L for Liberty

SOPHIA ➜ 11. Januar 2016 Buenos Aires, Argentinien


Was war das den bitte?

Fassungslos ließ ich das Wasser der Dusche einfach meinen Körper herunter rinnen und vergaß vollkommen meine Haare zu waschen oder mich einzuseifen. Ich stand einfach nur da, genoss das Wasser unterbewusst, und schaute wie ein Vollidiot Löcher in die Fliesen, als würden sie mir eine Antwort auf Liams völlig verqueres Verhalten liefern.

Was bitte war aus Liam geworden? Konnte der Ruhm einen Menschen wirklich derartig verändern? Wie konnte er so tief sinken? Warum hatte er so gebrochen ausgesehen auf der Bank? Wo war der Glanz in seinen Augen? Was aus seinen Manieren geworden? Seiner Höflichkeit und seinem Stolz?

Er hatte eine erschreckende 360 Grad Wandlung hinter sich und ich konnte mir bei bestem Willen nicht erklären, wie es dazu gekommen war.

Wahrscheinlich musste ich dringend einmal mit Andy reden, immerhin kannte er Liam genau so lange, wie ich es tat.

Aber erst, als ich das Apfelshampoo in meine Haare schmierte, fiel mir ein, dass Andy auch schon seit längerem eine etwas unterkühlte Beziehung zu Liam führte. Die Freunde hatten sich wortwörtlich irgendwie auseinander gelebt. Zuerst fragte ich mich, wie es dazu gekommen war, doch jetzt  wunderte mich gar nichts mehr, bei dem Stinkstiefel.

Zehn Minuten später stieg ich schließlich aus der Dusche und wickelte mich in ein passendes Frotteehandtuch ein. Bevor ich auch nur daran denken konnte, mich anzuziehen, wurde ich von Dana in die Küche gezerrt, auf einen der Hocker gepflanzt und mit einem vielsagenden Blick angestarrt. Unwohl wickelte ich das Handtuch enger um mich. Ich hatte meinen Brüsten heute definitiv schon genug Freiluft gegeben. Und dabei war es gerade Mal zehn Uhr am Morgen.

Ungeduldig tippelte Dana mit den Füßen auf und ab. Und machte mich damit nur noch nervöser und die gesamte Situation nur noch unangenehmer, als sie ohnehin schon war. Stärker schloss ich meine Arme um mich und pfriemelte an dem Saum des Handtuches.

„Herr Gott, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!" pampte Dana mich ungeduldig an. Ich zuckte bei ihrer lauten Stimme zusammen und seufzte auf. „Da gibt es nichts zu erklären..." nuschelte ich und fühlte mich unsicher, obwohl es der Wahrheit entsprach.

„Du stehst splitterfasernackt vor einem wildfremden Kerl, den du dir heute Nacht aufgerissen hast und da gibt es nichts zu erklären?" Ungläubig hob meine beste Freundin die Augenbrauen. Ich wusste nicht ganz, ob ich lachen sollte oder mich gekränkt fühlen, dass sie so von mir dachte.

Ich entschied mich für eine Mischung aus beidem. Ersteres verwirrte Dana sichtlich. Also beschloss ich wenigstens Zweitens zu erläutern. „Der Typ lag kotzend, betrunken und wahrscheinlich zugekokst auf einer Parkbank, also habe ich ihn und den letzten Rest seiner Würde aufgegabelt und hierher mitgenommen, nachdem es eine Ewigkeit gedauert hat, das Hotel wieder zu finden, damit er duschen und sich wieder sammeln kann." Eigentlich wollte ich den Fakt, dass es sich dabei um Liam Payne, den weltberühmten Sänger einer rumhopsenden Boy Band handelte, außen vor lassen. Aber ich hatte-mal wieder- die Rechnung ohne Dana gemacht.

„Du bist ein liebes Mädchen, Sophia und ich weiß, dass du gerne hilfst. Aber das kommt mir doch mehr als spanisch vor. Außerdem habe ich das Gefühl die aufgedunsene Fratze schon mal gesehen zu haben."

Verdammt.

„Naja, also es wäre unter Umständen möglich", ich begann unsicher herumzudrucksen. Andererseits, hielt mich Dana nicht so oder so schon für verrückt? „Also es war Liam Payne und ich kenne ihn von früher. Wir sind zusammen auf die Schule gegangen in Wolverhampton und ich hatte Mitleid, weil er eigentlich ganz anders war damals aber jetzt ist hier irgendwas schief gelaufen und..." Und dann begann ich Dana lang und breit zu erklären, wie ich Liam hier her gefrachtet, ihm Wasser ins Gesicht gekippt und seine Sachen gewaschen hatte. Das winzige Detail, dass ich sein Handy und damit alle seine Nummern, Termine, Fotos, Musik und sämtliche andere wichtige Dateien und Erinnerungen vernichtet hatte, ließ ich außen vor.

Mal wieder unsicher und nervös hob ich meinen Blick und sah in Danas Gesicht. Ihre Mimik war undurchsichtig und zum ersten Mal, konnte ich nicht erraten, was sie dachte. Ein leises „Uf" entfuhr ihr und sie ging.

Mit zwei Kaffeetassen kam sie kurze Zeit später wieder und knabberte an einem der Kekse. „Du weißt, dass das absolut grotesk klingt, oder?"

„Wem sagst du das." Seufzend nahm ich eine der Tassen entgegen und ließ das Gebräu einfach wirken. Danas Kaffee schmeckte furchtbar. Immer und ausnahmslos. Niemand wusste so recht, was sie da anstellte. Aber genauso ausnahmslos wurde ihr Hexentrank getrunken, denn niemand, ausnahmslos niemand, konnte eine schmollende Dana ertragen.

Ich kämpfte gegen meine Mimik und stellte die leere Tasse auf den Tisch neben mir. Mittlerweile hatte ich mir angewöhnt ihren Kaffee einfach auf ex zu trinken. Augen zu und durch.

Dana sah mich immer wieder an, während sie genüsslich ihre Tasse austrank. „Das ist absolut bescheuert!" Ich zuckte zusammen und ließ beinahe den Löffel, mit welchem ich den Zucker in meinem Kaffee verrührt hatte fallen. Danas Stimme war so unerwartet in den Raum gekommen, dass ich mich erst einmal wieder sammeln musste.

„Können wir bitte das Thema vergessen? Der Tag hat gerade mal angefangen und ich habe mich schon bis auf die Knochen blamiert." Gerade als ich Anstalten machte mich endlich einmal anzuziehen, stupste Dana mich in die Seite. „Im wahrsten Sinne des Wortes."

Mein verplantes Hirn brauchte einige Momente, bis ich merkte, dass sie mit ihrem Kommentar auf meinen nackten Auftritt Liam gegenüber anspielte. „Haha." Zischend ging ich in mein Schlafzimmer und stockte kurz. Meine Unterwäsche lag auf meinem Bett. Aber nicht so, wie ich sie zuvor dort platziert hatte. Liam hatte doch nicht etwa meine Unterhosen angefasst?

Peinlich berührt schlug ich mir mit der flachen Hand vor die Stirn. Ausgerechnet heute, wo ich meine Oma-Hühnchen-Unterhose anziehen wollte, da sie meinen Bauch in meiner Lieblingsjeans flacher aussehen ließ, hatte ich männlichen Besuch in meinem Schlafzimmer. Noch dazu erinnerte ich mich an Liams Zustand. Wenn er meine Kleidung mit seinen vollgekotzten- Angewidert hob ich meine Sachen mit den Fingerspitzen hoch, trug sie zur Waschmaschine und schmiss sie hinein.

Wieder in meinem Zimmer kam ich nun endlich dazu mich anzuziehen. Draußen hörte ich Dana an irgendetwas herum klimpern und klappern. Doch mein Blick fiel wehmütig auf die Zettelwirtschaft, die auf dem Nachttischen neben meinem Bett lag. Es waren alles Unterlagen, die ich für mein Wirtschaftswissenschaftsstudium benötigen würde. Sämtliche Blätter mit mir unverständlichen Formeln und Gesetzen, hatte ich dort fein säuberlih geordnet. Anrühren würde ich sie nicht. Gleich daneben lag mein Zeichenblock. Sie bildeten in dieser Konstellation ein komisches Bild, ein seltsames Duo. Sofern man genau hinsah.

„Sophia?"

Die nackte Haut meiner Füße hallte auf den Fliesen, als ich mein Studium, mein Studium sein ließ und nach Dana schaute. Mit einer Tasche und schon fertig angezogen stand sie im Flur. „Du bist ja immer noch nicht fertig." Und damit war mein Urteil gesprochen. Kommentarlos ließ ich Danas kreative Phase einfach über mich ergehen.

Anstatt mich einfach meine Schuhe holen zu lassen, kleidete sie mich komplett neu ein. Sie steckte mich in ein schwarzes Kleid, dass sie aus ihrem Zimmer geholt hatte, schminkte mich und flocht mir die Haare seltsam zur Seite. Ich sah toll aus. So viel musste ich ihr lassen. Ich verstand nur den Sinn nicht.

Keine fünf Minuten später befürchtete ich nämlich mein neues Outfit voll zu sabbern. Vor meiner Nase stand ein Mustang, Baujahr '63. Mit nur einem Blick in Richtung  Auspuff erkannte ich, dass ich dieses Auto lieben würde. Während Dana irgendetwas von ihrem Vater erzählte, öffnete ich die Motorhaube und unterdrückte ein Quietschen.

Andächtig strich ich mit meinen Fingerspitzen über das glänzende Biest.

„Mensch, Sophia! Musst du immer den Dorftrottel raus hängen lassen?" fragte Dana laut seufzend und schmiss ihre Tasche einfach achtlos auf die Rückbank des Wagens. Banausin.

„Das, meine Liebe, ist ein V8. Jeder normale Mensch fängt bei dem Klang an zu sabbern, also erzähle mir nichts von Dorftrottel."

„Ja,ja. Ist ja auch egal. Wichtig ist, dass wir dieses Baby hier den ganzen Urlaub haben werden." Fassungslos, mit weit geöffnetem Mond sah ich meine beste Freundin an. Ich würde noch in Tränen ausbrechen, wenn sie so weiter machte. „Mein Dad hat ihn uns zur Verfügung gestellt."

Leicht verwundert aber dennoch viel zu aufgeregt, um mir wirkliche Gedanken darum zu machen, fragte ich: „Ich dachte, du wolltest nicht mehr auf seiner Tasche liegen."

„Ja, das stimmt. Aber er hatte sich wieder mit meiner Mum in der Wolle wegen seiner neuen Freundin oder so und, naja du kennst ihn ja." Und damit hatte sich das Thema für sie erledigt. In einigen Punkten verstand ich sie nur wenig und ihre Sichtweise auf einzelne Dinge machte mich teilweise schrecklich wütend. Aber ich akzeptierte es.Genau so, wie sie meine Vorliebe für alte Autos und meine zahlreichen Macken einfach akzeptierte.

„Darf ich fahren?"






Ich hatte inzwischen absolut keine Ahnung mehr, wo genau wir uns befanden. Es gab lediglich mich, den Klang des Motors und den Asphalt. Ich nahm nicht einmal Dana wahr, die sich neben mir an den Türgriff klammerte, als ginge es um ihr Leben. Das Leder des Lenkrades, das alte Kassettenradio, die schwere Gangschaltung, gemischt mit dem unverwechselbaren Klang des V8 ließen mich komplett inne kehren.

Außerhalb des Wagens gab es nur die Straße, vereinzelte Büsche und Sträucher. Die Landschaft war wunderschön und trotz all dieser wunderschönen Kleinigkeiten, trotz dieses Gefühls der Freiheit, wenn ich einen Gang höher schaltete, wenn der Motor aufheulte. Trotz alle dem, konnte ich nicht aufhören an diese rehbraunen Augen zu denken.

Was war aus ihrem unverwechselbaren Glanz geworden, wo war seine weiche Stimme geblieben, seine Höflichkeit, seine Manieren und sein Respekt vor sich selbst. Durch die Medien hatte ich nur oberflächlich mitbekommen, dass seine Beziehung gescheitert war. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies der Grund für einen solchen Absturz hatte sein können. Liam war immer vernünftig. Als er sich damals in die beste Freundin meiner Schwester Zoey verliebt hatte, und diese ihn abblitzen lassen hatte, hatte Liam einfach nur eine Woche in seinem Zimmer gesessen. Er hatte nicht mit Andy geredet, sondern sämtliche Disney-VHS durchgeschaut und Schokolade gefuttert. Mehr nicht.

Warum war er jetzt so furchtbar tief gefallen? Doch nicht einfach nur wegen des Endes einer Beziehung, oder doch?

„Ehm, Soph, Spätzchen? Du weißt, du bist die einzige, der ich bei einer Geschwindigkeit von 160 Kilometern pro Stunde zutraue, den Wagen nicht zu zerlegen, aber die Straße wird immer unebener, vielleicht solltest du-"

Und dann war es auch schon zu spät. Ich stieg unfassbar fest auf die Bremse und versuchte an alles zu denken, was Aiden, ein Angestellter meines Vaters, mir beigebracht hatte. Aber ich konnte nicht verhindern, dass dem Mustang eine Achse brach und Dana ihr Fuß. Ich konnte die Kratzer an meiner Schläfe, den Schmerz im Handgelenk, die Kratzer an der Stoßstange und die zerbeulte Front nicht verhindert.

Aber immerhin hatte ich einen Salto seitens des Wagens verhindern können. Wir hatten einige Kreise gedreht, doch im Großen und Ganzen hätte es schlimmer kommen können. Glaubte ich.

Was ich allerdings nicht verhindern konnte, war die Entgleisung meiner Mimik, als gute eine Stunde später ein Aston Martin keine fünfzig Meter von unserem Unfallwagen anhielt.

Es kam eben doch schlimmer.




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