T for This Is Me

SOPHIA ➜ 19. - 22. Februar 2016 London, England


Mit pochendem Herzen und schwerem Kloß im Hals trat ich eine Stufe nach der anderen nach oben. Meine Finger zitterten vor Kälte, als ich sie vorsichtig auf den Knopf legte. Das altbekannte Geräusch ließ einen Schauer meinen Rücken hinab laufen und ich fühlte mich nicht besser, als ich in mir verhasste blau-graue Augen blickte.

„Hat sich die Prinzessin auch endlich mal dazu herab gelassen, hier aufzulaufen, ja?" Schnaubte er verächtlich. Am liebsten hätte ich ihm für diesen fürchterlich dämlichen Spruch schon einmal die Fresse poliert. Doch ich fürchtete, mein Vater würde es nicht gutheißen, wenn ich das perfekte Gesicht seines Lieblingsschwiegersohnes demolierte. Somit riss ich mich einfach zusammen, verbiss mir jegliche Kommentare und fragte zwischen zusammengepressten Zähnen: „Wo ist Mum?"

„Immer hier entlang, Miss Perfect."

„Halt einfach die Schnauze, Mitchell."

Es war mir egal, ob meine Tasche an diesem Schmierlappen vorbei striff und er gegen die Kommode gedrängt wurde. Ich hasste diesen Depp und das würde sich auch nicht ändern. Mein Weg führte mich –noch in Straßenschuhen, denn auch das war mir egal, auch wenn Dad die Wand hochgehen würde- direkt ins Wohnzimmer, wo meine Mutter quietschlebendig auf dem Sessel saß und strickte.

„Oh Gott, Mum!" Mindestens fünftausend Pfund leichter, warf ich mich in ihre Arme. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht. Lass dich mal ansehen, fehlt dir was?"

„Sophia, Spätzchen, beruhig dich erstmal." Sanft lächelnd strich sie mir eine Haarsträhne hinters Ohr und wischte mir über meine feuchten Wangen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich weinte. „Was ist denn los, warum bist du so aufgelöst, Spatz?"

„Ich bin einfach nur unheimlich froh, dass es dir gut geht." Erleichtert atmete ich aus und setzte mich auf die Sessellehne. „War Doktor Wright schon bei dir? Oder wenigstens Julian?"

Mum lachte auf und sah mich an, als hätte ich sie nach dem besten Verfahren zum Drogenhandel gefragt. „Wieso denn das, Sophia? Mir geht's absolut fantastisch."

„Was?" In diesem Moment fiel mir alles aus dem Gesicht. „Aber-Aber Dad...die SMS?"

„Die SMS hat er dir geschickt, damit du endlich mal nach Hause kommst und deine Nichte kennenlernst."

In diesem Moment fiel mir absolut alles aus dem Gesicht. „Du verarscht mich oder?" Fassungslos starrte ich meine Schwester an. Sie tauchte mit einem Mal im Türrahmen auf, hielt ein Bündel im Arm und rammte mir bildlich gesprochen eine Abrissbirne in die Magengrube.

„Sophia. Jenna ist jetzt schon ein halbes Jahr alt. Du warst nicht bei der Geburt, du warst nur eine Stunde bei der Taufe...wir wollten, dass du nach Hause kommst und wussten, dass Mum die einzige Möglichkeit ist, dich hierher zu locken." Zoé sprach diese Worte mit der festen Überzeugung aus, es sei das absolut richtige. Und das machte mich rasend vor Wut.

„Hast du noch alle Tassen im Schrank?! Kannst du dir auch nur im Geringsten vorstellen, was für einen Höllentag ich hinter mir habe? Was für eine Heidenangst ich um Mum hatte?"

„Nope." „Du hältst die Schnauze, Scott", fuhr ich ihn dumm an. Wenn er nicht bald aufhörte so dämlich vor sich hin zu grinsen, würde mir die Hand ausrutschen. Ich hatte den Affen bei Harrys Party für einige Sekunden verwirrt, als ich ihn Bekanntschaft mit meiner Faust hatte machen lassen, dasselbe konnte ich mit einem Lauch wie Scott anstellen.

„Guten Abend, Sophia." Mein Vater tauchte hinter meiner Schwester auf, schenkte aber bloß seiner Enkelin Beachtung. An mich richtete er zwar Grußworte aber gleich danach Tadel. „Ich wäre dir mit größtem Dank verbunden, wenn du deine Lautstärke etwas senken würdest. Die kleine Maus muss das ja nicht gerade mitbekommen."

„Ist das dein Ernst? Das ist alles was du zu sagen hast, nachdem du mir den Schreck meines Lebens eingejagt hast? Schönen Dank auch. Herzlich Willkommen zu Hause."

„Sophia!"

Zoé lief mir zwar hinterher, doch ich war schneller. Meine Zimmertür knallte zu, das Schloss rastete ein und ich war alleine im dunklen. Das durfte doch absolut nicht wahr sein.

„Süße, bitte mach auf, ich muss mit dir-" Sie brauchte den Satz gar nicht erst zu Ende bringen. Ich hatte das Licht bereits angeschaltet.

Verzweiflung, Ärger oder doch nur nüchternes ‚Ich hätte es wissen müssen?' Was genau mich in diesem Moment durchfuhr, wusste ich nicht. Meine Tasche glitt zu Boden und ich entschied mich für Nüchternheit. „Ihr habt mein Zimmer in ein Babyzimmer umgebaut?" Ohne irgendwelche Fassungslosigkeit zu verspüren, drehte ich den Schlüssel rum und wenig später stand Zoé neben mir. Sie hielt noch immer das rosa Bündel in den Armen und glitt zu mir auf den Boden. „Ja. Scott und ich brauchten Dads Hilfe. Die Bauarbeiter haben Mist gebaut und zwei Wasserleitungen sind geplatzt bevor wir einziehen konnten. Es tut mir Leid, Süße."

„Nein." Es tat ihr nicht Leid. Sie war noch immer der festen Überzeugung, dass sie im Recht war. Ebenso wie ich. Doch so waren die Smiths. Jeder einzelne glaubte immer auf seine Art, er sei im Recht. Manchmal fühlte ich mich, als sei ich die einzige, die hin und wieder im Stande war sich einzugestehen, dass sie Scheiße gebaut hatte. Mochte es noch so lange dauern. „Es tut dir genauso wenig Leid, wie es mir nicht Leid tut, dass ich nicht mehr hergekommen bin." Zoé schluckte nur und sparte es sich irgendwas zu erwidern.

Und so saßen wir da. Auf dem Boden, umringt von rosa Teppich, wo einst dunkles Laminat verlegt wurde und starrten auf ein weißes Babybettchen, wo einst ein dunkler Schreibtisch stand. An der Wand über dem Bett prangte ein riesen Hello-Kitty-Gesicht, wo einmal meine Backstreet Boys-Poster hingen.

„Jetzt gib die Kleine schon her", brach ich schließlich nicht nur die Stille, sondern auch meine Sturheit. Nicht einmal den Titel der Patentante hatte ich annehmen wollen, somit kam diese Ehre Zoés bester Freundin zu teil. Ich hingegen hatte mich strikt dagegen ausgesprochen, mehr als nötig mit Scott zu tun zu haben. Jenna tat mir vom ersten Ultraschallbild an Leid, denn sie würde unter Garantie mit einer alleinerziehenden Mutter aufwachsen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, schließlich kümmerte sich ihr Vater lieber um jeden herumlaufenden kurzen Rock, als um ihre Mum.

Vorsichtig platzierte Zoé die Kleine in meinen Armen und auch wenn ich es nicht zugeben wollte aber die Kleine hatte mein Herz in ihren Händchen, als sie mich das erste Mal ansah, lächelte und kleine süße Blubberbläschen ihrer Sabber an ihren Lippen hingen.

„Ich weiß du magst ihn nicht, Soph. Aber ich liebe ihn."

„Ich weiß."


So saßen Zoé und ich eine ganze Weile auf dem Fußboden und schwiegen. Jenna lag in meinen Armen und gluckste fröhlich vor sich hin, bis sie schließlich einschlief. Um viertel nach elf vibrierte mein Handy, was ich inzwischen wieder aufgeladen hatte und mit einem Mal hörte es gar nicht mehr auf. „Da muss ich eben nachschauen." Vorsichtig legte ich Jenna in Zoés Arme, während sie ihre Kleine endlich ins Bettchen brachte.

Einige Nachrichten waren über Whatsapp eingegangen, darunter Aiden, Hannah – woher auch immer sie meine Nummer hatte- und vor allem Marius und Alicia. Beide fragten besorgt nach, ob etwas nicht in Ordnung sein. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass wenigstens einer der beiden noch wach war, beschloss ich Marius einfach anzurufen und ihm die Situation zu erklären. Es dauerte geschlagene fünf Minuten, bis ich mich vollständig ausgekotzt hatte. Aus therapeutischen Gründen hatte ich mich auch gleich über meine Familie ausgelassen, auch wenn es ihn vermutlich absolut nicht interessierte. Wahrscheinlich interessierte es ihn genau so viel, wie mich die Tatsache, dass das Badezimmer schallte und mein Vater sicherlich Wind davon bekam, wie sehr mich dieser Tag hier ankotzte.

„Okay, Soph. Jetzt atme erstmal richtig durch, gönn dir einen Schnaps und dann hörst du mir erst mal zu, ja?"

Innerlich bereitete ich mich auf ein Donnerwetter vor und ließ mich zur Sicherheit in der Badewanne weiter nach unten sinken, sodass ich dort kauerte, wie auf dem Sofa.

„Das mit dem Auto ist nebensächlich. Es ist vielleicht ein Klassiker und damit hat es Liebe verdient"- Er war sauer auf mich. „-aber es ist nicht schlimm. Ehrlich, Soph. Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist. Und wenn die Dame, von der du erzählt hast, ihn wieder hinbekommt, kann ich mit allem Leben."

„Ich bezahle die Reparatur selbstverständlich!" unterbrach ich ihn sofort.

„Das einzige, was du selbstverständlich machst, ist dir ordentlich einen hinter die Binde kippen und dann schläfst du deinen Rausch aus und dann hörst du dir an, was dein Vater zu sagen hat. Okay?"

Erleichtert fuhr ich mir durch die Haare. Soviel Nettigkeit hatte ich nach diesem beschissenen Tag zwar nötig, doch aufgrund der Tatsache, dass ich vermutlich sein zweitwertvollstes Stück, gleich nach Alicia, geschrottet hatte, absolut nicht verdient. „Marius, du bist ein Schatz, weißt du das eigentlich?"

„Los, hopp. Hab Spaß, Kleine."

„Ai, Ai, Kapitän", lachte ich auf und legte nach einer ordentlichen Verabschiedung auf. Die Position in der Badewanne war bequemer, als ich es erwartet hatte, somit blieb ich dort sitzen und begann meine Nachrichten zu lesen.

❝Sophia, meine Liebe. Bitte sag mir du hast am nächsten Montag (22.) ein paar freie Minuten :) Wir würden gerne das nette Gespräch von Harrys Geburtstag endlich mal wiederholen♥ - gez. Hannah, Sarah, Perrie und Ellie ❞

Woher zum Henker hatte Hannah meine Nummer? Ob ich sie ihr selbst gegeben hatte und konnte mich nicht mehr daran erinnern? Diese Option war zumindest wahrscheinlicher, als das Liam meine Nummer heraus gerückt hatte. Apropos Liam. Bevor ich Hannah zusagte, unter der Bedingung, dass es sich um einen Abend handelte, damit ich den Uni-Kram aufarbeiten konnte, ging ich auf den Chat mit Liam. Es kostete mich eine gefühlte Stunde, bis ich mich entschied, den Chat wieder zu schließen. Eine Entschuldigung per SMS würde alles nur schlimmer machen. Dennoch musste mir dringend etwas einfallen.

„Soph, da ist jemand an der Tür!"

Vor Schreck warf ich mein Handy von mir und betete, dass die Hülle verhindert hatte, dass der Wasserhahn mein Telefon zerstörte. Doch ich hatte Glück. Andy hatte recht gehabt, als er irgend so eine Panzerfolie auf mein Handy geklatscht hatte. „Sicher ist sicher, bei dir weiß man nie", hatte er – völlig zurecht, wie sich jetzt herausstellte- gesagt.

„Komme", rief ich und schlurfte die Stufen nach unten. Als ich sah, wer dort in der Tür stand, sprang ich die letzten drei Stufen nach unten und stolperte in ihre Arme. „Heilige Scheiße! Rosie, was machst du so spät hier?"

„Du hast nicht auf Aidens Nachrichten reagiert, also dachte ich Rox und ich holen dich ab."

„Hey, Sofl." Auch die kleine Schwester von Rosie bekam eine herzliche Umarmung.

„Ihr rettet mir den Tag."


Keine halbe Stunde, nachdem ich meine Handtasche geschnappt und auf dem Weg einen Döner bekommen hatte, standen wir zu dritt in der Eingangstür der Irving Plaza Karaoke-Bar und lachten uns krumm und schief. Während Aiden essend auf einem Tisch stand, hatte Rob die Hände in die Hüften gestemmt und machte ihm Vorwürfe. Roxy lachte und sprach irgendetwas von „Ich geh mal auf Toilette bevor ich mir in die Hosen pinkle."

Auch Rosie setzte sich an einen Tisch. Ich jedoch stand wie angewurzelt da und wusste nicht, ob ich lachen oder schreien sollte. Spätestens als Aiden Rob vorwarf: „Ich hab mir nicht die Nippel gepierct, weil's dich angewidert hat. Wir sind nicht länger im Club geblieben, weil du unbedingt nach Hause gehen wolltest", war es vorbei bei mir, weil ich genau wusste, was Rob nun sagen würde: „Weil du mit der Bitch in Latex geflirtet hast!!"

„Darum geht's also", fiel es Aiden wie Schuppen von den Augen. „Es wird immer Frauen geben, die mit mir flirten wollen, gönn' mir mal 'ne Pause." Und dann begann er zu singen und auch wenn die Worte, die er von sich gab, zum Wegschmeißen waren, ließ ich mich auf dem Stuhl neben Roxy, welche inzwischen wieder gekommen war, nieder und ließ mich von seiner unfassbaren stimme verzaubern. Damit hatte er mich schon damals immer herum bekommen.

„Jeden einzelnen Tag laufe ich Straßen hinunter. Ich höre Leute rufen ‚Baby'; so süß. Schon seit der Pubertät werde ich von überall angestarrt, Jungs, Mädchen; ich kann nichts dafür."

Spätestens als Aiden unglaubliche Töne von sich gab, um Rob zu überzeugen, er solle ihn so lieben, wie er sei, hielt es keinen Gast mehr in den Sitzen. Vielen pfiffen durch ihre Finger, klatschten oder lachten sich schlapp. Inklusive Rosie, Roxy und mir.

„Verlier' nicht den Kopf. Denk dran: Wer liegt jede Nacht in deinem Bett?" Robert ließen die hohen Töne jedoch kalt, er verzog nur das Gesicht. „Komm, gib mir 'nen Kuss, Puki." Doch bevor Aiden sich tatsächlich nähern konnte, schob Rob seinen Finger dazwischen und begann seinen Part nicht weniger eindrucksvoll zu performen.

Als Aiden und Robert schließlich die End-Szene zum Besten gaben, hielt es nun absolut niemanden mehr auf seinem Sitz:

»Take me baby, or leave me. «

»Guess I'm leaving «

»I'm Gone! «

Keck legte Rob seine Hand auf den Arsch und für ganze zwei Sekunden konnte sie ihre Miene aufrechterhalten, bevor sie lachend beinahe zusammenbrachen. „Genial!" kicherte Rox und klatschte wie will in ihre Hände.

„Da ist ja unser verlorenes Schaf." Die Karaokemaschine wurde von anderen Gästen in Beschlag genommen und schlagartig interessierte sich niemand mehr für die Bühne, auch wenn die Performance nicht einmal wirklich schlecht war. Doch an Aidens und Rob's Version von „RENT" und dem Beziehungskrach von Maureen und Joanne kam schon seit Ewigkeiten keiner mehr ran. Giovanni, der Besitzer der Irving Plaza, kam nur allzu gerne auf die beiden Jungs zu und bat sie um ihre Spezial-Nummer. „RENT", Aidens Lieblingsmusical erzählt die Geschichten einer Gruppe junger Künstler im New Yorker East Village. Zwei der Hauptfiguren sind Filmemacher Mark und Musiker Roger, die die Miete für ihr Apartment nicht mehr zahlen können. Ihr Vermieter ist ihr früherer Mitbewohner Benny. Die Handlung beginnt mit einem Überfall auf ihren Freund Collins auf offener Straße und mit der Revolution gegen die Miete. Das Thema Homosexualität wird durch die Drag Queen Angel und das ewig zankende Paar Maureen und Joanne behandelt. Eben dieses ewig zankende Paar, hatten Rob und Aiden gerade eben perfekt nachgestellt und damit meinen Tag um 180 Grad gedreht. Noch immer hatte ich Lachtränen in den Augen.

„Komm erstmal her, Sofl." Herzlich wurde ich von Rob in die Arme genommen. „Mensch, der Tag heute ist krass."

„Wieso das?" fragte ich nach und setzte mich ebenfalls wieder hin, nachdem auch Aiden mich noch einmal begrüßt hatte.

„Du glaubst nicht, wen ich heute getroffen habe", grinste Rob vielversprechend und bevor irgendjemand etwas sagen konnte, quiekte Rox dazwischen: „Liam fucking Payne!"

...das durfte nicht wahr sein.Warum, wieso, wo- Okay, es interessierte mich nicht. Nciht heute.

„Mensch...darauf trinken wir erstmal." Ich versuchte meine Miene halbwegs aufrecht zu erhalten, doch ein Seitenblick reichte. Aiden wusste Bescheid.

„Komm Sofl, einmal musst du mindestens singen", plapperte Rosie fröhlich, doch ich klammerte mich lieber an den Sekt. Keine Ahnung, wie viel ich schon getrunken hatte, ich wusste nur, mir ging es unfassbar gut und ich hatte weder Zeit- noch Hungergefühl oder sonst auch nur irgendetwas. Das Problem an der Sache? Ich hatte auch kein Schamgefühl mehr. Aiden jedoch passte auf mich auf und nahm mir in weiser Voraussicht das Mikrofon aus der Hand und sang stattdessen selbst einen Song: „Der ist für meine beste Freundin, Sofl, schwing die Hüfte: »If I was your boyfriend, I'd never let you go

I can take you places you ain't never been before

Baby take a chance or you'll never ever know

I got money in my hands that I'd really like to blow

Swag swag swag, on you«

Spontan könnte ich nicht sagen, wann ich das letzte Mal so auf eine Justin Bieber-Scheiße angesprungen war, wie dieses Mal. Dass Aiden zwischendrin einfach abbrach und anfing Taylor Swift's „We are never getting back together" zu singen, machte mich noch sehr viel glücklicher, denn in diesem Moment war ich mir sicher: Mit Liam hatte ich es mir endgültig verschissen und die Sache mit der Wiedergutmachung konnte ich mir abschminken.



Am nächsten Tag wachte ich neben Aiden auf und hatte absolut keinen blassen Schimmer, wie ich hier gekommen war.

„Morgen, Schlafmütze." Julia stand mit einem Mal neben mir und schlüpfte in eine lockere Jogginghose. „Erst Kaffee oder erst duschen?"

„...Erst sterben", grummelte ich und zog die Decke über den Kopf.

„Mensch Aiden. Du sollst Sofl doch keinen Sekt geben." Neben mir grummelte es und für meine Ohren hatte es einen Touch von Lawine gemischt mit Explosion in einem Kohlekraftwerk.


Es kostete mich volle sieben Stunden, bis ich halbwegs aussah, wie ein Mensch und mich eben auch so fühlte. Grausam. Weder die kalte, noch die heiße Dusche gleich danach, noch das grandiose Frühstück oder die Kopfschmerztablette und die Kanne Kaffee brachten mich auf Touren. Wenn ich es früher gewusst hätte, dass ich nur nach Hause gehen musste, um auch Touren zu kommen, hätte ich meinem Körper das ganze Koffein erspart.


„Wo warst du?" Zornig stand mein Vater vor mir und ich fühlte mich zurück versetzt in die Highschool-Hollywood-Klischee-Schinken aus meiner Jugend, die ich so geliebt hatte. Denn statt irgendetwas zu sagen, ging ich einfach hoch und sah, dass irgendjemand meine Sachen in den Flur gestellt hatte, anstatt sie in Jennas Zimmer zu lassen. „Super, Danke."

Wütend griff ich nach dem Henkel, grüßte Mum freundlich und ignorierte meinen Vater. Für einen kurzen Moment war ich versucht Aiden anzurufen und um Asyl zu bitten, doch diesen Gedanken verwarf ich ziemlich schnell. Stattdessen bestellte ich mir ein Taxi und fuhr um 14 Uhr zu der einzigen Frau, die mich in meinem ganzen Leben nicht einmal gehasst hatte; egal, wie sehr ich es verdient gehabt hätte.

Die Tasche geschultert, müde und schrecklich genervt ging ich den Kiesweg entlang. Das erste freundliche Gesicht, was mich begrüßte, war der alte Paul. Jeden Morgen lief er mit zwei Scheiben Toastbrot durch den großen Park und kam erst wieder herein, wenn man zum Mittagessen läutete. „Kindchen, Mensch bist du groß geworden." „Hallo, Paul", grüßte ich ihn freundlich und ließ mich in einen fixen Smalltalk verwickeln, bevor ich nach meiner Großmutter fragte.

Seine Miene wechselte von erfreut in bedrückt und ich wusste sofort, was Sache war. „Heute ist nicht ihr bester Tag, Liebes. Aber du findest sie am Klavier."

„Natürlich, wo sonst", seufzte ich und bedankte mich für seine nette Auskunft. Zwar hatte ich mich nun schon vier lange Jahre auf einen solchen Moment einstellen können, doch als er tatsächlich kam, versetzte es mir einen Stich ins Herz. Sobald ich meine Großmutter am Klavier sitzen sah, sie spielte Elvis' »Can't help falling in love«- der erste Song zu dem sie mit meinem Großvater getanzt hatte- und ich war stolz, dass sie es ohne einen kleinen Patzer schaffte.

Vorsichtig setzte ich mich neben sie und stieg in Presleys »In the Ghetto« mit ein, nachdem sie das vorherige Lied beendet hatte. »In the Ghetto« war nicht nur mein persönlicher Favorit, sondern auch das einzige Stück, was ich auf dem Klavier fehlerfrei beherrschte. Beigebracht hatte es mir mein Großvater. Still lauschte ich meiner Granny:

»People, don't you understand

The child needs a helping hand

Or he'll grow to be an angry young man some day

Take a look at you and me,

Are we too blind to see?

Do we simply turn our heads and look the other way? «

Eine kleine Träne rann meine Wange hinab, als ich sie stolz ansah. Trotzdem stieg ich leise mit ein:

»Well, the world turns

And a hungry little boy with a runny nose

Plays in the street as the cold wind blows

In the ghetto«

Gemeinsam beendeten wir das Stück und gerade, als ich sie mit einer dicken Umarmung begrüßen wollte, schließlich hatte ich sie seit guten sieben Monaten nicht mehr gesehen, da drehte sie sich zu mir um und musterte mich.

„Es war nett, Madame. Aber wenn Sie sich das nächste Mal zu einer Fremden ans Klavier setzen, stellen Sie sich doch bitte vor."

Schwerfällig erhob sie sich und setzte sich von mir weg an einen kleinen Tisch, um sich eine Tasse Tee einzugießen. Still ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Der Tag X war also gekommen, sie erkannte mich nicht mehr und auch unser Lied half nicht mehr.

„Jetzt komm schon her, du Heulsuse."

„Mach das nie wieder!" Quietschte ich und ließ mich in ihre Armen sinke, als ich realisiert hatte, was sie gerade getan hatte.


Es tat gut den Nachmittag bei ihr zu verbringen. Ich konnte mich über meinen Vater auskotzen und alles was ich zu hören bekam war: „Tja, dein Vater ist ein Idiot." „Aber er ist dein Sohn." „Dann liegt's an deinem Großvater."


Meine Großmutter war für mich immer eine Heldin. Sie hatte mich verteidigt, wie eine Löwin gekämpft oder einfach nur die Arme aufgehalten, wenn ich es gebraucht hatte. Sie hatte meine Liebe zum Nähen und zum Schneidern entfacht und genau deshalb sprach ich ganz offen und ehrlich mit ihr über mein Vorhaben ein Kleid für einen Transvestit zu schneidern. Mit meinen Eltern – den konservativen Mistkerlen, wie Granny verlauten ließ- hätte ich niemals darüber sprechen können. Vor allem nicht, da ich mich doch auf meine „Karriere" zu konzentrieren hatte, wenn ich mal die Firma übernehmen wollte. Nur dass ich dies unter allen Umständen vermeiden wollte.


„Also nochmal zur Zusammenfassung." Nachdenklich kaute sie auf meinem Bleistift herum und überschlug ihre Beine, um den Block darauf platzieren zu kennen. Meine bisherigen Skizzen hatten wir mehr oder minder gemeinsam verworfen. („Spätzchen, das ist Mist.")

„Marius hat nicht sehr breite Schultern, aber einen tollen Rücken. Ich möchte unbedingt seine Beine betonen, die sind der Hammer, wirklich, ich bin richtig neidisch. Und er hat eigentlich naturrote Haare, eine helle Haut und wunderschöne Sommersprossen, deshalb dachte ich auf jeden Fall an ein schönes, dunkles Grün."

„Weißt du was, ich glaube ich hab eine Idee."

Fasziniert sah ich dabei zu, wie meine Granny in weniger als zehn Minuten ein Kleid skizzierte, was ich selbst unwahrscheinlich gerne tragen würde. Schnell zückte ich mein Handy, um Andy zu berichten, dass ich es endlich geschafft hatte. Ich war mir sicher, das perfekte Stück gefunden zu haben. Dabei stellte ich nicht nur fest, dass ich betrunken fünfzehn Nachrichten an Liam gesendet hatte, sondern auch, dass keiner der beiden seit Freitagnachmittag online gewesen war. Etwas sehr unwahrscheinliches, für die Trottel. Kurz entschlossen bat ich meine Grandma mich zu entschuldigen. Ich lief einige Schritte von der Bank im Park weg und wählte seine Nummer. Niemand hob ab. Nichts Böses ahnend steckte ich mein Handy wieder weg. Vielleicht lernte er noch immer in meiner Wohnung oder aber er hatte sich mit Dana endlich ausgesprochen. Auch sie hatte sich noch nicht wieder gemeldet. Ob sie sauer auf mich war, weil ich sie hatte sitzen lassen?

„Nein, das ist Mist." Ohne mit der Wimper zu zucken hätte Grandma das Blatt aus meinem Block gerissen, hätte ich ihn nicht weggezogen. „Bist du verrückt geworden? Granny, das ist Großartig. Ich würde nur..." Ohne zu zögern gab sie mir meinen Bleistift zurück und ich begann neben ihre Zeichnung etwas zu zeichnen, worin ich mir Marius noch besser vorstellen konnte: Rückenausschnitt, Beinschlitz, vorne geschlossen. Den Rock klassisch, wellig fallend; das Oberteil stramm und mit dem nötigen Pepp, den er sich wünschte.

„Ich wusste doch, dass ich dich nur einmal treten muss, bis du kreativ wirst. So und jetzt nimmst du das hier und arbeitest an deinem Traum, mein Spatz."

Fassungslos und mit offenem Mund starrte ich auf den kleinen Schlüssel mit dem Tomatenanhänger. Das Lederband war zerschlissen und sah verbraucht aus. Der eiserne Schlüssel wies ein paar rostige Flecken auf und doch war dies das schönste Geschenk, was sie mir jemals hätte machen können:

Der Schlüssel zu meiner glücklichen Kindheit in der Stavley Road 178.



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