27 ✴ Risikoreich
Die Tür ging mit einem unangenehmen Quietschen auf. Ich schluckte leer, hielt meine Axt fest im Griff - und trat mit Silija durch den Türrahmen ein.
Bei den Fenstern, welche gegen das Meer gerichtet waren, waren die violetten Vorhänge nicht gezogen.
So fiel fahles Licht durch die schmutzigen Fensterscheiben in den Raum.
Der Boden sah abgenutzt aus - ein dunkelgrüner Teppich war halb zusammengefaltet in einer Ecke.
Rechts an einem der Fenster, war ein Holztisch positioniert - auf welchem ein verstaubtes Weinglas stand, neben einem ebenso schmutzigen Porzellanteller.
Eine Gabel lag auf dem zurückgeschobenen Holzstuhl. Ein silbriger Löffel am Boden.
Es sah so aus, als wäre jemand mitten in der Mahlzeit gestört worden.
An der Wand neben der Tür hing eine grosse Landkarte Panems - ebenso verstaubt wie alles in diesem Raum.
Gegenüber von uns stand ein dunkelgrünes Sofa, bei welchem die dunkelroten Kissen wild umher lagen.
Ein doch recht modern-aussehender Fernseher hatte schon seit längerer Zeit einen Schlag abbekommen - denn dessen Bilschirm besass ein faustgrosses Loch.
Man hörte das Surren von Fliegen und Spinnweben hingen in den Ecken des Raumes.
Das Rauschen des Meeres, durch die noch offene Tür.
Eine hölzerne Treppe ging in den oberen Stock des Hauses - an dessen Geländer einige Traumfänger hingen.
Die Küche links im Raum, sah fast kleinlich aus. Ein Holzherd, ein Spühlbecken und einen Mini-Kühlschrank, welcher offen stand und stark roch.
"Ist ja heimelig.",hörte ich Silija neben mir murmeln, worüber ich kurz grinsen musste und ihr zustimmte.
Ich trat näher zur Treppe und räusperte mich kurz, als Silija sich die Karte an der Wald anschaute.
Falls da oben noch jemand war - mussten wir da zusammen hochgehen.
Seite an Seite gingen wir also die knarzige Holztreppe hinauf - die Waffen gezückt.
Das Licht im oberen Stockwerk war noch dunkler, da bloss drei kleine Fenster den Raum erhellten - von welchem bei dem einen davon noch halb der Vorhang gezogen war.
Ein Zweierbett mit hellem Holzgestell war in diesem Raum - und das einzige was noch hier war, war ein Schreibtisch.
Der Stuhl war umgeworfen worden, sodass er ans Bettgestell angelehnt war.
Ein verstaubtes, kaputtes Tablet hatte jemand auf dem Tisch liegengelassen - neben vielen Dokumenten und Stiften.
Kurz sah ich zu Silija rüber, welche zustimmend nickte.
Also trat ich auf den Schreibtisch zu und berührte vorsichtig die Blätter, nachdem ich die Axt an die Wand angelehnt hingestellt hatte.
Auf den Dokumenten drauf, lag ein handgeschriebener Brief, welcher von Godric Jackson höchstpersönlich unterschrieben war.
Seine Handschrift war gut leserlich und sah ziemlich elegant aus.
Ich nahm das Blatt Papier in die Hand und las stirnrunzelnd vor;
" Meine liebste Mary,
Ich habe versagt.
Präsident Snow ist enttäuscht von mir und hat mir als oberster Spielemacher gekündigt.
Ich war so dumm, Mary. Dachte, ich würde durch meine Spiele ein Zeichen setzen können.
Ein Zeichen, dass die Hungerspiele viel zu schlimm sind, um sie zu feiern.
Ich konnte es nicht mehr. Ich konnte diese Kinder nicht mehr solch schlimme Tode sterben sehen.
Ich dachte, ich könne die Spiele stoppen. Ich könne sie vermindern.
Aber es ist unmöglich.
Die Hungerspiele werden niemals enden. Sie werden so lange bestehen, bis Panem zu Grunde gehen wird.
Es ist alles unmöglich.
Schwächlich hatte ich gedacht, ich wäre schlau genug.
Doch niemand ist dafür schlau oder stark genug - nicht im Kampf gegen das Kapitol.
Das Kapitol wird niemals fallen.
Sie werden mich holen, Mary.
Ich weiss nicht wohin sie mich bringen werden oder was mit mir geschehen wird.
Ich weiss nur, dass es bald enden wird. Alles.
Es tut mir so unfassbar leid.
Ich wünschte, wir wären zusammen & alt gestorben.
Du bist und warst meine Liebe des Lebens.
Dein Godric"
Mit gerunzelter Stirn starrte ich auf den Brief, welcher in meinen Händen etwas zitterte.
Silija sah ins Leere und atmete dann zittrig durch.
Seneca Crane wollte eine Arena machen, welche seinem Vorgänger noch mehr Schande zufügte, als sonst schon.
Hatte sich einen Spaß daraus gemacht.
Um es besonders klarzumachen, dass niemand die Hungerspiele je stoppen konnte.
Dass niemand je so viel Stärke und Glück besass, um dies tun zu können.
Und dass jeder, der dies versuchte - so enden würde wie Godric Jackson.
"Das ist krank!" Silija's ängstliche Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Sie war zu mir an den Schreibtisch getreten und die eine Aktenmappe aufgemacht.
Als ich näher zu ihr stand, um es ebenso zu betrachten, stockte ich schon, als ich die Bilder sah.
Es waren Fotografien von den erfrorenen Tributen des letzten Jahres - ich erkannte sogar das Mädchen aus Distrikt 7.
An den Rändern der eingeklebten Fotos war in verschiedenen roten Schriften versagt hingeschrieben.
Silija trat kopfschüttelnd einige Schritte rückwärts und setzte sich dann einfach auf das Bett - welches als Reaktion eine Staubwolke abgab.
Gerade wollte ich ihr irgendwelche ermutigenden Worte zusprechen, als sie einen Schrei ausstiess.
Zwei Hände waren unter dem Bett hervorgekommen - und hielten sie an den Füssen fest.
Silija fiel vom Bett auf den Boden und rangelte mit den Füssen, während sogleich Sheena mit bedrohlichem Gesichtsausdruck unter dem Bett hervorkroch.
Ich griff nach meiner Axt, doch da hielt sie Silija schon ein Messer an den Hals - hielt sie mit dem Rücken an sich gedrückt.
Mit zittrigem Atem liess ich die Axt sinken und hob beruhigend meine rechte Hand.
Silija stöhnte schmerzhaft und wütend, aber Sheena's Griff wurde dadurch nur noch fester.
Ihre rabenschwarzen Haare waren zerzaust und schmutzig - ebenso wie ihre Kleidung und Haut.
Ihre Augen waren verrückt - so rasend vor Wut, dass es einem selbst schon fast wehtat.
"Hey, bitte...",begann ich verzweifelt, als Silija das Gesicht verzog.
"HALT deine Klappe, klar!" Sheena's Stimme liess mich zusammenzucken.
Dann ging - wieder einmal - alles viel zu schnell.
Ich hörte Schritte auf der Treppe - und mit Mordstempo (wortwörtlich) flog ein Pfeil in Sheena's Kopf.
Diese liess Silija los, aber erwischte sie mit dem Messer leider trotzdem noch an der Schulter.
Schnell griff ich nach Silija's Hand und zog sie von Sheena weg, welche sogleich mit leerem Blick und blutendem Gesicht zu Boden sank.
Die Kanone ertönte.
Wir starrten einen Moment vor Schock zitternd auf Sheena - ehe wir uns umdrehten, um den Bogenschützen sehen zu können.
Und da stand er auf der Treppe; Mitchel Osters.
Er hielt einen Pfeil noch im Bogen eingespannt.
Ebenso angespannt wie sein Bogen- sah ich ihn an. Silija neben mir hielt sich zittrig ihre, zum Glück nicht allzu blutige, Schulter.
Mitchel sah uns mit bedrohlichem Blick in die Augen.
Sein Kleidung war schmutzig und sein Rucksack schien halb zerrissen zu sein.
Als wäre er ebenso wie wir, durch die Dunkelheit des Waldes gerannt.
Ich wollte ihn schlagen. Töten.
Er - welcher Colyn getötet hatte.
Doch er hielt den Bogen immer noch auf uns beide gerichtet, ging aber einen Schritt rückwärts.
"Ich lasse euch nur dieses eine Mal leben, verstanden?" Seine kleinlaute Stimme passte überhaupt nicht zu seinem bedrohlichen Gesichtsausdruck.
Er sah nur mir in die Augen, als er noch leiser sagte; "Wegen deinem Freund."
Er stolperte etwas die Treppe runter - da rückwärts nicht gerade die einfachste Lösung war, um die Stufen hinab zu gehen.
Alles in meinem Kopf drehte sich - zog mich in alle Himmelsrichtungen.
Er hatte uns verschont - wegen Colyn. Es tat ihm leid.
Aber ich wollte ihm nach. Wollte ihm genau gleich wie Colyn - ein Messer in den Bauch stechen.
Rache. Vergeltung.
Doch als ich mir das zweitletzte Messer an meinen Gurt nahm - blieb ich stehen.
Hörte, wie er mit schnellen Schritten aus dem Haus rannte und die Tür zuschlug.
War es Rache, die mir die Trauer über Colyn wieder wegnehmen würde?
Ich hörte Zach's Stimme in meinem Kopf - froh darüber, dass ich sie nicht vergessen hatte; Nur die Schwachen und die Dummen wollen Rache, Lee.
Ich spürte, wie Tränen anfingen über meine Wangen zu laufen. Mein ganzer Körper schmerzte - als würden alle Wunden und Prellungen erst jetzt ihr Mass an Zerstörung aussetzen.
Ich sank auf die Knie, hörte Silija's besorgte Fragen nur noch meterweit entfernt.
Alles verschwamm.
Und dann wurde es dunkel.
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