8 ♛ Dorffest
Zurück in Distrikt 7 fühlte ich mich unter Strom - trotzdessen, dass ich wieder zu Hause war.
Und der einzige, welcher diesen Strom etwas regulieren oder sogar ganz abschalten konnte - war Elio.
Mit ihm in unserem Bett liegen und umgeben von Ruhe sein.
Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit mir - und zuerst musste ich das Distrikt-Fest durchstehen.
Eigentlich war dieses Fest eine gute Sache - denn alle Bewohner würden an diesem Abend genug zu Essen bekommen. Wie immer, wenn ein Tribut in deren Distrikt die Hungerspiele gewonnen hatte.
Ich fühlte mich aber nicht wie eine Heldin, welche den Armen Nahrung geben konnte.
Andere würden dies vielleicht - würden sich hochgepriesen fühlen, wie eine Retterin in Not.
Manchmal fragte ich mich, weshalb ich mich nie so sehen konnte.
Zum Glück musste ich zu Hause keine Rede mehr halten - sondern die Friedenswächter gaben das Essen auf dem Bürgermeisterplatz allen Bewohnern bei einer Art Theke.
Grösstenteils sah ich Kartoffelgerichte und Fleisch in Form von Würsten oder geräuchterten Schinken.
Ein Gericht, von welchem viele von den Distriktbewohnern bloss träumen konnten - und nun endlich mal essen durften.
Es war kein fröhliches Dorffest wie man es sich vorstellen mochte - nirgens spielte Musik, wozu man tanzen konnte. Ebenso wenig gab es irgendwo Alkohol - auch wenn ich, um ehrlich zu sein, doch etwas hätte vertragen können.
Ich hoffte einfach, dass dieser Abend bald vorbeigehen würde. Sass an der Seite von Glenn und Elio irgendwo an einem Tisch und ass motivationslos einige Bissen von meinem Teller.
Meine Onkel, Tante und Cassidy sassen mit Zach und Victoria einige Tische entfernt.
Sie gaben uns drein oft Freiraum - worüber ich sehr froh war.
Nicht, dass ich nicht gerne Zeit mit meiner Familie verbringen wollen würde - manchmal brauchte ich einfach bloss die Präsenz von Elio und Glenn.
Die zwei Personen, welche mich mal abgesehen von Zach, am besten verstanden.
"Hey!"
Tobias und Simea traten auf uns zu und ich sah, wie sogleich Glenn neben mir vor Schreck seine Gabel zu Boden fallen liess. Er räusperte sich und lehnte sich unter den Tisch, um sie wieder zu holen.
Ich sah, wie währenddessen Tobias rot im Gesicht wurde und etwas grinste.
Ich jedoch grinste aber mehr als nur etwas - und auch Elio neben mir musste sich ein Lachen verkneifen.
"Hey, setzt euch doch zu uns!",schlug er vor und lächelte die beiden an.
Simea schien ebenso Bescheid zu wissen und wackelte mit den Augenbrauen, als sie ihren Zwillingsbruder kurz grinsend anstupste.
Sie hatte ihre schwarzen Haare wunderschön zu einem Zopf geflochten. Sie war eine wirkliche Schönheit - aber bisher hatte ich sie noch nie mit jemandem zusammen gesehen.
Sie setzten sich zu uns - und wir alle zuckten zusammen, als Glenn erstmal noch seinen Kopf am Tisch anstiess.
"Au!",presste dieser hinaus und hielt sich den Kopf.
"Geht's?",fragte ich ihn mit einem amüsierten Grinsen - und er schaute schliesslich nickend auf sein Teller hinab. Sass nun gegenüber von Tobias. Und die Spannung war unmöglich, nicht zu bemerken.
Unangenehme Stille breitete sich an unserem Tisch aus.
"Jaaa, das ist nett.",sagte Elio irgendwann breit grinsend - und auch Simea kicherte leise auf. Schielte zu ihrem Bruder rüber, welcher ebenso nur in sein Teller starrte.
Ich fragte mich, was ich wohl alles verpasst hatte, während ich auf der Tour der Sieger gewesen war.
Es war wohl nicht nur bei diesem einen Treffen geblieben, welches Elio und ich damals gestört hatten. Ich notierte mir selbst, unbedingt nachzufragen, was denn noch alles passiert war.
"Glenn, hast du schon die Würste probiert? Die sind echt verdammt gut!"
Bei Elio's Anmerkung verschluckte ich mich an meinem Essen und lachte auf - und ebenso Simea gegenüber von mir konnte nicht anders, als laut aufzulachen. Ich stiess Elio grinsend an die Schulter.
Glenn und Tobias sahen beide gleichzeitig und mit hochrotem Gesicht aus ihrem Essen auf - schauten Elio entsetzt an. Dann sahen sie sich gegenseitig an.
Tobias öffnete den Mund um etwas zu sagen - Glenn murmelte ein fast unverständliches Halt die Fresse.
Mit der Zeit wurde die Runde dann doch angenehm und Simea erzählte uns, dass sie in der Papeterie-Fabrik befördert wurde - nun, da sie mit 19 Jahren nicht mehr bei der Ernte dabei sein musste.
Mir wurde auf einmal klar, dass die einzige Person, worüber ich mir in diesem Thema noch Gedanken machen musste - Cassidy war.
Mein Blick glitt zwischen Simea und Tobias hindurch zum Tisch, an welchen sie mit ihren Eltern, Victoria und meinem Bruder sass.
Wie sie lächelnd gerade Victoria irgendetwas erzählte - und diese in Gekicher ausbrach.
Stellte mir vor, wie Tulip ihren Namen in einer Woche sagen würde. Auf der Bühne stehen würde und mit angespannter Stimme Cassidy Hutcherson auf ihrem Zettel stehen hatte.
Wie Cassidy mit zittrigen Beinen aus der Menge der 16-jährigen hinaustreten würde - und ich auf der Bühne alles zuschauen werden müsste.
Überhaupt gar nichts dagegen tun können - überhaupt gar nichts.
Was wäre, wenn Cassidy gezogen wird?
Und was wäre, wenn Snow genau sie als Druckmittel gebrauchen würde?
Dieser Gedanke liess mich entsetzt ins Leere starren - wieso war mir dieser Gedanke bisher noch nie in den Kopf gekommen?
Niemals dürfte Cassidy etwas geschehen.
Niemals.
"Willst du kurz etwas aus den vielen Menschen raus?",flüsterte mir auf einmal Elio sanft ins Ohr - wie immer sofort merkend, wenn ich innerlich Panik bekam.
Doch als ich aus Gedanken gerissen wieder in die Runde schaute, sah ich, wie Glenn und ebenso die Rhee-Zwillinge mich besorgt betrachteten.
Ich hatte wohl ziemlich lange ins Leere gestarrt.
"Ja... ja, wäre wohl nicht schlecht.",flüsterte ich und liess mein halbaufgegessenes Gericht auf dem Teller stehen, als ich mit Elio zusammen vom Tisch aufstand.
Er schloss seine Hand um die meine und suchte sich vor mir den Weg durch die vielen Distriktbewohner.
Ich versuchte, mich nicht zu sehr umzuschauen - aber vergebens.
Auf einmal spürte ich die Blicke von Colyn's Eltern auf mir. Blieb abrupt stehen, wodurch sich Elio mit fragendem Gesicht zu mir umdrehte. Meinem Blick folgte - und sogleich sanft meine Hand drückte.
"Komm... es ist okay."
Aber es war nicht okay. Nichts, was mit Colyn zu tun hatte - würde je wieder okay sein.
Seit den Hungerspielen war ich seinen Eltern aus dem Weg gegangen - und sie mir scheinbar ebenso.
Wusste nicht, was ich hätte tun sollen. Was ich ihnen hätte sagen sollen. Können. Dürfen.
Zu den Eltern von Colyn - welchem sie das Gefühl gegeben hatten, so wenig wert zu sein, sodass er sich für die Hungerspiele freiwillig gemeldet hatte.
Ich hatte gehört, dass sein grosser Bruder Xavier seinen Job aufgegeben hatte, welchen sein Vater schon so lange für ihn vorgesehen hatte.
Ich wusste nicht weshalb - aber ich konnte mir denken, dass auch Xavier kein so tolles Leben bei den Hurts erlebte.
Und Xavier sah ich fast nie im Distrikt - nicht seit den Hungerspielen. Ich fragte mich wirklich, ob er okay war.
Aber sehr warscheinlich war er gar nicht okay. Wie sollte er es auch sein?
Mit mittlerweile glasigen Augen wendete ich meinen Blick von Mr. und Mrs. Hurts ab - liess mich von Elio sanft wieder mitziehen.
Wieso sahen sie so entspannt aus? Wie zur Hölle konnte ich ihnen nichts ansehen - während sie dort an einem Tisch sassen und assen?
Es schmerzte mich. In meinem ganzen Körper spürte ich den Schmerz - auf einmal in voller Dosis.
Als Elio mich in eine derzeit leere Gasse gezogen hatte, begann ich zu weinen.
Spürte sogleich die Arme von ihm - welche sich sanft sofort um meinen Körper legten und mich an ihn zogen.
Wrack.
Dieses Wort war mir all die Monate nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Ich war ein Wrack - und nur so konnte ich mich annähernd beschreiben. Wie ich mich fühlte. Wie ich mich sah.
Ein Schiff, welches vorher eigentlich ganz okay funktioniert hatte. Nie perfekt - aber okay.
Und seit den Hungerspielen war ich zerbrochen - und ich redete nicht davon, dass ich immer noch eine grosse Narbe an der Schulter trug oder an der rechten Hand nur noch drei Finger.
Nun ein Wrack, welches nächste Woche aus nächster Nähe anderen Schiffen dabei zusehen musste, wie auch diese zu Wracks werden - oder ganz vom Wasser verschwinden würden.
"Ich bin hier.",flüsterte Elio sanft und küsste meinen Haaransatz, während ich meine zittrigen Arme um seinen Körper schlang.
"Du bist nicht alleine. Nie."
Elio wusste immer, was man in einer Situation am besten sagte. Seine Superkraft - wenn man es so sagen wollte.
Mein grosser Bruder hatte diesselbe - und manchmal fragte ich mich, ob sich Zach und Elio heimlich austauschten darüber, wie sie mir am besten helfen konnten.
Ich war so unfassbar dankbar um die Menschen, welche bei mir waren. Mich bestärkten. Für mich da waren.
Denn ohne sie?
Ohne sie wäre ich schon lange nicht mehr hier.
Und ich würde alles dafür tun, damit ihnen nichts passierte.
Alles.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top