No. 2
»Sie sind neun Minuten zu spät«, zischt mich die Sekretärin meines Chefs an, als ich endlich vor dem Konferenzraum ankomme und die Tür öffne, hinter der gedämpfte Stimmen zu mir durchdringen. Unbeeindruckt stolziere ich auf meinen Highheels mit wiegenden Hüften und einem Siegerlächeln in den Raum, wo sofort die Gespräche verstummen und sich die Herren zu mir herumdrehen.
»Miss Andrews, schön, dass Sie es geschafft haben«, begrüßt mich mein Chef mit einem gezwungenen Lächeln. Seine hochgezogene Augenbraue verheißt eine ordentliche Standpauke nach dem Meeting. »Guten Morgen die Herren, mein Name ist Lee Andrews. Entschuldigen Sie bitte meine Verspätung, doch der Verkehr heute früh war die Hölle.« Lahme Ausrede, aber was sollte ich schon sagen.
»Das sind Mr. Williams und sein Vertriebschef Mr. Brewster. Sie beide hatten bereits telefoniert«, stellt mich mein Chef den Herren vor und unser Dispositionsleiter macht mir neben sich Platz, damit ich die Sachen ablegen und die Herren begrüßen kann. Mit meinem charmantesten Lächeln gehe ich auf die beiden zu und werde von Mr. Williams intensiv gemustert, während Mr. Brewster mir mit einigen freundlichen Worten die Hand schüttelt. »Sehr erfreut, Miss Andrews.« Mr. Williams hat eine angenehm wohlklingende Stimme, und er sieht verboten gut aus, wie ich verblüfft feststelle. Ich hatte mit einem älteren Herren mit Bierbauch gerechnet, nicht mit einem Fitnessmodel. Erfreut über die unerwartete Wende schüttele ich seine kräftige Hand, die sich unerwartet gut anfühlt. »Hallo Mr. Williams«, bringe ich zustande und sehe ihn herausfordernd an, denn ich will nicht den Eindruck des verhuschten Büromäuschens erwecken. Ich habe den Deal an Land gezogen, ich habe die Vertriebsstrategie geplant und für die Unterschrift gesorgt. Heute gilt es nur Mr. Fitnessmodel seine Vorteile und den Start der Zusammenarbeit zu erläutern und letzte Fragen zu klären. »So, da wir nun vollzählig sind, sollten wir beginnen«, unterbricht mein Chef die Begrüßung und ich nicke kurz und mache mich ans Werk.
Ein Kinderspiel!
Nach einer Stunde sind wir fertig und zu meiner Erleichterung hat sich mein Chef deutlich entspannt. Zwar versuchte mich Mr. Williams einige Male mit seinen provokanten Fragen aus der Reserve zu locken, scheiterte jedoch an meinem Pokerface. Auch sein ständiges Nachhaken brachte mich nicht aus der Fassung. Insgeheim haben mich allerdings seine intensiven Blicke und Gesten abgelenkt. Als er den Ellbogen lässig auf der Sessellehne abstützte, die Hand in der Nähe seines Gesichtes, und langsam mit dem Daumen in kleinen Kreisbewegungen über die Kuppe seines Mittelfingers strich, ging mir das durch und durch, und sein Mundwinkel zuckte, als er registrierte, dass ich ihn anstarrte. Mit einem Lob von Mr. Brewster danke ich den Herren und mein Chef erhebt sich.
Ein entspannter Smalltalk entwickelt sich, bei dem ich mir eins der köstlichen Häppchen in den Mund schiebe, da ich in der Hektik heute früh keine Zeit fürs Frühstück hatte. »Nehmen Sie immer anderen die Vorfahrt?« Ich schnappe pikiert nach Luft und hätte fast den halbzerkauten Pumpernickel-Lachs-Kräuter-Bissen über den Rest der Häppchen gespuckt.
Igitt – das hätte eine ekelige Sauerei gegeben.
Amüsiert beobachtet Mr. Williams meine Not, während er mir mit einem viel zu charmanten Lächeln eine Serviette hinhält und ich die Krümel, die mir im Hals kratzen, hinein huste. Als ich meinen Atem wieder unter Kontrolle habe, funkele ich den Fiesling erbost an. Erst schießt mir durch den Kopf, ihm gehörig die Meinung zu geigen, dann denke ich an die fette Provision, die mir unsere Zusammenarbeit in Zukunft sichern würde, und verkneife mir mühsam eine bissige Bemerkung. »Mr. Williams, ich weiß nicht wovon Sie sprechen«, lächele ich ihn an, bin mir allerdings bewusst, dass er mir die Maskerade nicht eine Sekunde abkauft. Er tritt einen Schritt näher an mich heran und ich nehme eine aufregende Duftnote an ihm wahr, und schließe für eine Millisekunde die Augen, um zu genießen, wie gut dieser Kerl riecht. Er neigt ein wenig den Kopf und raunt mir ins Ohr: »Oh, ich bin mir sicher, das waren Sie in dem schicken Porsche 911, die viel zu schnell die Kurve genommen hat.« Aus schmalen Augen funkele ich ihn an und überlege mir gerade eine schneidende Antwort, da fährt er fort: »Sie können es wieder gut machen – diesen Faux-Pas und, dass Sie mich hier haben warten lassen.« »Ach ja?«, zische ich zwischen den Zähnen hervor und sehe mich schon im Geiste vor meinem Chef zu Kreuze kriechen, wenn ich ihm erklären muss, warum wir einen horrend hohen Nachlass auf unser bereits besiegeltes Geschäft mit Mr. Williams geben müssen.
Verdammt! Ist der Kerl von allen guten Geistern verlassen?
»Gehen Sie heute Abend mit mir aus.« Wie vom Donner gerührt stehe ich vor ihm, gefangen in seinem intensiven Blick und fühle mich zurückversetzt an die High-School, wie beim ersten Date. »Das ist doch verrückt.« Ein Schmunzeln huscht über sein Gesicht und ich atme tief ein und aus, um die Contenance zu wahren. »Ich finde es nur fair, nachdem Sie fast meinen Wagen gerammt hätten. Es wäre doch zu schade, wenn ich Beschwerde über Sie einlegen müsste.« Fieberhaft überlege ich, wie ich mich aus dieser Situation herauswinden kann, aber wenn ich nicht wie eine komplette Versagerin dastehen will, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als anzunehmen. Schon blickt mein Chef einige Male zu uns herüber, da wir bereits geraume Zeit viel zu eng beieinanderstanden. Um peinliche Fragen und mögliche Gerüchte zu umgehen, sehe ich ihn erbost an. »Das ist Erpressung, und das wissen Sie, oder?«, schnaube ich aufgebracht, doch er lächelt mich nur gönnerhaft an. »Glauben Sie mir, dessen bin ich mir sehr wohl bewusst«, gibt er auch noch dreist zu und am liebsten würde ich ihm eine runtergehauen. Er hält mir einen Zettel unter die Nase und sieht mich aus grün-braungesprenkelten Augen an, die faszinierend glitzerten. »19 Uhr, und Miss Andrews, seien Sie diesmal pünktlich. Unpünktlichkeit wird bei mir in der Regel mit einer empfindlichen Strafe geahndet.« Damit dreht er sich um und lässt mich perplex stehen.
Na warte, Freundchen ...
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