1 ✴ Der Distrikt aus Papier


Fünf Jahre zuvor

Der Abend fühlte sich angespannt an. Ich konnte nicht beschreiben wieso - aber während ich durch den Waldweg unseres Distriktes schritt, fühlte ich mich unwohl.

Es war nicht sonderlich ratsam, als 13-jähriges Mädchen um diese Uhrzeit alleine durch den Wald zu gehen. Jedoch würde ich in ein paar Minuten meinen Bruder treffen, welcher Überstunden im Forstwerk gemacht hatte.

Dies müsste er eigentlich gar nicht - denn wir hatten bisher immer genug Geld und Essen. Jedoch war er so unfassbar gutmütig und hilfsbereit, dass er die Überstunden-Schichten der ärmeren Männern übernahm, und ihnen letztendlich dann den Lohn dafür unter der Hand gab.

Ich atmete tief durch und genoss die frische Waldluft. Es war Sommer - und somit blieb es am Abend immer länger hell.
Im Winter hingegen ging die Sonne immer schon fast unter, wenn die Schule vorbei war. Ich wusste nicht woher es kam, aber die Sonne schenkte mir stehts Kraft. Oder schon nur etwas Freude.

Aber wie es im Leben nunmal war; Die Freude war nicht immer da.
Wie so oft in Gedanken versunken, sah ich mich während dem Gehen um und hörte lächelnd den Vögeln in den Bäumen zu.

Gerade wollte ich den Weg zur Baustelle einschlagen, als mir ein Geruch in die Nase stieg. Stirnrunzelnd sah ich umher.
Das war Rauch.
Und dieser schien vom Dorf der Sieger zu kommen, denn der andere - besser gepflasterte - Weg führte dorthin.
Wie konnte gerade dort nur unbemerkt ein Feuer ausbrechen?
Entfernt durch die Bäume sah ich die Feuerflammen; ein brennendes Haus auf der Siegerdorf-Lichtung.

Ich machte kehrt und rannte zurück zum Dorf. Das Kapitol hatte speziell für das Dorf der Sieger, einen Teil des Waldes abgeholzt. Entfernt vom Rest des Distrikt 7 und mitten in der Idylle des Waldes, liessen sie die luxuriösen Häuser bauen.
Dass man aber dadurch viel zu spät bemerken würde wenn irgendetwas passiert, hatte das Kapitol wohl nicht bedacht.

Es gab insgesamt zwölf Feueralarm-Anlagen in unserem Distrikt. Kein Wunder - unsere Tätigkeiten beinhalteten ja immer brennbares Material.
Schon in der Grundschule wurde uns Kindern beigebracht, wie wir uns verhalten müssen, falls wir ein Feuer bemerkten.

Also rannte ich so schnell mich meine Beine nur trugen, zum westlichen Eingang des Dorfes und drückte den alten Knopf.
Trotz garantierter Funktionstüchtigkeit, war die rote Farbe darauf schon abgeblättert. Rechts davon war eine Liste angebracht, welche alle Schritte bei einem Feuer beschrieben hatte. Aber auch diese war kaum mehr lesbar.
Jeder hier wusste was zu tun war, wenn in Distrikt 7 ein Feuer ausbrach.

Ein Klicken erklang und zwei Sekunden später ertönten die Sirenen im ganzen Dorf.
In meiner Nähe hörte ich Leute Befehle rufen, ebenso Friedenswächter machten sich auf den Weg zu ihren Landrovern.

Angespannt sah ich umher und blieb bei der Alarmanlage stehen. Die Motoren der Autos wurden gestartet, nachdem die Anhänger mit grossen Wasserkanistern und Schläuchen angekoppelt worden waren.

Aber die Bewohner schienen sich etwas ratlos Fragen zuzurufen, wo denn nun das Feuer ausgebrochen war. Alle waren bereit um loszufahren und das Feuer zu löschen. Die Sirene verstummte langsam wieder.

"Hast du den Feueralarm gedrückt, Mädchen?"
Ich zuckte zusammen und drehte mich aus den Gedanken gerissen zu einem Mann neben mir um.
Er war mitte Dreissig und seine Stimme klang streng und unrespektvoll - da er zu glauben schien, ich hätte den Alarm aus Spaß gedrückt.
"Es brennt im Dorf der Sieger!",entgegnete ich mit allem Selbstbewusstsein, welches ich im Moment irgendwie noch zusammenkratzen konnte.

Ich hätte dies auch gar nicht mehr sagen müssen - denn jetzt war die Rauchwolke über den hohen Bäumen endlich zu sehen.
"Danke, Mädchen!",sagte der Mann angespannt, sah mich aber gar nicht mehr an.
"Zum Dorf der Sieger!",rief er seinen Kollegen zu und stieg schwungvoll auf den Beifahrersitz des vordersten Landrovers.

Etwas atemlos trat ich ein paar Schritte zurück, als die Feuerlösch-Eskorte vor mir aus dem Westeingang losfuhr.
Der Lärm liess mich erzittern, aber die Autos war nicht das einzige Transportmittel, welches ich hörte.
Ein Zug aus dem Kapitol fuhr ebenso ein.

Im Westen war der Bahnhof unseres Distriktes positioniert. Er war nicht umbedingt luxuriös - wie zum Beispiel in Distrikt 6. Meistens wurde er nur zum Transport des Holzes benutzt, wenn nicht gerade Hungerspiele veranstaltet wurden.

Doch die Hungerspiele waren vor einem guten Monat beendet worden. Mit einer Siegerin aus unserem Distrikt; Johanna Mason.
Ich hatte sie nie persönlich gekannt, aber man sagte, sie würde noch eine Weile im Kapitol bleiben. Nach den vielen Interviews und Festen, schien sie es nicht sonderlich eilig zu haben um wieder in ihre Heimat zu kommen. Niemand wusste wirklich wieso.
Ihre Familie war aber schon vor drei Wochen ins Dorf der Sieger gezogen.

Gerade wollte ich erstmal zu unserem Haus zurückgehen, als ein Schrei mich abermals zusammenzucken liess.
Die Tür des Zuges war aufgegangen und Johanna Mason war rausgestrauchelt gekommen.

Sie trug moderne Kleidung aus dem Kapitol - aber sie war zerknittert und scheinbar in Eile angezogen worden. Ebenso ihre Frisur sah zerzaust aus.
Ein paar der Friedenswächter, welche sie scheinbar schon erwartet hatten, hielten sie fest.

"Ihr Bastarde! Ihr verdammtes Luxuspack, wie könnt ihr das bloss tun!",schrie sie unter Atemlosigkeit und Tränen der Wut. Ihr Blick war auf den Rauch über den Bäumen gerichtet.

Mir wurde gesagt, ich solle hier verschwinden, als der eine Friedenswächter mich bemerkte.
Die weinende und um sich schlagende Johanna hielten sie fest an den Armen.
Sie rief Beleidigungen und Morddrohungen unter ihren verzweifelten, weinenden Schreien aus.

Einen Moment schien sie mich ebenso zu bemerken. Ich stand mittlerweile vor Furcht fast so nahe am Feueralarmknopf, dass ich Angst hatte, ihn aus Versehen noch einmal zu drücken.

Zittrig trafen meine Augen die ihren und ich konnte sehen, wie sich ihr Gesicht vor Schmerz und Wut verzog.

"Nun geh schon nach Hause!",kommandierte der Friedenswächter noch einmal - dieses Mal drohender.

Ich nickte ängstlich und rannte weg. Zum Glück hatte ich aus Reflex die richtige Strasse genommen - denn mein Kopf schien wie ausgeschaltet zu sein.

Langsam aber sicher schluchzend vor Angst - stiess ich in meinen Bruder vor unserem Haus.
"Wo warst du denn!",fragte dieser aufgeregt und streng. Er hatte wohl Angst gehabt, ich hätte beim Feuer verletzt werden können. Kein Wunder, ich war ja vor unserem Treffen auch einfach weggerannt und somit nicht erschienen.

Als Zach mich aber schliesslich weinen sah, wurden seine Gesichtszüge wieder sanfter.
"Lee, was ist passiert?",fragte er mich besorgt und zog mich an sich.
Ich schlang zittrig meine Arme um meinen Bruder und schüttelte den Kopf.

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