R für Richtig
LIAM ➜ 08. - 09. März 2016 London, England
Zu sagen, ich hätte mich beim Anblick der genialen, ehemaligen Opernsängerin Elaine Smith erschreckt, wäre die Untertreibung des Jahrtausends. Zu Sophias Überraschung fanden wir ihre Großmutter nicht am Klavier. Sondern in einem wunderschönen, großen Wintergarten vor einer schönen, alten Staffelei. Statt den Pinsel in die Farbe zu tauchen, malte die Greisin mit dem alten Wasser in dem großen Eimer neben ihr.
„Granny?" Vorsichtig legte Sophia ihre Hand auf die Schulter der alten Dame. In weiser Voraussicht griff ich nach Sophias freier Hand, verschränkte unsere Finger und versuchte ihr so irgendwie Halt zu geben.
„Kann ich etwas für Sie tun, Miss?"
Hörte ich genauer hin, konnte ich Sophias Herz zerschmettern hören. Noch auf der Fahrt hatte sie mich darüber aufgeklärt, dass der meines Erachtens nach zweitwundervollste Mensch der Familie Smith an Alzheimer erkrankt sei. Bisher hatte Sophia Glück gehabt. Ihre Oma hatte sie immer erkannt und wie sie erzählt hatte, hatte Sophia immer die guten Tage ihrer Granny erwischt.
Bis heute.
„Das können Sie in der Tat, Miss Smith", sagte Sophia mit einer solch gebrochenen Stimme, dass auch mein Herz zerschmetterte. „Was halten Sie davon, wenn Sie mit mir ein wenig Hank Williams singen? Ich habe gehört, Sie mögen den Amerikaner sehr."
„Oha, ja und wie, Miss. Hank Williams war der größte Country-Sänger der Welt, das sage ich Ihnen! Was war das für eine Tragödie, als er am 1. Januar 1953 in Oak Hill, West Virginia starb. Ich war gerade 13 Jahre jung und ganz furchtbar traurig, als ich diese Nachricht erhielt. Aber was soll man machen, nicht wahr? Zu Williams' Alkoholsucht kam gegen Ende seines Lebens nämlich noch eine Morphinabhängigkeit. Zudem litt er zeitlebens unter schweren psychischen und gesundheitlichen Problemen, wissen Sie. Seine schwierigen Lebensumstände hat Williams immer wieder in seinen Liedtexten verarbeitet. Zwei seiner berühmtesten Zeilen stammen aus dem letzten Song, der noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde:
»No matter how I struggle and strive,
I'll never get out of this world alive«
Traurig aber auch schön, finden Sie nicht auch?"
Während Sophia dieses Spielchen mit ihrer Oma weiter spielte, stand mir der Mund weit offen. Zwar hielt ich noch immer ihre Hand, spürte noch immer ihr Zittern, wollte aber gleichzeitig auch einfach nur verschwinden. Ich konnte nicht glauben, dass sie einen wunderbaren Menschen, wie Sophia vergessen, aber die halbe Biografie eines seit mehr als fünfzig Jahren toten Säufers herunter beten konnte.
„Also, wollen wir zusammen singen", fragte Sophia noch einmal und ließ sich von Paul – wusste der Geier, woher er auf einmal kam – eine Gitarre geben. Bis zu diesem Zeitpunkte wusste ich nicht, dass Sophia tatsächlich gelernt hatte, Gitarre zu spielen. Zwar erinnerte mich an ein frustriertes Mädchen Freitagnachmittag in der Schule, doch dass sie es wirklich durchgezogen hatte, hatte ich nicht gewusst.
„Oh sehr gerne. Kennen Sie denn »I saw the light«?"
„Natürlich." Sophia zwang sich zum Lächeln und strich mit zittrigen Händen über die Saiten der Gitarre.
„Okay, das kann ich nicht." Erst jetzt fiel mir auf, dass Harry bereits in Tränen ausgebrochen war. Er zwang sich flink an Paul vorbei und verschwand.
Keine zwei Sekunden hätte ich es ihm gerne gleich getan. Sophia und Elaine sahen sich tief in die Augen und begannen zu singen:
»I wandered so aimless life filled with sin
I wouldn't let my dear saviour in
Then Jesus came like a stranger in the night
Praise the Lord I saw the light.
I saw the light I saw the light
No more darkness no more night
Now I'm so happy no sorrow in sight
Praise the Lord I saw the light. «
Und in diesem Moment betete ich zu Gott, dass es noch viele, viele Jahre dauern würde, bis Elaine tatsächlich das Licht sehen würde. Sie war eine fröhliche, herzensgute Dame. Doch die Karten, die das Schicksal ihr zugespielt hatten, waren einfach nicht fair.
Derweil Sophia sich tapfer schlug, wischte ich mir unauffällig eine Träne aus dem Augenwinkel. Allerdings schlug sich Sophia nur so lange tapfer, bis ihre Oma, wie aus dem Nichts »I'll Never Get Out Of This World Alive« anstimmte. Plötzlich strömten immer mehr Tränen aus ihren Augen. So lange, bis ihre Sicht so verschwommen war, dass sie aufhörte zu spielen.
„Warum hörst du denn auf zu spielen, Sofl?"
„Heilige Scheiße", entfloh es mir erleichtert. Sophia hingegen schluchzte herzzerreißend und schmiss sich einfach in die Arme ihrer Granny.
„Was ist denn los, Spätzchen? Du warst doch vor gut zwei Wochen erst hier?" Verwirrt sah sie zwischen Paul und mir hin und her, als würde sie die Antwort auf ihre Fragen aus unseren Augen ablesen wollen. „Ich bin einfach nur wahnsinnig froh, dich zu sehen", log Sophia eiskalt. Und ich verstand sofort warum. Ich hätte es selbst nicht anders gemacht. Aber bitte, Lieber Gott, mach, dass sie aufhört zu weinen!
„Na, wollen wir noch einmal ein bisschen singen? Komm, Liam, das kannst du doch so gut."
„Du erinnerst dich an mich?" Mit offenen Mündern wurde Elaine angestarrt. Weder Sophia, noch Paul und erst Recht ich nicht, konnten uns das erklären. Später erklärte mir Paul, dass es oftmals nur bestimmte Lieder brauchte, um Elaine wieder ‚zurück zu holen', wie er es nannte. Elvis Presley und Hank Williams sollten dort wahre Wunder wirken. So auch heute, wie es aussah.
„Na hör mal! Klar! Hast du eine Ahnung, wie goldig ihr zwei damals wart, als ihr nackig in dem kleinen Planschbecken gespielt habt? Da wart ihr kleinen Hosenscheißer gerade vier geworden."
Trotz eines Blickwechsels zwischen Sophia und mir, welcher eindeutig offenbarte, wie peinlich diese Situation war, blieb diese seltsame angespannte Stimmung bestehen. Es wollte nicht in meinen Kopf, wie sehr Elaine sich verändert hatte und trotzdem wusste ich, dass mir nichts anderes übrig blieb, als es zu akzeptieren und zu versuchen damit so stark umzugehen, wie Sophia es tat.
Geschickt lenkte sie die Unterhaltung in jene Richtung, weshalb wir her gekommen waren. „-Und genau deshalb brauchen wir deine Hilfe, Granny." „Ja sag, hast du denn den Schlüssel verlegt, du kleines Dusselchen? Mensch, du bist ja, wie dein Großvater", lächelte Elaine fröhlich. Allerdings schien sie – im Gegensatz zu mir – nicht zu merken, wie sehr es Sophia traf, dass sie diesen Vergleich anführte. Mr. George Smith war gestorben, als Sophia gerade mal sieben Jahre alt war. An den Folgen des Bauchspeicheldrüsenkrebses war ihr Held verschieden. Im Glauben daran, er würde jeden Moment nach Hause kommen und wieder mit ihr spielen, war sie ins Krankenhaus gefahren, so oft sie konnte. Ohne es wirklich zu realisieren hatte sie ihn sterben sehen.
„Nein, Granny. Aber es ist euer Haus und ich wollte dich vorher um Erlaubnis bitten."
„Aber, Engelchen. Hab ich dir jemals Spaß verboten?"
„Niemals", lachte Sophia ehrlich.
„Na siehste."
Elaine nahm ihre Enkelin fest in den Arm und machte Anstalten sie gar nicht mehr loslassen zu wollen. Doch Sophia kämpfte sich sanft frei. „Ich komme ganz bald wieder, Oma. Aber wir müssen für Harrys Freundin unbedingt noch eine bestimmte Hunderasse auftreiben. Das Londoner Tierheim war leider ein Reinfall."
„Tierheim? Paul, mein Herz, hat deine Schwester nicht eine Zucht?"
Und wieder fiel ein Herz zu Boden und zerschmetterte in tausende Scherben. Noch auf dem Weg zu ihrer Grandma hatte Sophia mich darüber aufgeklärt, dass Elaine sich damals vor ihrer Diagnose in Paul verliebt hatte und sie befürchtete, dass ihre Grandma ihn heute nicht erkannt hatte, was die Erklärung für seine traurige Miene sein sollte. Dass Elaine ihn nun ‚Mein Herz' nannte, setzte ihm sichtlich zu, doch auch er überspielte seine Emotionen hervorragend und half uns stattdessen wahnsinnig weiter. Pauls Schwester Elizabeth betrieb tatsächlich eine Husky-Zucht und er glaubte sich daran zu erinnern, dass sie eine neue Hunderasse gezüchtet habe. Nur der Name fiele ihm nicht partout nicht ein.
Sobald die Tür des Elderly's Paradise hinter ihr zu fiel, sackte Sophia zusammen und setzte sich auf die Treppen. Tränen flossen ununterbrochen ihre Wangen hinab, sie schniefte, schluchzte und weinte jämmerlich.
Und ich stand wie der größte Trottel vor ihr und wusste nichts anderes zu sagen, als: „Oh Gott, Sophia. Bitte hör auf zu weinen, sonst fange ich auch noch an." Vorsichtig nahm ich sie in die Arme und spürte, wie sich ihre Fingernägel in meinen Rücken gruben. „Ich wusste, dass der Tag kommt. Ich wusste es von Anfang an. Aber ich hab nicht damit gerechnet, dass er jetzt schon kommt. Das letzte Mal, hat sie mich verarscht aber jetzt? Jetzt hat sie mich wirklich nicht erkannt. Es hat sich angefühlt, als hätte ich in ihrem Leben absolut nichts verändert, als wäre es absolut nicht wichtig und völlig egal, dass ich überhaupt geboren wurde."
Ihr Anblick brach mir selbst das Herz, also überlegte ich nicht lange, sondern redete einfach drauf los in der Hoffnung, dass sie endlich aufhören würde zu weinen, bevor sie noch bemerkte, dass ich mit jedem Blinzeln eine weitere Träne verlor. „Sophia, das ist doch Schwachsinn!" Ihr sarkastisches Auflachen ließ meine Verzweiflung nur mehr ansteigen, während mein Verstand seine Koffer packte und sich vollends verabschiedete. „Überlege doch mal, was du alles getan hast. Für deine Großeltern, deine Eltern – ob sie es verdient haben oder nicht – für deine Freunde, deine Schwester und deine Nichte. Überlege mal, was du für mich getan hast, Sophia. Vor drei Monaten wäre ich jetzt um die Zeit irgendwo zugesoffen aufgewacht, ohne Plan, was oder wer ich bin. Mir wären kleine Details nie aufgefallen, sie hätten mich nicht interessiert."
„Was denn für Details?"
„Dass du deine Zunge jedes Mal heraus streckst, wenn du isst, als würdest du damit verhindern dich voll zu kleckern, zum Beispiel. Es wäre mir völlig wurscht gewesen, ich hätte es vermutlich albern gefunden. Aber du hast es geschafft, dass dieser Griesgram in mir sich endlich verpisst. Also sag mir nicht, du hättest keine Auswirkung auf Menschen. Denn das stimmt nicht und das weißt du auch."
„Du kannst ziemlich gut lügen, weißt du das?" schniefte sie schließlich.
„Und du könntest zur Abwechslung Komplimente einfach mal akzeptieren."
Während sich Sophia auch die hoffentlich letzten Tränen (endlich!) von der Wange wischte, legte ich meinen Arm um ihre Schulter und führte sie den Kiesweg des Elderly's Paradise zu meinem Wagen zurück.
„Mensch, jetzt hab ich deinen weißen Pulli versaut mit meinem dämlichen Geflenne", schluchzte Sophia auf und versuchte mit dem Ärmel ihres Pullovers die Schminke-Tränen-Mischung auf meinem Pullover zu beseitigen. Doch der in der Tat versaute Pulli war mein geringstes Problem. Ich hingegen versuchte mit meinem Ärmel die neu aufkommenden Tränen von ihren Wangen zu wischen. „Bitte. Hör einfach auf zu weinen, sonst heule ich mit dir und ich schwöre, das wird nicht schön. Wir reden hier von pussyhaftem Schluchzen, Sabbern und Rotze."
Immerhin kicherte Sophia und lachte dieses Mal ehrlich. Nicht dieses aufgesetzte Lächeln, um ihre Großmutter zu beruhigen. Sie lächelte ehrlich und irgendwie fühlte es sich an, als würde ich den Kleber zur Hand nehmen und ihre Scherben langsam zusammensetzen. So, wie gerade eben, als ihre Großmutter sie nicht erkannt hatte, so verletzt wollte ich sie nie wieder sehen.
Aber das allerschlimmste war, dass es mich daran erinnerte, dass sie genauso verletzt gewesen war, als man ihr in der Schule das Leben zur Hölle gemacht hatte. Vermutlich hatte sie genauso geweint.
Und in diesem Moment verstand ich endlich ganz und vollkommen, warum sie mir hatte helfen wollen. Leidensgenossen reichten sich die Hand. Und auch, wenn ich nicht halb so viel erlebt hatte, wie sie und daraus resultierend auch nicht einmal halb so stark war, wie sie, wollte ich ihr nun helfen. Und wenn es nur darum ging, ihr ein echtes Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
„Ich hab die Adresse", meinte Harry und klemmte sich direkt hinters Steuer. Da er den Raum direkt verlassen hatte, als er gemerkt hatte, dass Elaine Smith ihre eigene Enkelin nicht erkennen konnte, war er der am wenigsten emotional verkrüppelt in der Ecke liegende. Ich hingegen hatte mit angesehen, wie der in den 50er Jahren verstorbene Countrysänger Hank Williams ihre Erinnerungen geweckt hatte. Und Sophia musste am eigenen Leibe erleben, was es hieß aus dem Leben seiner Familie gelöscht worden zu sein. „Paul hat mir erklärt, wie wir seine Schwester finden. Sophia, bevor ich auch nur daran denke los zu fahren? Möchtest du nachhause?"
Dass er in diesem Moment nicht an seine Freundin, sondern an ihr Wohl dachte, rechnete ich ihm hoch an. Doch Sophia schüttelte den Kopf. „Ich brauch jetzt definitiv Ablenkung. Oder einen Schnaps. Aber Ablenkung ist auch okay, fürs erste." „Bist du dir sicher? Du musst dich nicht quälen, Süße." Sophia nickte und Harry legte den Gang ein.
Die Fahrt bis zu Pauls Schwester Elizabeth verging schnell. Die alte Dame wohnte nur knapp fünfzehn Minuten von Wolverhampton entfernt, im beschaulichen Dorf Perton. Auch dort fanden wir uns schnell zurecht. Eine kräftige Dame öffnete uns die Tür und ließ uns direkt herein, ohne dass wir ihr wirklich erklären konnten, was wir überhaupt suchten.
„Da habta aber Glück, Kinners. Unsre Pomsky-Dame Ferkel hat vor acht Wochen geworfen. Da könnta gern mal gucke." Die rüstige Dame führte uns durch einen langen, engen Flur, zwischen Couch und Wand im Wohnzimmer, hin zu einem großen Wintergarten. Ein kleines Gitter versperrte die Tür.
Es dauerte nicht lange und ein allgemeines, schrilles „Awe" ging durch die Runde. Diese kleinen Staubwedel zu unseren Füßen waren absolut goldig. „Oh mein Gott, bist du süß!" Einer der kleinen Hunde, ein Weibchen, wie Elizabeth uns erklärte, war anders als alle anderen Welpen zu Harry gelaufen und hatte sich einfach auf seine Beine gesetzt, um sich streicheln zu lassen. Harry hatte seinen Welpen gefunden.
Die Tatsache, dass dieses Weibchen der wirklich einzige Pomsky war, hatte Elizabeth allerdings verschwiegen.
Sophia hingegen wurde von der geballten Macht sieben kleiner Welpen, mir unbekannter Rasse, beinahe von den Füßen gerissen. Vor lauter Andrang konnte sie sich kaum entscheiden, wen sie streicheln sollte. Alle kleinen schwarz-weiß-grauen Welpen wuselten um ihre Beine und kläfften um Aufmerksamkeit.
Während Harry mit der kleinen Schlafmütze im Arm aufstand und den pechschwarzen Welpen in Sophias Armen ansah, bekam ich Mitleid mit einem kleinen, pummeligen, weißen Exemplar, welches nicht in der Lage war auf die erste Etage des kleinen Kratzbaums – warum auch immer solch einer dort herum stand - zu springen und nahm ihn hoch, um ihn ein bisschen zu streicheln.
Der Kleine hingegen hatte anscheinend auch etwas gegen Singles. Er schaute hinüber zu Harry und Sophia, die dort eng zusammen standen und die Welpen in den Armen des jeweils anderen streichelten (und dabei wirklich verdächtig nach einem Pärchen aussahen) und strampelte sich aus meinen frei, um zu ihnen zu tippeln.
„Na super. Jetzt disst mich schon ein Hund."
„Tja, ich hab's dir ja gesagt. Die Welt steht auf Paare", zwinkerte Soph frech und streckte mir die Zunge raus. Harry verstand zwar kein Wort, doch ich wusste, dass sie auf unsere Unterhaltung anspielte, deren Thema nun wieder in den Vordergrund rückte.
Überall um mich herum befanden sich Paare oder irgendwie verliebte. Das Glücklich sei mal so dahin gestellt.
Hannah und Harry schwebten auf Wolke sieben. Wolke sechs war besetzt von Louis und Eleanor (zumindest solange Briana nicht in Sichtweite war). Sarah war glücklich mit ihrem Studienplatz und ihrer deutschen Literatur liiert. Niall stand genau wie Andy auf Dana. Perrie war glücklich, vielleicht nicht verliebt aber glücklich. Und dann waren da noch Sophia und ich.
Wir waren weder verliebt, noch zu hundert Prozent glücklich. Wir hatten im jeweils anderen Freunde gefunden und waren zufrieden.
Zumindest hoffte ich, dass es ihr genau so ging. Andernfalls würde ich mich fühlen, wie der größte Vollidiot. Was auch nicht wirklich neu gewesen wäre für mich.
„Ich schätz' ma' ihr habt euren Hund gefunden, wa?" Harry nickte und kraulte das schwarz-weiß-graue Weibchen, welches sich zu allererst in seinen Schritt gelegt hatte, ganz behutsam, als hätte er Angst es gleich zu zerbrechen. „Gut. Dann könnt ihr den denke mal moin mitnehmen. Je nach dem wat der Tierarzt sagt."
„Tierarzt?" fragte Harry mit einem leichten Anflug von Panik in seinen Augen.
„Ja der muss ja noch geimpft werden, aber dat krieg ma' schon hin, Jungchen."
Ich hörte den Stein förmlich von Harrys Herzen plumpsen. Er war erleichtert und klärte direkt alles mit Elizabeth ab, während Sophia und ich nach draußen gingen, um frische Luft zu schnappen und uns gnadenlos anzuschweigen.
Kurz bevor ich die Fassung verlieren konnte, ging sie in die Hocke und schaute unter der Veranda nach. „Hey, du kleiner Knirps, komm mal her", sprach sie sanft und ganz vorsichtig streckte ein kleiner honigbrauner, flauschiger Welpe – er erinnerte mich an Eleanors Bruce, bloß viel, viel kleiner – seinen Kopf unter den alten Holzbrettern hindurch. Ganz vorsichtig, als befürchtete er, Sophia könnte ihn auffressen, schnupperte er an ihrer Hand und ließ sich streicheln.
„Der is' vom letzten Wurf übrig geblieben. Seine Mama ham se überfahren."
Sophia würde doch nicht? – „Wie viel wollen Sie für ihn haben?"
„300 und Ralph gehört dir."
„Sophia, warte"- Doch da hatte sie schon eingeschlagen. „Holste ihn au moin?"
„Ja."
„Sophia, du hast einen Knall." Anstatt irgendetwas zu sagen, grinste sie mich bloß an und sprang zu Harry in den Wagen. Egal was ich sagte, Sophia blieb standhaft.
Sie hatte keine Ahnung von Hunden, wusste nicht, ob sie in ihrer Wohnung Haustiere halten durfte, hatte weder Futter – noch Schlafplatz. Sie handelte die Situation, als hätte sie gerade ein paar Louis Vuitton gekauft. Aber in diesem Falle schien ihr Herz größer, als ihr Verstand. Egal, was ich sagen oder tun würde.
Genau, wie Harrys Verzweiflung größer war, als sein Verstand.
Gerade, als wir einen Tankstop einlegten, klingelte sein Handy.
„Willst du mich verarschen? Alter. Du musst kommen. Versaue mir nicht mein Geburtstagsgeschenk, ey. ----Ja was? Ist mir egal-----Dann spiel denen halt was vor. Mache Hannah zu einer Kronzeugin in einem Drogendelikt, ist mir doch wurscht! Laber was von wegen, du brauchst sie, um dein Alibi zu bezeugen, weil sie dich verdächtigen mit Drogen gedealt zu haben. Isaac, ist mir egal, was du denen erzählst. Wenn du nicht kommst, ist meine ganze Planung im Arsch!"
Was auch immer Harry für Probleme hatte: Ich wollte es in diesem Falle lieber nicht wissen. Das interessierte Harry allerdings herzlich wenig. Die gesamte Fahrt zum Haus von Sophias Oma, beschwerte er sich über die amerikanische Fluggesellschaft, die es Hannahs Eltern und ihrem Bruder samt Anhang nicht möglich machten nach London zu fliegen. Sophia, die mit ihrem Kopf ohnehin in den Wolken hing, seit sie den kleinen Ralph gesehen hatte, befand Harrys Vorhaben Hannahs Familie einfliegen zu lassen, lediglich als süß und nickte auch sonst sämtliche Vorschläge ab.
Das Haus ihrer Großeltern sollte unter Harrys Aufsicht in eine Dunkelkammer umfunktioniert werden, mit Schwarzlicht, Farbe und dem ganzen anderen Schnickschnak. Und Sophia winkte alles selig lächelnd ab.
Jetzt, wo ich Harrys Planung und seinen Stress miterlebte, schwor ich mir felsenfest, dass ich niemals so einen Zirkus veranstalten würde.
Vor allen Dingen, da heute absolut nichts zu funktionieren schien.
Die Location musste gewechselt werden, was nur mit Sophias emotionaler Zerstörung funktioniert hatte.
Diesen komischen Pomsky-Köter hatten wir nur gefunden, weil wir Sophias emotionale Zerstörung in Kauf genommen hatten.
Die amerikanische Fluggesellschaft schien es für angebracht zu halten, zu streiken, weshalb Harry Hannahs Familie vermutlich nicht rechtzeitig bis zum morgigen Tag einfliegen lassen könnte.
Und um den ganzen die Krone aufzusetzen, war dieser Depp zu blöd, um gerade aus zu laufen, ohne auf die Nase zu fallen.
„Okay Leute. Jetzt brauche ich doch mehr eure Hilfe, als ich geglaubt habe." Wir waren in der Wohnstube ihrer Großeltern zusammen gekommen, wo sich Harry auf den Couchtisch und Sophia und ich auf die Couch gesetzt hatten. Mit einem völlig zerfledderten Zettel und einem Bleistift saß er vor uns. „Erst mal an dich Sophia: Du hast einen gut bei mir! Ohne Mist, ohne dich wäre ich völlig am Arsch. Dann: Meint ihr, ihr könnt mir heute bei der Deko helfen?"
„Klar. Ich kann bestimmt noch Aiden anrufen, wenn du magst. Liam kann sich ja ums telefonieren kümmern. Catering umbestellen und so weiter", schlug Sophia direkt vor und kassierte eine erleichterte Umarmung von Harry. Mir hingegen gefiel Sophias Enthusiasmus irgendwie nicht. Für meinen Geschmack schrie es viel zu sehr nach Ablenkung.
Aber sie hielt ihr Wort. Keine Stunde später stand ein gammelig aussehender Aiden Grady vor der Tür. „Jo, ist Sofl da?" fragte er und fuhr sich durch die schmierigen Haare. Für sein Wohl konnte ich nur hoffen, dass er sich im Haargel vergriffen hatte. Allesandere wäre absolut widerlich.
„Hier", rief Sophia aus der Küche und kam direkt auf die Tür zu gelaufen, nahm ihn fest in die Arme und musterte ihn. „Wie siehst du denn aus, alles okay bei dir?" Schälmisch grinsend wuschelte sie ihm durch die Haare und strich über den furchtbar aussehenden Bart.
„Och, das trägt man jetzt so."
Eingebildeter Pinsel.
„Aiden!" Sie musterte ihn scharf. Niemand konnte sich ihrem bohrenden Blick entziehen, so viel hatte ich inzwischen gelernt. „Ach, Julez stresst ein bisschen rum. Kennst sie ja, wenn sie ihre Tage hat", winkte er ab und stürzte sich ebenso direkt in die Arbeit, wie Sophia.
Naja, zumindest hätten sie es gerne getan. Allerdings mussten wir noch eine gute Stunde auf Harry warten, bis er aus London zurückkam und die Dekorationen Kistenweise aus dem Wagen schleppte. Während sich Sophia und Aiden die Wartezeit versüßt hatten und Literweise Kaffee mit ekelhaft sülzigen Gesprächen gewürzt in sich hinein gekippt hatten, hatte ich meine Aufgabe erledigt und mich durch halb London telefoniert.
Gerade, als Harry eine Kiste mit fluoreszierender Farbe herein schleppte, konfrontierte ich ihn mit Problem Nummer fünf: „Du Harry, du brauchst neues Catering. Hannahs Lieblingsitaliener ist wegen Grippe geschlossen. Sie haben dich auf der Haustelefonnummer nicht erreichen können und wollten es später noch einmal probieren." Noch bevor die Farbe zu Boden segeln konnte, hatte Aiden seinen Arm dazwischen geklemmt. „Ihr wollt mich doch alle verarschen", flüsterte Harry und ließ sich an der Wand nach unten sinken. „Das wird ein totaler Reinfall, das sage ich euch."
Bis vor einer Stunde hatte ich dies auch noch gedacht. Doch jetzt, wo ich am Abend des 09. März neben Sophia in meinem Range Rover saß und zur Stavley Road 178 fuhr, war ich mir da gar nicht mehr so sicher.
Während Sophia und ich um noch amselben Abend um 18:30 Uhr durch die Stadt gerannt waren, um irgendwo ein paar schicke schwarze Louis Vuitton High Heels für Hannah zu finden, war Harry mit Aiden noch eine Weile in Wolverhampton geblieben, um das Haus Partyfertig und vor allem sicher zu machen. Der Mechaniker und Testfahrer der Smiths hatte sich kurzerhand mehr oder minder aufgedrängt, um seiner Noch – Freundin aus dem Weg gehen zu können.
Am Nachmittag war es Sophias Aufgabe gewesen, alles, was unter gar keinen Umständen angefasst werden durfte, in den Keller zu verfrachten. Somit konnte Aiden, der sofort angeboten hatte Harry nach London zu bringen, da er wohl keine Lust auf seine zickige Freundin hatte, sich um die Elektronik des Schwarzlichts kümmern, während Harry versuchte ein Catering aufzutreiben.
„In letzter Minute haben Sarah und Niall wohl ein kleines Restaurant in Wolverhampton gefunden", klärte ich Sophia auf und steckte mein Handy zurück in die Hosentasche. Unsere beiden Freunde waren schon früher nach Wolverhampton gefahren, um Harry mit den letzten Handgriffen behilflich zu sein. So, wie ich meinen Freund verstanden hatte, hatte sich alles zum Guten gewendet. Er wusste nicht wie, aber Isaac, Hannahs älterer Bruder, hatte es tatsächlich geschafft mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Eltern hier in London aufzutauchen. Die neugeborenen Zwillinge hatten Hannah direkt in Beschlaggenommen und somit blieb Harry genug Zeit die letzten Handgriffe zu erledigen.
„Und du bist dir wirklich sicher, dass es in Ordnung ist", meldete sich Olivia, Brianas beste Freundin und Patentante von Freddie, zu Wort. Da ich nicht wusste, an wen sich ihre Frage wirklich richtete, antwortete ich kurzerhand: „Klar, wieso denn nicht? Louis hat dich doch extra mitgenommen, damit Briana nicht so alleine ist."
„Naja, mich hat sie ja jetzt auch noch", lächelte Sophia durch den Rückspiegel. „Immer hin sind wir ja Leidensgenossinnen."
„Wie hab ich das denn jetzt zu verstehen?" fragte ich verwirrt nach. Hatte Louis Sophia auch noch geschwängert und es fiel mir in ihrem scharfen, weißen Kleid nicht auf?
„Naja, wir sind beide in euer eingespieltes Team hineingeschlittert ohne Anschluss zu haben."
„Und was ist mit mir?"
„Du hast mich nur in den Familien-Klan gezogen."
„Wow. Danke. Wie nett."
Völlig zu meiner Überraschung, erreichten wir das Haus der Smiths als einige der letzten Gäste. Auf den ersten Blick erkannte ich Eleanor und Louis an der Bar, Perrie und ihre Band-Mädels auf der Tanzfläche und Sarah, die gerade versuchte Niall mit dieser leuchtenden Farbe einzupinseln. Hannah und Harry fand ich nicht sofort. Stattdessen ließ ich mich von Sophia zu den Farbeimern zerren. „Hey", begrüßte Sarah uns jeweils mit einer Umarmung und Niall drückte Sophia sogar ein Küsschen auf die Wange. Angetrunken, eindeutig.
Allerdings zeigte es mir, irgendwie, dass meine Freunde unsere Freundschaft akzeptierten. Aber warum auch nicht? Sophia hatte mir schließlich gehörig den Kopf gewaschen.
„So, komm her", grinste Sophia und griff kurzerhand zu einem der Pinsel und schmierte mir im Gesicht herum. Olivia und Briana malten sich ebenfalls an und waren viel früher fertig als wir, einfach weil sich Olivia viel weniger wehrte, als ich es tat. Während ich vorneweg entschieden hatte, Sophia blau zu malen, damit es zu ihrem blau leuchtenden weißen Kleid passte, schmierte Sophia mit orange und gelb in meinem Gesicht herum. Ich sah aus, wie der größte Vollidiot, also verwarf ich meine Pläne und schmierte pinke Farbe in ihr Gesicht. Selbst Schuld.
„Da seid ihr ja endlich", meinte Harry, der strahlend auf uns zu kam und führte uns zu Hannah, die umrandet von drei wirklich schönen Mädchen stand und laut lachte. „Happy Birthday, Han", grinste ich und umarmte das Geburtstagskind. Während Sophia Hannah unser Geschenk überreichte und sich ebenfalls lange drücken ließ, musterte ich eine Freundin von Hannah genauer. Ihre Haare waren zur Hälfte schwarz, zur anderen Hälfte blond. Ihre Arme waren geziert von vielen, verrückten Tattoos. „Das sind übrigens meine Studien-Lebensretter Danny," – sie zeigte auf ein brav aussehendes, hübsches Mädchen mit Straßenköter-blondem Haar – „Maggie", eine sexy dunkelhaarige Frau mit stechend blauen Augen – „Und Ghighi", - besagtes Mädchen mit den freaky Haaren.
„Schön, euch zu sehen", lächelte Sophia und begrüßte die drei Mädchen. Im Gegensatz zu mir schien sie die drei schon einmal gesehen zu haben, also lächelte ich nur und fragte mich zu Louis durch, um mit ihm zu reden. Denn dass er Briana mit hier her nahm und dann stehen ließ, ging meiner Meinung nach überhaupt nicht. Und hinzukam, dass Niall bei Sarah hing, Harry an Hannah und Sophia bei Hannahs Freundinnen. Somit war ich alleine und hatte keine Lust, wie ein Trottel dazustehen. Aber der Briana Fakt nervte mich trotzdem. Ein bisschen.
Dafür hätte ich Louis allerdings erst einmal finden müssen. Stattdessen kam ich nicht nur an Little Mix und dem Geschenketisch vorbei, sondern traf auch Hannahs Familie, die bei diesem Farbkram tatsächlich mit machten. Nein. Viel schlimmer.
Danielle Peazer stand mit einem Male Sophia gegen über und schien sich ausgiebig mit ihr zu unterhalten.
Da hatte man einmal das Gefühl zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein – immerhin hatte ich Sophia auffangen und trösten können – da kam das Schicksal und warf einem einen Felsbrocken in den Weg.
Mit einem Male wurde mir heiß und kalt. Was bitte hatte meine Ex-Freundin hier und vor allem mit Sophia zu suchen? Was sollte dieser Mist?
Aufgrund der Dunkelheit konnte ich nicht alles klar und deutlich erkennen. Wie fest gefroren wartete ich quasi darauf, dass Sophia Danielle gleich an die Kehle hüpfen würde. Vielleicht auch anders herum. Doch dies würde ich sicher zu verhindern wissen.
Entschlossen meinem inneren Anflug von Rachsucht nach zu geben, lief ich zu Sophia, legte meinen Arm um ihre Hüfte und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Na, Süße, alles klar?"
„Klar", säuselte Sophia lieblich und ich war ihr schrecklich dankbar, dass sie sofort mitspielte. „Danielle hat mir bloß gerade gesagt, was für ein toller Mensch du bist."
„Das ist er. Aber du, Liam, solltest auf Sophia aufpassen. Sie ist ein tolles Mädchen, behalte sie." Völlig überrumpelt ließ ich Danielle lächelnd über meinen Arm streichen und mir zuzwinkern, während sie mich bat, Sophia gut zu behandeln. „Ich geh dann mal das Geburtstagskind suchen."
„Was bitte war das denn?" fragte ich Sophia völlig verdattert, nachdem Danielle – übrigens nicht mehr schwanger, wir mir in diesem Moment bewusst wurde – verschwunden war.
Doch Sophia schaute mich bloß schüchtern an und sprach: „Tja, ich schätzte deine Ex-Freundin hat dir gerade ihren Segen gegeben."
Segen für was denn bitte?!
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