemenhafte Schatten eines schlanken Drachen, dunkelgrau mit rötlich schwarzen Flecken, wie getrocknete Blutspritzer, schien um sie herumzuschleichen wie der Nebel von Oscravelle, groß wie ein Pferd, doch mit schwarz schimmernden Zähnen, so lang und scharf wie Dolche. Die riesigen Flügel zuckten, die schwarze Mähne wallte um ihren mit Hörnern bewehrten Kopf, als wäre sie unter Wasser. Ihre Augen waren blicklos, kein Funken Schwarz darin, doch mit einem Schimmer, der mir durch Mark und Bein ging, wenn ihr Blick meinen traf. Dünne Schnüre mit vereinzelten Perlen daran wickelten sich um ihren Schwanz und die Knöcheln ihrer Klauen, so lang wie der Unterarm eines Kindes. Schwere, eiserne Laternen hingen zwischen den Perlen und in ihrer Mähne, schienen ebenso schwerelos wie ihre Haare zu schweben. Der orangefarbene Schein, den sie verströmten, flackerte wie ein Irrlicht, lockend und bedrohlich zugleich. Valentina konnte sie spüren, erkannte ich. Ihre Finger bewegten sich, als wollte sie einen Windzug prüfen, und ich sah aus dem Augenwinkel, wie die Mähne der Banshee ihre Hand streifte und sie danach tastete.
Sie betrat das blaue Zelt mit den violetten und silbernen Stickereien, in das noch am Morgen die blonde Reiterin gegangen war, und ließ sich auf dem breiten Bett nieder. Bunte Decken und Felle verbargen die weiche Matratze, in der sie zu versinken schien. Die bemalten Kisten, die ich schon zuvor hinter der Bühne gesehen hatte, standen auch hier, manche geschlossen und gesichert mit dicken, altmodischen Vorhängeschlössern, andere standen offen. Kleidung, Alltagsgegenstände, Schminkutensilien und Bücher quollen heraus. Eine, die als eine Art Kommode zu dienen schien, war übersät mit Kräuterbeuteln und kleinen Tiegeln.
Valentina nahm einen der Beutel und rollte sich eine dünne Zigarette. „Nun, Master Herrera, warum sind Sie hier?"
„Ich habe gehört, was geschehen ist. Dass Sie die Banshee beschworen haben", sagte ich vorsichtig und ließ mich auf ihr Zeichen hin auf einer der Kisten nieder. Alderberry tat es mir gleich.
Sie entzündete die Zigarette an einer Kerze, die zusammen mit einigen Gaslaternen das Zelt mit ihrem schummrigen Licht erfüllten, und als sie den Arm ausstreckte, fiel mir eine Tätowierung an ihrem Unterarm ins Auge. Die letzten Reste der Schminke um Valentinas Augen ließen sie wie in Seen aus Schwärze schwimmen. Langsam atmete sie aus, der Rauch verbarg kurz ihr Gesicht, und ich konnte erahnen, was die Zuschauer sahen, wenn Madame Belladonna die Dämonen beschwor. „Aye."
„Können Sie mir vielleicht sagen, wie das geschehen ist?" Bei allen Unheiligen, ich hörte mich tatsächlich an wie einer vom Geheimdienst. Alderberry schien meine Gedanken lesen zu können. Sein skeptischer Blick wich kaum von mir. Doch ich wollte mich vergewissern, dass sie es tatsächlich war, bevor ich die Falsche zurück nach Cloudfall brachte. Ich konnte mir vorstellen, dass Lord Russell mich für jeden Fehler büßen lassen würde.
Sie zog erneut an ihrer Zigarette und warf ihrem Vater einen hastigen Blick zu. Er nickte ihr zu. „Sie wissen sicher, dass ich während jeder Vorstellung Dämonen beschwöre." Sie zog eine Grimasse, als schmerze es sie, Bühnengeheimnisse zu verraten. „Es ist ein Ritual. Man muss eine Formel sprechen und ein Opfer darbringen. Natürlich gibt es noch ein paar andere Dinge, die man beachten muss, ein paar Kräuter, die man verbrennen muss, einen gewissen", sie zog erneut an der Zigarette, „Geisteszustand." Sie sah mich unter schweren Lidern an. „So, wie Sie riechen, kennen Sie diesen Zustand sehr gut."
Ich grinste schief, und hoffte, nicht allzu sehr nach Gin zu stinken. Doch wenn selbst ein Mensch es erahnen konnte, war es wohl stärker, als ich es selbst bemerkte. „Volltrunkenheit ist wichtig, wenn man einen Dämon beschwören will?"
„Man muss offen sein für die Welt der Geister. Und das kann man nicht, wenn man ganz bei Bewusstsein ist. Ich betrinke mich nur ungern für die Vorstellungen, es dauert zu lange." Ihr Blick flackerte zu den Kräutern auf der Kommode. „Ich ziehe andere Wege vor."
Jemand schlug die Tücher beiseite, die den Eingang des Zeltes verdeckte, und die blonde Reiterin trat herein, die Haare zu einem unordentlichen Knoten zusammengebunden. Sie sah mich argwöhnisch an und nickte Alderberry zu. Wortlos ging sie an uns vorbei und warf sich neben Valentina aufs Bett, küsste sie sanft und verschränkte wie selbstverständlich die Finger in ihren. Valentinas Augen leuchteten kurz auf und ein erleichtertes Lächeln spielte um ihre vollen Lippen.
Ich blickte sie fragend an.
„Ibra darf hören, was wir zu besprechen haben. Ich vertraue ihr." Valentina schnippte etwas Asche in eine silberne Schale. „Für das Opfer reicht normalerweise ein Tropfen Blut von einem Tier, für einen niederen Geist. Für die Aufführungen töte ich ein Huhn. Es reicht für sechs niedere Dämonen und, ich muss gestehen, es ist dramatischer." Sie lächelte träge. „Nun, vor ein paar Tagen besuchte ich mit Ibra die Stadt, und sie kaufte in einem Laden ein Amulett." Sie zog eine kleine Laterne aus Eisen an einem Lederband aus ihrem Ausschnitt, kaum größer als ein kleiner Finger. Schwarze Perlen rahmten den Anhänger ein. „Die Verkäuferin sagte, es würde vor dem Zorn der Banshee schützen. Es würde sie davon abhalten, unsere Seelen in den Abgrund zu locken." Sie blickte mich fest an. „Ich weiß nicht, was Sie glauben. Aber wir, die Canwy Roch, glauben daran. Wir glauben an den König Schellen, der uns den Tanz und die Magie brachte, der sein Augenlicht für die Wahre Sicht gab, und wir glauben an die Banshee, die uns mit ihren Schreien den Tod bringen will. Sie ist die Herrin der Finstersten Schatten und die Königin der Lockenden Laternen."
Ich sah zur Seite und schielte aus dem Augenwinkel zu ihr. Wie ein lauernder Raubvogel schwebte die Banshee über ihr. Ob sie sie schützen wollte oder wartete, bis sie einen Fehler machte, konnte ich nicht sagen. Doch die Drachengöttin schauderte wohlig, als Valentina ihren Namen sagte.
„Deswegen glaubte ich auch, dass das Amulett mich schützen würde. Ibra kaufte es und bestand darauf, dass ich es immer trage, damit ich den Versuchungen der Dämonen, die ich beschwöre, widerstehen kann." Ibra drückte ihre Hand und legte ihr den Kopf auf die Schulter. „An jenem Abend war Machaul. Das Fest der fallenden Sonne. Ich wollte mehr Dämonen beschwören. Ich wusste, es waren viele andere Roch dort, und wir wollten ihnen beweisen, wer wir sind. Doch ich machte einen Fehler. Ich schnitt mir in die Hand, weil die Ziege, die ich töten sollte, zu sehr zappelte. Dann sprach ich die Worte des Rituals und wischte das Blut an meinen Händen, das der Ziege und mein eigenes, auf meine Haut." Sie fuhr mit der flachen Hand von ihrem Mund hinab bis zu ihrem Bauchnabel. „Dabei muss mein Blut das Amulett gestreift haben, denn statt der acht Dämonen, die ich beschwören wollte, erschien die Banshee. Ihr Name kommt in der Formel oft vor. Ich bitte sie, ihre Diener zu mir zu schicken, damit sie mir so dienen wie einst ihr." Valentina zog ein letztes Mal an der Zigarette. „Dann war sie da. Mitten in der Manege. Die Fürstin der Schwarzen Geister. Ich wusste kaum, was ich tun sollte, doch ich wollte die anderen Familien beeindrucken. Ich ließ die Banshee für mich tanzen, so wie ich es immer mit den anderen Dämonen tue, während sie mir wie aus weiter Ferne Versprechen ins Ohr flüsterte. Und sie versprach mir, alles für mich zu tun. Ich musste ihr nur einen Tod im Gegenzug geben."
„Der Bühnenarbeiter", murmelte ich fasziniert. Es war wahr. Alles, was die Männer in der Taverne verraten hatten, war wahr.
„Aye. Ich spielte ein wenig mit ihr, bis meine Zeit abgelaufen war, und wollte sie dann entlassen, wie ich es immer mit den Dämonen tat. Doch sie behauptete, sie müsste ein Leben nehmen, für das, was ich genommen hatte. Sie strebte auf die Zuschauer zu, und alles, woran ich denken konnte, war, dass es keinen Toten im Publikum geben durfte. Niemand würde je wieder in Alderberrys Zirkus gehen. Es wäre unser Untergang." Valentina drückte mit zitternden Händen die Zigarette aus. „Sie hörte mich und tötete den erstbesten, den sie hinter der Bühne fand. Seth, einen entfernten Cousin von mir, der die Kurbel für die Vorhänge betätigte. Ihr Schrei ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, und ich fühlte mich plötzlich, als ob sie all meine Kraft mit sich genommen hatte. Doch das Publikum schien es für einen Trick zu halten, und sie applaudierten, obwohl hinter der Bühne Seths Kehle von ihren Klauen zerrissen worden war."
Ich schwieg und sammelte meine Gedanken. „Warum konnten Sie sie danach nicht entlassen?"
Valentina zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Niemand weiß, wie. Wir haben eine der Weisen aufgesucht, doch sie wusste es ebenfalls nicht. Ich kann auch keine anderen Dämonen beschwören, als fürchteten sie ihre Königin bei mir. Wir wollten nicht, dass ich jedes Mal, wenn ich die Dämonen der Madame Belladonna tanzen lasse, jemand stirbt, deswegen trete ich nur noch als Gwynns Zielscheibe auf."
„Schon einmal daran gedacht, was passiert, wenn Sie das Amulett abnehmen?", fragte ich.
Ibra stieß einen empörten Laut aus. „Sie würde sterben", sagte sie eisig. „Es ist das einzige, was sie vor der Banshee schützt."
Valentina nickte und blickte mir in die Augen. „Und jetzt sagen Sie, warum Sie wirklich hier sind. Sie sehen nicht aus wie die, die zuletzt versucht haben, mir etwas anzutun."
„Andere haben Sie aufgesucht?", hakte ich nach. „Wer?"
„Sie trugen Uniformen, mit den verschiedensten Wappen darauf. Wir wehrten sie stets ab. Einmal habe ich sogar die Banshee losgelassen." Valentina schauderte und griff nach ihrem Kräuterbeutel. Ibra zog ihren schweren, roten Brokatmantel aus und legte ihn ihr über die Schultern. „Ich habe selten so schrecklich zugerichtete Tote gesehen."
Ich meinte, die Banshee lachen zu hören, ein Geräusch wie ein fernes Feuerwerk, schrill und donnernd zugleich. Es ließ mir die Haare zu Berge stehen.
„Wer hat Sie geschickt?", hakte Speke Alderberry nach.
Ich seufzte tief. „Sie haben wohl gesehen, welches Interesse die Mächtigen an Ihnen haben. Viele glauben, dass sie die Macht der Banshee uneingeschränkt nutzen können. Einer von ihnen ist Lord Russell von Cloudfall. Er hat mich geschickt."
Alderberry verschränkte die Arme vor der Brust, seine Hand unter dem gestreiften Jackett. „Wenn Sie meine Tochter mit sich nehmen wollen, werden Sie um sie kämpfen müssen. Es mag sein, dass Sie mit diesem Ding auf Ihrem Rücken stark genug sind, um mich und ein paar andere zu töten, doch gegen die Banshee kommen Sie nicht an."
Das Hex zischte, als wollte es ihm beweisen, dass ich es sehr wohl konnte. „Ich will nicht um sie kämpfen, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Ich will niemanden töten." Bei allen Unheiligen, ich wollte nur trinken, mich erinnern und genug Geld verdienen, um ein halbwegs anständiges Leben zu führen. Und ich wollte von Lord Russell los. Der Mann war mir zu zwielichtig, als dass er einen guten Auftraggeber abgegeben hätte.
„Und ich werde meine Familie nicht verlassen, nur weil ein Lord mich darum bittet." Valentina schlüpfte in den Mantel, zündete sich ihre nächste Zigarette an und umklammerte Ibras Finger. „Die Macht der Banshee ist nichts, was man unterschätzen sollte."
Ich fluchte innerlich und rieb über den Stein auf meinem rechten Handrücken. Er schickte perlende Stromschläge durch meine Finger, und ich überlegte kurz, ob es das Chaos und den Tod wert war, wenn ich das Hex aktivierte und mich mit all meiner Kraft durch Oscravelle schlug. Ich könnte Valentina betäuben und sie vor Russells Krähenfüße zerren. Er hatte nie den Zustand erwähnt, in dem ich sie abliefern sollte.
Ein Knall riss mich aus meinen Überlegungen, dann ein weiterer. Schreie erhoben sich, ein Pferd wieherte. Ich zuckte zusammen, das Hex fauchte auf, und Alderberry stand plötzlich vor mir und hielt mir den Lauf des Revolvers an die Stirn.
„Sind das Ihre Männer? Kommen sie, um Valentina zu holen?", wollte er wissen.
„Nein", antwortete ich, so fest ich konnte. „Ich bin allein hier."
„Sehr unglaubwürdig, wenn sie eine Göttin bezwingen wollten", schnarrte er und drückte das Metall tiefer in mein Fell.
„Ich schwöre bei allen Unheiligen, dass ich nichts mit denen dort draußen zu tun habe!", schrie ich.
Ibra war vom Bett gesprungen und lugte durch einen Spalt in der Zeltplane. „Sie tragen schwarze Uniformen. Zib, Mare und Gwynn versuchen sie aufzuhalten..." Sie fluchte und ließ die Zeltplane zufallen. Wie aus dem Nichts zog sie ein Messer und hielt es mir an die Kehle. „Beweisen Sie, dass sie nichts mit denen zu tun haben", zischte sie, trat zu einer der der verschlossenen Kisten und öffnete sie. Unwirsch warf sie einen Rock beiseite. Gewehre, Messer und Revolver kamen zum Vorschein, und sie zog eine doppelläufige Flinte hervor. Fest richtete sie sie auf mich. „Zeigen Sie es mir!"
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Valentina mit der rechten Hand in den weiten linken Ärmel von Ibras Mantel fuhr und über ihren Unterarm strich. Ich zweifelte nicht daran, dass sie ebenfalls eine Waffe dort verbarg.
Töten war wie trinken. Eigentlich war es etwas schlechtes, etwas, was zu nichts Gutem führte, und eigentlich mochte ich es nicht. Und doch tat ich es immer wieder, und bemerkte zuweilen, dass ich sogar Spaß daran hatte. Wenn man es einmal getan hatte, wurde man es nie wieder los.
Ich fluchte und linste durch den Spalt in der Zeltplane. Menschen, Anima und andere Wesen gingen mit Pistolen und Gewehren auf die Canwy Roch los, irgendwo hörte ich das charakteristische Flackern eines repetierenden Gewehrs. Der Messerwerfer schleuderte seine Klingen mit unbarmherziger Genauigkeit auf die Fremden, die Gunslingerin schoss eine Kugel nach der anderen. Jede traf ihr Ziel. Mitten zwischen den Zelten lag ein totes Pferd.
Ibra hatte es wohl ebenfalls gesehen, denn ich spürte, wie der Gewehrlauf in meinem Rücken zitterte. „Gehen Sie. Jetzt, oder ich schieße Ihnen in die Nieren", fauchte sie kalt.
Ich atmete tief durch, setzte meine Fliegerbrille auf und zog meine Schwerter. Das schwere, gezackte mit den zwei Klingen, die bedrohlich aneinander klirrten, als ich es vom Gürtel löste, und das zweite mit der doppelten Giftrinne. Dann rannte ich.
Das Hex grollte und fauchte, und ich spürte den vertrauten, reißenden Schmerz, als die Energie des Hex-Cores in meine Glieder fuhr und sich wie Feuerströme unter meine Haut fraß. Ich schmeckte Metall und Ozon, Dampfwolken zischten neben meinen Ohren. Gelblich grünes Licht erhellte den Hof zwischen den Zelten, und der Stein auf meinem Handrücken leuchtete auf. Blaue Blitze spielten um die Leitungen auf meinem Arm. Ich brüllte meinen Schmerz und meinen Zorn heraus und griff an.
Ich sah jedes Detail, jeden losen Faden in den Strumpfhosen der Artistinnen. Ich sah die Schlagader des Messerwerfers pulsieren und sah, wie sein Messer kreiselnd durch die feuchte Abendluft schnitt, so langsam als würde es durch Sirup fliegen. Ich duckte mich darunter hinweg und stürzte mich auf den ersten Uniformierten. Mein Schwert riss ihn in Stücke. Der Mann neben ihm griff nach mir, und ich drückte ihm die flache Hand auf die Brust. Der Hex-Splitter an meiner Hand glühte auf, und die Energie warf ihn gegen eine Hauswand. Knurrend stürzte ich mich auf die nächsten. Gnadenlos fuhren meine Schwerter durch Fleisch, Stoff und die metallenen Leiber der Konstrukte, die sich unter manchen Uniformen verbargen, einen nach dem anderen. Ich konnte sie kaum auseinanderhalten, geschweige denn sagen, wie viele ich tötete.
Jemand rief mir eine Warnung zu, und ich wirbelte herum und feuerte die Armbrust an meinem linken Arm ab. Zwei vergiftete Pfeile schlugen in die Brust des Mannes ein, der sein Maschinengewehr auf mich anlegte. Er strauchelte, doch fiel nicht, bis ein Messer in seine Stirn einschlug.
Die Anzeige an meinem Handgelenk rutschte zitternd in den orangefarbenen Bereich, und ich deaktivierte das Hex, bevor es meine Lebenskraft angriff. Die plötzlich fehlende Energie ließ mich wie betrunken zurück, und ich rollte mich fahrig zur Seite, als einer der Uniformierten mich angriff. Doch für den Kern an meiner Hand brauchte es mehr als ein paar Energieschläge, und ich riss ihn mit den elektrisierten Klauen zu Boden. Hunderte Volt peitschten durch seinen Körper, er ging zuckend zu Boden, und ich rammte ihm das Schwert in die Seite.
Hektisch sah ich mich um. Die Uniformierten kamen von allen Seiten, in schmuckloser, anthrazitfarbener Kleidung, die meisten mit Masken auf den Gesichtern. Auf einer der Waffen erkannte ich das Wappen: eine weiße Frau, die aus dem Feuer entstieg, auf blutrotem Grund. Durenskys Wappen. Auch der mächtigste von Hivens Arks Adeligen hatte von Valentina erfahren. Kaum verwunderlich, dass sie von ihm kamen, nachdem ich das Maschinengewehrfeuer gehört hatte.
Zwischen den Zelten herrschte Chaos. Hunderte Canwy Roch wurden mit Gewehre nin Schach gehalten, manche versuchten zu entkommen und fingen sich dafür Kugeln ein. Ibra preschte auf einem mechanischen Pferd umher, mit einem Gewehr der Angreifer in der Hand und feuerte wild in die Menge. Artisten lagen in Blutlachen auf dem feuchten Boden. Ich erkannte den Starken Mann, eine Keule neben sich, und die Gunslingerin, wie zersiebt von den Kugeln. Ihr Patronengürtel war leer. Sie hatte ihre Haut teuer verkauft.
Valentina stand mit zwei Revolvern in den Händen hinter einer der Kisten, ihr Vater neben ihr. Sie schoss zielsicher, doch brauchte für jeden Schuss mehr Zeit, als sie hatte. Die Uniformierten rückten unerbittlich vor.
Ich schlitzte einen bleichen Mann in Uniform von der Hüfte bis zum Scheitel auf, dann wandte ich mich um und rannte auf Valentina zu. Sie riss die Augen auf und hob die Pistole, doch ihr Vater rief ihr etwas zu, und sie schoss stattdessen auf das Konstrukt hinter mir. Blitze, gleißend hell, durchschnitten die Dunkelheit, und es fiel.
Schnell rettete ich mich hinter die Kiste. „Tun Sie, was Sie wirklich können!", fauchte ich heftig. „Sie können mehr als nur schießen!"
Angst flackerte in ihren Augen auf. „Ich kann sie nicht kontrollieren. Sie kann ebenso gut die ganze Straße in Stücke reißen!", schrie sie zurück, lud mit fliegenden Fingern nach, zielte und schoss.
Vier Männer traten auf uns zu, und ich riss meine Donnerbüchse aus dem Gürtel und drückte ab. Ein Schlag wie eine Explosion erschütterte den Platz, kurz wurde es hell wie am Tage, und die Männer taumelten, hunderte kleine Splitterwunden auf den Körpern. Vier Kugeln von Alderberry ließen sie zu Boden gehen. „Dann müssen wir gehen! Bevor sie anfangen, Geiseln zu nehmen", zischte ich.
Valentina presste die Lippen zusammen und schoss erneut. „Ich werde nicht gehen! Weder mit Ihnen noch mit sonst irgendjemandem!", schrie sie.
Oh, der berühmte Trotz der Canwy Roch. Plötzlich war ich beinahe froh über Durenskys Männer, dass sie mir ein schlagendes Argument in die Hand gaben.
„Geh, Valentina", mischte sich Speke Alderberry plötzlich ein. „Flieh. So weit fort von hier, wie du kannst." Sein Blick flackerte zu dem Zirkuszelt, und ich sah echten Schmerz in seinen Augen, als wäre eines seiner Kinder bereits gestorben. Dann starrte er mich an. Sein Blick war voller Hass. „Passen Sie auf sie auf. Bringen Sie sie fort, dorthin, wo niemand sie je finden kann."
Fast wäre ich versucht, es ihm zu schwören, doch so nickte ich nur. „Sie können sich auf mich verlassen", log ich fest.
Valentina lud nach und schoss, doch ich sah Tränen in ihren Augen. „Ibra!", schrie sie. „Ein Pferd!"
Die Kunstreiterin wirbelte herum, das Pferd unter ihr drehte sich elegant auf den Hinterhufen, und sie galoppierte auf die Kiste zu. Ein zweites mechanisches Ross folgte ihr. Jemand schoss auf es, doch die Kugel prallte wirkungslos an den metallenen Flanken ab.
Ibra feuerte wahllos, während Valentina und ich uns auf das Pferd zogen. Ich war noch nie zuvor ein mechanisches Pferd geritten. Das Metall schien zu glühen und war zugleich eisig kalt, und die Leblosigkeit, die es umgab, machte mich nervös. Es bewegte sich mehr wie ein Raubtier denn ein Pferd, es fehlten diese kleinen, hektischen Bewegungen, die sie normalerweise taten, wenn sie sich fürchteten. Doch selbst als jemand eine Granate warf und ein Zelt neben uns in einem Donnern in Flammen aufging, zuckte es nicht einmal. Ich dagegen schon.
Dennoch zog ich mein Schwert und umklammerte mit der anderen Hand die stumpfen Messingzacken, die eine Mähne darstellen sollten, während Valentina sich an meine Rüstung klammerte. Ich wusste, wohin ich wollte, doch dafür musste ich durch die Uniformierten, die einen engen Kreis um uns gebildet hatten und nun die Waffen hoben.
Mein Blick traf Ibras, und sie hob das Maschinengewehr. Das Pferd unter ihr tänzelte, als wäre es real. „Ich schieße euch eine Bresche frei. Dann komme ich nach!", schrie sie.
Valentina beugte sich zu ihr und küsste sie heftig. „Beeil dich!", rief sie, ihre Stimme brach beinahe.
Die Reiterin hob das Gewehr, und ich spürte, wie etwas tief im Inneren meines Pferdes zu summen begann. Die Hitze an meinen Beinen nahm zu, die metallenen Ohren zuckten nach hinten und wieder nach vorn. Die Luft vor seinen Nüstern schien zu flimmern.
Als Ibras Gewehr zu brüllen begann, stieß ich dem Pferd die Hacken in die Seiten. Es preschte nach vorn, dorthin, wo ein Mann nach dem anderen fiel, als ein Schuss zu hören war, lauter und tiefer als das hohe Flackern von Ibras Gewehr. Das Feuern verstummte. Valentina wandte sich um, ich tat es ihr gleich, und sah, wie die blonde Kunstreiterin mit einem Einschussloch in der Stirn vom Rücken des Pferdes fiel. Klappernd landete das Gewehr auf dem Boden.
„Ibra!", schrie Valentina, ein Schrei so laut und voller Schmerz, dass ich trotz der Hitze des Pferdes schauderte. Die Canwy Roch riss ein Messer aus ihrem Ärmel, mit bronzener Klinge und so scharf, dass es ihre Handfläche zerschnitt, kaum dass sie es darüber zog. Das Gesicht verzerrt vor Zorn presste sie die blutige Hand auf die eiserne Laterne auf ihrer Brust und fauchte etwas in einer fremden Sprache, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Wie ein Albtraum brach die Banshee aus den Schatten. Ihr Schrei ließ die Fenster zerspringen, lang gezogen und so grell, dass ich mir die Hände auf die Ohren pressen musste. Die Uniformierten rissen ihre Waffen hoch, doch jede Kugel verfehlte sie. Schnell wie ein Blitzschlag fuhr die Königin der verlorenen Seelen durch die Menge, Blut spritzte, Plasma leuchtete auf, als ihre Klauen sich durch Fleisch und Schaltkreise schnitten. Sie schien überall und nirgends zu sein, ein Schatten aus Blut und Grauen und Tod, und als der Drache sich mit einem einzigen Schlag ihrer Flügel über ihr blutiges Werk erhob, schien kaum eine Sekunde vergangen zu sein. Blut ergoss sich wie Regenwasser über die schmutzigen Pflastersteine. Konstrukte, Anima und Menschen sackten tot zusammen. Zaghaft hoben die ersten der Canwy Roch die Köpfe, plötzlich nicht mehr bedroht durch die unbekannten Waffen der Angreifer.
Die Laternen der Banshee glommen auf, als blies man auf Kohlen, Funken sprühten in die feuchtkalte Nacht. Immer noch schwebte der Drache über dem Platz. Hinter mir spürte ich Valentinas zitternden Atem, als sie wie betäubt ihr Werk betrachtete.
Speke Alderberry erhob sich langsam hinter der Kiste, hinter der er in Deckung gegangen war. Die Hand mit dem Revolver darin zitterte. „Lauf. Die Wachen werden bald hier sein. Flieh", sagte er rau.
Valentina wirkte, als wollte sie noch so viel sagen, doch sie sprach ein einziges Wort, das ich nicht verstand. Die Banshee hüllte sich in ihre Flügel wie eine Frau in einen teuren Mantel und schien hinter Valentina zu verschwinden, als versteckte sie sich hinter ihr. Aus dem Augenwinkel konnte ich sie sehen, blutbespritzt und mit wallender Mähne. Die Laternen glühten.
„Lauf!", schrie Alderberry.
Ich riss das Pferd herum und preschte davon, hinein in die nebligen Gassen, so dunkel, dass allein die orangefarben leuchtenden Augen des Pferdes wie eine Laterne erschienen. Wie eine Laterne der Banshee.
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