Siebtes Kapitel...
...in dem Sindrak auf scheinbar allwissende Männer trifft
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Im Gegensatz zum schmutzigen, finsteren Oscravelle mit seinen Gassen voller Nebel und Abgasen schien Vigilante strahlend hell. Der Wächterturm, ein nach dem Himmel greifendes, schlankes Gebäude aus gleißend weißem Marmor, ragte wie ein Speer aus einem vergleichsweise kleinen Gewirr aus hell getünchten Häusern, die selbst nahe der Stadtmauer sauber und einladend aussahen. Hörner begrüßten die Odybreva, als Iskjandrova die Flagge von Vigilante hissen ließ, ein goldenes Kreuz auf weißen Grund mit einem blauen Auge in der Mitte, Soldaten sammelten sich an den Docks.
Ich nahm dem Seemann neben mir das Fernrohr aus der Hand und blickte hindurch. Dort, wo das Schiff anlegen würde, hatte sich eine Menschenmenge gebildet, die jubelnd die Ankunft ihrer Prinzessin kundtaten. Ich kam nicht umhin, mir vorzustellen, sie wären meinetwegen da, und winkte huldvoll.
Romana Iskjandrova schritt, begleitet von einigen ihrer Männer von Bord und ließ sich von einer Kutsche, gezogen von vier weißen Pferden, in Empfang nehmen, die Schaulustigen und die Soldaten zerstreuten sich mit ihr.
Simoney geleitete uns von Bord, als nur noch jene an den Docks zu sehen waren, die dort arbeiteten. Aubrey de Sarazine war lange vor uns verschwunden. Ich traute dem Ganzen nicht, und blickte mich wachsam um, während Simoney uns durch die stürmischen, breiten Straßen führte. Der Wind schien niemals zu versiegen, selbst in den verwinkelten Gassen, die die alten Viertel von Vigilante durchkreuzten. Mein Umhang flatterte eindrucksvoll hinter mir her, und ich begann, meinen eigenen Schattenriss zu bewundern. Bald, wenn wir die Gintlemen erreicht hätten, wäre ich Valentina los, sie und ihre unheilvolle Göttin, die wie immer lauernd um sie herumschwebte. Stattdessen wäre ich reich, und wenn Simoney sein Wort hielt, wie ich hoffte, auch sicher vor Russell. Sinnierend dachte ich an die teuren Geschäfte, die die Prachtstraße gesäumt hatten. Ich könnte mich gänzlich neu einkleiden lassen, selbst wenn ich nicht viel auf derlei Dinge gab. Doch der Gedanke, dereinst in einem prächtigen Anzug vor einen Fürsten zu treten, gefiel mir.
Ich würde nach Korvengerstein gehen, hatte ich auf der Odybreva beschlossen. Es war weit entfernt von Russells Einflussbereich, die Anima, die die Stadt beherrschten, hatten eine gewisse Ablehnung gegen die Technik des Ostens, und ließen sich vom Machthunger der Lords nicht beirren. Vielleicht würde ich wieder mit der Schatzjagd beginnen. Ich hatte einmal gehört, dass in den Schattenwäldern Feuergeister lebten, für deren Seelensteine die Mächtigen von Korvengerstein eine Menge Geld zahlten.
Vor mir schritt Simoney mit federnden Schritten voran und redete mit Valentina. Sie trug ein teures, dunkelviolettes Kleid, das Romana Iskjandrova ihr überlassen hatte, doch sie hatte die Röcke fast bis zu den Knien gerafft, und ich sah, dass sie darunter immer noch die gestreiften Strümpfe und die derben, metallbeschlagenen Stiefel trug, die sie seit Oscravelle bei sich hatte. Sie hatte sich außerdem standhaft geweigert, den roten Mantel gegen eine zum Kleid passende Samtjacke einzutauschen. Ich verstand nicht viel davon, doch so, wie Iskjandrova geschaut hatte, kniffen sich die Farben von Kleid und Mantel entsetzlich. Simoney schien jedoch geflissentlich darüber hinwegzusehen, als er ihr seinen Arm angeboten hatte, um sie galant durch die Straßen zu führen. Ich wusste nicht, warum, doch es erfüllte mich mit einer gewissen Schadenfreude, dass sie ihre Hände lieber in den Manteltaschen als an ihm hatte. Sie lauschte sichtlich desinteressiert seinen Worten, denen ich erstaunlicherweise nichts Verständliches abgewinnen konnte.
Tiefer und tiefer drangen wir in die Eingeweide der Stadt vor, ohne, dass auch nur eine Straße vernachlässigt oder schmutzig war. Helles, klares Sonnenlicht schnitt in die Schluchten zwischen den Häusern, beschien sich fläzende Katzen, Wäsche, die unter Fenstern hing, und akkurat bepflanzte Blumenkästen. Jeder Pflasterstein schien wie von Elfenhänden abgeschrubbt, und ich sehnte mich bei jedem skeptischen Blick, den die Passanten mir zuwarfen, nach dem Chaos des Hafens zurück. Häfen waren immer Orte des Abschaums und der herrlichen Unordnung, und ich konnte es kaum erwarten, mein erstes Geld in den Tavernen zu verprassen.
Die Frau, die aus einer der Gassen trat, hätte ich kaum bemerkenswert gefunden. Ihre Kleidung war zwar ein wenig zu prächtig, um in der von Kaufmännern und der gut betuchten Mittelklasse bewohnten Altstadt nicht aufzufallen, doch die Feinheiten der menschlichen Kleidung und Etikette waren mir seit jeher fremd.
Doch der riesige, mit Federn geschmückte Hut, der Reifrock und der Vogelkäfig in ihrer Hand ließen mich herumwirbeln, die Hand bereits am Schwert. „Sim!", rief ich. Blacats Spitzname war viel zu einprägsam, als dass ich ihn nicht übernehmen konnte.
Der schwarz gekleidete Killer wandte sich um, seine Hand fuhr unter seinen Gehrock und er riss eine Pistole aus dem Holster darunter. Valentina zog ebenfalls ihren Revolver und richtete ihn auf die Frau.
Ich erwartete, sie würde etwas sagen, doch sie öffnete nur wortlos den Vogelkäfig. Der Vogel schoss in die Freiheit, als hätte er nur darauf gewartet, der rote Fleck auf seiner Stirn schimmerte wie ein Blutfleck. Sie fing ihn aus der Luft, und als sie ihn berührte, breiteten sich blitzschnell Federn auf ihrer Haut aus, schienen ihr Kleid zugleich zu überdecken als auch in sich aufzunehmen. Kaum einen Augenblick später, schneller, als die Banshee gebraucht hatte, um Durenskys Männer in Ashenfall zu töten, breitete sie in einem Wirbel aus weißen und goldenen Federn ihre Arme aus, die zu weißen Flügeln geworden waren. Ihr einzelnes Auge funkelte in einem verirrten Sonnenstrahl, die rote Augenklappe bildete einen harten Kontrast zu ihrem schneeweißen Gesicht.
Den Moment, in dem sie aufsah und ich die Mordlust in ihren Augen erkannte, nutzte ich, um sie anzugreifen. Mit erhobenen Schwertern stürzte ich mich auf sie, doch sie wich mit einer eleganten Drehung aus, und statt ihr die Klingen in den schlanken Körper zu rammen, streiften sie nur ihre langen Flugfedern. Sie trat mir in den Rücken, ich spürte die scharfen Spitzen ihrer Klauen selbst durch meine Rüstung hindurch, und schleuderte mich mit einem heftigen Stoß gegen ein Fenster. Das Glas splitterte. Valentina und Simoney schossen, ihr Donnern hallte in den engen Gassen wider, doch ich hörte keinen Schmerzenslaut. Die Waffen erhoben, die Zähne gebleckt, wirbelte ich zu ihr herum. Sie duckte sich unter meinen Angriffen weg, ein beinahe träges Lächeln auf den rot geschminkten Lippen, und schlug meinen Kopf mit einer derartigen Wucht gegen die Wand des Hauses, dass schwarze Flecken vor meinen Augen zu tanzen schienen.
Sie nutzte meine Verwirrung, um sich in einem Sturm aus Federn und Krallen auf Simoney zu stürzen. Valentina schoss erneut. Sarazine fauchte und schlug ihr beinahe beiläufig die Pistole aus der Hand, während ihre Krallen Simoneys teuren Anzug zerfetzten und tiefe Wunden in seine Haut schlugen. Sie schleuderte ihn gegen die Wand, als wäre er nichts weiter als eine Stoffpuppe, und warf sich mit ausgestreckten Krallen auf Valentina.
Valentinas Hand fuhr in ihren Mantelärmel, doch das Messer kam nicht zum Vorschein. Sie riss entsetzt die Augen auf, die Harpyie lachte gehässig und hob die mit Krallen bewehrte Hand.
Ich löste mich aus meiner Benommenheit, schlang der Vogelfrau den Arm um den Hals und zerrte sie nach hinten, ihre Klauen hinterließen rötliche Kratzer in Valentinas Gesicht, doch hätte ich sie nicht aufgehalten, wären von ihr nunmehr Fetzen übrig gewesen. Sarazine wand sich fauchend in meinem Griff, und ich setzte ihr meine Metallkrallen an die Kehle. „Halt still, oder ich reiße dir die Kehle heraus", zischte ich in ihr spitzes Ohr. Sie bleckte die Zähne und lachte zischend, doch folgte meinen Befehlen. „Wer schickt dich?", wollte ich wissen.
„Der Einäugige Gott", antwortete sie rau, ihre Stimme klang, als würde ein Raubvogel versuchen, das Lied einer Nachtigall zu singen. „Er schickt mich, um die Königin der Laternen wieder in die Ketten der Anderwelt zu legen."
Valentina hob ihren Revolver auf, spannte den Hahn und richtete ihn auf die Frau. „Und dafür musst du was tun? Mich töten?"
Die Harpyie lachte heiser. „Oder wissen Sie etwa, wie man sie wieder entlässt?"
Valentina zögerte, doch ihre Waffe zitterte nicht. „Weißt du es?"
„Nur der Tod." Sie neigte den Kopf zur Seite und schielte aus dem Augenwinkel zu Valentina. „Ich kann sie sehen. Jeder kann es, solange man sie nicht genau ansieht. Sie will nicht entlassen werden. All ihre Dämonen, sie wollen zurück in die Anderwelt, doch die Banshee will die Herrschaft der Welt an sich reißen. Sie wird mächtiger, mit jedem Tod, den sie verursacht, mit jeder Freiheit, die Sie ihr lassen, und eines Tages werden ihr Ihre Befehlen nicht mehr reichen. Dann wird sie sich mit Gewalt befreien, und sie wird so viel Macht besitzen, dass Sie sie nicht mehr halten können."
„Und du willst mein Leiden abkürzen."
„Und das der Welt, denn die Welt wird leiden, wenn die Banshee ihre volle Stärke erlangt hat." Die Harpyie zuckte in meinem Griff, und der Hex-Splitter an meinem Handrücken begann zu summen. Sie hielt still.
„Ich werde weder zulassen, dass die Banshee sich erhebt, noch dass du mich tötest", knurrte Valentina.
„Das weiß ich", sagte Sarazine leise. Beinahe klang sie traurig. „Aber du kannst ihr nicht für immer widerstehen. Du hörst bereits, wie sie zu dir flüstert, nicht wahr? Immer wieder. Auch, als ich dich angriff, wollte sie, dass du sie auf mich hetzt. Sie bietet dir Macht und die Erfüllung all deiner Wünsche, und der Preis dafür ist hoch."
„Nicht wirklich", sagte Valentina vage, doch ihre zornige Miene verrutschte ein wenig, und sie umklammerte den Revolver fester. Simoney stöhnte und regte sich, Blut klebte dort an der Wand, wo sein Kopf die weiß getünchten Steine getroffen hatte.
In dem Moment, in dem Valentina sich zu ihm umsah, rammte die Harpyie mir den Ellenbogen in den Kiefer. Meine Zähne knirschten unter ihrem Knochen, ich knurrte wütend und versuchte, sie zu fassen zu bekommen, doch sie schlug meine Hand beiseite, die Blitze ließen die Luft knistern. Mit einer schnellen Bewegung schlitzte sie mir mit ihren Krallen den Hals auf und flog hinauf in den stürmischen, blauen Himmel. Valentina wirbelte herum und schoss den Revolver leer, die Schüsse klingelten in meinen Ohren nach, doch Aubrey de Sarazine verschwand unbeschadet hinter den Häuserdächern.
„Warum hast du ihr nicht deine Stromschläge verpasst?", fauchte Valentina mich an.
Ich spuckte aus und tastete meinen Hals ab. Wenn ihre Krallen nur ein wenig tiefer geschnitten hätten, wäre ich ausgeblutet wie ein Schlachtschwein. „Warum hast du dich zu Sim umgesehen? Er kommt gut selbst klar", grollte ich und wischte mir die blutige Hand an meinem Hosenbein ab. Unsanft drückte ich mich an ihr vorbei und trat Sim in die Seite. „Wach auf, Mann."
Simoney schlug die Augen auf, als wäre er in einem dieser schmalzigen Liebesliedern, die die schlechten Barden zu singen pflegten. Mit verhangenem Blick richtete er sich auf und hielt sich den Kopf.
„Warst reichlich nützlich", bemerkte ich. „Ich hoffe, dafür, dass ich Valentina vor dieser geflügelten Schlampe unter Einsatz meines Lebens beschützt habe, sind mindestens siebzehntausend Aurai drin."
„Natürlich", murmelte Sim, während er sich auf die Beine kämpfte und sich schwer an die Wand lehnte.
„Schön. Dann bring uns zu deinen Gintlemen", schnaubte ich ungeduldig.
Er sah sich zu Valentina um. „Geht es dir gut?"
Sie sah von ihrem linken Unterarm auf, die Schnürung der Ärmel ihres Kleides waren offen und entblößten ihre nackte Haut. Ich erhaschte einen Blick auf eintätowierte Runen und den mit schwarzer Tinte eingeprägten Griff eines Dolches, bevor sie ihn mit ihrem Mantel verdeckte. „Natürlich", schnappte sie. „Ich hoffe, deine Gintlemen bieten mir etwas an, wie ich die Banshee loswerden kann, bevor dieses Weib mich umbringt."
Den Rest des Weges legten wir in nervösem Schweigen zurück. Bei jedem Geräusch von Flügeln zuckte meine Hand zum Schwert, und ich sah, dass Valentina ihren Revolver nun in der Jackentasche trug und mit der Trommel spielte. Violette Schnüre hingen aus ihrem linken Ärmel. Simoney humpelte, doch schritt tapfer voran.
Die schmalen Gassen öffneten sich zu einem kleinen, sauberen Platz, gesäumt von schmiedeeisernen Zäunen und den hohen, herrschaftlichen Häusern dahinter. Schwarze Buchstaben, eingeprägt in ein Schild aus poliertem Messing, benannten das größte von ihnen als den Sitz des Gintlemen's Club, ohne weiteres zu verraten. Ein mürrischer Wachmann beobachtete uns skeptisch, doch begrüßte Simoney mit einem freundlichen Zunicken.
Wir traten durch die schlichte, schwarz gestrichene Tür in den stillen Vorraum. Eine Treppe führte in die höheren Stockwerke, weitere Türen verbargen die Zimmer dahinter. Irgendwo klapperten Töpfe aneinander, ich erhaschte einen Hauch von Braten, und ich musste mich zusammenreißen, um dem Duft nicht zu folgen. Jemand spielte Geige, und mir fiel auf, dass ich noch nie jemanden richtig Geige spielen gehört hatte. Die Spielleute in den Tavernen spielten zumeist entsetzlich falsch. Wenn man laut sang, kümmerte es auch niemanden.
Ein Butler führte uns in den Salon des Hauses. Zigarrenrauch erfüllte die Luft, zusammen mit dem Geruch nach alten Büchern, die jeden Fleck auf den hohen Regalen bedeckten. Zwei Männer in teuren Anzügen standen murmelnd beieinander und zeigten in ein in grünes Leder gebundenes Buch, zwei weitere saßen in schweren Lehnsesseln vor einem glühenden Kaminfeuer, einer von ihnen mit einem Buch, und ein letzter stand ein wenig abseits vor einem niedrigen Tisch und schenkte sich eine goldene Flüssigkeit in ein kristallenes Glas.
Simoney deutete eine Verbeugung an. „Die Herren, darf ich vorstellen: Valentina Alderberry und Sindrak Herrera. Valentina, Sindrak, dies sind die Gintlemen, die Herren Finsbury, Sapphire, Tanqueray, Hendricks und Gordon."
„Gute Arbeit, Master Blacat. Wie üblich." Tanqueray stellte die Karaffe mit Whiskey, dessen Aroma Lord Russells wie billigen Gin erscheinen ließ, zurück auf den Tisch und trat auf uns zu. Ich musste an mich halten, um nicht vor dem stechenden Blick seiner eisigen Augen zurückzuweichen. Er war größer als ich und trotz seiner ergrauten Haare hatte er die Figur eines Mannes, der vor keinem Kampf zurückschrecken würde.
„Miss Alderberry!", meldete sich Gordon aufgeregt zu Wort. „Sie sind die Dame, der es gelang, die Banshee zu beschwören, nicht wahr?"
Valentina lächelte halb. „Aye, das bin ich."
Gordon wuchtete seine Leibesfülle aus seinem Sessel und wankte auf sie zu. „Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen. Sie wissen, warum Sie hier sind?"
„Das weiß keiner von uns genau", knurrte ich.
„Wie auch, wenn Blacat die Anweisung hatte, sie möglichst unbehelligt zu lassen, bis sie hier sind. Er weiß selbst kaum, worum genau es geht", murrte Hendricks aus dem zweiten Sessel, ohne uns anzusehen.
Gordon lächelte mich breit an. „Es ist mir eine Ehre, Ihnen beiden nun zu begegnen", sagte er. „Der Frau, die eine Göttin befehligt, und der Karr, den Russell aussandte, um sie zu fangen."
„Es hat einen Grund, warum ich nun hier bin, und nicht bei ihm." Ich erwiderte sein Lächeln gereizt. „Sim hat mir siebzehntausend Aurai geboten, wenn ich Valentina hierher bringe. Das, Hinweise über alles, was mir vor Hivens Ark geschah, und Schutz vor der alten Krähe."
Gordon zuckte zurück und blinzelte. „Das ist ein wenig unheldenhaft."
„Ich bin kein Held. Held ist ein anderes Wort für Idiot, und selbst wenn ich ein Idiot bin, nicht einmal ich bin so dumm, dass ich ein Held sein könnte." Ich hakte die Hände in den Gürtel. „Und da ich meinen Auftrag von Sim ausgeführt habe, der daraus bestand, Valentina hierher zu bringen, ausgeführt habe, hätte ich nun gern meine Bezahlung, damit ich endlich von hier verschwinden kann." Ich blickte Tanqueray herausfordernd an, und er erwiderte meinen Blick voller Verachtung.
„Sie werden bekommen, was Sie verlangen." Er nippte an seinem Whiskey. „Doch zuerst müssen Sie wissen, Miss Alderberry, dass Sie mitnichten hier sind, weil wir Ihre Macht nutzen wollen, so wie Russell und Durensky es wollen."
Valentina hob eine Augenbraue. „Sim sagte, Sie seien interessiert an der Magie. Wollen Sie die Macht der Banshee für... Experimente nutzen?"
„Nein, selbst wenn ich sicher bin, dass einige meiner Kollegen sich dies sehr wünschen", erwiderte Tanqueray, und Sapphire, einer der beiden Männer, die zuvor über das Buch diskutiert hatten, sah verlegen zur Seite. „Wir wollen Ihre Macht nicht nutzen, sondern Sie vor jenen beschützen, die eben jenes wollen."
„Und Sie glauben, dass Sie das können. Wenn weder meine Familie noch zwei zweifelhafte Killer es konnten." Valentina wich seinem stechenden Blick nicht aus.
Tanqueray lächelte dünn. „Ja und nein. Wir werden verhindern, dass kein Lord, weder Russell, noch Durensky, noch all die kleinen Lords Sie und die Macht der Banshee für ihre Zwecke missbrauchen. Sie wissen nicht, womit sie es zu tun haben. Jeder weiß, wer die Banshee ist, doch niemand weiß, was sie wirklich vermag. Zu was sie imstande sein kann."
„Was ist mit Herzog Iskjandrov? Ihr lebt in seiner Stadt", warf ich ein.
„Er interessiert sich nicht für die Politik, solange sein Reich nicht angegriffen wird. Er will nur wissen, und wir helfen ihm", erklärte Gordon.
„Diese Frau, Sarazine, sie sagte, die Banshee möchte die Welt zerstören. Sie wird mächtiger, mit jeder Freiheit, die ich ihr lasse", zitierte Valentina. „Ist das wahr?"
„Frag sie", schlug ich vor. Tanqueray warf mir einen kurzen, eisigen Blick zu, und ich grinste.
„Der Mythos, dass sie die Welt zerstören will, ist eine Erfindung der Anhänger des König Schellen", ergriff Sapphire das Wort. Er klappte heftig das Buch zu und drückte es dem anderen Mann, Finsbury, in die Hand. „Was sie wirklich möchte, weiß nur sie, und ich denke kaum, dass sie es Ihnen verraten wird. Doch dass die Banshee immer mächtiger wird, je mehr sie in dieser Welt agiert, vor allem, wenn sie tötet, ist wahr."
„Auch, dass sie mich eines Tages töten wird, wenn sie stark genug ist?", fragte Valentina gefasst.
„Glauben Sie es?"
Valentina schwieg. „Nein", sagte sie schließlich.
Sapphire verengte fasziniert die Augen. „Warum nicht?"
Die Canwy Roch presste die Lippen aufeinander. „Es hört sich dumm an, und ich glaube es selbst fast nicht. Doch ich habe das Gefühl, als... würde sie mich mögen."
„Es ist eine Göttin des Bösen. Schon einmal darüber nachgedacht, dass sie lügen könnte?", warf ich ein.
„Gut und Böse ist stets eine Frage der Perspektive", wies Sapphire mich freundlich zurecht. „Warum haben Sie dieses Gefühl?"
„Weil sie mir nichts verspricht. Keine Macht, keine Reichtümer. Sie ist einfach da. Jedes Mal, wenn ich Angst habe. Wenn ich mich unsicher fühle. Wenn..." Sie verstummte. „Es hört sich dumm an, nicht wahr?"
„Aye", sagte ich.
„Mitnichten. Es ist zutiefst interessant. Doch Master Herrera hat recht. Sie könnte durchaus lügen. Sie hat nur nichts, was sie Ihnen anbieten kann, mit dem Sie sie locken kann", erwiderte Sapphire.
„Kann die Banshee Tote zum Leben erwecken?", fragte Valentina, die Stimme hart wie Stahl.
Sapphire blinzelte verwirrt. „Sie kann sie aus ihren Gräbern erheben lassen. Einige der Erzdämonen, die in der Hierarchie direkt unter ihr stehen, sind bekannt für derartige nekromantische Kräfte. Doch es sind nur Untote, Schatten, gesteuert vom Willen ihres Herrn, statt denjenigen, die sie zu Lebzeiten waren."
„Er muss es wissen", murmelte Hendricks. Sapphire errötete.
„Dann weiß sie, dass sie mir nichts anbieten kann." Valentina hob das Kinn. Ich sah, wie ihre Augen schimmerten, doch die Tränen rollten nicht.
Sapphire starrte sie an. „Es tut mir leid."
„Schon gut." Sie klang mühsam beherrscht.
„Doch sie ist klug. Sie haben etwas verloren, und nun ist die Banshee dort, und scheint Sie vor neuem Grauen beschützen zu wollen. Oder gar den Platz derjenigen einnehmen zu wollen, die Sie verloren", sagte er plötzlich aufgeregt.
Valentina sog scharf Luft ein, und Gordon warf Sapphire einen strafenden Blick zu. „Schämen Sie sich, James. Die Dame hat jemanden verloren, der ihr sehr viel bedeutet hat, und Sie reden über das, was ein Dämon vorhaben könnte!", rügte er ihn. „Kommen Sie, Miss, setzen Sie sich." Sanft geleitete er ihr zu seinem Sessel und reichte ihr ein Taschentuch. „Einen Drink?"
Zitternd griff Valentina in ihre Manteltasche und zog den Tabaksbeutel hervor. „Bitte", sagte sie bebend.
Stille kehrte ein, während Gordon ihr einen Whiskey einschenkte und sie ihre Zigarette rollte. Sapphire mied ihren Blick und sah hilfesuchend zu Finsbury, der seinen Blick ungerührt erwiderte. Tanqueray stand neben dem Fenster und beobachtete unbeteiligt das Geschehen, Simoney neben sich, der seine Wunde betastete und das Gesicht verzog. Ich trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. All dieses Gerede über die Banshee hielt mich davon ab, so weit fort von Valentina und der Gefahr, die sie verfolgte, wie nur irgendwie möglich zu gehen. Ich holte Luft, um mich höflich zu entschuldigen und dann nach meiner Bezahlung zu fragen, doch Tanquerays Blick hielt mich davon ab.
Valentina schnippte etwas Asche in eine schwere kristallene Schale. „Ich war naiv, zu glauben, die Banshee würde mich tatsächlich mögen", murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu einem der Anwesenden.
„Sie weiß, wie sie jemanden nutzen kann, um das zu bekommen, was sie will", erklärte Sapphire vorsichtig.
Sie hob den Blick von ihren Röcken. „Wie kann ich sie loswerden, ohne zu sterben?", fragte sie.
„Es gibt ein Ritual. Ich habe davon gelesen. Angeblich wissen einige Priester des Einäugigen davon. Doch da es ein sehr altes und durchaus gefährliches Ritual ist, für das das Opfer einer beseelten Person vonnöten ist, ist es beinahe in Vergessenheit geraten, und noch dazu verboten." Sapphires Augen blitzten begeistert.
„Wo finde ich einen solchen Priester?"
Sapphire legte die Hände aneinander. „Es heißt, in Woodenwyll gibt es einen Beschwörer, der sich daran erinnert. Er ist alt und dem Wahnsinn verfallen, doch er könnte Sie befreien", meinte er langsam.
„Schön." Valentina zog an ihrer Zigarette. „Helfen Sie mir, nach Woodenwyll zu kommen. Dann ist Ihre Welt gerettet und ich kann zurück zu meinem Vater. Wenn er noch lebt."
„Das tut er", meldete Finsbury sich zu Wort. „Er war eine Nacht lang in Haft in Oscravelle, doch als er den Wachen glaubhaft versichern konnte, dass er nichts über Ihren Aufenthaltsort wusste, ließen sie ihn gehen. Er reiste den Fluss hinauf und wurde zuletzt in Riverfort gesehen."
Valentina lächelte halb. „Dann weiß ich, wo er jetzt ist."
„Wir können Sie nach Woodenwyll bringen", sagte Gordon. „Captain Iskjandrova, Master Blacat und Master Herrera werden Sie unterstützen."
„Wie bitte?", hakte ich nach, durch meinen Namen aus meinem Tagtraum gerissen.
„Sie werden reich entlohnt werden."
„Du weißt schon, dass du mir noch etwas schuldest, dafür, dass ich Valentina hierher brachte statt zu Russell", knurrte ich.
Gordon lächelte freundlich. „Selbstverständlich. James, würden Sie bitte Master Herreras Akte holen?"
Sapphire stieg auf die Leiter, die an dem Regal befestigt war, bis hinauf zum höchsten der Bretter, und zog zwischen zwei schmalen roten Büchern einen schwarzen, ledernen Ordner hervor. Leichtfüßig sprang er wieder hinab und drückte Gordon die Mappe in die Hand.
„Ich danke Ihnen." Gordon wollte sie an mich weiterreichen, doch Hendricks hielt ihn auf.
„Er kann nicht gut lesen. Sagen Sie ihm das Gröbste, geben Sie ihm das Geld, und schicken Sie ihn nach Süden." Der alte Mann hob seinen Blick nicht von seinem Buch.
„Oh." Gordon lächelte mich verlegen an und öffnete die Mappe. „Sie wurden vor etwa vierzig Jahren in Tarensvault geboren, einer Stadt des noxischen Imperiums, das seit der Zweiten Katastrophe nicht mehr existiert. Sie und ihr älterer Bruder Arcaul schlossen sich zunächst den Herren der tarenischen Unterwelt an, bevor Sie der Luftflotte beitraten und sich rasch einen Namen machten. Doch kurz, nachdem Sie zum Lieutenant ernannt wurden, wurden Sie unehrenhaft entlassen."
Ich schwieg. Etwas davon kam mir bekannt vor, ein Flackern von Bildern und Eindrücken, die ich niemals in Worte fassen könnte. Mein Bruder war nur ein Schatten neben mir, ein Gefühl von Sicherheit und Draufgängertum, doch er hatte kein Gesicht.
„Danach ist lange nichts in den Aufzeichnungen zu finden. Ein paar Erwähnungen, dass ein Karr für Geld mordet, doch das ist kaum etwas Ungewöhnliches. Später findet sich Ihr Name in den Akten eines längst untergegangenen Händlers, auf dessen Schiffen Sie anheuerten und bei einem Überfall von Piraten verloren gingen. Es hieß lange, Sie wären tot, bis ein Schiff des Imperiums, das unter dem Befehl Ihres Bruders stand, Sie bei Schmugglern fand und Sie wieder in die Dienste des Imperiums stellte. Einige Jahre lang machten Sie sich als Bootsmann verdient, bis Ihr Bruder den Befehl bekam, Waffenschmuggel in der Stadt Yellowfall zu unterbinden. Doch Ihr Schiff wurde abgeschossen, es stürzte vom Himmel, und Sie überlebten als einziger." Er blätterte ein paar Seiten um. „Das ist alles, was wir wissen."
„Ashenfall und Yellowfall. Sind es die gleichen Städte?", fragte ich langsam.
„Nein. Sie sind gänzlich anders. Was ich Ihnen gerade erzählte, geschah vor etwa sieben Jahren. Was ihnen vor zwei Jahren widerfuhr, ist nur ein weiterer Absturz, den Sie überlebten."
„Wie kam es dazu?", wollte ich wissen. Es ergab Sinn. Der Moment, in dem ich bedeckt mit Asche, umringt von Leichen und Schiffsteilen nahe Ashenfall aufgewacht war, hatte sich stets angefühlt, als hätte ich etwas Derartiges bereits erlebt.
„Ich weiß es nicht, Master Herrera. Nach dem Absturz sind Sie verschwunden. Es würde eine komplexe Jagd nach Hinweisen bedeuten, jenen Ereignissen auf den Grund zu gehen." Gordon schloss die Akte. „Doch es heißt, dass Durensky sich für die Vergangenheit sehr interessiert, und auch für das, was die Zweite Katastrophe verursachte. Er sucht nach Erinnerungskernen von Kriegsgeschmiedeten, von denen einer wohl sehr aufschlussreiche Ergebnisse brachte."
„Wo finde ich diesen Kriegsgeschmiedeten? Lebt er?"
„Nein. Er ist so tot, wie ein Konstrukt sein kann. Doch sein Erinnerungskern wird ausgewertet, in einem Labor unter einer von Durenskys Waffenfabriken, die sich Vangrir III nennt."
„Vielen Dank." Ich sah zufrieden in die Runde. „Wenn Sie mir nun mein Geld geben, und für meine Sicherheit garantieren, werde ich mich auf den Weg nach Ashenfall machen."
„Wir können sie kaum vor Russell schützen, wenn Sie sich allein auf den Weg nach Ashenfall machen", entgegnete Tanqueray. „Wenn Sie jedoch Miss Alderberry nach Woodenwyll bringen, haben Sie Master Blacat und Captain Iskjandrova bei sich, die es sicherlich mit Russells Schergen aufnehmen können."
„Und Sie bekommen dreißigtausend Aurai", merkte Gordon beiläufig an.
Dreißigtausend Aurai waren mehr Geld, als ich mir je erhofft hatte. Es war weit mehr als doppelte von dem, was Russell mir geboten hatte, und machte den Plan, Valentina zu entführen und sie doch noch zu dem Krähengesicht zu bringen, beinahe nichtig. Ich legte skeptisch den Kopf schief. „Seid ihr euch sicher? Ich könnte mich mit fünfzehntausend zufrieden geben und mich allein auf die Suche machen. Wozu braucht ihr mich noch, wenn Sim und Iskjandrova sie beschützen?"
„Es ist ein Auftrag, wenn Sie so wollen." Tanqueray lächelte dünn. „Wir würden Sie nicht anheuern, wenn wir Sie nicht brauchten. Sollte die Banshee schneller mächtiger werden, als wir es erwarten, brauchen wir Sie, um sie aufzuhalten. Denn Sie haben es bereits getan."
„Die Banshee aufgehalten?"
„Dämonen getötet. Deswegen hat Russell Sie beauftragt. Er weiß, was sie können. Zumindest ein wenig. Einer seiner Spione war angeblich Teil der Wissenschaftler, die den Kriegsgeschmiedeten in Ashenfall untersuchten, bis Durensky es herausfand", erklärte Sapphire aufgeregt.
Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, was mit dem Mann geschehen war. Und ich wusste nun, woher Russell etwas über mich gewusst hatte. „Der Kriegsgeschmiedete weiß, dass ich schon Dämonen umgebracht habe."
„Das glauben wir, ja. Aber mehr ist kaum ans Tageslicht gedrungen. Durensky hält seine Entdeckungen fest verschlossen."
Ich würde in die Waffenfabrik des gefährlichsten Mannes der Welt einbrechen, und ich hätte einen Killer, eine Frau mit der Macht einer Göttin und eine adelige Kapitänin als Unterstützung bei mir. Beinahe freute ich mich darauf. „Also nun. Kurs auf Ashenfall und dann nach Woodenwyll", beschloss ich. „Und ich hätte gern fünftausend im Voraus."
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Verzeihung für die Verspätung, ich habe diverses um die Ohren.
Sapphire ist großartig. Ich hoffe, ich werde mich dereinst wieder zu den Gintlemen begeben.
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