9. /Willen/

›ᴠᴇʀʀÜᴄᴋᴛ? ɴᴇɪɴ, ᴇꜱ ɪꜱᴛ ꜱᴏɢᴀʀ ᴍᴇʜʀ ᴀʟꜱ ᴅᴀꜱ ᴜɴᴅ ᴅᴇɴɴᴏᴄʜ ᴅɪᴇ ᴢᴜᴋᴜɴꜰᴛ?‹

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In Gedanken vertieft und ignorierend, hätte er es fast nicht wahrgenommen. Wie schön es doch wäre, wenn dieses Auftreten tatsächlich nie geschehen, wie in seinem leergefegten Kopf, kein Bestandteil der Realität wäre. Ob es ein endlich und so lang ersehnt wahr gewordenem Traum ähneln würde?

Möglicherweise. Es wäre so schön.

Würde es seinem Herzschlag eine Leichtigkeit verpassen und nach Ewigkeiten der Power, Ruhe in seinen ganzen Körper befördern? Möglicherweise.

Aber es hat geklingelt. Im Unterbewusstsein hat er dies auch bemerkt, aber so richtig wird es ihm erst klar, als die Stimme des Lehrers verstummt und vor allem Hongjoongs Bewegungen des Einpackens verdeutlichen es. Die Zeit, welche er sich nicht eine Sekunde ersehnt hat, ist angeklungen.

Wie schon öfter im heutigen Unterricht dreht er seinen Kopf zurück. Schluckt merklich und zuckt schnell wieder nach vorne, während er nun verkrampft seine Sachen zusammenpackend in seine Tasche stoppt. Angelächelt. Er. Hat ihn angelächelt.

Er will jemanden haben. Beistand. Jemand soll bei ihm sein. Aber die Angst ist zu groß. Sie hat ihn überrannt und von unlogisch dummer Sturheit eingenommen, spricht er diese Angst nicht aus. Hongjoong ist immer für ihn da, würde sich aufopfern, ohne mit einer Zögerung seiner Wimpern zu zucken. Weswegen wendet er sich nicht an seinen besten, als auch einzigen Freund? Weiß er wohl selbst nicht. Genau Wooyoung. Du weißt es nicht. Er macht es sich selbst klar. Redet es sich ein. Ändert dennoch nichts.

„So, wir sehen uns dann gleich in der Cafeteria. Such du dir ein schönes Buch aus!", zart lächelnd schnappt der Ältere seine Tasche und diese aufsetzend, sieht er Wooyoung ein letztes Mal musternd an. „Klar. Ich bin so schnell da, dass du meine Abwesenheit erst gar nicht bemerkst." Das Lächeln kann er ohne Probleme erwidernd. Sowas war noch nie ein Problem. Aber seine Stimme ist deutlich schwächer als die von Hongjoong. Trägt die Unruhe des Inneren nach außen, wird jedoch nicht erhört. Der Ältere hat sich abgewandt, den Raum schon verlassen, als Wooyoung sich erneut umdrehen will.

Erfahren, wo San jetzt ist. Was er vorhat. Was nun folgen wird.

Er sieht ihn nicht. Wo ist der Ältere?

Gerade will ihn die Panik überrennen. Hat er den Raum schon verlassen? Wollte er, dass er ihm folgt? Wird es eine Strafe beinhalten, dass er dies nicht erkannt hat und noch am Tisch sitzend in diesem Raum verweilt?

Von einer unglaublichen Hektik eingenommen, will er aufspringen. Aus dem Raum rennen, San noch im Flur abfangen und diesem folgen. Etwas vollziehen, was so gar nicht seinem Willen, jedoch dem besten Weg einer Schonung beinhaltet. Hoffentlich. Bis jetzt kann er sich immerhin nur ausmalen, was der andere überhaupt von ihm wollen könnte.

Dabei ist von Geld bis hin zu menschlicher Stressball alles dabei.

Gerade will er die geplante Bewegungsabfolge ausführen, da wird er festgehalten. Von hinten umarmen ihn zwei Arme. Ziehen den schwächlichen Körper der verzweifelten Frustration näher an sich. Sein Puls steigt auf Anhieb an. Er spürt wie die Person näher kommt, den Kopf auf seiner Schulter ablegt und folgende Worte in sein Ohr haucht: „Hast du mich etwa schon gesucht~?"

Zärtlich ziehen die Worte weiter, streifen seine Ohren nur kurz, verstummen geschwind und wachsam lauern sie auf eine Antwort hin. Jedoch kann der Jüngere keine Worte ergreifen. Nicht, wenn er hinter ihm ist. Mit seinem Kopf so nah an ihm, er kann den Duft des anderen wahrnehmen, welcher frisch, nicht abstoßend ist. Dennoch will er weg. Diese Präsenz ist unerträglich. Keine Ruhe.

Also nickt er. In einer unglaublichen Zärte. San wird dies wohl nicht erkannt haben, aber er verspürt es. Spürt die hebende und senkende Bewegung des Unterlegenden.
„Gut. Find ich echt gut, dass du meine Blicke doch noch verstanden hast.", die Worte verlieren an ihren Hauch und sich räuspernd zieht der Ältere sogar seinen Kopf zurück. Aber es tritt dennoch kein Schweigen ein. Wobei diese Stille nicht hätte unangenehmer sein können.
„Wir gehen jetzt in die Bibliothek. Hongjoong ist nicht dumm, er wird misstrauisch, wenn du kein Buch bei dir hast."

Somit nicht nur einen Entschluss fassend, sondern auch noch handelnd, greift San nach dem Handgelenk des Jüngeren. Zieht diesen mit sich.

Stören ihn diese Blicke nicht? Wie jeder sie zusammen sehen kann. Dies möglicherweise falsch interpretiert. Könnte es nicht das erbaute Image und all die Anweisung zu Wooyoung, seinerseits, fragwürdig, als auch durchbrochen darstellen? Dies sind Fragen, welche durch den Kopf des Schülers huschen. Keine Antwort erlangen und verharrend, niemals festsitzen. Sie ziehen ständig weiter, wühlen alles auf. Sind in ihrer reibenden Bewegung heiß, tauen gerade festgefrorene Gefühle auf und werfen mit der freigesetzten Emotion um sich.

Er ist zu friedlich. Was ist sein Plan? Er kann es wohl kaum gut meinen. Das geht nicht. Er kann es nicht. Unmöglich. Dieser Wandel an Einstellung zu Wooyoung ist unmöglich. Welches Spiel ist das? Wo ist das Ziel und wann war der Start? Was ist in Sans Kopf los?

Genau jetzt. Während er die Hand seines auserwählten und schon jahrelangem Opfer hält.

Weiter kann er diese Gedanken nicht ausbauen, nicht noch mehr Gänsehaut und flüchtende Furcht reininterpretieren. Denn plötzlich stehen sie schon in der Tür, von dem wohl leisesten Gebäudekomplex der Schule.

Vor sich erkennt er die Bibliothekarin. Sie ist selbst in eines der unzähligen Bücher vertieft. All die Gänge. Tische. Hohen Regale, mit tausenden an Büchern. Diese Räume, Abteilungen oder auch einfach nur diese Auswahl, der wohl größte Stolz des Internats.

Wooyoung ist sofort überwältigt. Er liebt es hier. Diese Gerüche. Diese Neugier. Hier zieht er sich zurück, wenn er Ruhe braucht und bis jetzt, wurde ihm sein Lieblingsort noch nicht verunstaltet.

Sachte blickt er zu San hinüber, welcher seinen Blick mehr emotionslos abweisend, als erfreut in diesen Raum gelegt hat. Hoffentlich wird ihn dieser Ort nicht zerstört. Den zarten Schimmer in Sans Augen erkennt er auffangend anbei nicht.
„Geh rein. Such dir ein Buch, ich erkläre dir währenddessen, was ich von dir will."

Sachte lässt der Ältere seinen Griff lockerer. Lässt sich zart vom Jüngeren leiten, als dieser nach stärker Zögerung und viel Missgunst den Weg durch die Regale der rechten Seite für sich entschied.

Fantasie.

Eine seiner liebsten Abteilungen. In der Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, der Autoren ausgedachten Welt, fühlt er sich mit am wohlsten. Kann die Realität auf einem der bestmöglichen Wege ausblenden.
Heute ist seine Suche nach seinem nächsten Schatz jedoch anders. San hat bis jetzt noch kein Wort an sich gerissen und angefangen zu erzählen. Dennoch konzertiert er sich nicht vollkommen auf die ihn anstrahlenden Einbände. Jederzeit könnte der andere mit dem Reden beginnen. Er muss bereit sein. Die Worte des Älteren verstehen, aufnehmen und wenn möglich umsetzen - um so wenig wie möglich an Schäden zu erleiden.

Plötzlich räuspert sich San. Sofort bleibt Wooyoung stehen, zieht ein Buch hervor.
'Die Seiten der Welt.'
Scheinbar interessiert hält er das Buch in seiner Hand, liest den Klapptext jedoch nur abwegig. Die volle Konzentration liegt auf jene Worte:
„Ich hab mir da etwas überlegt, womit ich dich in Leid wälzend sehen kann, ohne mich körperlich beteiligend selbst in die Schuld zu ziehen."

Hat der Ältere etwa Angst? Sofort stoppt die noch zart lesende Bewegung seiner Augen komplett. Er stockt. Nach all den Jahren, in den er den anderen hätte verraten können, hat er ohne Zögerung weitergemacht. Weil er es wusste: Der Jüngere schweigt.
Was hat er jetzt vor, dass er scheinbar vorsichtiger wird?
Es wird schlimmer. Klar, wird es das. Es wird schlimmer. Das haben die letzten Tage bewiesen. Es wird schlimmer. Aber wie, inwiefern?

Sachte hebt er seinen Blick an, sieht in die Augen des anderen. Es ist Neugier. Aber keine Erforschung. Es ist die Angst, welche festsitzt und erfahren will, worauf San denn nun genau hinauswill.

Den Blick des Jüngeren fängt der andere sofort auf, lässt seine Mundwinkel in eine zarte Hebung steigen und setzt sofort zur weiteren Äußerung an: „Selbstverletzung. Ich will den Schmerz in deinen Augen ablesen, jeden Tag. Nachdem du dir die Schmerzen, welche ich dir gestern noch verpasst habe, selbst antust."
Schleichend und schlendernd tritt Wooyoung einen Schritt zurück. Sieht den Älteren unglaubwürdig an. Das meint er wohl nicht ernst. Sowas kann von keinen Menschen kommen und dann auch noch ernstgemeint sein - von keinem Menschen mit gesunder Psyche. Doch diese besitzt San dann anscheinend wohl eher weniger.

Sein Kehlkopf sticht hervor, seine Stimme zittert, als er die Frage formulierend aus sich herausschmeißt. Wird es bereuen? Hätte er dies wirklich wagen sollen?
„Und wie willst du absichern, dass ich mich daranhalte?"

„Indem du die Wunden offen hinausträgst, sie mir präsentiert."
Den Abstand, den der Jüngere aufgebaut hat, überwindend zieht San ihn erneut an sich. Dreht ihn zur Seite, mit dem Rücken zum Regal, während Wooyoung ihn machen lässt. Sich nicht wehren kann. Vom Schock besessen und von der Starre eingenommen ist.
Als er vom Aufprall an seinem Rücken jedoch so überrascht ist, dass ihm das ausgewählte Buch fast schon aus der umfassenden Hand fiel, löst er seine Versteifung auf. Sieht erneut in die Augen des anderen. Überträgt seine Angst in diese, jedoch wird sie dort auffangend nur so gewollt. Von keinem einzigen Hauch an Mitleid ummantelt.

„Und-"
Erneut heben sich seine Mundwinkel an, dies bis zu dem Augenblick für Wooyoung erkennbar, an dem San seinen Kopf abermals neben seinen und genau bei seinem Ohr platziert. Folgende Worte zum zweiten Mal nur flüsternd von sich gibt.
„Mach es lieber selbst oder Hämatome einer viel größeren Schmerzensgrenze werden deinen Körper zieren. Von mir ausgelöst, als auch verewigt."

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