42
In der Nacht träumte Melissa von warmen schlanken Fingern, die ihre Oberschenkel hinabstrichen und dabei ihre Hose von ihren Beinen schälten.
Um danach wieder hinaufzugleiten.
Von dunklen Augen mit schweren, halbgeschlossenen Lidern, die zu ihr hinaufsahen, während warme Hände um ihren Knöchel lagen und diesen umhüllten wie von einem Feuerring umgeben. Kein stechendes, vernichtendes Feuer, sondern ein alles verzehrendes, sie gänzlich umschlingendes Feuer. Eines, das quälende Schauer verströmt.
Die Heizung war viel zu warm eingestellt in ihrer Hütte.
Sie sollte um neun Uhr im Café sein, um ihre erste Schicht zu beginnen und vorher noch in alle Vorgänge eingewiesen zu werden. Melissa wusste, dass es unvernünftig war, ohne Frühstück in ihren neuen Job zu starten, aber sie wollte um keinen Preis rüber ins Haupthaus gehen und sich der Gefahr aussetzen, Nicolas zu begegnen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie nach einem solchen Treffen noch in der Lage gewesen wäre, ihrer neuen Arbeit auch nur ansatzweise konzentriert nachzugehen. Das durfte sie nicht riskieren, zu sehr freute sie sich auf die neue Tätigkeit, auf die Abwechslung und vor allem darauf, wieder eine Spur Selbstbestimmung in ihr Leben zu bringen.
Sie erreichte das Café viel zu früh und trat unschlüssig von einem Bein auf das andere, während sie die geschlossene Eingangstür betrachtete und überlegte, ob sie versuchen sollte zu klopfen, um vorzeitig eingelassen zu werden. Aber vermutlich würde sie Helena nur stören? Und Melissa wollte nicht gleich am ersten Tag unangenehm auffallen.
Sie hauchte ihren warmen Atem in ihre klammen Hände - sie würde sich dringend Handschuhe für das Fahrradfahren zulegen müssen, der Sturm in der Nacht hatte deutlich kühlere Luft mit sich gebracht - als sie das Geräusch eines sich drehenden Schlüssels im Türschloss vernahm. Sofort darauf wurde die Tür weit aufgestoßen.
»Nun komm schon rein, Mädchen, bevor du noch erfrierst! Es ist doch viel schöner im Warmen bei dieser Eiseskälte. Und steifgefroren kann man nicht gut servieren. - Guten Morgen, Melissa, ich freue mich, dich an Bord zu haben!« Mit einem breiten Lächeln und einer einladenden Handgeste trat Helena einen Schritt zur Seite, sodass Melissa das Café betreten konnte.
Eine wohlige Wärme schlug ihr entgegen und ihre Finger begannen zu kribbeln, während sie langsam auftauten. Helena führte sie vorbei an die Auslagen in den hinteren Teil des Geschäftes, indem sich das Café befand. Dort erklärte sie ihr alles, was sie für den Anfang wissen musste und wie die Abläufe waren. Sie zeigte ihr, wo alles Notwendige zu finden war, erläuterte die Funktionsweise der Kaffeemaschine und ging mit ihr die Bedienung der Kasse durch.
»Und dann ist das Wichtigste, dass du immer freundlich bleibst, lächelst und nicht vergisst, die Gäste zu begrüßen. So, wie ich dich bis jetzt erlebt habe, denke ich, du wirst das ausgezeichnet hinbekommen. Zumindest war ich optimistisch genug, um das Aushilfegesuch aus dem Schaufenster zu nehmen.« Als wollte sie demonstrieren, was sie meinte, sah sie Melissa mit einem breiten Lächeln an, aber kein aufgesetztes, professionelles, sondern eines, das ehrlich wirkte.
Melissa fühlte sich leicht überfordert aufgrund der vielen neuen Eindrücke. Andererseits hatte sie bereits Erfahrung im Kellner und war einigermaßen zuversichtlich, sich schnell in die Aufgabe einfinden zu können.
»Und da du heute so ausgesprochen pünktlich warst, haben wir jetzt noch ausreichend Zeit für einen entspannten Kaffee, bevor wir dann loslegen und die Tür aufschließen. Wie wäre es, wenn du die Maschine gleich einmal testest?«
»Gerne, dann bekommt wenigstens keiner mit, wenn ich das Teil zunächst explodieren lasse.« Melissa grinste und stellte sich an die Kaffeemaschine.
Doch sie hatte aufmerksam zugehört und musste nur ein einziges Mal nachfragen, bevor beide Frauen kaum drei Minuten später zwei dampfende Tassen Kaffee vor sich auf dem Tisch stehen hatten.
»Na, das sieht doch fabelhaft aus«, lobte Helena sie. »Und wir sind gleich ordentlich fit, wenn der große Frühstücksansturm eintrifft. Aber bis dahin erzähl doch ein wenig über dich, damit ich dich besser kennenlernen kann. Wohnst du noch bei deinen Eltern, oder hast du schon eine eigene Wohnung?«
Melissa stoppte augenblicklich damit, auf ihren heißen Kaffee zu pusten. Zum Glück war das Getränk noch so heiß, dass sie bis jetzt keinen Schluck hatte nehmen können. Ansonsten hätte sie sich bei dieser Frage sicherlich anständig verschluckt. Sie hatte nicht damit gerechnet genauer nach ihrem Leben befragt zu werden und ihr fiel nichts anderes ein, als es mit der Wahrheit zu versuchen. Zumindest so ungefähr.
»Ich wohne nicht mehr bei meinen Eltern, sondern bin vor kurzem bei Freunden eingezogen. Es hatte sich angeboten.« Melissa wertete das noch nicht als Lüge, auch wenn man über die Freiwilligkeit des Einzuges diskutieren könnte.
»Oh, das klingt großartig. Deine Eltern sind sicher stolz auf dich, dass du jetzt selbstständig bist. Und mit diesem Job hier möchtest du dir ein bisschen was für die Miete dazuverdienen?«
Melissa setzte das gleiche Lächeln auf, dass sie stets verwendete, wenn jemand bei ihr zu Hause klingelte, um ihren Vater zu sprechen. Dann gab sie normalerweise vor, dass sich dieser bei einem Geschäftstreffen befand, während er in Wahrheit im Wohnzimmer eine Bierflasche nach der anderen leerte. Sollte ihr Vater in den letzten Jahren stolz auf sie gewesen sein, dann hatte er es gut zu verbergen gewusst. - Dieses Gespräch wurde unangenehmer, als sie zunächst vermutet hatte, doch Helena schien ihr Unbehagen nicht zu bemerken.
»Die Miete ist ziemlich günstig.« Auch das war nicht gelogen, wenn man freies Wohnen als ziemlich günstig durchgehen ließ. »Und die Leute sind nett.« Und Vampire. Aber solche kleinen Details mussten ja nicht erwähnt werden.
»Ja? Das will ich doch hoffen! Wie heißen sie denn? Vielleicht habe ich schon von ihnen gehört? Immerhin ist meine Tochter nur wenige Jahre älter als du und hat noch einige Freunde hier in der Stadt, von denen sie häufig erzählt. Und in einer so kleinen Stadt hat man die meisten oft bereits einmal gesehen.«
Jetzt nippte Melissa doch vorsichtig an dem noch immer dampfend heißen Kaffee, nur um etwas Zeit zu schinden. Verdammt, sie hatte Adam nie nach seinem Nachnamen gefragt, es war ihr einfach nicht in den Sinn gekommen. Aber neben seiner Eingangstür hing ein Briefkasten und dort stand ein verwaschener Name drauf. Irgendwas mit Ru... Ro... Sie würde raten müssen.
»Das Haus gehört Adam. Adam Ross. Er wohnt dort mit seiner Schwester.« Melissa fand, zusammen mit dem letzten Satz klang es deutlich unverfänglicher.
Helena runzelte die Stirn. »Adam sagst du? Mit seiner Schwester? ... Hm ... Ist seine Schwester eventuell noch recht klein?«
»Ja, sie ist sieben ...«
»Ah! Dann ist das der Adam, über den es vor zwei oder drei Jahren wilde Gerüchte gab? Die Mutter der Geschwister war gestorben, hieß es, und dieser Adam hat sich zwar seiner Schwester angenommen, aber ... nun, ich will dir nicht zu nahe treten, ich kann dir nur sagen, was ich gehört habe. Er soll ein ernsthaftes Drogenproblem haben. Ich hoffe, das waren nur Gerüchte.« Entschuldigend, aber dennoch interessiert sah Helena Melissa an.
Verdammt, Melissa hätte eher darauf kommen können, dass Adams Vergangenheit kein gut gehütetes Geheimnis war. Langsam wünschte sie sich, sie wäre nicht eine Minute zu früh zu ihrem ersten Arbeitstag erschienen.
»Nein, nein ... also, ja ... Adam hatte eine harte Zeit damals, soweit ich weiß. Genaues kann ich nicht sagen, solange kenne ich ihn noch nicht. Aber er hat sich gefangen und kümmert sich vorbildlich um Amia.« Das war wieder nicht gelogen. Das Amia auf Adams Prioritätenliste ganz weit oben stand, war für niemanden zu übersehen, der längere Zeit mit den beiden verbrachte. Und was das sich gefangen haben anbelangte ... Melissa hegte so eine Vermutung, dass es nur eine Substanz gab, die ernsthaftes Interesse bei Vampiren hervorrief. Und die konnte man eher nicht auf dunklen Hinterhöfen käuflich erwerben.
»Tatsächlich? Das freut mich zu hören. Viele schaffen ja den Absprung nicht.«
Die meisten Drogenabhängigen wurden allerdings auch nicht zu einem Vampir und damit unempfindlich gegen alles, was nicht rot und dickflüssig war. Doch auf diese Art wollte Melissa Adams Situation nicht erklären.
»Er hatte ausgesprochen hilfreiche Unterstützung und noch immer gute Freunde, die für ihn da sind. Ich denke, um Adam muss man sich keine Sorgen mehr machen.« Das klang doch diplomatisch. Sie setzte ihre Tasse erleichtert an die Lippen und nahm einen großen Schluck.
Helenas Augen weiteten sich kurz, bevor sie erwiderte: »Das ist gut. Dann hoffe ich, dass es dir weiterhin in deiner WG gefällt.« Sie hob das Handgelenk und warf einen Blick auf ihre übergroße Armbanduhr. »So, Zeit die Tür zu öffnen. Bist du bereit?«
Melissa atmete erleichtert aus und nickte. Sie war bereit. Selbst wenn hundert Gäste auf einmal kommen würden, alles war besser, als dieses Gespräch weiter zu führen.
Als die Tür aufgeschlossen wurde, strömte die kühle Morgenluft herein, gefolgt von den ersten Gästen, die das Café betraten.
Die Schicht begann ruhig, und Melissa lernte schnell, wie sie die Bestellungen aufnehmen und die Kaffeemaschine bedienen konnte. Helena war immer zur Stelle, um Fragen zu beantworten und wertvolle Tipps zu geben. Die Gäste waren freundlich, und das Café füllte sich allmählich mit Menschen, die frühstücken wollten.
Melissa genoss die Atmosphäre im Café, die warme Einrichtung und den Duft von frischem Kaffee und Gebäck und konzentrierte sich auf ihre Aufgaben. Die Arbeit machte ihr Spaß und ein Lächeln breitete sich bei dem Kontakt mit den Gästen völlig natürlich in ihrem Gesicht aus. Helena nickte ihr hin und wieder wohlwollend zu und signalisierte so ihre Zufriedenheit mit Melissa.
Der nicht abreißende Strom von Gästen hielten Melissa gut beschäftigt und ließen die Zeit schnell dahinfliegen.
Auch nach über drei Stunden lief sie noch beschwingt zu jedem Tisch mit neuen Gästen. Gerade hatte sich eine junge Frau an den Zweiertisch am Fenster niedergelassen, den Rücken zu Melissa gewandt. Ein blonder Pferdeschwanz wippte lustig hin und her, als sie die Speisekarte ergriff. Melissas Mundwinkel hoben sich zu einem breiten Grinsen. Diese Frisur kam ihr nur zu bekannt vor. Schnell eilte sie zu dem Gast und fragte mit Stift und Notizblock bewaffnet nach ihren Wünschen.
Lia quietschte auf vor Freude, als sie Melissa so in ihrer Arbeit vertieft erblickte. »Oh wow! Du scheinst wirklich ein Händchen für diesen Job zu haben. Die Leute hier sehen alle so zufrieden aus.«
»Ich fürchte, das liegt nicht an mir alleine. Dieser Laden ist ein so wunderbarer Ort und die Gäste alle so nett. Es macht richtig Spaß, hier zu arbeiten.«
»Das freut mich so wahnsinnig für dich!« Bei diesen Worten sprang Lia auf und drückte Melissa herzlich.
»Und ich freue mich, dich hier zu sehen.« Ein warmes Gefühl breitete sich in Melissa aus bei dem Gedanken, dass Lia extra in die Stadt gefahren ist, um sie an ihrem ersten Arbeitstag zu besuchen. »Was darf ich dir bringen?«
»Ein Ingwertee reicht mir völlig. Ich wollte nur sichergehen, dass es dir hier auch gut geht. Und das scheint absolut der Fall zu sein.« Lia grinste sie breit an.
Leider hatte Melissa keine Zeit, sich intensiver mit Lia zu unterhalten, aber das erwartete diese offenbar auch nicht. Sie schien tatsächlich nur gekommen zu sein, um Melissas ersten Arbeitstag zu ehren.
Als Melissa Lia ihren Tee brachte, bemerkte sie einen weiteren mit Pflaster umwickelten Finger an ihrer Hand. »Hast du wieder gebacken und eine neue Brandblase?«
»Nein, diesmal habe ich mich geschnitten, als mir eine Glühbirne runtergefallen ist beim Versuch, diese zu wechseln. Ich bin durchaus flexibel in der Art meiner Missgeschicke.« Sie verdrehte die Augen und zog das Gesicht schief, um deutlich zu machen, wie blödsinnig sie selbst ihre Ungeschicklichkeit fand.
Melissa blickte ihre Freundin besorgt an. Bist du sicher, dass alles okay bei dir ist? Dir passiert sowas ziemlich häufig.«
»Keine Sorge, ist nichts Ernstes. Aber du wirst mit solchen Ereignissen bei mir leben müssen. Ich bin ein durch und durch tollpatschiger Mensch, das wirst auch du nicht mehr ändern können.« Lachend hob Lia ihren Tee an die Lippen und nahm einen Schluck.
Zu spät reagierte Melissa, um Lia daran zu hindern, und ihre Freundin zuckte schmerzhaft zusammen. »Au! Der Tee ist wirklich noch sehr heiß. Siehst du, was ich meine, Melissa?«
Melissa hatte gleicherweise das Gesicht verzogen, als könnte sie den Schmerz ebenfalls spüren. »Ja, leider. Pass einfach auf dich auf.«
»Keine Sorge, was wirklich Schlimmes geschieht mir nie. Aber ich werde beser noch einige Minuten damit warten, den Tee zu genießen.«
Melissa nickte und musste sich schließlich wieder den anderen Gästen zuwenden.
Die Schicht verlief weiterhin reibungslos, und Melissa fühlte sich in ihrem neuen Job immer wohler.
Plötzlich ertönte ein lautes Zischen, gefolgt von einem grellen Blitz, als Lias Handy plötzlich Funken sprühte und puffte. Melissa eilte zu Lias Tisch und beide Frauen starrten erschrocken auf das Telefon, das auf dem Tisch vor ihnen lag, sichtlich beschädigt.
»Was zur Hölle war das?«, fragte Melissa, während winzige Rauchschwaden aus dem Telefon aufstieg.
Lia zuckte mit den Schultern, und ihre Augen weiteten sich. »Ich habe keine Ahnung. Mein Handy hat noch nie so etwas gemacht. Das ist echt seltsam.«
Als das Gerät aufgehört hatte zu rauchen, steckte sie es schließlich verlegen in ihre Handtasche. »Ich werde mir ein neues kaufen müssen. So ein Mist! Tut mir leid ehrlich Leid für die Störung.« Sie kramte einen Schein aus ihrem Geldbeutel und legte ihn auf den Tisch. »Hier bitte, für den Tee. Der Rest ist Trinkgeld, weil du eine so ausgezeichnete Servicekraft bist. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es vielleicht noch vor der Mittagspause in den Handyladen. Wir müssen uns dringend wieder mit mehr Zeit treffen!« Und schon sprang das quirlige Mädchen auf, hauchte der verdutzte Melissa noch einen Kuss auf die Wange und eilte zum Ausgang. Melissa sah ihr kopfschüttelnd hinterher.
Ein wenig traurig war Melissa schon, weil Lia so abrupt aufbrechen musste, hatte sie doch gehofft, dass sie nach ihrer Schicht, welche noch kaum mehr als fünf Minuten andauerte, ein wenig Zeit mit ihr zum Reden haben würde. Sie hatte so viel zu besprechen.
Aber es ließ sich nicht ändern, ein ausgiebiger Austausch zwischen den Freundinnen musste noch etwas warten. Sie hatte Verständnis für Lia, dass diese möglichst schnell ein Ersatzgerät besorgen wollte.
Melissa rechnete noch ihre letzten Gäste ab, bevor sie von Helena verabschiedet wurde. »Danke, Melissa, für heute bist du erlöst. Du machst deine Arbeit hervorragend, ich freue mich darauf, dich morgen wieder hier begrüßen zu dürfen.« Warm lächelte sie Melissa an. »Und jetzt beeile dich, dass du raus kommst. Ich glaube, draußen wartet jemand auf dich.«
Irritiert sah Melissa die ältere Frau an. Wer sollte auf sie warten? War Lia etwa doch noch geblieben? Aber dann würde diese es nicht mehr in den Laden schaffen. Melissa verabschiedete sich schnell von Helena und versicherte ihr zum wiederholten Mal, wie gut es ihr im Laden gefiel, bevor sie ihren Mantel ergriff und hinauseilte.
Draußen blickte sie sich suchend um, konnte das lebhafte Mädchen aber nirgends entdecken. Stattdessen spürte sie plötzlich, wie sich warme Hände auf ihre Schultern legten.
»Buh!«, hauchte Nicolas mit tiefer Stimme neben ihrem Ohr und ein Prickeln lief ihr den Rücken hinunter.
Melissa wirbelte herum und starrte ihm perplex ins Gesicht. Was machte er hier? Seit ihrem Kuss am Vortag waren sie sich nicht mehr so nahe gewesen. Und letzte Nacht, als sie ihn und Adam überrascht hatte, hatte er keinerlei Anstalten gemacht, ihr erneut nahezukommen. Zugegeben, die Situation war etwas ungünstig für traute Zweisamkeit gewesen. Aber jetzt lächelte er sie unverschämt anziehend an und stand so dicht vor ihr, dass sie seinen vertrauten Geruch wahrnehmen konnte. Am liebsten wäre sie augenblicklich gegen seine Brust gesunken, um sich von seinen Armen umschließen zu lassen und nur diesen Duft zu inhalieren. Doch Adams Warnung war mit einem Schlag wieder vollkommen präsent. Während ihrer Schicht hatte sie kaum Gelegenheit gehabt, über Adams Worte nachzudenken, aber jetzt schienen sie wie große, grelle Neonschrift über Nicolas' Kopf zu leuchten und ließen sie zurückzucken.
»Was tust du denn hier?«
Oh man, sie sollte sich die Zunge abbeißen. Begrüßungen musste sie unbedingt noch auf ihre Liste der Dinge setzten, die sie dringend üben sollte. Mit Bedauern sah sie Nicolas' warmes Lächeln schwinden.
»Tut mir leid, ich werde versuchen, mir jegliches Buh abzugewöhnen. Du scheinst da nicht sonderlich gut drauf zu reagieren.«
Ein verlegenes Grinsen legte sich auf Melissas Gesicht. Das war vermutlich eine exzellente Idee von Nicolas. Sie wollte jetzt nicht an die Nacht im Wald denken müssen, in der Nicolas sie eingesammelt hatte. Nachdem er sie zu Tode erschreckt und die Rückgabe seines Mantels gefordert hatte. Derselbe Mantel, der am Vortag einen gehörigen Schaden erlitten hatte, wegen ihr. Zögerlich begutachtete sie diesen Ärmel und fand ihn völlig intakt vor. Melissa war beeindruckt, Nicolas hatte den Schaden bereits beseitigen lassen. Offenbar lag ihm sehr an diesem Kleidungsstück.
»Ich meine natürlich Hallo! Und ich frage mich, warum du hier bist?« Sie hatte noch immer keine Ahnung, welche Absichten Nicolas hegte. Aber dass sie Vorsicht walten lassen sollte, soviel hatte sie mittlerweile verstanden. Ob es ihr gelingen würde, stand auf einem anderen Blatt.
»Nachdem du mir mitgeteilt hast - und das so frühzeitig - dass du heute einen neuen Job antreten würdest, dachte ich mir, es wäre eine ausgezeichnete Idee, wenn wir deinen ersten Arbeitstag angemessen feiern würden.«
Melissas Augen weiteten sich. Er wollte mit ihr ... was? ... ausgehen? Unwillkürlich erinnerte Melissa sich daran, wie der letzte Versuch geendet hatte. Und wie er fast geendet hätte. Hitze breitete sich in ihren Wangen aus und augenblicklich kehrte Nicolas' Lächeln zurück.
»Bitte, sag schon ja. Du hast keine Ahnung, wie lange ich Tara beknien musste, bis sie mir verraten hat, wo du arbeitest und wann du Schluss hast. Du willst doch nicht, dass das umsonst war?«
Melissa lachte auf. Sie konnte sich genau vorstellen, wie die willensstarke Vampirin ihren kleinen Bruder zappeln lassen hat, schon aus puren Vergnügen. Doch letzten Endes hatte sie ihm die nötigen Informationen gegeben. Hätte sie dieses getan, wenn sie vollkommen davon überzeugt gewesen wäre, dass Nicolas Melissa nicht zu nahe kommen sollte?
Aber klangen Adams Worte noch immer in ihren Ohren nach.
»Bitte, lass mich dich zu einem Ausflug einladen. Ich würde dich gerne besser kennenlernen.«
Er wollte sie kennenlernen! Das klang ausgezeichnet. Das klang ehrlich. Das klang - ernst.
Verdammt! Alarmglocken schrillten laut in ihrem Kopf. Sie sollte weglaufen. Nein, er würde sie sofort einholen, wenn er es drauf anlegte.
Sie sollte nein sagen.
Sanft legte er seine Finger auf ihre Wange und strich diese langsam hinab bis zu ihrem Kinn. »Bitte«, raunte er, mehr sagte er nicht.
Melissas Herzschlag fing an zu rasen.
»Das klingt wunderbar!«, hörte sie überrascht ihre eigenen Worte. Mit leuchtenden Augen lächelte sie Nicolas an.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top