38. Kränze flechten

Nach dem Essen meinte Yvonne, sie würde uns von den Kursen für heute Nachmittag befreien, und ich ging triumphierend unter die Dusche, weil es sich in den 15 Minuten vor dem Essen nicht ausgegangen war. Danach sprach ich kurz mit Paula (Chloe musste ihre Kurse besuchen), die sehr müde war und deshalb nichts mehr mit mir unternehmen wollte, und beschloss deshalb, in die Scheune zu gehen und mich dort zu entspannen. Bevor ich losging, flocht ich mir noch schnell einen lockeren Zopf. Plötzlich klingelte mein Handy.

„Hey, du meldest dich gar nicht, ich hab dir tausend Nachrichten geschickt. Alles okay?", fragte mich eine männliche Stimme.

„Kyle!", schrie ich glücklich. Ich hatte nicht gedacht, dass er mich anrufen würde. „Ich, sorry, wir waren den ganzen Tag unterwegs, ich hatte keinen Empfang." Ich war glücklich über den Anruf.

Früher haben Kyle und ich uns oft gestritten, aber in den letzten Jahren haben wir ein sehr enges Verhältnis zueinander aufgebaut. Er war der beste große Bruder, den man sich vorstellen konnte.

Die Scheune war offen, was mich nicht überraschte, und ich kam mit guter Laune hinein. Dass ich dort nicht alleine war, merkte ich erst, als ich es mir im Heu gemütlich gemacht hatte.

Justin sah mich mit seinem typischen Blick an, in dem Neugier, Arroganz und Spott lag.

„Oh, wenn hier schon besetzt ist, gehe ich", meinte ich schroff und stand auf.

„Nein, nein. Gut, dass ich dich getroffen habe, ich wollte sowieso reden", antwortete er.

Ich kehrte ihm den Rücken zu und ging ein paar Schritte, doch er hatte mich mit zwei Sätzen eingeholt. Seine starke Hand lag auf meine Schulter und hielt mich fest.

„Hey", sagte er, „komm runter. Ich kann dir erklären, warum ich abgehauen bin."

Wir verließen die Scheune gemeinsam und setzten uns stattdessen ins Gras hinter dem Mädchenwohnhaus.

„Also, wir verbringen ja fast den ganzen Tag mit unserer Gruppe A, und dort gibt es außer mir zwei Jungs: Nils, der mich hasst, und Elias, der ein völliger Spast und Idiot ist. Sandra und Pia sind langweilig, Lora total komisch drauf, deswegen hänge ich immer mit dir und deiner Freundin ab. Ihr seid eben die interessanteste Gesellschaft, die mir diese Gruppe zu bieten hat. Aber ich beschwere mich nicht. Und heute hab ich eben ein bisschen Auszeit gebraucht, und wollte eben ein bisschen alleine meine Zeit vertreiben."

„Erstens: Du warst ganz sicher nicht alleine, und zweitens ist das immer noch kein Grund uns uncool zu nennen", antwortete ich wütend.

„Ja, na gut, ich hab einen coolen Typen und ein süßes Girl getroffen, und ja, es tut mir leid", lautete seine Antwort.

Ich beschloss, mich damit zufrieden zu geben, weil er ohnehin das Thema wechselte und fragte, was wir so gemacht haben.

So saßen wir dann längere Zeit da, dann wurde uns langweilig und wir standen auf, um weiterzureden. Gemütlich spazierten wir herum, ohne Ziel, einfach so, und genossen die freie Zeit. Irgendwann fing ich an, Blumen wie Gänseblümchen und Löwenzahn zu sammeln, und da fragte mich Justin, ob ich flechten konnte.

„Wozu?", fragte ich verwirrt.

„Naja, als ich mit Lea und ihren Freundinnen bei ihrer Geburtstagsparty spazieren war, haben sich die kleinen alle so süße Blumenkränze geflochten und auf den Kopf gesetzt", erzählte er. Wenn er über seine Schwester sprach, würde man niemals denken, dass er ein Bad Boy war.

Ich fand, dass das mit den Kränzen eine gute Idee war, und pflückte ab sofort nur mehr Blumen mit langen Stängeln.

Während wir immer weiter spazierten, wurde mein Kranz immer größer. Wir drehten eine kleine Runde, und genau als wir die Scheune wieder betraten, wurde er fertig.

„Schick", meinte Justin, als wir uns niedersetzten und ich den Kranz auf meinem Kopf platzierte. Er hatte eine Zigarette im Mund und zündete sie mit seinem blauen Feuerzeug an.

„Aber etwas fehlt noch", fügte er hinzu, stand auf und stellte sich hinter mich. Ich wollte meinen Kopf zu ihm drehen, aber er hielt ihn fest und richtete ihn nach vorne. Dann zog er kurz an meinen Haaren und hielt einen Moment später mein Haargummi in der rechten Hand, mit seiner linken wuschelte er kurz durch meine –vom Zopf noch mehr –gelockten Haare.

„Voilà!", rief er, nachdem er sich wieder auf seinen vorherigen Platz gesetzt hatte, „Du bist wundervoll!" Ich lächelte geschmeichelt. Dann beugte er sich zu meinem Ohr und flüsterte: „Na, wen reißen wir mit der neu ergatterten Schönheit auf?", und lachte spöttisch auf.

„Warum?", meinte ich wütend, „Warum bist du zuerst so nett und fürsorglich und dann so arrogant und hochnäsig? Warum kannst du nicht einen Tag nett bleiben? Manchmal verdreht einem deine Art einem den Kopf, und manchmal könnte ich davon kotzen! Entscheid dich für eine Persönlichkeit und nerv nicht mit deinen Stimmungsschwankungen!" Als ich fertig war, atmete ich zuerst tief ein und aus, und dann wunderte ich mich über das, was ich vor weniger als einer Minute gesagt hatte.

Justin schwieg, bis ich mich beruhigt hatte, dann fragte er, „Ich verdrehe dir also den Kopf?"

Bevor ich irgendwas sagen konnte, lief mein Kopf verräterisch rot an, was ihm mehr als eine Antwort sagte.

„Aber nicht, wenn du ein Arschloch bist", fügte ich traurig hinzu, „nicht, wenn du mich verspottest oder auslachst oder..."

Ich wurde durch einen Kuss unterbrochen. Seine Lippen lagen zart auf meinen, vorsichtig, als wäre ich aus Porzellan.

Mir wurde schwindelig von dieser schönen Zärtlichkeit, von den Schmetterlingen in meinem Bauch, von dem Kribbeln auf meiner Haut, den Stromschlägen. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte meinen ganzen Körper.

Er löste sich sanft von mir und blickte mir tief in die Augen.

Und jetzt? , fragte eine Stimme in mir, Seid ihr jetzt zusammen? Justin und Jenny? Der Bad Boy und das normale Mädchen?

Ich wartete ab. Irgendwas musste er doch dazu sagen, oder?

Doch er schwieg. Eine ganze Ewigkeit lang.

Dann öffnete er den Mund kurz, schloss ihn aber wieder.

„Und jetzt?", fragte ich vorsichtig.

Seine Antwort traf mich wie ein Schlag. Gewaltig. Mitten ins Herz.

„Was denn? Wir haben uns auch schon früher geküsst." Während er sprach, nahm er seine Zigarette kurz aus dem Mund und rauchte sie danach weiter.

„Ja, aber nicht nachdem ich dir sozusagen meine Gefühle gestanden habe?", fragte ich schockiert. In meine Augen sammelten sich Tränen. War ich reingefallen? In eine seiner Fallen? Was hatte das zu bedeuten?

„Oh, das ähm... Ich.... Jeder Mensch hat seine eigene Meinung zum Thema wahre Liebe. Manche glauben an den Prinz auf dem weißen Pferd, andere sagen, das sei völliger Schwachsinn", sagte er ruhig, was mich auf die Palme brachte. Worauf wollte er hinaus?

„Also, ich...", sagte er nach einer kurzen Pause, „Ich bin der festen Überzeugung, dass wahre Liebe nicht existiert."

Ja, ich war hineingefallen. So schön dieser kurze Kuss war, genauso schmerzhaft waren jetzt diese Worte; als wäre ich über den Wolken geflogen und landete jetzt schutzlos auf dem harten Boden. Dieser Aufprall tat fürchterlich weh, schlimmer, als ich es je beschreiben könnte. Ich hatte ihm beinahe meine Liebe gestanden, er hatte mich geküsst, mir Hoffnung gemacht, und nun lag ich im tiefen Krater, den der Aufprall hinterlassen hatte. Mir tat alles weh. Ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, mein Hals brannte. Eine Träne löste sich und floss mein Gesicht hinab, bleib kurz am Kinn stehen und tropfte dann auf meine Hand.

So viele Küsse, schöne Worte, Berührungen, und er glaubte nicht daran.

Dieser Schockmoment dauerte eine Weile. Ich schluckte den großen Klos in meinem Hals hinunter und presste mit zittriger Stimme eine Frage hervor. „Und...wie stellst du dir es dann vor? Dieses Gefühl? Diese Kraft, die Menschen zusammentreibt, zusammenhält, verbindet? Wegen der sie heiraten? Was ist deiner Meinung nach dafür verantwortlich? Warum tun Menschen solche unglaublichen Dinge, leiden füreinander, sterben sogar füreinander?" Mein Hals war trocken, ich verspürte den Drang aufzustehen und wegzurennen, aber trotzdem blieb ich sitzen und wartete auf seine Antwort. Meine Tränen hielt ich nicht zurück, sie flossen in Strömen, und ich merkte es kaum.

„Ich finde, dass vielleicht ein Mensch vielleicht etwas größeres Interesse zu einem anderen entwickeln kann, und dieser zwei Mensch hört es, und ist so geschmeichelt, dass er meint, dasselbe zu empfinden. Die beiden machen es sich vor, die wahre Liebe gefunden zu haben. Sie heiraten, bekommen Kinder, sind glücklich... bis einer von ihnen merkt, dass diese Gefühle nicht echt waren. Sie streiten, trennen sich. Hassen sich. Und finden dann direkt den nächsten, den sie toll finden. Schon beginnt alles von vorne."

Diese Worte verschlugen mir den Atem. Vormachen?! Alle Menschen denken, sie wären verliebt? Es gibt keine Liebe?

Das waren also die Gründe, weshalb er so war, wie er war. Er glaubte nicht an den schönen Teil, sondern wollte immer schnell zum spaßigen Teil kommen. So sah er das alles also. Als Einbildung. Ich lachte laut auf. Mein Lachen mischte sich mit den Tränen. Vormachen...

Im Nachhinein wusste ich gar nicht, was ich damals so lustig gefunden hatte, und erklärte mein Lachen als eine Art Schockreaktion.

Er hatte mein Herz gebrochen.

Ich merkte, wie ich zu zittern begann. Für ihn gab es das alles nicht. Nichts davon, was ich für ihn empfand. Es war etwas Ausgedachtes.

Ich fühlte meinen Körper nicht, als ich aufstand. Es war, als wäre ich gelähmt. Komplett. Er wollte etwas sagen, fing aber zu Husten an. Stirb ruhig an deiner Zigarette, dachte ich.

Ich ging raus aus der Scheune, weg von ihm! Und er ließ mich, er hielt mich nicht auf, es war ihm egal.

Die Tränen versperrten mir die Sicht, und ich wischte sie wütend weg. Er war ein arrogantes Arschloch, eingebildet, und ich hatte mich in ihn verliebt. Vermutlich saß er jetzt in der Scheune und lachte über das dumme Mädchen, dass keine Ahnung vom Leben hatte und die wahre Liebe suchte.

Ich ging nicht ins Haupthaus, nicht ins Mädchenhaus, nicht zu Paula oder Chloe oder sonst wem. Nein, ich steuerte direkt auf den Wald zu. Es war mir egal. Egal, wie ich jetzt aussah, dreckig verheult, rote Augen. Ich hatte Lust zu schreien. Zwei Umrisse sahen mich verwundert an, ich glaube, es waren zwei Mädchen. Ihre Gesichter erkannte ich durch die Tränen nicht, aber es war mir egal. Mir kam alles wie ein Traum vor, ein Alptraum, den ich nicht wahrhaben wollte.

Irgendwann begann es vom Himmel zu tropfen, dann wurde der Regen stärker, bis es schüttete.

Und auch das war mir egal, ich blieb auch nicht stehen. Der Boden wurde nass, aber das störte mich nicht. Genauso wenig kümmerte mich meine brennende Lunge und meine schmerzenden Beine.

Ich dachte nicht daran, was passieren würde, wenn ich stehen bleib, oder wenn es dunkel wurde. Ich hörte nur auf meine Seele, die in mir schrie, Lauf! Lauf! Lauf dich zu Tode!

Ich lief immer weiter, bis ich über eine Wurzel stolperte und zu Boden fiel. Ich stand nicht auf, sondern blieb weinend auf der Erde liegen.

Nach mehreren Minuten oder vielleicht sogar Stunden stand ich auf, um mich auf einem nahegelegenen Baumstamm niederzulassen. Ich stützte mein Gesicht mit meinen Händen.

Die Zeit lief. Irgendwann hörten die Tränen auf zu fließen. Ich brachte keine einzige mehr von ihnen heraus. Nun saß ich einfach so da und lauschte dem Prasseln des Regens.

Ich glaube, ich war eingeschlafen, denn als ich die Augen öffnete, war es still. Der Regen hatte sich beruhigt. Da die Wolken sich verzogen hatten, schien die Sonne, und es war hell. Ich erkannte meinen Blumenkranz, der mehrere Schritte entfernt von mir am Boden lag. Ich ignorierte ihn und drehte mich auf die andere Seite.

Mir fiel auf, dass ich unbequem lag, also sah ich in meiner linken hinteren Hosentasche nach, und fand mein Handy dort. Die Zahlen 17:47 leuchteten auf dem Display auf, als ich mein Handy andrehte.

Ich hatte ein paar ungelesene Nachrichten, die mich im Moment wenig kümmerten. Musik. Das war es, was ich jetzt brauchte. Ich drückte auf Play und direkt ertönte ein sehr schönes Lied, das irgendwie zu meiner Laune passte. Story of my life von 1D.

Ich drehte auf volle Lautstärke und sang beim Refrain mit.

Das nächste Lied war Take me to church von Hozier, auch ein wunderschönes Lied, meiner Meinung nach. Es beruhigte mich, mitzusingen oder –summen, wenn ich den Text nicht kannte.

Plötzlich hörte ich Schritte. Ich drehte die Musik ab und lauschte. Nein, ich hatte es mir nicht eingebildet. Die Schritte kamen näher. Ich machte mich klein. Die Person fand mich trotzdem.

„Jenny? Hey, komm her." Diese Stimme war die letzte, die ich jetzt hören wollte. Unglaublich, aber er tat so, als wäre in den letzten Stunden nichts passiert.

Seine Finger berührten meine Schulter und ich hatte das Gefühl, an dieser Stelle hätte mich ein heißer Bügelleisen verbrannt. „Jenny, steht auf. Du frierst ja, hier, nimm meine Jacke", sein ruhiger und fürsorglicher Ton machte mich rasend. Er zog seine Jacke aus und wollte sie mir geben, aber ich schlug sie ihm aus der Hand.

„Hau ab", zischte ich.

„Jenny...", begann Justin.

„Geh weg!", schrie ich, stand auf und lief weg. Ich rannte direkt in Chloes Arme.

„Jenny, oh mein Gott, dich sucht das ganze Camp!", meinte sie besorgt, „Geht es dir gut? Was ist passiert?" Sie bemerkte meine bebenden Schultern und wurde still. Ihr Blick wechselte zwischen mir und Justin, dann nahm sie mich bei der Hand und zerrte mich weg. Sie führte mich zum Haupthaus, wo Yvonne uns beide empfing und zur Krankenstation brachte- ich wusste nicht einmal, dass es sowas hier gibt. Die Krankenschwester befahl Chloe, ein Handtuch und frische Kleidung herzurichten, und meine Freundin verschwand aus dem Raum. Kira Wennred, wie ich auf ihrem Namensschild ablas, prüfte, ob ich irgendwelche Verletzungen hatte und fand einen blauen Fleck auf meinem rechten Arm.

„Wie ist das passiert?", fragte sie sanft. Sie war wirklich freundlich und nett, aber ich hatte trotzdem keine Lust, mit ihr zu reden.

„Ich bin in den Wald gegangen, wollte alleine sein, und bin gestolpert. Nicht schlimm", meinte ich.

Sie nickte und stellte keine weiteren Fragen, übergab mich Yvonne und der Leiterin und vermittelte ihnen, was ich erzählt hatte. Die Leiterin meinte irgendwas zu Yvonne und ging dann wieder weg.

Rotschopf fragte mich, ob ich in Ordnung war und schickte mich dann in mein Zimmer. „Du sollst dich duschen und umziehen, dann nimmst du deine Freundin und ihr geht zum Abendessen."

Ich befolgte ihren Anweisungen und ging ins Zimmer 205. Chloe ließ mich in Ruhe duschen und umziehen, aber als ich mich aufs Bett legte, setzte sie sich dazu und verlangte eine Erklärung, warum sie mich alleine im Wald gefunden hatte. Paula kam nur wenig später auch ins Zimmer. Zuerst meinte ich, ich wollte nicht darüber reden, aber Chloe zwang mich, und so erzählte ich ihnen die ganze Geschichte, wobei ich wieder in Tränen ausbrach.

Chloe umarmte mich und flüsterte mir beruhigende Worte zu. Paula schüttelte wütend den Kopf.


xxHiiii! Ich habe endlich, dank Google Drive und meinem Bruder, der mir seinen Computer geliehen hat, updaten können!

Meine Mutter hat meinen Computer nämlich einkassiert, und sie wird ihn wahrscheinlich noch eine Weile behalten, aber ich kann trotzdem updaten *-* <3 -Youtulipxx


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