J for Jet Black Heart
SOPHIA➜ 01. auf 02. Februar 2016 London, England
„Ich hasse dich. Das tue ich wirklich."
Mit verschränkten Armen vor der Brust, in ein Handtuch gewickelte, nasse Haare und mit einer Laune, mehr als nur im Keller, saß ich auf meinem Bett und sah dabei zu, wie Andy sich durch meinen Kleiderschrank wühlte. Wie teuer die Stoffe waren, schien ihn dabei nicht im Geringsten zu interessieren. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du dich von ihm hast breitschlagen lassen. Dass du ihm eine Chance gibst, finde ich mehr als nur nobel von dir. Aber warum musst du mich mit auf den Geburtstag schleppen?"
„Du hättest nein sagen können."
„Habe ich!?"
„Ich sagte ‚du hättest können'. Das heißt nicht, dass ich es auch gelten lasse."
„Das macht nur wenig Sinn, mein Lieber."
„Zieh einfach das Kleid an, schmiere dir ein bisschen Kleister ins Gesicht und gut ist. Ich pass auch auf, dass dein Zeug im Backofen nicht kaputt geht."
Damit hatte es sich für Andy erledigt. Auch wenn es mir gelungen war, Liam gegen 19 Uhr aus meiner Wohnung zu schicken, mit der nicht einmal wirklich gelogenen Ausrede, ich müsste noch Kram für die Uni erledigen, hatte ich keine zehn Minuten später Andy vor der Tür stehen gehabt. Nichts ahnend hatte ich meinen besten Freund in die Wohnung gelassen. Nun hatte ich den Salat.
Skeptisch warf ich einen Blick auf das rote Cocktailkleid. War das nicht ein bisschen zu viel? In Promikreisen zu verkehren, gehörte nicht gerade zu meinem Alltag. Doch der feine Stoff, den ich für relativ wenig Geld erstanden und an welchem ich einige Änderungen vorgenommen hatte, sobald ich aus Argentinien zurück gewesen war, schien mir ein wenig zu viel zu sein. Somit grub ich mich solange durch meinen Kleiderschrank und die Kommode, bis mir meine beige Strickjacke in die Hände fiel. Sofort fiel mein Blick auf eine neue goldene Kette, welche an der Schmuckhand auf der Kommode hing. So würde ich es machen. Eine viertel Stunde später hatte ich auch das schwarze Kleid gefunden und es ebenso wie den Schmuck, die Strickjacke und die beigen Stiefel angezogen. „Was hälst du davon? Haare offen und ein bisschen gewellt?" Prüfend wurde ich gemustert, drehte mich in der Flurbeleuchtung um mich selbst und war mir sicher –ausnahmsweise – dass ich wirklich gut aussah. Immerhin sah man den Body, in welchen ich mich gequetscht hatte, um meinen Babyspeck zu verdecken, nicht durch das Kleid hindurch.
„Vergiss es."
„Was?" Meine Augen standen weit offen.
„Das ist schick. Für einen Herbsttag oder sowas. Aber nichts für eine Party bei Harry Styles. Nimm das neue Kleid. Los. Hopp."
„Du hast nicht mehr alle Latten am Zaun." Und trotzdem ging ich zurück in mein Zimmer, zog mich aus bis auf den Hautfarben, Speck versteckenden Body und sah prüfend auf den Stoff. Die Farbe schmeichelte mir und auch beim Schnitt war ich stolz auf mich. Warum also nicht den Mut aufbringen und es endlich tragen? Vielleicht lag es an der Tatsache, dass Liam nun wusste, wen er vor sich hatte – zumindest fast. Er würde sehen, dass ich noch immer nicht gut in Form war. In einem seiner zahlreichen, schlechten Momente würde er sicher irgendetwas sagen. Irgendetwas, was eine alte Wunde aufreißen würde. Andererseits hatte er kein Recht dazu.
Irgendwie unerklärlicher Weise selbstbewusster schlüpfte ich in das Kleid. Es schmiegte sich an meine Haut, gab den Blick auf meine Schultern und mein Dekolleté frei und eröffnete mir, wie dämlich ich war. Dicke beigefarbene Träger sahen definitiv nicht gut aus. „Shit", fluchte ich und zog mich erneut um. Glücklicherweise verfügte ich über eine Vielzahl an Möglichkeiten mich in Form zu schummeln. Grandma-Schlüpfer sei Dank.
„Perfekt. So jetzt hole die Dinger aus dem Ofen, sau dich nicht ein und auf geht's."
„Kein gesäuseltes ‚Wow siehst du toll aus'? Ich bin schwer enttäuscht."
Grinsend stolzierte ich barfuß an ihm vorbei in die Küche und schnappte mir ein paar Topflappen. Mit High Heels würde ich mich niemals anfreunden. Dementsprechend zog ich die schönen aber mordenden Dinger nicht eine Sekunde länger an, als nötig. Da riskierte ich lieber eine Laufmasche in der Nylonstrumpfhose.
„Und du bist dir sicher, er mag das?" Skeptisch warf er einen Blick auf etwas, worauf ich mehr als nur stolz war.
„Ich habe Liam gefragt, wie Harry zu einem guten Yorkshire Pudding steht und nachdem er mich kräftig ausgelacht hat, hat er gemeint, er liebt die Dinger. Also." Wirklich überzeugt wirkte Andy noch nicht, also fügte ich leicht angesäuert hinzu: „Sehe ich vielleicht so aus, als könnte ich ihm auf die Stelle eine teure Uhr mit Swarovski Kristallen kaufen?"
Wirklich überzeugt schien Andy nicht zu sein. Trotzdem nahm er mich mit und zahlte sogar das Taxi. Eigentlich hatte ich erwartet, dass wir einige Zeit unterwegs sein würden. Ich hatte geglaubt die One Direction Jungs würden außerhalb des Großstadttroubles wohnen. Deshalb hatte es mich zunächst ein wenig gewundert, als wir an „Touristen-Attraktionen", wie der St. Pauls Cathedral und dem Royal Opera House vorbei fuhren, bis wir schließlich in einer schönen Gegend mit stilvollen Wohnungen ankamen. „Hier?" Ich sah auf ein kleines, gemütliches Kaffee.
„Harry hat sich genau das zu Nutze gemacht. Niemand vermutet ihn hier." Andys Stimme war gedämpft, während er sich bei mir unterhakte und mich zu einem Seiteneingang führte. Auf dem obersten Klingelschild stand mit dicken Edding ‚Hannah Lahey' geschrieben. Der Summer ertönte und flink huschten wir in den unscheinbaren Hausflur.
Doch sobald ich die Treppen nach oben stieg, wurde mir mit jedem Schritt mehr und mehr bewusst, dass ich mich geirrt hatte. Zwar bereitete Andy mich drauf vor und erklärte auf dem Weg nach oben, dass Harry hier einiges hatte umbauen lassen, doch was ich im Endeffekt sah, überraschte mich. Harry Styles hatte ein stilvolles Loft gekauft und seine Freundin die Einrichtung übernehmen lassen. Von beiden fand sich die Handschrift wieder und trotz der Tatsache, dass ich mit einem mulmigen Gefühl hier her gekommen war, fühlte ich mich direkt wohl.
Der Gastgeber verstärkte dieses Gefühl.
„Mensch, es ist großartig dich endlich kennen zu lernen!" Mit einer Umarmung und einem Kuss auf die Wange wurde ich begrüßt, als wären wir alte Bekannte. Dass ich hier vor dem Harry Styles stand und meine Beine etwas zitterten, schien niemanden zu interessieren. „Babe", schrie er mir halb ins Ohr und keine zwei Sekunden später kam eine hübsche Brünette in unheimlich coolem Grunge-Stil aus der Küche gehüpft. „Sophia! Hey! Es ist super dich endlich kennen zu lernen. Liam hat schon so viel von dir erzählt." Das Rouge hätte ich heute beim Schminken auch weglassen können. Wenn das so weiter ging, würde ich konstant glühen. „...wirklich", stammelte ich dümmlich und hätte mir schon im nächsten Moment eine Ohrfeige verpassen können.
„Na klar doch!" Hannah mochte ich jetzt schon, dessen war ich mir sicher. Nicht nur, weil sie stilvoll ein schwarzes Top mit einem weinroten Rock und ultracoolen Boots kombiniert hatte, sondern vor allem, weil sie sich riesig über meine süßen Apfel-Toffee-Yorkies freute und Harry sofort einen Löffel in den Mund schob. Wo sie diesen her nahm, wollte ich lieber nicht fragen. Schließlich standen wir noch immer im Flur des zweistöckigen Lofts mit Dachterrasse und kleinem Pool auf selbiger.
„Ich geh mal Liam suchen." Niemand registrierte wirklich, was ich sagte. Andy unterhielt sich mit einem Menschen, den ich noch in meinem Leben gesehen hatte und Hannah schob Harry einen Löffel nach dem anderen in den Mund, mit der Begründung: „Wenn du fett wirst, sehe ich schlanker aus."
Die Musik war zu meiner Überraschung von einer Live Band und nicht dieses ekelhafte, bassverseuchte Gedöns. Irgendein Fremder drückte mir auf dem Weg durch die Menschen einen Drink in die Hand. Auf meiner Suche kam ich an der Küche vorbei, kippte das Glas in die Spüle und bediente mich stattdessen an der großen Schüssel voller gutaussehender Bowle in der Hoffnung, dass mich keine K.O.-Tropfen erwarteten. Ein schlechtes Cover von Aura Dione's Friends und zwei leeren Bowle-Gläsern später, fand ich Liam in einem Korbsessel auf der Dachterrasse. In seiner Hand hielt er etwas, was sicher keine Zigarette war. Die andere hing lässig an der Lehne herunter. Mich hörte er nicht und sobald er die Lippen um die Öffnung der Bierflasche gelegt hatte, beugte ich mich an sein Ohr und flüsterte: „Danke für die Einladung." Er erschrak, zuckte zusammen und spuckte den Schluck Bier entweder auf seine Hose oder in die Flasche. Allerdings hatte er nicht mit der Kohlensäure gerechnet. Den ein Drittel seines Mundinhalts verließ ihn durch die Nase. Kurz um, er machte sich zum Volldeppen.
Mission geglückt, würde ich sagen.
„Was sollte das, du blöde Kuh?!"
„Die blöde Kuh gehört jetzt zu unserem Squad. Wenn du ihr wehtust, brech' ich dir die Knochen!" Eine hübsche Brünette in roséfarbenem Top und schwarzem Rock hackte sich bei mir unter und sah Liam scharf an. „Wehe dir, Payne, du packst sie an." Eine andere hübsche Frau, ebenfalls Brünett und in schwarzem Lederrock – ich hatte mit dem roten Kleid eindeutig etwas falsch gemacht – hackte sich zu meiner Linken unter.
„Was machst du hier, Calder?" Verdutzt sah er Letztere an. Dann schaute er zwischen uns dreien hin und her. Wahrscheinlich verstand er genau so viel, wie ich. Nämlich nur Bahnhof.
„Pamp meine Freundin nicht an." Louis Tomlinson höchst persönlich schnappte sich ‚Calder' und steckte ihr die Zunge in den Hals. „Ihr seid wieder zusammen?"
„Wenn du dich nicht immer durch die Weltgeschichte gevögelt hättest, hätte ich mit dir geredet."
Die Art, wie sich Liams Mimik veränderte, gefiel mir nicht. Louis Tomlinson hatte ihn verletzt. Und das gehörig. Ruhig nahm Liam einen Zug und jetzt erst kroch mir der Geruch in die Nase. Definitiv kein reines Nikotin. Mit der Bourbon Flasche in der Hand erhob er sich langsam. Meine Finger zuckten. Er würde ihm doch nicht die Flasche über den Kopf ziehen? Stattdessen nahm er ein zweites frisches Glas, schenkte sich ebenfalls etwas nach und stieß mit einem verdatterten Tomlinson an. „Auf dich. Wichser."
„Liam!" Zwar rief ich ihm noch hinter her, doch anstatt mich gehen zu lassen, zog die Fremde mich mit sich und pflanzte mich auf den Sessel einer zweiten Sitzecke.
„Sophia, richtig?"
Verwirrt nickte ich. Dieser Abend nahm seltsame Formen an. Wirklich, wirklich seltsame Formen. Während sich die Brünette in Rosé als Sarah vorstellte und mir erklärte, dass sie die Exfreundin von Niall und Patentante seines Neffen war, schaltete ich ab und sah mich nach Liam um. Sein rot-blau-kariertes Hemd war nirgends auszumachen.
„-und das Mädchen in der coolen Lederkluft, ist Eleanor Calder."
Dieser Name war mir durch aus ein Begriff. „War sie nicht Louis' Exfreundin? Die, die mit ihrem neuen Freund diesen coolen Modeblog betreibt? Trend-und irgendein Obst?" fragte ich völlig ungeniert. Kurz lachte Sarah auf. „Hab ich was Falsches gesagt?"
„Max ist Ellies bester Freund und sie hat beschlossen es mit Louis noch einmal zu versuchen. Die zwei lieben sich zu sehr, um die Finger voneinander zu lassen. Und der Blog heißt Trendpear."
Peinlich berührt stellte ich mein Glas weg.
In den nächsten Stunden– keine Ahnung, wie lange ich wirklich dort oben saß – unterhielt ich mich mit Sarah, bis Eleanor zu uns stieß und schließlich auch Hannah eine Verschnaufpause einlegte. Die Mädels amüsierten mich köstlich und seltsamer Weise schien die Chemie sofort zu stimmen. Wir lachten herzlich und ich fühlte mich immer wohler. Die Tatsache, dass Andy zu vor mit dem Ed Sheeran geredet hatte, erschreckte mich zu tiefst. „Ich liebe seine Musik! Gott verarsch mich nicht! Sag mir, dass ich nicht an ihm vorbei gelaufen bin!?" Meine Hand klatschte wie von selbst gegen meine Stirn. Wie dämlich war ich eigentlich?
„Doch, meine Liebe. Harry hat es tatsächlich geschafft, ihn aus seinem Exil zu holen."
„...das darf nicht wahr sein", grummelte ich. Bevor ich aber die Chance hatte, Hannah zu fragen, ob er sich noch immer hier befand, stürmte Harry unsere Runde. „Sophia, komm mit." Er griff grob nach meiner Hand und zerrte mich hektisch hinter sich her. Wir stolperten durch die Menge. Erst als wir die Treppe betraten, welche uns nach unten bringen sollte, gelang es mir, mich los zu reißen. „Was soll denn das?!" pampte ich ihn an, ohne zu berücksichtigen, dass ich es einzig und allein seiner Güte zu verdanken hatte, dass ich hier war und diese netten Mädchen kennen lernen durfte. „Liam prügelt sich und ich glaube, du bist die Einzige, die ihn davon abhalten kann."
„Was ist passiert?" fragte ich geschockt, kickte die High Heels von meinen Füßen und rannte die Treppenstufen nach unten, ohne allerdings auf Harry zu warten. Ihm fiel es allerdings nicht schwer mich einzuholen. „Ich wusste nicht, dass dieser Tänzer, der unser neuer Coach werden soll, der neue Freund von Danielle ist."
Ohne auf eine weitere Erklärung zu warten, rannte ich um die Ecke, fiel beinahe auf die Nase, da ich vergessen hatte, dass noch eine weitere Stufen folgte, um vom Flur ins Wohnzimmer zu gelangen. Das Bild, was sich mir bot, war erschreckend. Ohne zu zögern sauste Liams Faust in die Magengrube des dunkelhäutigen, viel, viel größeren Mannes. Obwohl Andy sich alle Mühe gab, sich zwischen die beiden zu werfen und Liam davon abzuhalten, dem anderen Mann den Hals umzudrehen, wurde es ihm mit einem fetten Schlag ins Gesicht gedankt. Mein bester Freund ging zu Boden. Mir entwich ein Schrei, der allerdings in den Anfeuerungsrufen der Menge unterging. Das durfte nicht wahr sein. Der nächste Schlag traf Liam mitten auf der Nase. Ich hätte schwören können, dass ich trotz all dem Lärm ein Knacksen gehört hatte. Blut schoss sofort aus seiner Nase. Vermutlich war sie noch immer angeschlagen, von meiner Aktion am Morgen. Als ich sah, dass sich Andy in guten Händen befand, versuchte ich Liams Hand zu fassen zu bekommen. „Liam!" Mehrfach schrie ich seinen Namen. Erst als ich direkt neben ihm stand, hörte er mich und ließ sofort seine Fäuste sinken. Sein Gegner schien das gnadenlos auszunutzen. Ein weiterer Schlag traf ihn im Gesicht und jauchzend ging er zu Boden. „Scheiße." Ich ging auf die Knie, um mir Liams Verletzungen genauer anzusehen. Er jedoch drehte sich zur Seite, kroch den restlichen Meter nach rechts und sah japsend und blutend wie ein geschlachtetes Schwein, ob es Andy gut ging. „Kumpel", flüsterte er leise. Mir ging das Herz auf und das gab ich nur wirklich ungern zu. „Du blöder Wichser", zischte ich, rappelte mich auf und schlug mit der Faust ins Gesicht des jungen Mannes, der triumphiert grinsend auf meine verletzten Freunde gesehen hatte. Wir beide jaulten auf. „Scheiße, tut das weh!", fluchte ich. Trotzdem erfüllte es mich mit Genugtuung, dass ich dem blöden Arsch wehgetan hatte.
„Fuck", jammernd schüttelte ich die Hand, wandte meinen Blick aber nicht von meinen Jungs ab. Ich hatte doch bloß drei Gläser Bowle getrunken. Und vielleicht ein paar vereinzelte Shots, die Hannah immer wieder aufgefüllt hatte.
Das Ende vom Lied?
Zahlreiche Handys waren auf uns vier gerichtet worden.
Meine Hand tat höllisch weh und auch der Kühlakku, den Hannah mir gereicht hatte, machte es nicht besser.
Liam steckte sich lediglich ein zusammengerolltes Taschentuch in die Nase, nahm sich die Flasche Bourbon und verschwand.
Andy bekam eine Flasche Wasser über den Kopf geschüttet und wurde in meiner Anwesenheit von Hannah und Harry verarztet.
„Das war ganz schön heftig, Soph." Schuldbewusst wich ich Harrys Blick aus. Sein Unterton erinnerte mich an meine tadelnde Mutter und dieser Aspekt gefiel mir absolut nicht. Er ließ nicht nur die Schuldgefühle aufbrodeln, sondern auch die Röte in meine Wangen schießen. „Respekt! Das war wirklich mutig", schickte er hinter her und legte seine Hand auf meine Schulter. „Und jetzt schau nach Liam, ehe er was Dummes anstellt. Andy ist bei mir in guten Händen!"
Sofort nickte ich. Es fühlte sich an, als wäre ich es ihm schuldig.
Dieses Mal lief ich sofort zur Dachterrasse und fand Liam direkt am Rand des Daches. Seine Beine baumelten über dem Abgrund. Ein Bild, was ich schon einmal gesehen hatte. Früher. Irgendwie löste es eine Art Knoten aus und ich beschloss, ihm die volle Wahrheit zu sagen, mit welcher ich am heutigen Morgen schon angefangen hatte.
„Darf ich ehrlich zu dir sein?" Ohne dass er mich eines Blickes würdigte, setzte ich mich neben ihn.
„ Noch hab ich den Bourbon nicht leer. Deine Chancen stehen gut." Um mir ein wenig Mut anzutrinken, nahm ich ihm die Flasche aus der Hand, setzte sie an und schluckte. Keine zwei Sekunden später hustete ich und spuckte die Flüssigkeit beinahe aus. Angewidert stellte ich das Gebräu außerhalb seiner Reichweite ab. „Zuerst mal, brauchst du den Scheiß hier nicht. Und den Grünen, den du verzweifelt vor mir zu verstecken versuchst, auch nicht. Er qualmt. Und wenn du nicht aufpasst muss ich dich – samt Handy- in den Pool schmeißen, damit deine Klamotten nicht abfackeln."
Liam lachte sarkastisch auf und wollte erneut am Joint ziehen, doch stattdessen schaute er ihn an und schmiss ihn, ohne wirklich daran zu ziehen in den Pool.
„ Also, was will Miss-Ich-muss-nur-noch-kurz-die-Welt-retten von mir?" Wieder sah er mich nicht an. Stattdessen schnippte er den Joint einfach auf die Straße und starrte weiter in die Dunkelheit, die nur von weit entfernten Straßenlaternen oder erleuchteten Fenstern erhellt wurde. Ich schluckte hart. All meinen Mut zusammen nehmend, nahm ich in Kauf, dass er mich bei meinem nächsten Satz wohl einfach runter in die Tiefe stürzen würde. „ Du darfst dich von ihr nicht runter ziehen lassen." „Das geht dich gar nichts an!" Noch bevor Liam die Bourbon Flasche zu greifen bekam, nahm ich sie an mich und stellte sie noch weiter weg. Er würde mich abgrundtief hassen. „Das weiß ich. Aber ich will dir helfen."
„Warum zum Teufel? Was hast du mit mir am Hut!? Ich bin doch nur ein erbärmlicher Kerl, der weder mit seinem Privatleben noch seinem Job richtig zurechtkommt." Zum ersten Mal an diesem Abend sah er mich wirklich an. Wenn ich ehrlich bin, sah er mich zum ersten Mal wirklich an und ließ mich sich durchschauen. Er war verletzt. Verletzt von den Worten, die Louis ihm vorhin an den Kopf geworfen hat. Enttäuscht von Andys Worten am heutigen Vormittag und zu tiefst gekränkt von den Worten, die dieser Vollidiot ihm an den Kopf geworfen hat, als er schon am Boden lag. „Und genau deshalb bin ich hier", flüsterte ich leise.
„Ich verstehe gar nichts mehr." Ohne darüber nachzudenken, fast schon reflexartig steckte Liam sich eine neue Zigarette an.
„Du hast mir das Leben gerettet, Liam Payne." Der Kloß in meinem Hals drohte immer weiter anzuwachsen. Ich wusste nicht sicher, ob er mich verstand. Vermutlich nicht. Ich tat es ja selbst nicht.
Eine ganze Weile lang starrte er mich nur an, bis er schließlich verachtend auf schnaubte. Er hatte mich nicht verstanden. „Du hast sie doch nicht mehr alle. Spätestens als du im Auto vorgestern ‚One Thing' mitgeträllert hast, hätte es mir klar sein müssen. Du bist genauso oberflächlich, wie alle anderen. Weißt du eigentlich wie viele Fans wir haben, die sich wegen eines Follows ritzen, du hast doch nicht mehr Latten am Zaun! Das wird mir zu doof." Wieder griff er nach der Flasche. Wieder war ich schneller. „Gib mir die scheiß Flasche!"
„Erst hörst du mir zu!" Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit schrie ich. Und es fühlte sich gut an.
„Du bist völlig bescheuert."
„Hörst du mir bitte zu, Liam?" Obwohl ich zwanghaft versuchte meine Mimik aufrecht zu erhalten, brach meine Stimme. Er verstand nicht wovon ich redete. Wenn ich nun mit der Wahrheit heraus rückte, würde er mich hassen. Er würde mich hassen und gar nicht erst probieren mich zu verstehen. Doch ich musste es versuchen. Ich musste versuchen Liam Payne ein Stück von dem zurück zu geben, was er mir geschenkt hatte. Das war ich ihm schuldig.
„Damals hatte ich keine Freunde, außer meiner Oma. Als ich in die Grundschule kam, fand ich Andy. Er wurde mein bester und einziger Freund. In der fünften Klasse kamst du und nahmst ihn mir weg. Ich hab dich dafür gehasst. Es hat sich angefühlt, als hätte Andy mich betrogen und da hab ich-"
„Du warst das!? Du hast damals die Reißzwecken, die rohen Eier, die Knete und all den Scheiß auf meinen Stuhl gelegt." Seine Mimik schwang um. Von Verwirrung zu Verachtung. Und er hatte Recht. Ich war ein verabscheuungswürdiger Mensch. Und das wurde mir bewusst. Nicht nur durch den Alkohol am heutigen Abend. Es war mir schon lang bewusst. Seit ich ihn in Buenos Aires auf der Bank gefunden hatte, wusste ich, dass ich etwas tun musste. Ich musste ihn aus diesem Loch ziehen, so wie er mich aus meinem Loch gezogen hatte.
Obwohl die Plörre furchtbar schmeckte, nahm ich einen erneuten Schluck.
„Und das tut mir Leid. Ich hatte nicht nur gehofft, dass du aufhören würdest mit Andy abzuhängen sondern auch, dass es mich bei den ganzen bescheuerten Leuten beliebter machen würde. Doch Andy ist nicht so einer. Er hat erst recht zu dir gehalten. Also hab ich aufgehört dich auf ihre Anweisungen hin zu piesacken. Stattdessen hat sich ihr Hass auf mich verlagert. Das war wohl das Schlimmste, was mir passieren konnte. Andy hatte sich auf deine Seite geschlagen und das Mobbing ging richtig los, bis in die Mittelstufe hinein."
„..ich glaub das nicht. Du warst das? Weißt du eigentlich, dass ich zwischendurch richtige Schlafprobleme hatte? Ich hatte Albträume, hab tagelang nicht richtig geschlafen, nichts gegessen! Wie konntest du mir das antun!?"
„Liam, es tut mir Leid, das musst du mir glauben!" Mein Blick war nicht eine Sekunde von seinem Gesicht gewichen. Die Verachtung schlug zwischen durch um in Ekel und Verzweiflung. Nur durch den Wind bemerkte ich die vereinzelten Tränen, die meine Wange hinab rannen. „Ich habe wohl nie etwas so sehr bereut. Vor allem der 15. Juli 2009 hat sich in mein Gewissen gebrannt..."
„Deshalb die römischen Zahlen auf deinem Hüftknochen?" fragte er mit einem Male völlig ruhig. Jegliche Emotion, jeglicher Hass war aus seiner Mimik gewichen. Er wirkte nahezu, als wäre ihm alles gleichgültig. Seine Frage bejahte ich.
„Was bedeuten sie?"
„Erinnerst du dich nicht mehr? Ich stand am See, mitten in der Nacht. Sie hatten mich auf den Geburtstag der Oberzicke eingeladen. Spencer, hieß sie. Ich wusste nicht, dass ich nur die Partyattraktion wurde. Kostümparty haben sie gesagt, zieh dich als coole Pippi Langstrumpf an, haben sie gesagt. In dieser Nacht stand ich alleine am See, es war arschkalt und Andy war schon nach Hause gefahren. Du bliebst um Aria abzuschleppen. Erinnerst du dich?" Er lachte auf, bevor er nickte. Ich fuhr fort. „ Erinnerst du dich auch, dass du mich dort hast stehen sehen? Erinnerst du dich, an deine Worte? An deine Umarmung und das bestickte Stofftaschentuch?" Vermutlich tat er es nicht. Wer könnte es ihm auch verübeln?
„Du hast mir gesagt, ich sei das einzige Mädchen, dem du vertrauen würdest. Du sagtest, du hättest mich in ihrem inneren Kreis immer verteidigt und du sagtest, dass Andy noch immer mein bester Freund sei. Du sagtest, Mädchen wie ich wären viel cooler. Mädchen, wie ich würden später richtig heiß und erfolgreich sein und du sagtest, die Freundschaft zwischen Andy und mir würde ein Leben lang bestehen. Ich müsste nur jetzt zu Andy gehen und ihm sagen, dass ich ihn nicht verlieren wollte. Du hast mich in den Arm genommen, gesagt, ich sei die coolste Pippi Langstrumpf, die du kanntest und hast mich zu ihm gebracht. Du hast gesagt, Opfer, wie wir müssten zusammen halten. An diesem Abend hatte ich vor zu verschwinden. Wie, das wusste ich noch nicht, aber du hast mir das Leben gerettet.
Du hattest mit allem Recht. Ich hab's geschafft. Ich kann mich als hübsch bezeichnen, ohne eingebildet zu sein und die Freundschaft zu Andy hält noch immer. Nur das mit dem Erfolg stimmt nicht ganz. Ich habe immer davon geträumt eine eigene kleine Boutique zu eröffnen. Doch meine Eltern sahen es anders, aber das ist okay. Denn ich bin noch da und habe die wundervollsten Personen um mich, die es auf der Welt gibt.
Und genau deshalb will ich dir helfen Liam. Denn auch du hast diese permanenten Anker in deinem Leben, du musst sie nur festhalten. Danielle ist keiner davon."
Die Stille, die plötzlich aufkam brachte mich um. Mein Hals war trocken, mein Herz schlug mir bis zum Hals und doch war ich mir sicher, dass ich das Richtige getan hatte. Liam atmete schwer ein und aus. Er schluckte hörbar hart. „Das muss ich erst mal verdauen", krächzte er mit gebrochener Stimme.
„Das verstehe ich...aber bitte lass mich dir helfen...." Er stand auf und ging.
Liam Payne verschwand nicht nur aus meinem Sichtfeld, sondern vermutlich auch aus meinem Leben, dessen war ich mir sicher. „Lass uns uns gegenseitig helfen", flüsterte ich in die dunkle Nacht hinein.
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Sarah, ich wünsche dir alles erdenklich Liebe und Gute zu deinem Geburtstag! Ich habe noch eine kleine Überraschung für dich und du findest sie auf meinem Profil unter dem Titel "A conas Álaind"☻♥
Hannah, danke für alles♥
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