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»Was ist geschehen? Aus deiner Sicht. Bitte erteile uns die Ehre und sprich mit uns!« Überrascht stellte Nicolas fest, dass die Lässigkeit seiner Schwester Risse zu bekommen schien.
»Ich weiß es nicht. Meine Muskeln haben ihre Arbeit eingestellt, das Ergebnis hat Marlon euch bereits berichtet. Und ich habe nicht eine einzige verfluchte Idee, wie es dazu kam. – Und bevor du weiterfragst: Nein, das ist mir noch nie zuvor passiert.« Nicolas verschränkte die Arme vor der Brust. Die beunruhigten blickte, die auf ihm lagen, waren kaum zu ertragen.
»Marlon wurde ernsthaft nervös, als er die Pläne der Männer hörte. Er wusste nicht, wie er dir helfen konnte.«
»Tja, mit seiner mentalen Überwachungskamera vermutlich gar nicht. Zum Glück ging ja alles gut aus.«
Taras Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ja, es ging gut aus. Aber mit Glück hatte das nichts zu tun. Nur mit Marlon.«
Angespannt rutschte Marlon auf dem Sofapolster herum, offenbar bemüht, noch tiefer in diesem zu verschwinden. Er schien immer kleiner zu werden. Nur Adams böse Blicke hielten Nicolas davon ab, dem Möchtegern-Zauberer einen blöden Kommentar reinzuwürgen. Betont langsam fragte er: »Warum sollte das sein Verdienst sein?«
Zum ersten Mal meldete sich Marlon zu mit zittriger Stimme zu Wort. »Ich hatte da noch so einen Zauberspruch in der Tasche. Hatte ich mal bei Josephina hinterm Kühlschrank gefunden. Ich ... dachte, könnte irgendwann nützlich sein. Der fiel mir wieder ein, als ich dich auf dem Boden liegen gesehen habe.«
»Wie süß!«, einen gewissen Sarkasmus konnte Nicolas nicht mehr unterdrücken. »Und was war das für ein Zauber?«
»Er heißt Ultima-Salvatio-Zauber, stand zumindest so auf dem Zettel,« nuschelte Marlon.
»Was für ein bescheuerter Name. Und was tut dieser Zauber?«
»Es ist ein Rettungszauber, der eingesetzt wird, wenn sonst nichts mehr hilft ... denke ich.« Marlon nestelte mit gesenktem Kopf an seinem Ärmel herum. Ein unangenehmes Kribbeln kroch Nicolas über den Rücken. Marlons Erklärungen klangen absolut nicht, als hätte dieser gewusst, was er tat.
»Du denkst?« Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Hatte dieser Stümper tatsächlich einen Zauber auf ihn angewandt, von dem er keine Ahnung hatte, wie er wirkt?
»Nun ... Zauber können störrisch sein, und ich hatte keine Ahnung, wie dieser wirken würde. Ich hab' einfach gebetet, dass die Magie weiß, was sie tut ...« Marlon setzte ein entschuldigendes Lächeln auf, das allerdings wirkte, als hätte er einen Krampf im Gesicht.
»Aber du hast gesehen, was im Wald geschehen ist. Also weißt du, dass dein Zauber nichts mit meinem Entkommen zu tun hatte?« Nicolas wurde ernsthaft ungeduldig. Was sollte dieses ganze Gerede, die Erlebnisse waren vorbei.
»Naja ... die Frau, die dich gerettet hat ... sie ist, direkt nach dem ich den Zauber ausgeführt habe, aus dem Nichts in deiner Nähe aufgetaucht. Im Pyjama. Die Magie muss sie direkt aus dem Bett in den Wald katapultiert haben.« Marlon zupfte so intensiv an seinem Ärmel, dass man Angst haben musste, er würde Löcher hineinreißen.
Nicolas atmete tief ein. Dann drückte er seine Hand auf Marlons, um das Gefummel zu unterbinden, und blickte ihm direkt ins Gesicht. »Du hast die Frau erscheinen lassen?«
Marlon verstummte und blickte wie ein verschrecktes Kaninchen zurück.
Tara schaltete sich ein. »Ja, Marlon hat dir eine entzückende Hilfe geschickt, nicht? Reg' dich ab, es hat alles funktioniert, immerhin bist du hier und kein gegrilltes Steak auf dem Lagerfeuerchen.«
Nicolas schloss die Augen, um seine Gedanken besser sortieren zu können. Die Fremde war tatsächlich nur zu seiner Rettung dort gewesen. Hoffentlich war das alles, was der Zauber bewirkt hatte, und sie übersahen nichts.
»Allerdings hat Marlon sich etwas verausgabt, als er den Zauber ausgeführt hat. Und als die beiden freundlichen Herren im Wald dich gerade zum Barbecue mitgeschliffen haben, ist er zusammengebrochen. Hat uns ziemlich nervös gemacht, nicht zu wissen, wie dein Abend ausging«, sagte Tara anklagend.
Das erklärte Amias Tränenausbruch sowie Adams Wut darüber, dass er nicht zu erreichen gewesen war. Seine Familie hatte tatsächlich geglaubt, ihm wäre etwas Schlimmes zugestoßen.
Sie würden sich wieder beruhigen.
»Was ist passiert, nachdem das große Grillen ausgerufen worden war?« Tara ließ nicht locker. Dabei war doch alles Wichtige geklärt.
»Nicht viel. Das Gangster-Trio hat sich davongemacht, eure heraufbeschworene Zaubergestalt hat mich aus den Flammen gezogen und ich musste nur abwarten, bis mein Körper sich wieder zur Zusammenarbeit mit mir bereit erklärte. Das ist alles.«
»Und die Frau im Pyjama? Wo ist sie?«,knurrte Adam. Eine Warnung.
Doch Nicolas ließ sich nicht beeindrucken. Und die Fremde ging ihn nichts an. Sie würde aufwachen und heimkehren. Besser so für sie.
Er wollte nicht länger über dieses Thema reden. Was er brauchte, war eine Dusche und frische Kleidung. »Keine Ahnung, vermutlich nach Hause gegangen?«
»Nach Hause gegangen? Ihr habt euch also verabschiedet und jeder ist seiner Wege gegangen?«, fragte Tara skeptisch.
»Verabschiedet?« Nicolas schnaufte auf. Wie sollte man sich denn von einer Bewusstlosen verabschieden?
»Ja, verabschieden. Danke sagen und den üblichen Kram. Macht man für gewöhnlich, wenn einem jemand gerade den Arsch gerettet hat. Mindestens.«
»Du verschweigst uns etwas. Was ist es?« Tara musterte ihn kritisch.
Nicolas verdrehte die Augen. »Möglicherweise war eure heroische Retterin für solche Dankesreden gerade nicht empfänglich.« Dieser Satz war ein Fehler. Andererseits spielte es keine Rolle. Tara würde niemals locker lassen, bis sie alles aus ihm rausgepresst hatte. Sie kannte ihn zu gut.
»Warum nicht?« Tara trat einen Schritt auf ihn zu, ohne den Blick von ihm zu nehmen.
Nicolas erwiderte Taras Starren einige Sekunden, dann stöhnte er innerlich auf. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und ließ sich nach hinten gegen sie Sofalehne sacken. Diesen Kampf hatte er verloren. »Die Frau schien ziemlich am Ende gewesen zu sein. Möglicherweise hatte sie einen winzigen Blackout, weil sie nicht klarkam mit den Schmerzen ihrer kleinen Verbrennung.« Schmerzen, die die Fremde seinetwegen ertragen musste.
»Du hast sie verletzt liegen lassen? Alleine im Wald?«
»Was hätte ich denn mit ihr anstellen sollen? Mitnehmen für meine Vorratskammer? Sorry, aber mein Abend war der reinste Albtraum und für sowas hatte ich keine Muse. Die Frau wird sich berappeln.« Was glaubten die beiden denn? Dass er nach dem Erlebnis nichts Besseres zu tun hatte, als sich aufopferungsvoll um eine Fremde zu kümmern? Ja, sie hatte ihn aus den Flammen gezogen. Aber deswegen war er noch lange nicht für sie verantwortlich.
»Du bist ein Arsch!«, fuhr Adam ihn an.
»Keine neue Erkenntnis,« konterte Nicolas. Adam ballte die Hände zu Fäusten. Dann drehte er sich um und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.
»Übertreib es nicht, Nicolas!«, zischte Tara warnend.
»Was denn? Er kriegt sich wieder ein ... Er liebt mich.« Nicolas grinste seine Schwester selbstgefällig an. Obwohl er genau wusste, dass sie seine Fassade durchschaute.
»Das tun wir alle.« Plötzlich wirkte Tara unendlich müde. »Aber alles hat seine Grenzen und du kommst diesen gerade gefährlich nahe. – Außerdem laufen nun drei fremde Menschen in dieser Stadt herum, die um deine Natur wissen.«
Entwaffnet seufzte Nicolas auf. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend verspürte er ein schlechtes Gewissen. Seine kleine Familie musste durch die Hölle gegangen sein, als sie keine Nachricht von ihm bekommen konnten. Und er benahm sich wirklich wie ein Arsch, nur um nicht zugeben zu müssen, wie extrem ihm die Sache an die Nieren gegangen ist und um schnell alles zu verdrängen.
Nicolas wandte den Blick von Tara ab, nur um an Amias entsetztem Gesicht hängen zu bleiben. Noch immer stand das Mädchen im Türrahmen, wie ein bewegungsloses Püppchen und starrte ihn an. In ihren Augen schimmerten Tränen. Das traf Nicolas mehr als Adams Zorn. Er streckte eine Hand nach ihr aus und bedeutete ihr, zu ihm zu kommen. Erst schaute sie nur trotzig zurück, aber dann ging sie doch zu ihm und ließ sich auf seinen Schoß nieder. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und er spürte ihren kleinen Körper beben. Leise wimmernd krallte sie ihre kleinen Finger in sein Hemd. Er schluckte, als ihm dämmerte, was diese Nacht dem hochempfindsamen Kind abverlangt haben musste. Sanft hielt er Amia an sich gedrückt. Als sie sich etwas beruhigt hatte, erklang schließlich ihr dünnes Flüstern: »Holen wir jetzt die Frau?«
»Aber sicher doch, Süße«, antwortete Tara und strich dem Mädchen über die wilden Locken.
Nicolas starrte seine Schwester entgeistert an.
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