Kapitel 20 Band 6
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Alex lief mit schleichender Präzision durch die engen, düsteren Korridore des Labyrinths. Seine roten Augen leuchteten im schwachen Licht, während er jede Bewegung, jeden Schatten beobachtete. Er war nicht nur auf der Suche nach Emilia, sondern auch nach einem Hinweis, der ihn aus diesem verfluchten Ort führen konnte.
"Wie typisch," murmelte er leise zu sich selbst, "das Labyrinth teilt uns alle auf. Natürlich bin ich allein. Mal wieder."
Er spürte eine Bewegung hinter der nächsten Ecke, duckte sich instinktiv und drückte sich an die Wand. Ein leises Knurren entkam ihm. „Na los, zeig dich."
Als eine vertraute Gestalt auftauchte, entspannte er sich leicht – aber nur leicht. „Gray?" fragte Alex mit hochgezogener Augenbraue.
Gray, dessen blaue Augen selbst in der Dunkelheit wie das Meer funkelten, wirkte völlig unbeeindruckt. „Na, wer hätte das gedacht. Alex, der strahlende Vampir. Allein im Dunkeln, wie poetisch."
Alex verzog den Mund zu einem sarkastischen Lächeln. „Und da ist der glorreiche Gray, der Poet des Meeres. Was machst du hier? Dichtest du deine Gefühle für Emilia?"
Gray schnaubte und schüttelte den Kopf. „Eigentlich suche ich einen Weg aus diesem Wahnsinn. Aber wenn ich gewusst hätte, dass ich dich finde, hätte ich mir das vielleicht anders überlegt."
Trotz ihrer Sticheleien war beiden klar, dass es besser war, zusammenzuarbeiten. Alex musterte Gray kurz, bevor er nickte. „Hör zu, wir haben keine Zeit für Wortgefechte. Hast du etwas gesehen, das uns helfen könnte?"
Gray verschränkte die Arme und lehnte sich entspannt gegen die Wand. „Nun, abgesehen von den sich ständig bewegenden Wänden und dem Gefühl, dass ich in einem schlechten Albtraum gefangen bin? Nicht wirklich."
„Großartig," murmelte Alex. „Aber ich nehme an, du hast bemerkt, dass die Wände bestimmte Geräusche verstärken, richtig?"
Gray runzelte die Stirn. „Natürlich habe ich das bemerkt. Ich bin kein Idiot."
„Perfekt," sagte Alex, sein Tonfall wurde geschäftsmäßiger. „Dann konzentrieren wir uns darauf. Wenn wir uns auf die Geräusche fokussieren, können wir vielleicht den nächsten Durchgang finden. Aber wir müssen uns beeilen. Die anderen könnten in Gefahr sein."
Die beiden setzten ihren Weg fort, während sie sich gegenseitig neckten.
Gray sah Alex an, „Weißt du, Alex, du bist überraschend kompetent. Ich hätte dich eher für den Typ gehalten, der sich auf seine guten Looks verlässt, um durchzukommen."
Alex schnaubte belustigt, „Oh, ich verlasse mich auf meine Looks. Aber die bringen dich nur so weit, wenn ein Labyrinth versucht, dich umzubringen."
Gray grinste leicht, während er seine Hand an die Wand legte, um die Richtung des Geräuschs zu fühlen. „Was ich nicht verstehe, ist, warum du nicht einfach jemanden hypnotisierst, um das Labyrinth für uns zu öffnen."
Alex schüttelte den Kopf. „Und warum hypnotisierst du nicht das Wasser, um uns rauszuspülen, oh großer Elementargeist des Wassers?"
Gray hielt inne, drehte sich langsam zu Alex um und sagte trocken: „Weil ich dich nicht ruinieren will, indem ich dir zeige, wie überlegen ich bin."
Alex lachte leise, ein seltener Moment von echter Amüsiertheit. „Na schön, ich gebe zu, dass du mich da hast."
Schließlich erreichten sie einen Abschnitt, in dem die Geräusche stärker wurden. Alex hielt an, hob die Hand und bedeutete Gray, still zu sein. „Da. Hörst du das?"
Gray nickte. „Klingt wie Wasser. Fließendes Wasser, direkt hinter dieser Wand."
Alex legte eine Hand an die Wand und lächelte leicht. „Perfekt. Und ich nehme an, du kannst uns durchbringen, ohne alles zu überfluten?"
Gray grinste selbstzufrieden. „Natürlich. Ich bin ein Profi."
Mit einer fließenden Bewegung sammelte Gray das Mana aus seiner Umgebung, und das Wasser begann sich aus der Wand zu ziehen. Ein kleiner Durchgang öffnete sich, gerade groß genug, um hindurchzuschlüpfen.
Alex trat zuerst durch und drehte sich dann zu Gray um. „Siehst du? Zusammen sind wir gar nicht so schlecht."
Gray schüttelte den Kopf, ein kleines Lächeln auf seinen Lippen. „Das würde ich nicht überbewerten. Aber... ich gebe zu, es ist angenehm, nicht allein zu sein."
Mit einem Nicken setzten die beiden ihren Weg fort, ihre Dynamik aus Sarkasmus und gegenseitigem Respekt wurde zu einer unerwarteten Stärke.
...
Gray und Alex saßen nebeneinander auf dem Boden des neuen Korridors, beide klatschnass und keuchend vor Lachen. Das Wasser, das Gray herbeigerufen hatte, hatte sie zwar in einen anderen Abschnitt des Labyrinths gebracht, aber es hatte auch dafür gesorgt, dass sie wie zwei triefende Gefährten aussahen, die gerade aus einem Teich gezogen worden waren.
„Ich gebe es zu," keuchte Alex und strich sich das tropfende Haar aus dem Gesicht, „das war... effektiv. Aber wenn du mich nochmal ohne Vorwarnung in einen Wasserstrudel wirfst, bringen wir das anders zu Ende."
Gray lachte und ließ sich zurückfallen, seine blauen Augen blitzten amüsiert. „Oh, komm schon, Alex. Du sahst großartig aus, wie du dich versucht hast, gegen die Strömung zu wehren. Fast wie ein edler Vampir, der ums Überleben kämpft."
Alex schnaufte und boxte Gray leicht in die Schulter. „Und du? Du hast ausgesehen, als würdest du versuchen, synchron schwimmen zu lernen."
Beide brachen erneut in Gelächter aus, ihre Stimmen hallten durch den Korridor, bis sie plötzlich verstummten. Ein Schatten fiel über sie, und sie blickten gleichzeitig auf.
Drei Gestalten standen über ihnen, die Arme verschränkt und mit erhobenen Augenbrauen: Felix, Jake und Chaylin. Ihre Blicke schwankten zwischen Belustigung und ungläubigem Staunen.
Gray war der Erste, der die Stille durchbrach. „Oh, großartig. Zuschauer. Wie lange steht ihr schon da?"
Felix grinste breit. „Lange genug, um zu sehen, dass ihr zwei euch bestens amüsiert."
Jake verschränkte die Arme, seine tiefroten Augen funkelten. „Ist das euer Plan, die anderen zu retten? Euch gegenseitig zum Lachen zu bringen, bis das Labyrinth sich auflöst?"
Chaylin schüttelte den Kopf, ein schelmisches Lächeln auf ihren Lippen. "Lasst euch nicht aufhalten. Wir genießen die Show."
Alex und Gray tauschten einen Blick, bevor sie sich hastig aufrichteten. Alex zog seinen Mantel enger um sich, während Gray versuchte, seine nassen Haare zu glätten.
Gray räusperte sich. "Chaylin, hattest du heute Morgen nicht andere Kleider an?"
Chaylins Blick verengte sich, und sie stemmte die Hände in die Hüften. "Eine Frau fragt man sowas nicht. Lass es."
Felix lachte leise, während Jake die Augen verdrehte.
Alex schüttelte den Kopf und wandte sich an die Gruppe. "Ist Emilia nicht bei euch? Verdammt, wir müssen sie finden."
Felix legte Alex eine beruhigende Hand auf die Schulter. "Ruhig, Vampir. Wahrscheinlich hat sie Sei schon gefunden. Oder sogar Schade. Du weißt, sie ist stärker, als sie aussieht."
Alex nickte, seine Sorgen jedoch nicht ganz verschwunden.
Jake deutete auf die zerstörten Wände hinter ihnen. "Sei hat uns einen Weg geschlagen. Wir müssen ihm nur folgen. Wenn Emilia bei ihm ist, werden wir sie bald finden."
Gray und Alex sahen sich an, und ein schwaches Lächeln zog über ihre Gesichter. "Na gut," sagte Alex schließlich. "Aber wenn ich noch einmal durch einen Strudel lande, ist es vorbei mit dir, Gray."
Gray schmunzelte. "Versprochen. Aber du musst zugeben, ich hab uns weitergebracht."
"Ja, ja," murmelte Alex, während sie sich der Gruppe anschlossen. "Wir sprechen später darüber."
Zusammen machten sich die fünf auf den Weg, jeder bereit, den nächsten Abschnitt des Labyrinths zu bewältigen – und Emilia zu finden.
Die Gruppe folgte dem Weg der zerstörten Wände, den Sei hinterlassen hatte. Die Trümmer und die offensichtliche rohe Gewalt sprachen Bände über die Entschlossenheit des Minotaurus, sich durch das Labyrinth zu kämpfen. Jeder Schritt führte sie tiefer in die düsteren Gänge, bis sie schließlich Stimmen hörten, die sich in der Entfernung mischten.
Jake hob die Hand, um die Gruppe zum Anhalten zu bringen. "Da vorne," sagte er leise, seine tiefroten Augen fokussierten sich auf die Bewegung in der Ferne.
Felix schnüffelte in die Luft, ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Das sind sie. Sei, Schade und... Emilia."
Chaylin spürte, wie ihr Herz einen Schlag schneller schlug. Ohne zu zögern beschleunigte sie ihre Schritte, ihre smaragdgrünen Augen blitzten, als sie durch die letzten Trümmer trat.
Dort standen sie: Sei, der wie ein Bollwerk wirkte, Schade, dessen dunkle Präsenz noch immer beunruhigend und doch beruhigend war, und Emilia, die an Schades Seite stand, sichtbar erschöpft, aber am Leben.
"Oh, meine kleine Sonne!" rief Chaylin, ihre Stimme überschlug sich fast vor Erleichterung. Sie rannte zu Emilia und schloss sie fest in ihre Arme. "Heil... Aber deine Kleider... Oh, Emilia, was ist passiert?"
Emilia lächelte schwach, ihre kastanienbraunen Augen glitzerten vor Emotionen. "Ich bin okay, Chaylin. Wirklich. Schade hat mich rechtzeitig gefunden."
Chaylin hielt sie ein Stück zurück, um sie genauer zu betrachten. Der Anblick der zerrissenen Kleidung ließ sie frustriert seufzen. "Das geht so nicht. Warte."
Mit einem schnellen Handgriff öffnete Chaylin ihre Tasche und zog ein schlichtes, aber elegantes Ersatzkleid hervor. "Eine Frau muss vorbereitet sein, erinnerst du dich?" sagte sie mit einem Lächeln und legte das Kleid behutsam über Emilias Schultern.
Emilia nahm es dankbar entgegen, während Chaylin schützend vor ihr stand. "Ich sorge dafür, dass niemand auch nur einen Blick riskiert," fügte sie hinzu und warf Felix und Jake einen scharfen Blick zu.
Während Emilia sich umzog, richteten sich die Blicke der Gruppe auf Schade. Jake trat einen Schritt näher, seine Stimme war ruhig, aber fordernd. "Schade, was ist mit Sedrick passiert?"
Schade verschränkte die Arme, seine gelben Augen wirkten kühler als sonst. „Sedrick," begann er langsam, „hat die Bekanntschaft mit meiner Sünde gemacht. Gräuel. Dunkelheit. Verzweiflung."
Die Stille in der Gruppe war greifbar, während Schade weitersprach. „Ich habe ihm gezeigt, was es bedeutet, den Abgrund zu sehen. Alles, was er getan hat, alles, was er verloren hat, alles, was ihn zu dem gemacht hat, was er ist – ich habe ihn gezwungen, es zu durchleben. Wieder und wieder. Bis sein Geist zerbrochen ist."
Felix schnaubte leise, seine goldenen Augen blitzten vor Wut. "Du hast ihn also gebrochen."
Schade nickte. "Ja. Er ist jetzt ein Schatten seiner selbst. Das Labyrinth hat ihn verschlungen. Vielleicht lebt er noch. Vielleicht auch nicht. Aber er ist keine Bedrohung mehr."
Emilia trat hervor, nun in dem Kleid, das Chaylin ihr gegeben hatte. Sie sah Schade mit einer Mischung aus Respekt und Besorgnis an. „Du hast ihn zerstört," sagte sie leise.
Schade neigte den Kopf leicht, seine Stimme war ruhig, aber fest. „Er hat es verdient. Aber glaub mir, Zuckerblume, ich habe nicht mehr getan, als notwendig war."
Die Gruppe war wieder vereint, und trotz der Erschöpfung und der Schrecken, die sie erlebt hatten, spürten sie eine Welle von Erleichterung. Jake legte eine Hand auf Schades Schulter. „Du hast sie beschützt. Das ist alles, was zählt."
Felix nickte, seine goldenen Augen wanderten zu Emilia. „Und jetzt sind wir alle hier. Das Labyrinth hat uns nicht getrennt bekommen."
Emilia lächelte schwach, ihre Stimme war voller Dankbarkeit. „Danke... euch allen."
Chaylin legte eine Hand auf Emilias Schulter und zog sie sanft an sich. „Wir werden dich immer finden, meine kleine Sonne. Immer."
Schade deutete auf die zerstörten Gänge vor ihnen. „Sei hat uns einen Weg geschlagen. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Das Labyrinth wird nicht kampflos aufgeben."
Sei nickte ruhig, seine tiefe Stimme war voller Zuversicht. „Wir sind stärker als dieses Labyrinth."
Mit neuer Entschlossenheit und vereinten Kräften machten sie sich auf, die nächste Etappe zu bewältigen – bereit für alles, was noch vor ihnen lag.
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Die Gruppe folgte Chaylins Mana-Projektor, dessen schimmerndes Licht den Weg zur markierten Tür wies. Jeder Schritt brachte sie näher an den Eingang zur dritten Ebene, aber die bedrückende Stille des Labyrinths ließ die Anspannung nicht weichen.
Emilia lief neben Schade, ihre kastanienbraunen Augen zeigten deutlich ihre Besorgnis. „Was ist mit Ash? Wo ist er?" fragte sie mit zitternder Stimme. „Ich mache mir Sorgen."
Schade seufzte leise, seine dunkle Stimme war von einer Mischung aus Frustration und Nachdenklichkeit geprägt. „Ich habe mehrmals versucht, ihn telepathisch zu kontaktieren. Aber keine Reaktion."
Emilia blieb stehen, ihre Hände zitterten leicht. „Was? Warum antwortet er nicht? Was, wenn ihm etwas passiert ist?"
Schade hielt inne und drehte sich zu ihr um, seine gelben Augen fixierten sie ernst. „Ich habe zwei Mitglieder belauscht," begann er. "Ash wurde gefangen genommen. Und sie haben Leeò."
Emilias Augen weiteten sich. "Was? Ash gefangen? Und... Leeò? Wer ist das?"
Gray trat näher, seine blaue Aura schimmerte leicht. "Leeò ist ein Inkubus," erklärte er ruhig. „Unser... Sittenstrolch, wenn du so willst."
Jake verschränkte die Arme und schnaubte. „Oder unsere Hure, je nachdem, wie du es sehen willst."
Emilia blinzelte verwirrt. „Eine Hure? Und das soll mir jetzt irgendwas erklären? Wie hängt das alles zusammen?"
Schade trat vor, seine Stimme war ruhig, aber fest. „Nox Vigilia hat Leeò gefangen genommen. Er ist ein wichtiger Teil unserer Gruppe, selbst wenn es nicht immer offensichtlich ist. Ash... Ash hat sich gefügt, weil sie ihm gedroht haben. Sie haben Leeò als Druckmittel benutzt. Sie wissen, dass Ash zu mächtig ist, um ihn direkt zu konfrontieren. Also haben sie ihn gezwungen, sich ihrem Willen zu beugen, indem sie Leeò in Gefahr gebracht haben."
Emilias Hände ballten sich zu Fäusten. "Und Ash? Geht es ihm gut? Was haben sie mit ihm gemacht?"
Schade hielt ihren Blick fest, bevor er antwortete. „Ich glaube, Ash könnte in Ordnung sein. Die Mitglieder, die ich belauscht habe, sagten, Sedrick sollte zu ihm geschickt werden. Aber..." Ein leises, bedrohliches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Den habe ich bereits aus dem Verkehr gezogen."
Jake nickte, seine tiefe Stimme war fest. „Dann ist Ash vielleicht noch in ihrer Gewalt, aber er lebt. Und wir wissen, dass er nicht einfach aufgibt."
Emilia schüttelte den Kopf, ihre Stimme war leise, aber voller Besorgnis. „Aber... warum antwortet er nicht? Wenn er lebt, warum sagt er uns nicht, wo er ist? Warum erklärt er uns nicht, was passiert?"
Schade legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Weil das Ash ist," sagte er schlicht. „Du weißt doch, wie er ist. Für ihn ist es wahrscheinlich zu mühsam, alles zu erklären. Er wird es auf seine Weise regeln, ohne uns reinzuziehen. Das ist seine Art. Es bedeutet nicht, dass es ihm schlecht geht."
Felix trat näher und grinste leicht, um die Anspannung zu lockern. „Vielleicht hat er ja auch einfach keine Lust auf Drama."
Emilia sah ihn an, ein Funken Hoffnung in ihren Augen. „Du glaubst also wirklich, dass es ihm gut geht?"
Gray nickte. „Ash ist stärker, als er aussieht. Er weiß, was er tut. Wir werden ihn finden."
Schade drehte sich zur Gruppe um, seine dunkle Präsenz war wie ein Schutzschild um sie alle. „Unsere nächste Priorität ist klar. Wir gehen in die dritte Ebene. Dort finden wir nicht nur heraus, was los ist, sondern wir holen Ash und Leeò zurück. Und wir sorgen dafür, dass Nox Vigilia dafür bezahlt."
Die Gruppe nickte entschlossen und folgte Chaylins Mana-Projektor weiter durch die stillen Gänge des Labyrinths. Emilias Sorgen waren nicht ganz verschwunden, aber sie wusste, dass sie Ash nicht im Stich lassen würden – und dass sie ihn retten würden, egal, was es kostete.
Das Labyrinth des Wahns
Die Gruppe stand vor dem Tor, das Chaylin mit ihrem Mana-Projektor markiert hatte. Die Atmosphäre war gespannt, aber jeder spürte, dass sie ihrem Ziel näher kamen. Die dritte Ebene lag direkt vor ihnen – ein Ort, der sich schon durch die kühle, stickige Luft ankündigte, die aus den Tiefen der Treppe zu ihnen aufstieg.
Chaylin führte die Gruppe mit fester Hand, ihr Mana-Projektor strahlte ein sanftes Licht, das ihnen den Weg wies. „Haltet euch nah," sagte sie ruhig, ihre Stimme war ein Anker für die anderen. „Ich will keine weiteren Verluste oder Umwege. Diesmal bleiben wir zusammen."
Emilia ging neben Felix her, ihre kastanienbraunen Augen voller Nachdenklichkeit. Schließlich drehte sie sich zu ihm um, trat näher und legte sanft ihre Hand auf seinen Arm. „Felix," sagte sie leise, bevor sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen Kuss auf die Wange gab.
Felix blinzelte überrascht und drehte sich leicht zu ihr, ein schelmisches Lächeln auf seinen Lippen. „Was war das denn für eine Überraschung, meine kleine Mieze?"
Emilia lächelte schüchtern. „Danke, Felix. Danke, dass du mich trainiert hast. Du hattest recht – der Kampf mit Sedrick war... roh und gewalttätig. Es war kein Raum für Zauber, keine Zeit für Barrieren. Alles, was ich tun konnte, war das, was du mir beigebracht hast. Ich habe versucht, alles umzusetzen, aber... es war nicht genug. Seine Erfahrung und seine Kraft waren ein klarer Vorteil."
Felix sah sie nachdenklich an, sein Lächeln wich einem ernsteren Ausdruck. „Du hast dich gut geschlagen, Emilia. Du bist nicht zusammengebrochen, sondern hast gekämpft. Das zählt. Aber ich verstehe, was du meinst."
Emilia nickte und griff vorsichtig nach seiner Hand. „Ich möchte wieder mit dir trainieren – intensiver. Ich muss besser werden, Felix. Ich will nie wieder das Gefühl haben, völlig unterlegen zu sein."
Felix' goldene Augen blitzten, und ein triumphierendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Endlich hast du es erkannt, meine kleine Mieze! Ich wusste, dass du irgendwann kapierst, wie wichtig meine Trainingseinheiten sind."
Bevor Emilia antworten konnte, mischte sich Sei ein, der mit verschränkten Armen hinter ihnen ging. Seine tiefe Stimme klang belustigt. „Wenn du wirklich härter werden willst, Prinzessin, kannst du auch mit mir trainieren. Ich helfe gerne."
Die gesamte Gruppe blieb abrupt stehen. Alex, Jake, Gray und sogar Chaylin warfen Sei entsetzte Blicke zu.
„NEIN!" riefen sie fast gleichzeitig.
Jake schüttelte den Kopf, seine Augen funkelten. „Sei, deine Vorstellung von Training ist ein Todesurteil. Niemand überlebt deine Einheiten ohne mindestens drei gebrochene Rippen."
Gray nickte zustimmend. „Und das ist noch optimistisch. Deine Trainingsmethoden sind eher Folter als Unterricht."
Alex fügte mit einem leisen Schnauben hinzu: „Lass es, Sei. Niemand hier ist so verrückt, mit dir zu trainieren."
Sei lachte leise, ein dunkles Grollen, das durch den Korridor hallte. „Ihr seid alle Feiglinge. Aber gut, wenn die Prinzessin lieber bei ihrem Herzbiss bleibt..."
Emilia grinste, ihre kastanienbraunen Augen funkelten amüsiert. Sie ergriff Felix' Hand und drückte sie leicht. „Danke, Sei. Aber ich bleibe bei meinem Herzbiss. Er ist zwar streng, aber wenigstens versucht er nicht, mich umzubringen."
Felix lachte laut, sichtlich zufrieden mit ihrer Entscheidung. „Gute Wahl, Mieze. Ich verspreche dir, dass ich dich so stark machen werde, dass dir niemand mehr etwas anhaben kann."
Chaylin blieb vor dem massiven Tor stehen, das den Zugang zur Treppe in die dritte Ebene markierte. Sie legte eine Hand auf die Tür, und das Mana ihres Projektors pulsierte, während sich das Tor langsam öffnete. Ein kalter, feuchter Luftzug strömte ihnen entgegen, der nach Verfall und Geheimnissen roch.
„Das ist es," sagte Chaylin ruhig, ihre Stimme fest. „Die dritte Ebene. Von hier aus gibt es keinen Rückzug mehr. Wir müssen vorbereitet sein."
Jake trat vor und nickte. „Dann los. Bleibt zusammen, keine Alleingänge."
Schade glitt aus den Schatten hervor, seine gelben Augen leuchteten. „Bleibt wachsam. Dieses Labyrinth hat uns nicht alles gezeigt, was es zu bieten hat."
Die Gruppe begann ihren Abstieg in die Dunkelheit, jeder von ihnen spürte das Gewicht der bevorstehenden Herausforderungen. Doch ihre Schritte waren entschlossen – sie waren bereit, sich allem zu stellen, was die dritte Ebene für sie bereithielt.
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Ash saß auf den kalten, rauen Steinen, die den Boden seines Gefängnisses bildeten. Um ihn herum war alles in Finsternis gehüllt, nur ein schwaches, pulsierendes Licht aus einer Quelle, die er nicht sehen konnte, warf unheimliche Schatten an die Wände.
Er lehnte den Kopf zurück und atmete tief ein, doch selbst die Luft schmeckte hier bitter. Seine Hände waren in schweren, mit Runen versehenen Fesseln gefangen, die nicht nur seine Bewegungen einschränkten, sondern auch die Zirkulation seines Mana blockierten. „Das war ja klar," murmelte er leise zu sich selbst. Seine Stimme hallte in der unheimlichen Stille wider. „Ihr wollt mich nicht töten, aber ihr wollt auch nicht, dass ich Spaß habe."
Die Tür zu seinem Kerker öffnete sich mit einem quälenden Knirschen, und eine dunkle Gestalt trat ein. Ihre Augen glühten im Halbdunkel, und ihre Präsenz füllte den Raum mit einem Gefühl von Macht und Unheil.
Ash hob eine Augenbraue, ein schiefes Grinsen auf seinen Lippen. „Na, endlich. Ich dachte schon, ihr hättet mich vergessen. Soll ich raten? Mehr Drohungen, oder wollt ihr diesmal direkt zur Sache kommen?"
Die Gestalt blieb stehen und sprach mit einer Stimme, die wie ein Flüstern und ein Donner zugleich klang: „Deine Macht ist ein Problem, Ash. Aber dein Herz? Das ist deine wahre Schwäche."
Ash wurde unsanft aus seinem dunklen Kerker gerissen, seine Hände noch immer in den schweren, mit Runen versehenen Fesseln. Zwei Wächter zogen ihn in einen hell erleuchteten Raum und warfen ihn mit brutaler Präzision auf einen Stuhl, der mitten auf einem mit Siegelmagie versehenen Kreis stand.
Die Gravuren im Boden leuchteten bedrohlich auf, als die Wächter den Stuhl fixierten. Ein leises, elektrisches Summen lag in der Luft. Ash sah sich um, seine roten Augen nahmen die Details des Raumes auf – kühle Wände, keine Fenster, und der einzige Ausgang wurde von zwei weiteren Wächtern bewacht.
Eine Frau in einer dunklen Robe trat vor, ihre Aura war durchdrungen von konzentrierter Macht. Sie blieb vor dem Zirkel stehen, ihre Hand schwebte über den Siegelgravuren.
Ash lehnte sich entspannt zurück, soweit es die Fesseln zuließen, und lächelte träge. „Oh, wie gemütlich. Ich bekomme einen Thron und alles. Was für ein Service."
Die Frau ignorierte seine Bemerkung und sprach mit kalter Präzision. „Du wirst sprechen, Essenz der Trägheit. Oder du wirst die Konsequenzen spüren."
Mit einer geschmeidigen Bewegung legte sie ihre Hand auf den Zirkel und schickte eine Welle elektrischer Energie durch Ashs Körper. Sein Körper krümmte sich unwillkürlich, ein tiefer Schrei entkam ihm, bevor er wieder schwer atmend auf den Stuhl sank.
„Wow," murmelte er schließlich, seine Stimme immer noch von Sarkasmus getränkt. „Das war... erfrischend. Habt ihr das als Weckruf programmiert oder war das nur ein Vorgeschmack?"
Die Frau blieb ungerührt und stellte ihre erste Frage. „Wie aktiviert man eure Essenz? Die Sünde der Peinigung – wie funktioniert sie?"
Ash hob mühsam den Kopf, seine gold purpurnen Iriden glühten schwach. „Ach, ihr wollt eine Anleitung? Tut mir leid, aber ich bin kein Lehrer."
Mit einem knappen Nicken ließ die Frau erneut Mana in den Zirkel fließen. Die elektrische Entladung durchzuckte Ash, stärker als zuvor. Seine Muskeln spannten sich, doch er biss die Zähne zusammen und versuchte, den Schmerz zu ignorieren.
„Das war keine Antwort," sagte die Frau kühl. „Wie aktiviert man die Essenz? Und wie kann sie kontrolliert werden?"
Ash lachte trocken, obwohl seine Stimme von Erschöpfung zitterte. „Ihr könnt sie nicht kontrollieren. Ihr könnt uns nicht kontrollieren. Unsere Essenzen sind keine Spielzeuge, die ihr nach Belieben benutzen könnt."
Die Frau schürzte die Lippen. „Wirklich? Und was ist mit eurer Fähigkeit, ständig in Kontakt zu bleiben? Wie habt ihr es geschafft, unsere Barrieren zu umgehen?"
Ash grinste, trotz der offensichtlichen Schmerzen. „Vielleicht bin ich einfach ein Genie. Oder vielleicht seid ihr einfach nicht so gut, wie ihr denkt."
Erneut aktivierte sie den Zirkel, und der Schmerz durchfuhr ihn wieder. Ash keuchte, sein Körper zitterte, aber er schaffte es, seine Haltung zu bewahren.
Die Frau beugte sich näher zu ihm, ihre Augen funkelten gefährlich. „Wie viele von euch sind in der Ebene? Und wie viele Todsünden stehen noch außerhalb unserer Reichweite?"
Ash hob eine Augenbraue, seine Lippen formten ein müdes Lächeln. „Warum sollte ich das beantworten? Ihr habt doch sicher irgendwo eine magische Glaskugel herumliegen. Schaut selbst nach."
Die Folter setzte sich fort, doch Ash blieb standhaft, seine Antworten voller sarkastischer Spitzen:
• "Wie funktioniert eure Bindung an die Hüterin?" – „Oh, ich wusste nicht, dass ihr so interessiert an Beziehungen seid. Soll ich euch ein Buch empfehlen?"
• "Wie könnt ihr eure Essenzen im Kampf verstärken?" – „Ihr wollt Tipps für den nächsten Kampf? Wie wäre es mit: Übt mehr."
• "Warum ist die Hüterin so wichtig für euch?" – „Vielleicht, weil wir sie mögen? Wäre das so schwer zu verstehen?"
Schließlich trat die Frau näher und sprach leise, fast sanft: „Du redest von Genialität, aber es sieht nicht so aus, als hättest du deinen Weg aus dieser Situation herausgefunden. Vielleicht bist du doch nicht so besonders, wie du denkst."
Ash hob den Kopf, sein Blick war scharf, trotz der Müdigkeit. „Das mag sein. Aber wenn ich euch einen Rat geben darf... Ihr wollt meine Essenz wirklich nicht aktivieren. Ihr habt keine Ahnung, was passieren könnte."
Die Frau ignorierte seine Warnung und ließ erneut eine Welle von Mana in den Zirkel fließen. Ash schrie auf, sein Körper bog sich unter dem intensiven Schmerz, doch er biss sich auf die Lippen und hielt durch.
Als die Folter kurz pausierte, hob Ash langsam den Kopf und grinste schwach. „Also, habt ihr noch mehr dieser schillernden Fragen? Oder soll ich einfach sitzen bleiben, während ihr weiter improvisiert?"
Die Frau schüttelte den Kopf, sichtlich unbeeindruckt. „Du wirst noch brechen, Essenz. Es ist nur eine Frage der Zeit."
Doch Ash blieb stumm, seine Entschlossenheit blieb unerschütterlich, selbst als der Zirkel erneut aktiviert wurde.
...
Die Folter zog sich in endlose Schleifen aus Schmerz und sarkastischen Bemerkungen, während Ash sich weigerte, den Fragen der Frau nachzugeben. Sie stand über ihm, ihre kalte Präsenz durchbohrte die ohnehin bedrückende Atmosphäre des Raumes. Ihre Knechte standen bereit, den Zirkel mit noch mehr Mana zu versorgen, wann immer sie es befahl.
Ash lehnte sich schwer atmend zurück, sein Körper war angespannt, doch seine roten Augen funkelten trotzig. „Wisst ihr," begann er träge, „ich habe auch eine Frage. Bist du etwa diese... Xyra?"
Die Frau blieb einen Moment still, doch ihre Augen blitzten wütend auf. „Wie kannst du es wagen, mich mit der Primus Arcanum gleichzusetzen!" zischte sie und nickte ihren Knechten zu.
Die magischen Gravuren des Zirkels leuchteten auf, und eine noch stärkere elektrische Ladung durchzuckte Ashs Körper. Er schrie auf, doch als der Schmerz nachließ, hob er schwach den Kopf und sprach mit heiserer Stimme: „Dann bist du wohl nicht Xyra. Schade, ich dachte, ich hätte endlich jemand wichtigen vor mir."
Sie zischte ungeduldig, aber Ash Fragen brannten in ihm.
„Wo ist Leeò?" presste Ash zwischen den Schmerzen hervor.
Die Frau trat näher und sah ihn mit kühler Verachtung an. „Ich stelle hier die Fragen. Die Essenz der Peinigung ist nicht hier, und du wirst ihn nie wiedersehen."
Ash schnaubte, sein Grinsen war schwach, aber spöttisch. „Gut, dann frag weiter. Vielleicht finde ich eine deiner Fragen interessant genug, um zu antworten."
Die Frau ignorierte seine Bemerkung und sprach weiter, ihre Stimme schärfer als zuvor. „Eure Hüterin... sie ist der Schlüssel zu eurer Vernichtung. Korrekt?"
Ash hob mühsam den Kopf, ein schiefes Grinsen auf seinen Lippen. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist sie auch der Schlüssel zu einem hervorragenden Apfelkuchen. Wer weiß?"
Die Frau schnaubte frustriert. „Seid ihr Todsünden der Schlüssel zur Vernichtung der acht Ursprungsdämonen?!"
Ash erstarrte für einen Moment, sein Blick flackerte kurz vor Überraschung, doch er erholte sich schnell. „Die acht Ursprungsdämonen? Wow, ihr habt euch wirklich Mühe gegeben, die alten Legenden zu durchwühlen, was?"
Die Frau war sichtlich ungeduldig, und ihre Geduld schwand mit jeder sarkastischen Antwort. Sie wandte sich an ihre Knechte. „Erhöht die Ladung! Maximiert sie!"
Die magischen Gravuren leuchteten intensiver auf, und Ashs Schrei hallte durch den Raum, als die statische Ladung sich verstärkte und sein Körper sich krümmte.
Die Tür des Raumes flog auf, und Sigan und Rask stürmten hinein. Ihre Gesichter waren von Panik gezeichnet, und sie verbeugten sich hastig vor der Frau.
„Meisterin Prima," begann Sigan eilig. „Ebene 2 ist in Chaos versunken! Unsere Neuankömmlinge wurden vernichtet. Diese Totbringer formieren sich schneller als erwartet, und... und Meister Sedrick... er ist auf Konfrontation gestoßen."
Die Frau drehte sich wütend um, ihre Augen funkelten vor Zorn. „Ich bin inmitten wichtiger Verhandlungen! Dieses Ungeziefer auf Ebene 2 ist irrelevant. Vergesst sie. Sie taugen nichts und sollen uns nur Zeit verschaffen."
„Aber Meisterin—" begann Rask, doch sie unterbrach ihn mit einer scharfen Handbewegung.
„Genug!" zischte sie und wandte sich wieder Ash zu. Ihre Stimme war voller Ärger, aber auch von einer gewissen Besessenheit. „Essenz der Trägheit... Sprich. Ich werde nicht zulassen, dass du mir die Informationen verweigerst, die ich brauche."
Ash hob mühsam den Kopf, sein Körper war vom Schmerz gezeichnet, doch seine Augen funkelten trotzig. „Weißt du, ich hätte da einen Vorschlag," murmelte er. „Wie wäre es, wenn wir das Ganze einfach abbrechen? Ich meine, ich bin offensichtlich zu stur, und du... naja, du wirkst langsam ein bisschen verzweifelt."
Die Frau kniff die Augen zusammen, und ihre Hand schwebte über den Zirkel, bereit, den Schmerz erneut zu entfesseln.
Der Raum schien für einen Moment still zu stehen, die Luft schwer von Spannung und unausgesprochenen Drohungen. Ash blieb ruhig, doch seine Gedanken rasten. Wie lange konnte er noch durchhalten? Und würde jemand rechtzeitig kommen, um ihn zu retten?
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