20 ✴ Verlassene Welt

"Du hast doch gesagt, sie würde zu was taugen!", fauchte Liza, während sie sich das Meerwasser aus ihren blonden, langen Haare rausdrehte.

"Tut sie ja auch! Sei kein Arschloch, okay?", antwortete Slytha mit einem wütenden Blitzen in den Augen. Sie putzte - ohne hinzusehen - ihre Messer vom schon halbangeklebten Blut ab.

"Sie hat aber keine einzige Person getötet!"
"Hast du ja auch nicht, wenn ich mich recht erinnere."

Mit diesem Satz hatte Slytha die etwas verblüffte Liza zum Schweigen gebracht.
Denn es war die Wahrheit - Liza hatte bisher bloss herumkomandiert.

Etwas unangenehm packte ich meinen Rucksack weiterhin mit einigen wichtigen Vorräten.
Es waren alles dunkelbraune, regenfeste Rucksäcke mit unzähligen Taschen & Stauräumen, welche uns im Füllhorn zur Verfügung gestellt wurden.

Neben Dosennahrung, einem Sackmesser und Feuerzeug - tat ich ebenso eine kleine Plane hinein und eine grosse Wasserflasche, welche perfekt ins Aussenfach des Rucksackes reinpasste.

Ebenso hatte ich mir ein weiteres Messer hineingelegt, band mir aber ebenso einen Gurt mit einigen Messern um.
Meine Axt liess ich nie aus den Augen, wenn ich sie neben mich gelegt hatte.

Ich wusste nicht, ob ich mich nun gut fühlen sollte über den Fakt, dass Slytha mich die ganze Zeit zu verteidigen schien. Und ebenso tat sie dies bei Colyn.
Was bekam sie davon?

"Könnt ihr mal euren blöden Zickenkrieg lassen? Entweder macht ihr rum - oder seid still."
Nick's wunderbarer Kommentar trieb die Zwei natürlich zur Weissglut - besonders Slytha.
Sie stiess einige Fluchwörter in Nick's Richtung aus und wendete sich dann fahrig von den zwei Karrieros ab.
Ob das Kapitol Fluchwörter zensierte?

Die Leichen der gefallenen Tribute waren mit Hovercrafts schon vorhin abgeholt worden. Emotionslos und kalt.
Aber man sah immer noch die rötlichen Stellen im Wasser. Am Ufer. Und neben mir das Blut des Distrikt 12-Jungen.

Ich musste daran denken, wie nun Familien weinend vor ihren Bildschirmen sassen - schreiend vor Verzweiflung ihren Kindern nachtrauerten.
Es trieb mir Tränen in die Augen, aber ich musste diese Gedanken von mir wegschieben.
Ich musste es tun.

Colyn blieb an meiner Seite - die ganze Zeit. Warscheinlich hatte er das Gefühl, Liza würde sonst gleich auf mich losgehen.

Ich fühlte mich wie in einem Käfig unter blutrünstigen Löwen. Ich selbst zwar ebenso eine Löwin - aber kein Killer. Und doch wusste ich, dass es in meinem Instinkt war und nur darauf wartete, an die Oberfläche zu gelangen.

Wir sortierten die Sachen im Füllhorn und versteckten einige Dinge im Schiff - sodass die anderen Tribute diese nicht mehr auf den ersten Blick sehen konnten.
So würden sie vielleicht denken, wir hätten alles mitgenommen (auch wenn dies unwarscheinlich war - aber es war Liza's Idee gewesen).

"Ich würde sagen, dass ein paar von uns hier bleiben und ein Lagerfeuer machen - so sehen sie gleich, dass wir das Füllhorn noch in Besitz haben...",begann Liza wieder an zu erzählen, während sie sich einen Bogen und Köcher mit Pfeilen zu sich nahm. Sie hatte ihre blonden, noch etwas nassen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz hochgebunden.
"Und ein Teil von uns geht erstmal diese Kommandozentrale anschauen."

Mein Blick schweifte über die Bäume zu dem doch recht heruntergekommenen Häuschen über den Baumkronen.
Was wir wohl dort finden würden? War es überhaupt wichtig, dass wir dort reingingen? Ich spürte jedoch schon eine gewisse Neugier in mir.

"Tolle Idee.",sagte Nick daraufhin knapp und ich glaubte zu wissen, dass er jedem Wort zustimmen würde - welches die attraktive Liza aus ihrem Mund liess.
"Und wie teilen wir uns auf?"

Ich spürte, wie Colyn sofort einen Schritt näher zu mir machte.
Als hätte Liza dies sofort erkannt, bildete sich ein wissendes Grinsen auf ihren Lippen.

"Wie wärs, wenn Colyn und Slytha hier warten. Und wir Drei gehen uns mal dieses Ding anschauen." Liza sah mich mit einem undurchdringlichen Blick an - und ich wusste dadurch, dass wenn ich, oder auch Colyn, etwas dagegen sagen würden, sie uns dafür bezahlen lassen würde.

"Gut.",kam also etwas heiser von Colyn neben mir als Antwort.
Alles in mir schrie. Ich sah einen Moment in seine Augen und runzelte die Stirn.
Colyn nickte mir nur ein wenig zu - ich spürte aber, dass er auf der Hut sein würde. Und dass ich es auch sein sollte.
Kurz berührte er meine Hand - ungesehen von den Karrieros.

Er hatte sich ebenso eine Axt aus dem Füllhorn genommen. Auch er hatte beim Einzelauftritt seine Axtkünste gezeigt, und ich fühlte mich durch diese Tatsache noch viel mehr mit ihm verbunden, als sonst schon.

Viel zu schnell wurde Liza's Plan Realität - und während Slytha mit einem Lächeln auf den Lippen Feuerholz sammelte und Colyn ihr half - machte ich mich mit Nick & Liza auf den Weg.
Es war nicht weit - also sollte es möglich sein, das schnell hinter uns zu bringen.

Die Sonne stand mittig - und es war bloss ein wenig bewölkt. Ebenso herrschte eine angenehme Temperatur, weswegen Liza sogleich ihre Jacke auszog und sich diese um die Hüfte band.
Natürlich konnten Nick's Augen nirgens mehr anders hinschauen - als auf Liza's nun durch das enge Shirt betonten Kurven und Brüsten.

Etwas verzweifelt versuchte ich mich auf den Wald zu konzentrieren, durch welchen wir zu Dritt marschierten.
Er schien durch und durch verwachsen zu sein. Von weitem huschten zweimal ein paar Rehe durch unser Sichtfeld - und Vögel sangen fröhlich deren Lieder.

Fast schon friedlich war es hier. Und für einen Moment vergass ich, dass noch mehr als die Hälfte der Tribute irgendwo hier auf dieser Insel waren.
Vielleicht verletzt. Hungrig. Verängstigt. Alleine. Auf den Tod wartend - welcher schon bald kommen würde.

Nie hätte ich gedacht, dass ich die Rolle des Jägers einnehmen würde. Dass ich durch die Wälder ziehen würde in einem Rudel aus tödlichen und eisigen Löwen. Welche bereit dazu waren, zu töten. Ohne zu zögern.

Das Unterholz knackte unter unseren Schritten. Nick spielte während dem Gehen mit seinem Kurzschwert - indem er es immer wieder von der rechten Hand in die Linke wechselte.

Liza schien angespannt zu sein - aber nicht vor Angst. Die Blonde war wütend und das scheinbar die ganze Zeit.
Langsam aber sicher verstand ich aber, dass dies ihre Maske war. Sie setzte diese Wut und Feinseeligkeit auf - damit man nicht sah, wie schwach sie eigentlich war.

Doch ihre Maske war mit Stacheln gespickt, sodass man sie ihr niemals abnehmen konnte. Und vielleicht konnte auch sie selber es gar nicht mehr tun. Ihr reales Gesicht zeigen.

"Diese kleine Story über deine Narbe - süss. Aber jeder klardenkende Mensch weiss, dass du dir das nur ausgedacht hast.",fing Liza an zu reden und hob grinsend etwas ihr Kinn an.

"Wie kommst du drauf?",fragte ich trocken und versuchte nicht über eine Wurzel eines Baumes zu stolpern, während ich neben Nick herging.

"Spiel nicht die Dumme, wir wissen das Alle."
"Ach wirklich."

Liza's Blick war eisig, als sie mich nach meiner sarkastischen Antwort ansah.
Ich fühlte mich bei ihr total unter Strom - als würde sie mich gleich in Stücke reissen, egal was ich auch tat.

"Liz, mal ganz ehrlich.",meldete sich Nick nun genervt zu Wort und seufzte, während er mit dem Daumen über die Klinge seines Schwertes strich. "Halt einfach mal deine Klappe."

Gerne hätte ich laut losgelacht, als Nick dies einfach so gesagt hatte. Ein ganz leichtes Grinsen kam auf meine Lippen, aber Liza blieb wütend stehen.

Wir waren nur noch wenige Meter vom Turm entfernt - nun erkannte ich unseren weiteren Weg.
Die Metallleitern waren grösstenteils angerostet - und teilweise waren einige schon durchgebrochen, sodass man sie überspringen müsste, um hochzuklettern.

Ein zusammengestauchter Maschendrahtzaun, welcher grösstenteils aber zerbrochen und überwachsen war, umgab den Platz an welchem der Turm stand.

Neben den Leitern war am Gerüst einige Sicherheitstafeln angeschraubt - welche ich aber erstens; nicht von hier aus schon lesen konnte, und zweitens; schienen sie so verrostet und alt zu sein, dass man sie wohl sowieso nicht mehr lesen konnte.

"Ihr wollt also wirklich dort hochklettern?",fragte ich nun doch etwas skeptisch und riss so die Beiden auch gleich aus einem aufkommenden Streit hinaus.

"Klar. Wieso - hast du etwa Angst?" Liza konnte es wirklich nicht lassen.

Natürlich fingen wir an, die Leitern hinaufzuklettern.
Nick ging voraus - worüber ich ziemlich dankbar war. Hinter mir kletterte Liza als Letzte hinauf und ich bemerkte schadenfreudig, dass sie immer wieder unsicher hinabblickte, während sie kletterte.

Meine Axt hatte ich unten lassen müssen - Nick sein Kurzschwert ebenso. Mit diesem auch noch in der Hand, wäre das Klettern noch riskanter gewesen.

Die rostigen Leitertritte liessen meine Hände rot werden, wenn ich mich daran festhielt.
Einige Male hatte ich das Gefühl, dass die Leiter auf welcher wir hinaufkletterten - gleich zusammenbrechen würde.

Aber trotzdessen dass es oftmals wackelte und quietschte, wenn Nick sein Gewicht als erster daraufgab - stürzte nichts ein.

Oben angekommen, kletterte ich über die Schwelle der Lucke und rappelte mich dann auf dem verstaubten, dreckigen Holzboden auf.

Stirnrunzelnd sah ich umher, als Liza sich mit zittrigen Gliedern ebenso hinaufzog.

Es war kein sehr grosser Raum - in der rechten Ecke war ein grosses Kontrollpult mit vielen Knöpfen, Hebeln und Geräten. Die Bildschirme der Computer waren teilweise mit Rissen übersät.
Alles schien kaputt zu sein - und verstaubte Spinnenweben waren überall sanft baumelnd im Wind zu erkennen.

Links waren einige verrostete Spinde - vier an der Zahl. Der Eine war sperrangelweit offen, während die anderen nur halb zu waren.
Den ganzen Raum umgab eine Fensterfront - bei welcher die Scheiben ebenso verstaubt und dreckig waren. Eine davon war sogar eingeschlagen.

Eine Tür war nur noch halb in den Angeln, welche sich ganz fein vom Wind hin und her bewegte.
Sie führte zu einer Art Aussichtsbalkon - welcher um den ganzen Kontrollraum herumging.

Gegenüber von uns hing schräg eine grosse Pinnwand - auf welcher einige, teilweise angerrissene und vergilbte Fotos hingen.

Neugierig trat ich auf die Bilder zu, während Nick sich den Spinden widmete und diese mit einem unangenehmen Quietschen öffnete und durchsuchte.

"Was für ein dreckiger Ort...",hörte ich Liza murmeln. Sie trat zum Kontrollpult - rümpfte aber dann die Nase und entschied sich ersteinmal nach draussen zu gehen.

Beim näheren Betrachten der Bilder meinerseits - stockte mir der Atem. Meine zittrigen Finger berührten die vergilbten und verstaubten Fotos, ehe ich darüberstrich.

Das Gesicht von Elio sah mir durch das Bild in die Augen. Wie er neben mir am Waldrand sass und wir beide damals in den Himmel hinaufgesehen hatten - als ein Hovercraft über unseren Distrikt geflogen war.
Es war vor gut drei Monaten gewesen. Ich erinnerte mich noch genau an diesen Moment.

Mein Atem zitterte etwas, ehe ich nach anderen Bildern suchte, welche ich erkannte. Aber dies war das Einzige, was zu meinem Leben gehörte.

Auf dem einen Foto sah man Eddie - welcher alleine an eine Hauswand angelehnt dasass und ein Nadelset sortierte.
Auf einem anderen Liana - ihre schöne, dunkle Haut wurde vom Sonnenlicht beschienen, während sie ein braunes Pferd streichelte.

Darunter war ebenso ein Bild von Silija, welche am Ufer des Meeres mit einem schwarzhaarigen, lächelnden Mädchen sass. Das Mädchen hatte den Arm um Silija gelegt. Stirnrunzelnd fühlte ich ein leichtes Ziehen in der Brust - wendete den Blick also schnell wieder von diesem Foto ab.

Das Kapitol machte also heimliche Bildaufnahmen von den Bewohnern der Distrikte - und Seneca Crane hatte uns so unsere eigene, persönliche Hölle der Hoffnungslosigkeit und Schmerzen erschaffen. Alles in der Form dieser Arena.

Gerade blieb mein Blick an einem Bild von Slytha kleben - wie sie einen braunhaarigen, grossgewachsenen Jungen umarmte - als meine lieben zwei Karriero-Gefährten mich aus meinen Gedanken rissen.

Mittlerweile war Nick ebenso hinaus zu Liza getreten. Kurz sah ich zu den Spinden, welche nun alle offen und durchsucht aussahen. Ob er etwas gefunden hatte?

Mit gerunzelter Stirn trat ich näher zur Tür, da ich die Wörter von Liza & Nick durch den hier durchziehenden Wind, nicht ganz verstand.

Sie standen beide an dem teilweise kaputten und gekrümmten Geländer der Aussichtsplattform.

"Könntest du bitte mal nicht über alles so ein Drama machen?!" Nick's Stimme war sauer und ein bedrohlicher Unterton zierte diese.

"Du weisst ganz genau, was für Schwächlinge die Zwei sind! Bloss weil Newell keine Lust hatte, sich mit uns zu verbünden - hätten wir uns nicht mit den nächstbesten, dahergelaufenen Vollidioten zusammentun müssen!"
"Slytha wollte-"
"Mir ist scheissegal was Slytha wollte!"

Nun trat Liza mit wütendem und rotem Gesicht näher zu Nick. Ihre Haarsträhnen, welche aus dem Pferdeschwanz hinausgefallen waren, liess der Wind ihr ums Gesicht wehen.
Ihre eisigen, blauen Augen funkelten.

Aber Nick trat ebenso einen bedrohlichen Schritt auf sie zu. Er war viel grösser als sie. Die Luft liess seine offene Regenjacke umherwehen.

"Du hast doch gar keine Ahnung, wie man hier überlebt, Liza. Du hast keinen Schimmer - da hatte Slytha von Anfang an recht.", raunte Nick mit einer tiefen Stimmlage, welche mir Gänsehaut bereitete.

Ich war gerade so über die Türschwelle der kaputten Tür getreten - wusste nicht, ob ich irgendwie dazwischengehen sollte, oder nicht.

"Fick dich, Nick."
Was dann passierte - liess mich japsend nach Luft schnappen.

Nick stiess die unaufmerksame Liza an den Schultern Richtung Geländer.
Ihr geschockter Schrei hallte zu uns, als sie stolpernd auf dem Rücken über das kaputte Geländer und in den Abgrund fiel.

Ein paar Sekunden des Schockes vergingen - mein Herz pochte so laut, dass ich es in meinen Ohren spürte.
Dann ein unangehnemes, platschendes Geräusch des Aufpralles unten auf dem Waldboden.
Und der Kanonenknall ertönte - Liza's Gesicht erschien im Himmel.

Mein Atem rasselte und ich trat zittrig ein paar Schritte rückwärts - als Nick sich zu mir umdrehte. Ich stolperte fast über die Türschwelle.

"Soo..." Nick seufzte entspannt, strich sich über seine kurzgeschorenen Haare und zog seine Jacke wieder zurecht.
Ein Grinsen zierte seine Lippen - verrückt und amüsiert.

"Nun sind wir endlich allein - nur wir Zwei."

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