50
Erleichtert verabschiedete Melissa sich und eilte zur Tür hinaus, wo sie Nicolas fast umrannte. »Oh, verdammt! Musst du unbedingt in der dunkelsten Ecke stehen? Bist du schon lange hier?« Sie begutachtete sein grimmiges Gesicht. Seine Miene verriet höchste Wachsamkeit und seine nassen Haare ließen vermuten, dass er mehr als nur wenige Minuten im kaum wahrnehmbaren Nieselregen gestanden hatte.
»Ja. Und ja. Und jetzt lass uns gehen!« Grußlos fasste er Melissas Ellbogen, um sie fortzuführen. Diese hatte jedoch langsam das Gefühl genug durch die Gegend dirigiert worden zu sein und entzog ihm ihren Arm umgehend.
»Was soll denn das? Du tust geradewegs so, als würden wir verfolgt werden. Könntest du dich bitte ein bisschen entspannen? Oder ist etwas passiert, von dem ich nichts weiß?« Nicolas benahm sich ausgesprochen eigenartig, hatte sie etwas verpasst? Umgehend verspannte sie sich. »Geht es Adam wieder schlechter? Was ist los?«
»Mit Adam ist alles in Ordnung und Amia hat sich ebenfalls beruhigt. Können wir bitte los?« Diesmal zog er nicht an ihr, doch die Dringlichkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Melissa blieb demonstrativ stehen. »Sag mir erst, was los ist!«
Nicolas stieß genervt die Luft aus. »Ich rede, wenn du endlich läufst.«
»Deal! Also, was macht dich so nervös?«
»Was glaubst du, warum ist Adam umgekippt?«, fragte Nicolas gepresst.
»Ich denke, etwas war an den Dornen in seiner Blumenkette. Vermutlich das gleiche Mittel, das dich ausgeknockt hatte. Scheint etwas zu sein, das Vampiren ... nicht sonderlich bekommt. Aber zum Glück nicht anhaltend. Wo kamen die Blumen überhaupt her?«
»Ja, soweit sind wir einer Meinung.« Er nickte nachdenklich. »Tara hat die Kette bereits zu einem Kontakt in einem Labor gegeben, um diese untersuchen zu lassen. Sie hat dir erzählt, dass sie in der medizinischen Forschung gearbeitet hat?«
Melissa erinnerte sich, dass Tara etwas in der Richtung erwähnt hatte. Genauere Details waren ihr entfallen. Zur Einfachheit nickte sie stumm.
»Wir hoffen, dass wir morgen wissen, um welche Substanz es sich handelt. Spannend wird es bei der Frage, wie es zu dem Vorkommnis kommen konnte. Adam hat erzählt, ein fremdes Mädchen hatte ihm die Blumenkette gegeben. Lachend war es auf ihn zugekommen und hatte ihm die Blumen ungefragt um den Hals gehängt. Adam hatte sich nicht viel dabei gedacht und ging davon aus, es wäre eine Freundin von Amia. Er hat sich sogar bedankt gehabt. Aber Amia kennt kein Kind, das zur Beschreibung passt.«
»Und was heißt das jetzt?«, keuchte Melissa und blieb stehen, um Luft zu holen. Nicolas hatte ein solches Tempo an den Tag gelegt, dass sie kaum mitkam. Nicht einmal der stetig zunehmende Sprühregen konnte sie zum weiterhasten animieren. Der Wetterumschwung überzeugte selbst die letzten Besucher der Innenstadt zur Heimkehr und Melissa sah diese im Licht der Straßenlaternen durch die Gassen eilen.
»Hast du auf dem Fest außer Adam jemanden mit einer Blumenkette gesehen?«
Melissa erinnerte sich an so manche schräge Gestalt, aber an niemanden mit Blumen um den Hals. »Nein ...«
»Genau. Adam war der Einzige.« Nicolas holte tief Luft. »Es war kein Zufall, dass ausgerechnet er mit dieser Substanz in Berührung kam.«
Melissa wischte sich die Tropfen von den Wangen und zog sich die rote Kapuze über den Kopf »Du meinst, das war geplant? Warum? Er hat niemanden etwas getan. Und das Gift hält nicht lange an, was nutzt es dann?«
»Tara und ich sind uns einig, dass es nicht darum ging, Adam zu schaden.«
Fragend sah Melissa ihn an.
»Wir vermuten, dass es sich um eine Art Test handelte. Was immer es für eine Substanz ist, die eine derartige Wirkung auf Vampire hat, auf Menschen wirkt sie harmlos. Sonst hätte der Mann, von dem ich tragischerweise damals im Wald getrunken hatte, selbst nicht mehr stehen können.«
»Du glaubst, die ... Menschen, die dich ins Feuer ...« Melissa konnte nicht weitersprechen. Schon damals hatte ihr der Anblick des zerschundenen Fremden Übelkeit bereitet. Wenn sie jetzt daran dachte, dass dieser Fremde Nicolas gewesen war, raubte es ihr die Luft zum Atmen. Sie könnte nicht ertragen, ihn noch einmal so wehrlos zu erleben.
»Ja, ich glaube, dass diese Leute das Kind auf dem Fest dazu animiert haben, Adam die Blumenkette umzulegen.«
»Um herauszufinden, ob alle Vampire ähnlich reagieren?«
Nicolas schüttelte mit dem Kopf und Regentropfen vielen aus seinen Haaren. »Nein, sie konnten nicht wissen, dass Adam ein Vampir ist. Davon hat nur eine Hand voll Menschen Kenntnis. Und keinem traue ich zu, etwas verraten zu haben. Selbst nicht der alten Hexe. Dennoch mussten diese ... Leute ... eine Vermutung gehabt haben. Wir vermuten, sie wollten herausfinden, OB Adam ein Vampir ist. Jetzt haben sie Gewissheit.« Melissa erinnerte sich daran, dass nicht einmal Lia über Adam bescheid wusste.
»Das macht Sinn ...« Nachdenklich strich sie sich mit dem Zeigefinger über die Unterlippe. »Aber warum hat niemand diesen Test mit dir oder Tara unternommen?«
Nicolas schnaubte abfällig. »Nun ... wenn mich diese Menschen wiedererkannt haben, so werden sie kaum Zweifel daran hegen, was ich bin. Vermutlich besprechen sie dieses zweimal die Woche mit ihrem Trauma-Therapeuten.«
Melissa schnappte nach Luft, doch Nicolas sprach ungerührt weiter: »Und ich denke, der ... Angriff ... hat noch eine andere Bewandtnis. Es wirkt wie eine offene Drohung. Jemand will uns mitteilen, dass er über uns Bescheid weiß. Und problemlos unser schwächstes, weil jüngstes und arglosestes, Mitglied unserer vampirischen Gemeinschaft attackieren kann.«
»Wozu soll das gut sein?«
Nicolas zuckte mit den Schultern. »Niemand möchte hungrige Blutsauger in seiner Nähe wissen.«
»Ihr sollt die Stadt verlassen?« Melissa starrte ihn erschrocken an.
»Davon gehen wir aus. Tara und ich haben beschlossen, zunächst Ruhe zu bewahren. Aber wir werden diese Option in den nächsten Tagen besprechen. Einerseits wollen wir niemanden in Gefahr bringen, andererseits wäre ein Ortswechsel insbesondere für Amia ein herber Schlag, ausgerechnet jetzt, wo sie endlich wieder in gefestigten Verhältnissen lebt.«
Melissa dachte an das fröhliche Mädchen, das trotz schwerster Schicksalsschläge nie den Lebensmut verloren hatte. Es wäre nicht fair, wenn sie erneut so viel aufgeben müsste. »Vermutlich ereignet sich ein solcher Vorfall nicht wieder. Wartet erst einmal ab. Im Grunde schadet ihr doch niemanden. Warum sollte man euch vergraulen wollen?«
Nicolas sah sie skeptisch an und Melissa fiel es schwer, ihren eigenen Worten Glauben zu schenken. »Wie auch immer, du übertreibst maßlos, wenn du mich nicht mehr einen Meter alleine gehen lässt. Ich bin immerhin ein Mensch. Ich bin für niemanden eine Bedrohung.«
»Ich hoffe, da hast du recht. Aber ich werde kein Risiko eingehen. Im Augenblick ist es besser, wenn keiner von uns alleine herumläuft. Tara wird, solange ich bei dir bin, Adam und Amia nicht aus den Augen lassen.«
Melissa seufzte auf. Sie hasste es jetzt schon, wie Nicolas versuchte sie zu kontrollieren. Andererseits - hatte er sie gerade zum Kreis seiner Familie gezählt? – Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihm vor das Schienbein treten oder lieber um den Hals fallen sollte.
»Könntest du dich gnädigerweise wieder in Bewegung setzen? Sonst erreichen wir den Wagen die ganze Nacht nicht ... und weichen obendrein bis auf die Knochen auf.«
Obwohl Melissas Schultern unter dem mit Regenwasser vollgesogenen Mantel langsam feucht wurden, konnte sie Nicolas diesen Gefallen nicht tun. »Ehrlich gesagt hatte ich vor, mir eine Kleinigkeit im Imbiss zu holen ...«
»Ausgerechnet heute?« Ungläubig starrte er sie an.
»Natürlich heute. Ursprünglich wollte ich auf dem Herbstfest etwas essen ... Ich hatte noch kein Abendessen.«
Nicolas verzog einen Mundwinkel und stieß die Luft aus. »Und was darf es sein? Eventuell noch ein paar Spezialwünsche?«
Er wirkte so extrem angespannt, dass er Melissa regelrecht leidtat. Doch Adam ging es wieder gut, er hatte es selbst gesagt, warum nahm ihn die Sache dermaßen mit? Wie konnte sie ihm helfen, sich wieder etwas zu entspannen?
»Ich denke ... ein Döner wäre perfekt. Dann kann ich dich Vampir die ganze Fahrt mit meinem Knoblauchatem in den Wahnsinn treiben«, versuchte sie die Situation aufzulockern.
»Mach dich nicht lächerlich. Dann stinkst du einfach.«
»Ach, verdammt, Nicolas! Ich will doch nur .... egal, entspann dich endlich wieder. Nicht jeder will dir gleich an den Kragen oder sieht den großen bösen Vampir in dir. Du unterscheidest dich kaum von einem Menschen.«
»Nicht jeder, nein. Aber einer kann schon zu viel sein und wir wissen nicht, wer dieser jemand ist. Bitte lass uns ENDLICH weitergehen. Essen kannst du bei Adam«, stieß Nicolas scharf aus und packte nach ihrem Arm, um sie mitzuziehen.
Melissa entwand sich seinem Griff umgehend und funkelte ihn böse an. Zwar war sie mittlerweile tropfnass, aber dennoch nicht bereit seinen Anweisungen Folge zu leisten. »Du übertreibst doch komplett. Komm mal wieder klar! Ich hole mir nur einen Döner. Bei deiner Laune ist es ohnehin das Beste, wenn du auf Abstand bleibst. Und solltest du weiter so unausstehlich sein, dann halt ich dir zusätzlich ein Kruzifix entgegen.« Schnaufend stapfte Melissa los Richtung Imbiss.
»Ja, extrem lustig. Kannst du bitte aufhören mit diesen blödsinnigen Klischees?«, stieß Nicolas entnervt hervor.
»Du hast doch nur Angst, dass ich dich mit einem Kreuz paralysiere, sodass du mir nicht folgen kannst, während ich mich schreiend vor dem großen, bösen Vampir in die Kirche rette.« Mit einer ausladenden Geste zeigte sie auf den hohen Kirchturm am Ende der Straße. »Wie schade, dass du dann draußen bleiben musst, du gottlose Gestalt, und völlig nass regnen wirst.« Herausfordernd grinste sie Nicolas an.
Dessen Kiefermuskulatur verkrampfte sich und seine dunklen Augen waren kaum mehr als schmale Schlitze. Ohne Vorwarnung packte er Melissa an den Schultern und kam ihr so nah, dass sie seinen flachen Atem in ihrem Gesicht spüren konnte. »Du willst Klischees? Bist du dir sicher? Noch wäre ein guter Zeitpunkt, um mit den Mist aufzuhören.« Sein Griff wurde fester und Melissas Grinsen erstarb.
»Wie willst du mich dazu bringen? Indem du mich mit deinem hypnotischen Zauberblick zum Schweigen zwingst? Tja, ich fürchte, es funktioniert nicht.«
»Okay, du kannst Klischees haben«, knurrte Nicolas' tiefe Stimme. »Kennst du die Geschichten, in denen Vampire in dunklen Straßen junge Frauen packen und sie in noch dunklere Ecken ziehen?« Schneller als sie gucken konnte, hatte er sie in eine unbeleuchtete Nebengasse mitgerissen und drückte sie gegen eine Hauswand.
»Schau, kaum ein Lichtstrahl der Straßenlaterne dringt bis hierher. Und sieh dich um, Melissa, wir sind mittlerweile vollkommen alleine. Alle anderen Menschen haben sich vom Regen verscheuchen lassen. Gefällt dir dieses billige Klischee? Ist es das, was du wolltest?«
»Du machst mir keine Angst!« Trotzig versuchte sie Nicolas von sich zu schieben, dessen Oberkörper sie fast berührte und sich angestrengt hob und senkte. Aber er gab kein Stück nach. Der abrupte Ortswechsel hatte sie erschreckt, dennoch vertraute sie hundertprozentig darauf, dass Nicolas ihr niemals etwas antun könnte.
»Nein? Bist du dir sicher?«
Statt einer Antwort erwiderte Melissa seinen Blick mit zusammengepressten Zähnen. Was war nur in ihn gefahren? Glaubte er wirklich, er könnte ihr Vertrauen in ihn so leicht erschüttert? Wollte er ihr beweisen, wie bedrohlich die Welt war? Dass seine übertriebene Vorsicht gerechtfertigt war? Dafür bräuchte es mehr, als sein schlechtes Schauspiel von einem bösen Vampir.
Ohne Vorwarnung ließ Nicolas mit seiner rechten Hand von ihr ab und griff seitlich hinter ihr. Seine linke fixierte noch immer ihren Oberarm. Das Geräusch von berstendem Holz ließ sie zusammenfahren. Geschockt starrte sie ihn an. »Was tust du?«, krächzte sie.
»Ich gebe dir Klischees. Das gefällt dir doch? Ich bin ein gefährlicher Vampir und jetzt bringe ich meine Beute ins Verborgene.« Mit einer einzigen fließenden Bewegung zog er sie nah an sich, stieß mit der anderen Hand die Tür, dessen Verriegelung er zuvor aufgebrochen hatte, auf und glitt mit ihr in das Innere des Gebäudes. Fast lautlos schloss er den Eingang, sodass sie im Stockdunklen standen, Melissa noch immer fest in Nicolas' Griff.
»Und? Hast du jetzt genug? Oder brauchst du mehr vom gefährlichen Vampir?«
»Oh, ich habe ja solche Angst.« Vergeblich versuchte sie sich aus seinen Armen zu winden.
»Vielleicht solltest du die haben. Es gibt Dinge auf dieser Welt, die man besser ernst nimmt, bevor man ihnen nicht mehr entkommen kann.« Verdammt, klang Nicolas angepisst. Aber sie würde auf keinen Fall klein beigeben. Er war in ein Haus eingebrochen und hatte sie in einen dunklen Raum gezerrt. Doch niemals würde er ihr wehtun. Ihm gingen die Argumente aus.
»Was willst du mit mir tun, du gefährlicher Vampir? Dich in eine Fledermaus verwandeln und mit mir in dein Schloss nach Transsilvanien fliegen?« Provokant streckte sie ihm ihr Kinn entgegen. Hoffte sie zumindest, es war so verflixt dunkel, dass sie keinen Zentimeter weit sah.
»Die Idee ist nicht übel. Aber mir fällt etwas Besseres ein.« Er zog sie noch enger an sich und Melissa hörte, wie er eine weitere Tür öffnete. Seine Arme lagen fest um sie geschlungen und sie stoppte die sinnlosen Versuche sich zu befreien und entspannte sich stattdessen. Sie fühlte sich so sicher, wie selten in ihrem Leben, gerade weil er sie derart festhielt. Allerdings zweifelte sie daran, dass dieses der beste Moment war, darüber nachzudenken, wie anziehend dieser Mann roch. Ein Lächeln huschte ihr auf die in Dunkelheit gehüllten Lippen.
Kurz löste Nicolas einen Arm von ihrem Körper und ein Klicken erklang, gleichzeitig flutete grelles Licht den Raum. Sie blinzelte geblendet. Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich anzupassen. Als sie ihre Umgebung erkannte, zuckte sie zusammen. »Was soll das?« Sie versuchte, einen Schritt von dem Rauminneren wegzugehen, aber er hielt sie unnachgiebig an Ort und Stelle und zog ihr die Kapuze vom Kopf. »Wo sind wir?«
»Was? Ist dir das jetzt zu viel Klischee?«, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Ist das nicht die richtige Umgebung für meinereins?« Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in den Raum – der vollgestellt mit Särgen war. »Du fandest die ganzen Vampirmythen so lustig. Ist es das jetzt nicht mehr?« Er zwang sie ein paar Schritte rückwärts, bis sie direkt vor einer der großen Holzkisten stand. »Ist es nicht total amüsant? Bin ich nicht ein lustiges Wesen? Du lachst gar nicht. Hast du etwa doch Angst?«
Melissa riss ihren Blick von den hölzernen Ungetümen los und presste die Hände zu Fäusten. »Ich habe keine verfluchte Angst vor dir – aber ein Idiot bist du trotzdem! Du hast einen Scheißhumor!«
»Ist das nicht das, was du wolltest? Klischees? Ist das nicht DEIN Humor? Du konntest nicht aufhören, dich über Vampire lustig zu machen. Du sagst, du hast keine Angst vor mir – du solltest Angst vor mir haben. Es wäre klüger.« Sein bleiches Gesicht war jetzt unmittelbar vor dem ihren und Zorn blitze ihr aus seinen tiefschwarzen Augen entgegen. Sie erinnerte sich an das, was er ihr über die Reizbarkeit von hungrigen Vampiren erzählt hatte. - Definitiv kein Grund, sie so billig einzuschüchtern zu versuchen.
»Wie willst du mir beweisen, dass ich mich vor dir fürchten muss? Willst du einen Toten aus seiner Kiste zerren und dich selbst zum Schlafen hineinlegen ... und ich soll zusehen, bis ich vor Langeweile sterbe?«
»Keine Sorge, hier gibt es keine Leichen. Das ist nur ein Ausstellungsraum.« Diese Erkenntnis beruhigte sie mehr, als sie zugeben würde. Kurz. Bis Nicolas mit einer schnellen Handbewegung den Deckel des Sargs hinter ihr aufstieß und Melissa aus dem Augenwinkel die cremefarbene Innenauskleidung erkennen konnte.
»Wie wäre es, wenn DU ein kleines Schläfchen machst?« Er zwang sie noch einen Schritt zurück, sodass sie an die Wand des Ausstellungsstückes anstieß. Es handelte sich um ein ausgesprochen großes Exemplar, offenbar gefertigt für ungewöhnlich beleibte Verstorbene, dennoch käme Melissa niemals auf die Idee, Nicolas Vorschlag nachzukommen. Bereits die Vorstellung, alleine in einem solchen Ding zu liegen, bereitete ihr Gänsehaut.
»Teste selbst die lustige Schlafgelegenheit der lustigen Vampire.« Innerhalb eines Wimpernschlages hatte er sie hochgehoben und in die offene Kiste gedrückt. Sie schrie spitz auf, als sie rücklings auf dem weichen Polster landete, Nicolas schwer atmend über sie gebeugt. »Mach ich dir noch immer keine Angst?«
»Das schaffst du nicht. Aber du bringst mich zur Weißglut«, fauchte sie und versuchte sich aus der Kiste zu erheben.
Doch er war schneller und ohne das sie seinen Bewegungen folgen konnte, waren seine Knie unvermittelt auf beiden Seiten neben ihrer Hüfte platziert. Er drückte sie mit Wucht zurück auf das seidige Kissen. Seine sonst unauffälligen Eckzähne blitzen aus seinem vor Wut verzerrten Mund deutlich hervor. »Wie sicher bist du dir.«
Mit geweiteten Augen starrt sie auf seine Fänge. Sie wusste, dieses Mal ging sie zu weit. Es wäre klüger, die Augen niederzuschlagen und Nicolas wieder zur Besinnung zu bringen. Doch egal wie bedrohlich er auch wirken mochte, und ein zähnefleschender Panther hätte wie ein Kuscheltier neben ihm gewirkt, sie war zu 200 Prozent davon überzeugt, dass er ihr niemals etwas antun könnte. Und niemals würde sie ihm erlauben, so mit ihr umzugehen. »Todsicher!«, presst sie angestrengt hervor.
Er griff über die Sargwand und zog dessen Deckel hoch, lehnte sich über sie und ließ die schwere Klappe über sich zufallen. Dunkelheit umhüllte sie beide. »Und jetzt?«, knurrte er tief und rau.
Die Dunkelheit hatte ihr vollkommmen die Sicht genommen. Doch sie brauchte kein Augenlicht, um seinen Zorn zu erkennen, seine Anspannung wahrzunehmen. Sein gepresster Atem traf stoßweise auf ihre Haut und seine feuchten Haare berührte ihr Gesicht. Schwer lag er auf ihrem Körper, seine Hände fixierten ihre Schultern und es war ihr unmöglich, sich zu bewegen.
Ihre trockene Kehle brachte keine Antwort heraus.
»Ich kann deinen Herzschlag hören.« Seine Lippen glitten über die empfindliche Stelle unter ihrem Ohrläppchen und spitze Zähne ritzten über ihrer Haut. »Es rast vor Angst.«
Flach atmete sie durch den geöffneten Mund. Überdeutlich spürte sie seine Hüften auf den ihren und seine Wange, die ihr Kinn streifte. Er schien überall zu gleichzeitig zu sein.
»Das ist keine Angst«, keuchte sie heiser, bevor sie ihren Kopf nach oben streckte und ihre Arme um seinen Körper schlang, um ihn enger an sich zu ziehen.
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