44. The Story goes on
Am nächsten Morgen wachte ich fast problemlos auf, was wahrscheinlich daran lag, dass ich sehr früh schlafen gegangen war. Ich beeilte mich beim Anziehen und ging zum Gesellschaftsraum, als ich fertig war.
Hinter der Heizung war nichts. Besser gesagt nichts mehr. Justin musste das Päckchen vor mir geholt haben. Mist!
Ich wollte ihm wegen gestern aus dem Weg gehen, aber anscheinend hatte er das vorhergesehen und war vor mir dagewesen.
Mir bleib nichts anderes übrig, als zum Frühstück zu gehen.
Als ich den Speisesaal betrat, fiel mir auf, dass nun zwei Betreuer am Eingang standen und dich nach Namen und Zimmernummer fragten, um dann irgendwas auf ein Papier zu kritzeln. Beim näheren Betrachten erkannte ich, dass es eine Liste war. Sie prüften die Anwesenheit.
„Wozu ist das nötig?", fragte ich die Frau, die neben meinem Namen ein Kreuzchen setzte.
„Die Sicherheitsregeln sind strenger. Ab jetzt darf sich niemand mehr irgendwo aufhalten, ohne dass man durch einen oder mehrere Betreuer beaufsichtigt wird", meinte sie. Ich setzte zu einer neuen Frage an, aber da kümmerte sie sich schon um den Jungen hinter mir.
Ich marschierte weiter zum Buffettisch, nahm mir einen strahlend weißen Teller und suchte mir mein Essen aus. Neben mir bemerkte ich Yvonne.
„Ihr habt gestern bei der Befragung nichts herausgefunden, oder?", fragte ich sie. Sie schrak zuerst auf, weil sie scheinbar nicht erwartet hatte, dass jemand mit ihr sprechen würde, dann nickte sie langsam.
„Niemand scheint etwas gesehen zu haben, was äußerst merkwürdig ist. Es wurde auch kein einziger Hinweis gefunden. Nicht einmal Brian...", an der Stelle brach sie ab und meinte, sie würde jetzt essen gehen.
Mein Teller war voll mit drei Toasts (von zwei wurde ich nie satt), mehreren Marmeladensorten und einem Joghurtbecher. In meiner Hand trug ich ein Glas mit Orangensaft aus der Maschine, etwas später würde ich mir auch noch eine Tasse Kakao holen, aber jetzt hatte ich dafür keine Hand frei. Ich nahm an unserem Tisch Platz, wo Chloe und Paula bereits mit ihrer Mahlzeit begonnen hatten.
„Wo warst du?", fragte Paula, als sie einen Bissen von ihrem Schinkenbrot hinuntergewürgt hatte.
„Bin früher los, sorry", meinte ich.
„Und warum?", fragte nun Paula, die Chloes Essen abfällig musterte. Sie war Vegetarierin und bekam immer eigene Gerichte.
„Keine Ahnung, wollte eine Runde drehen, an der frischen Luft, ihr wisst schon", meinte ich und merkte, dass ich Müll redete.
„Alleine oder mit Justin?", fragte Chloe. Ich sah sie überrascht an. Dann stand ich auf, um mir meinen Kakao zu holen. Ich wollte nicht über ihn reden. Ich wollte ihn vergessen.
Wird gut klappen, wenn du dich ständig mit ihm triffst, meinte eine innere Stimme.
Klappe, gab ich zurück. Führte ich hier gerade im Ernst Selbstgespräche?
Ich war die einzige in dem kleinen Raum mit den Getränkeautomaten. Abwesend drückte ich auf den „Kakao"-Knopf. Plötzlich hauchte jemand in mein Ohr, „Na, Mayr? Keine Freunde?" Der warme Atem kitzelte mein rechtes Ohr und meinen Hals. Ich drehte mich um, obwohl ich bereits wusste, wer hinter mir stand. Justin.
„Was ist mit dem Tagebuch?", fragte ich, „Hast du es schon gelesen?"
„Ich konnte nicht widerstehen", meinte er und kam näher. Seine Nasenspitze berührte meine beinahe.
„Und wann darf ich es sehen?", ich versuchte mich von dem Kribbeln in meinem Bauch abzulenken.
„Mal sehen", flüsterte er.
Hinter uns ließ jemand seinen Plastikbecher auf den Boden fallen. Ich entfernte mich ruckartig von Justin und sah Nils. Irgendwie fühlte ich mich ertappt. Justin drehte sich noch einmal zu mir, zwinkerte mir zu und ging dann in einem großen Bogen um Nils herum aus dem Raum.
„Jenny, ich will mich ja nicht einmischen...aber habt ihr euch da gerade fast geküsst?", er hob das letzte Wort besonders hervor.
„Wir...nein!", stotterte ich.
„Es geht mich ja eigentlich nichts an, aber du solltest dich von ihm fernhalten. Er hat dir einmal wehgetan und wird es wieder tun." Auch Nils wandte sich ab und ging. Somit blieb ich alleine. Ich nahm einen Schluck vom Kakao und stellte fest, dass er furchtbar süß war. Ich ließ ihn auf dem Tisch mit den Maschinen stehen.
Als ich in den Speisesaal kam, war ich tief in Gedanken versuchen. Ich verstand im Moment nichts. Gestern führt sich Justin auf und gibt Luis meine Nummer, küsst mich dann auf die Stirn, als wir alleine sind und auch heute scheint er meine Nähe gesucht zu haben. Was geht eigentlich in seinem Kopf vor?
Was wohl passiert wäre, wenn Nils nicht gekommen wäre? Hätte er mich dann richtig geküsst? Mein Herz machte bei dieser Vorstellung einen Sprung.
Ich achtete nicht darauf, was um mich herum geschah, ich hörte meinen Freundinnen nicht zu. Ich versuchte Justin zu entschlüsseln, versuchte seine Logik zu verstehen. War das überhaupt möglich? Ich schaffte es nicht.
„Jenny? Willst du da wirklich rausgehen?", hörte ich eine bekannte Stimme. Paula. Was meinte sie? Ich merkte, dass meine Hand auf der Türklinke der Ausganstür ruhte. Wie kam die da hin?
„Jenny? Es schüttet schon wieder. Yvonne hat uns erlaubt, im Gemeinschaftsraum zu warten", half mir Chloe weiter.
„Oh, okay. Hab ich vergessen", ich lächelte. Paula und Chloe sahen mich verwundert an, wechselte Blicke und entschieden sich dazu, mich nicht auszufragen. Danke.
Wir setzten uns auf eine der Couchen. Irgendwie fiel uns kein Gesprächsthema an, also schwiegen wir uns an. Plötzlich stand Chloe auf und holte ein Brettspiel aus dem Kasten in der Ecke des Raumes.
„Activity? Ernsthaft?", fragte ich, doch Paula wirkte total begeistert.
„Komm, das wird sicher lustig." Ich willigte ein.
Das Spiel machte tatsächlich viel mehr Spaß, als ich es erwartet hatte. Nachdem Chloe für uns sehr lange das Wort Internet gezeichnet hatte, war ich dran. Und –wer hätte das gedacht- ausgerechnet ich bekam die unmögliche Aufgabe, einen Pfirsich pantomimisch darzustellen. Ich machte mich fünf Minuten lang gewaltig zum Affen, bis Paula irgendwann „Bahnhof", sagte. Ich prustete los. „Wie kommst du auf Bahnhof?", fragte ich und konnte mich nicht mehr einkriegen.
„Keine Ahnung", lachte Paula mit. Wir drei lagen am Boden, als ich eine Bewegung vor der Tür wahrnahm. Justin erschien kurz, winkte mich zu sich und verschwand. Paula und Chloe hatten ihr nicht gesehen.
„Ähm, Leute, ich muss kurz aufs Klo", sagte ich und ging.
Er stand draußen an die Wand gelehnt. „Jenny", grüßte er.
„Zeig mir das Tagebuch", verlangte ich.
„Nicht hier." Er führte mich zur Eingangstür und stieß sie auf.
„Justin, es schüttet."
„Dann können wir uns sicher sein, dass wir alleine dort sein werden."
Wir liefen los. Das Gras war total matschig und rutschig, und hätte mich Justin nicht am Arm festgehalten, wäre ich hingefallen.
Vor den zwei Häusern blieb Justin stehen. „In unserem Zimmer ist es ordentlich", meinte ich und lief hinein.
Ich lächelte, als ich im Trockenen zum Stehen kam. Justin grinste. Gott, wie gut er aussah, seine Haare nass und tropfend, sein rotes T-Shirt durchschimmernd. Jenny, konzentrier dich.
Wir stiegen die Treppe hinauf zum Zimmer 205 und setzten uns auf die Betten. Davor hatte ich noch zwei Handtücher geholt, und wir trockneten uns so gut es ging ab. Justin rubbelte seine Haare, die danach in verschiedene Richtungen abstanden. Ich lachte. „Stört es dich?", fragte er.
Ich war kurz davor zu sagen, dass er heiß aussah, dann fasste ich mich jedoch und schüttelte den Kopf. Wir begannen zu lesen.
Nachts schlichen wir uns heimlich hinaus zu unserem Lieblingsplatz, dem See. Um diese Uhrzeit sah er sehr ruhig und friedlich aus. Ich mochte es, wie das Wasser das Mondlicht spiegelte. Wenn eine kühle Brise wehte, kamen winzige Wellen auf. Ich nahm seine Hand, und er zog mich hinunter, sodass wir unter einem kleinen Baum saßen. Ich lächelte und blickte in seine wundervollen Augen. Er hielt diesen sehr intensiven Blick. Wir saßen uns gegenüber.
„Weißt du, wie lange ich mich danach gesehnt habe, dieses Gesicht zu sehen?", fragte ich, „wie lange ich dich dafür verflucht habe, dass du es verpixelt hast?"
„Und ich war dir dankbar, dass du es bei deinem nicht getan hast", antwortete er und kam mir langsam näher.
An dieser Stelle konnte ich nicht mehr. Das war zu intim. Ich fühlte mich schlecht, wenn ich das las. Andererseits, wenn Mae diesen Moment für sich behalten wollte, hätte sie diese Zettel in einem Safe oder zumindest in ihrem Bücherschrank versteckt. Wozu also hatte sie es hier gelassen?
Mein erster Kuss. Er war perfekt, mit dem perfekten Menschen am perfekten Ort.
„Ich kann verstehen, warum sie den See geliebt haben", meinte Justin. Ich dachte an unsere unzähligen Momente dort, wie wir dort gebadet oder einfach nur geredet hatten, und ich spürte einen stechenden Schmerz im Herzen. Sofort fiel mir auch die Szene im Flur vor dem Gemeinschaftsraum ein, oder die im Getränkemaschinenraum. Ich vertrieb diese Gedanken aus meinem Kopf.
„Glaubst du ist etwas Schlimmes passiert, weshalb sie ihr Tagebuch versteckt hat?", fragte ich.
„Kann sein. Vielleicht war ihr aber auch einfach langweilig."
Ich wendete das Blatt in meinen Händen, aber ich konnte den Hinweis nicht finden. Als ich Justin danach fragte, zuckte er ahnungslos mit den Schultern. Ich sah mir den Text noch einmal genauer an.
Als ich den Zettel ins Licht hielt, fiel mir auf, dass zwei Wörter in einer anderen Tinte geschrieben waren.
„Justin!" Ich zeigte sie ihm.
„Baum und See", er überlegte, „nicht schlecht."
„Wann sehen wir nach?", fragte ich und dachte an das miese Wetter.
„In der Mittagspause, wenn es nicht mehr regnet. Ansonsten am Abend."
Wir fanden, wir sollten jetzt wieder zu den anderen ins Haupthaus gehen, wenn wir aufgrund der neuen Sicherheitsregeln keinen Ärger bekommen wollten.
Wir hatten Glück, denn Yvonne betrat kurz nach uns den Gemeinschaftsraum, zählte alle durch und meinte dann, dass das Wetter besser geworden sei und wir nun bis zu Mittagessen entweder hier, in unseren Zimmer oder draußen sein durften, aber wir mussten immer mindestens zu viert sein. Alle verdrehten die Augen. Diese neuen Vorschriften waren total unnötig.
xxWieder ein Update! Sorry, dass es so lange gedauert hat, aber ich bin im Moment nicht so mit dem Ende, das ich geplant habe, zufrieden, deshalb muss ich alles noch einmal überdenken und das braucht Zeit. :* -Youtulipxx
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