22 ✴ Schrei der Hoffnungslosigkeit
Als die Sonne durch die Baumkronen hindurchschien - war ich schon lange wieder wach.
Ich wusste nicht wie lange ich geschlafen hatte, denn ich sah immer wieder Nick's Leiche, wenn ich die Augen geschlossen hatte.
Da mein Bauch vor Hunger schon wehtat, suchte ich in meinem Rucksack nach dem Dosenfutter vom Füllhorn.
Verzweifelt musste ich feststellen, dass mir die Dosen nichts brachten - wenn ich keinen Dosenöffner eingepackt hatte.
"Verdammte Scheisse nochmal!",fluchte ich wütend und wusste nicht, ob ich damit wirklich nur die Dose beleidigte.
Stirnrunzelnd griff ich nach einem Messer und sah kurz zwischen dem und der Dose hin und her. Sollte funktionieren. Hoffentlich.
Auf einem Baum die Balance zu halten und gleichzeitig eine widerspenstige Dose öffnen zu wollen - gelang mir dann letztendlich nicht.
Ich musste wieder runter auf den Boden.
Nachdem ich mir versichert hatte, dass nirgens mehr Ureinwohner waren - kletterte ich mitsamt meinen Vorräten wieder vom Baum hinab.
Wie ein scheues Reh sah ich mich ein paar Sekunden ganz genau in jede Richtung um, ehe ich die Messerklinge in die Dose reinstiess.
Dies funktionierte aber dann nur mässig - diese Dosen waren echt robust.
Also probierte ich es nochmals - dieses Mal etwas weiter am Rand des Dosendeckels.
Ich wusste nicht wie viele Schimpfwörter ich ausstiess, als die Klinge letztendlich dann meinen linken Handrücken traf.
Schmerzvoll einen Moment auf der Stelle hüpfend - hielt ich meine blutende Hand fest.
"Willst du mich eigentlich verarschen!",stiess ich wütend aus und starrte die seelenruhige Dose an.
Der Schnitt an meiner Hand war nicht sonderlich tief - aber tat verdammt nochmal echt weh.
Gerade wollte ich vor Wut die Dose an den Baum schmeissen, als ich ein sanftes Piepen im Himmel hörte.
Verwirrt sah ich umher und runzelte dann die Stirn, als ich den kleinen Fallschirm mit einer bronzefarbigen, kleinen Box drann vom Himmel hinabgleiten sah.
Mit aufgeregten Atemzügen ging ich einige Meter zum Landeplatz des Fallschirms.
Trotzdessen dass ich die Box etwas mit Blut verschmierte und es schwierig war, sie nur mit einer nicht-schmerzenden Hand zu öffnen - schaffte ich es.
Ein angehnemer Duft kam mir entgegen - worüber ich unweigerlich lächeln musste.
Ein Aluteller war darin, mit zwei gebratenen Hähnchenschenkel darauf.
Fast schon provokant war es mit einem Rosmarinzweig garniert.
Natürlich erst NACHDEM ich mir fast die Hand abgeschnitten hatte.
Ich schob den Gedanken jedoch beiseite, da ich wusste, dass mir die Sponsoren hier drinn das Leben sichern könnten.
Also sah ich in den Himmel und winkte kurz mit meiner rechten Hand.
"Danke",flüsterte ich mit einem leichten Grinsen auf den Lippen.
Als ich meine Mahlzeit aus der Box rausnahm, entdeckte ich darunter aber ebenso noch versteckt; Eine kleine Flasche Desinfektionsmittel, eine Gaze und eine Binde.
Welcher Sponsor mir auch immer dieses Geschenk gemacht hatte - ich merkte mir, dass ich ihm danken würde. Wenn ich lebendig hier rauskommen würde - versteht sich.
Auch wenn es sehr viel Disziplin meinerseits brauchte - verarztete ich zuerst meine linke Hand.
Nachdem ich aber die Binde darumgewickelt hatte, stürzte ich mich wie eine hungrige Löwin auf das Essen.
Fast schon wieder ins Kapitol zurückversetzt, genoss ich das gute Essen. Ich nagte jedes kleinste Stück Fleisch vom Knochen ab, während ich einige Schlucke Wasser aus meiner Flasche trank.
Zuletzt putzte ich mir den Mund ab und sah mich aufmerksam im Wald um.
Nachdem ich mir mit etwas Wasser das Blut von gestern weggewischt hatte - versorgte ich alles wieder in meinen Rucksack.
Die kleinen Knochen liess ich hier auf dem Waldboden liegen - vielleicht würde ja noch irgendein Waldtier daran seine Freude haben.
Ich zog meinen Rucksack wieder an, gurtete mir die Messer um und hielt die Axt in meiner rechten Hand.
Auch wenn meine linke Hand wehtat, hoffte ich, dass ich sie im schlimmsten Fall immer noch zum Kämpfen gebrauchen konnte.
Kopfschüttelnd über mich selbst, lief ich schliesslich in irgendeine Richtung los.
Gestern einen verdammten Karriero getötet - und heute verletzte ich mich, indem ich eine Dose nicht aufmachen konnte!
Als ich schliesslich schon bald durch die Bäume einen See entdeckte, lief ich wie in Trance darauf zu.
Er erinnerte mich so stark an Distrikt 7 - dass ich einen Moment einfach nur mit glasigen Augen daraufstarrte.
Der See war durch und durch Natur - Seerosen bedeckten einen Teil des Wassers, während man an manchen Stellen ebenso Froschlaichen sah.
Die Sonne spiegelte sich im Wasser, sodass die ganze Oberfläche wie Diamenten glitzerte.
Hier und da schien sich im Wasser etwas zu bewegen - warscheinlich Fische.
Dieser Moment war so unendlich friedlich, sodass ich den Schmerz an meiner Hand vergass. Ebenso die blauen Stellen an meinem Körper - oder die Tatsache, dass immer noch Blut an meiner Regenjacke klebte.
Ich durfte nicht aufgeben.
Nicht heute - und die anderen Tage auch nicht.
Ich musste zurück nach Hause kommen, damit ich mich mit Elio & Zach zusammen vergewissern konnte, dass unser See in Distrikt 7 immer noch viel schöner war, als der hier.
Du bist so stark, Ayleen.
Ich entschied mich, am Ufer des Sees entlang zu gehen. Mit der Zeit wurde es immer wie düsterer - Wolken zogen sich über den Himmel und die Sonne schien damit zu kämpfen, überhaupt noch scheinen zu können.
Aus irgendeinem Grund bekam ich Gänsehaut.
Irgendetwas stimmte nicht.
Als wäre gerade alles Glück, welches ich vorhin gefühlt habe - einfach wieder von mir entwichen.
Ich horchte auf, als ich einen Kampfschrei hörte.
Wie aus Reflex lief ich los zu dem Geschehen - denn der Schrei kam mir bekannt vor.
"Nein...nein, nein, nein...",flüsterte ich holprig, während ich durch widerspenstige Äste und Spinnenweben sprintete.
Dann sah ich die Szenerie;
Colyn kämpfte mit Mitchel - dem Bürgermeistersohn aus Distrikt 3.
Die Axt von Colyn lag einige Meter entfernt der Beiden, welche miteinander unter Schmerzensschreien rangelten.
Trotzdessen dass Mitchel kleiner und jünger war - schien er viel Kraft und Durchhaltewille zu haben. Und ebenso hatte er noch sein Messer in der einen Hand.
Gerade stiess Colyn ihn gegen einen Baum und versuchte ihn mit einem Wutschrei mit dem Kopf daran zu schlagen - als Mitchel ihm einen Tritt ans Knie gab.
Colyn stöhnte schmerzvoll auf und taumelte einige, zittige Schritte von Mitchel weg.
Als dieser gleich wieder angreifen wollte, nutzte ich den Überraschungseffekt und griff den Bürgermeistersohn an.
Dies hatte er nicht erwartet - und sah mich mit grossen Augen an, als ich ihn wieder an den Baum gedrückt hielt.
"Bitte...bitte...Stopp!",jammerte er verzweifelt und sah mir mit einer solchen Angst in die Augen - dass ich zögerte.
Aber dies nutzte er aus und stiess mich mit voller Kraft von sich, sodass ich mit einem atemlosen Schmerzensstöhnen auf dem Rücken landete.
Kurz sah ich nur noch Sterne, ehe ich mich aufrappelte, nach einem Messer griff und wütend zusehen musste - wie Mitchel davonrannte.
Und sich Colyn's Axt gestohlen hatte.
"Scheisse, man!",fluchte ich und schüttelte den Kopf, während ich mir den Deck von der Kleidung klopfte.
"Alles okay?",fragte ich Colyn und als ich keine Antwort bekam, drehte ich mich verwirrt zu ihm um.
Colyn sass mit schweissnasser Stirn auf dem Waldboden.
Sein Atem röchelte etwas und ich sah etwas, was mein Kopf zuerst nicht verarbeiten wollte - ein Messer in seinem Bauch.
"Shit...shit...nein..",hauchte ich und es kam mir vor - als würden die Worte nicht mir gehören. Colyn zog flach atmend das Messer aus seinem Bauch - verzog schmerzhaft das Gesicht und ein Wimmern verliess seine Lippen.
Ich fiel auf die Knie und legte meine eine Hand an Colyns Wange, während ich die Wunde anstarrte.
Mit zittrigen Händen und zuckenden Bewegungen, betrachtete ich die tiefe, blutige Wunde - welche sein Shirt und Jacke schon rotgetränkt hatte.
"Ayleen" Seine schwache, schmerzerfüllte Stimme, liess mich verzweifelt von seiner Wunde zu seinem Gesicht hochschauen.
"Wieso bist du von Slytha weggegangen!", entstiess es mir verzweifelt und ohne es kontrollieren zu können, waren meine Augen voller Tränen.
Ein unterdrücktes, schluchzendes Stöhnen entstiess mir und ich schüttelte verzweifelt den Kopf.
Ich hatte so unfassbare Angst vor seiner Antwort.
"Ich wollte dich finden.."
Ich quetschte ein schluchzendes "Nein" heraus und ich strich ihm über seine ebenso von seinen Tränen benetzte Wange.
"Du Idiot",hauchte ich verzweifelt und strich ihm eine seiner schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Er schenkte mir ein liebevolles Grinsen und hauchte ein schwaches "Bitte mach, dass du überlebst" - was aber seine letzte Kraft zu nehmen schien.
Seine Gesichtszüge wurden starr. Entspannt. Leblos.
Die Kanone ertönte.
Ich legte meine Hand in seine, schluchzte und schüttelte zittrig den Kopf.
Mein Hals fühlte sich an, als würde er gleich vor Schmerz zerbröseln.
Alles schmerzte. Mein Körper. Meine Seele. Meine Gedanken.
Ich strich über seine Wange, über seine Lippen.
Ich wollte, dass er grinste.
Dieses scheiss verdammte, verschmitzte Grinsen - wenn er sich über mich lustig gemacht hatte. Nachdem er einen sarkastischen Spruch rausgelassen hatte.
Aber er blieb starr. Seine Mundwinkel bewegten sich nicht mehr nach oben.
Der Schmerz war unaushaltbar - alles traf mich auf einen Schlag.
Mein Körper bewegte sich zwar, aber ich wusste nicht, ob er noch mir gehörte.
Als würde ich erdrückt werden - von diesem unbändigen Schmerz, welcher sich wie ein Nebel um mich bannte.
Ich küsste Colyn's Stirn, ehe ich einen leisen Schrei ausstiess. Aber dies war mir nicht genug.
Alles drehte sich - wie ein Strudel aus Asche und Wasser, welcher mich erfasst hatte, ohne dass ich es hatte verhindern können.
Ich sah in den Himmel und sah es: Sein Bild. Sein lebendes Selbst. Ich stiess einen unbändigen, lauten Schmerzensschrei in dessen Richtung aus.
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