6. Bessere Zeiten

"I've been trying to go home my whole life." — Chelsea Dingman

Hayden zu sehen, brachte mich zum Weinen. Es war albern, immerhin hatte ich ihn erst vor wenigen Tagen noch gesehen, doch das war anders. Mir kam es vor, als ob er mir wie jeder andere auch seit 125 Jahren fern gewesen wäre. Nun war es wieder da und mit ihm die Emotionen von damals. Wie er mein Halt in den vielen traurigen Stunden gewesen ist. Wie er die einzige Person war, die mir übriggeblieben war, nachdem die Welt in Dunkelheit verfallen war.

Hayden war mir wichtig.

Er würde mir immer wichtig sein.

Und nun war es bei mir.

Hätte er nicht diese offene Art, mit der er mich so schnell zum Lachen bringen konnte, hätte ich sicher kaum mehr aufhören können zu weinen. Das alles war langsam zu viel. Zu viele Gefühle, zu viele Erinnerungen. Es war alles so laut in meinem Kopf und so chaotisch. Ich war froh, dass mich keiner fragte, was in meinem Kopf vor sich ging, woran ich mich erinnerte, denn ich wusste es nicht. Die letzten Tage und Wochen waren sehr verschwommen. Die letzten Jahre sowieso. Alles, was 1895 und davor geschehen war, war sowieso nur ein Durcheinander.

„Willst du über das, was war, reden, oder willst du abgelenkt werden?"

„Ablenkung", sagte ich und Hayden grinste sofort, offenbar erleichtert. Er mied unangenehme Themen. Hayden suchte immer einen Ausweg, wenn alles zu viel wurde.

„Sehr gut, lassen wir das Chaos der letzten Tage fürs erste ruhen, Glöckchen."

Ich lächelte von dem Namen, fand das alles so absurd, dass es mir wie ein Traum vorkam.

Glöckchen

Wie oft wurde ich so genannt?

Damals durchgehend.

Dann war ich nicht mehr ich und der Name geriet in Vergessenheit.

Ich wusste noch, wie ich beim Ball der Reiter an Silvester diese Erinnerung hatte, die Erinnerung von James, der mich so nannte, und Hayden war so verwundert gewesen, als ich zurück in der Realität den Namen genannt hatte. Hatte er da schon gewusst, wer ich eigentlich war?

Ich wollte nicht darüber nachdenken, doch nun erschienen mir die vielen Hinweise auf mein altes Leben so absurd.

Jede Erinnerung, alles, was ich als Halluzinationen abgeschrieben habe. Da waren immer Hinweise gewesen und ich hatte es nie geschafft, sie zu erkennen.

„Dürfen wir euch Gesellschaft leisten?"

Ich sah zu Sam, der sich mit Reed zu uns auf das Gras setzte und ich atmete auf von Reeds Nähe, rutschte sofort zu ihm und ergriff seine Hand, was ihn lächeln ließ.

So ging es mir besser.

Reed gab mir Halt. Wenn er bei mir war, war es leichter die Realität von Illusionen zu unterscheiden, klar zu denken, nicht abzuschweifen, nicht Angst zu kriegen.

„Gerne, gerne", sagte Hayden und der Tag war mit ihnen zusammen herrlich. Für ein paar Stunden erschien es mir, als ob alles normal wäre. Da war es nicht so, als ob mein Leben eine Lüge gewesen wäre. Ich kam mir nicht verrückt oder verwirrt vor. Hayden erzählte Witze, Sam neckte ihn und Reed und ich lachten über sie alle. Ich sprach nicht viel, hauptsächlich weil es mir schwer fiel bei den vielen Wörtern in meinem Kopf die richtigen zu finden, also genoss ich lieber still die Nähe aller drei und ließ mich von ihnen in sorglosere Zeiten bringen.

Hayden hatte genug zu sagen, um nie Ruhe einkehren zu lassen, Sam liebte es Hayden bei allem, was er sagte, aufzuziehen und Reed sah die beiden genaustens an, fast als wollte er versuchen zu verstehen, was für eine Beziehung die zwei eigentlich führten. Aber nicht nur er war ausgiebig dabei, jemanden zu mustern. Sam sah mich ziemlich oft an, immerzu nachdenklich, als würde er versuchen herauszufinden, wer ich eigentlich war. Für ihn muss es anders sein mich zu sehen. Er hatte mich nur als Alice gekannt. Was er wohl dachte, wenn er mich nun so sah?

„Du siehst aus wie sie", sagte er schließlich frei heraus und beantwortete mir damit die Frage. „Wie habt ihr zwei Idioten nicht schon so viel früher erkennen können, dass es sie ist?"
„Das lag vermutlich an diesem blöden Bann", sagte Hayden schulterzuckend. „Nachdem ich die Wahrheit von Reed erfuhr, fiel es mir leichter durch ihn hindurchzusehen und die Gemeinsamkeiten zu erkennen, davor war es unmöglich... oder wir waren einfach wirklich blind."
„Waren wir dann wohl alle", sagte ich einer der ersten Worte nach einer halben Ewigkeit und lächelte dabei. An der Sache war rein gar nichts witzig, aber da ich nicht bereit war tiefgründige Gespräche zu führen, nahm ich es erst einmal mit Humor und hoffte, wir würden schnell über was anderes reden.

Auf Hayden war Verlass. Er wechselte sofort das Thema, sprach von solch albern gewöhnlichen Dingen, dass es mir fast wie ein absurder Traum vorkam. Wenn er davon sprach, was für Filme im Kino liefen, welche Prominente geheiratet haben, dann kam mir das so komisch vor, einfach weil in meinem Leben in den letzten Monaten so viele andere Dinge geschehen waren, dass das normale Leben da draußen mir fremd geworden war. Ich wusste kaum mehr, wie es war, ganz normal zu leben, aber ich liebte es Hayden zuzuhören, wie er darüber erzählte. Vielleicht würde mein Leben nun mit der Wahrheit irgendwann normal werden können? Rowan war eingesperrt, der Krieg könnte sicher bald enden und vielleicht würde dann irgendwann endlich alles normal sein? Ich wünschte es mir so sehr.


Erst als die Sonne anfing unterzugehen, wurde ich unruhig. Die Dunkelheit missfiel mir. Die Dinge, die im Dunkeln lauern, sie missfielen mir. Es machte mir Angst.

„Es ist wohl Zeit zu gehen", sagte Hayden, der kritisch zum Himmel blickte.

Irgendwann im Laufe des Tages hatten er und Sam Essen aus der Küche geholt, damit wir hier außen picknicken konnten. Nun spielte Sam mit den Resten und jonglierte ein paar Trauben, ehe er versuchte, immer wieder eine mit dem Mund aufzufangen. Er scheiterte jedes Mal – bis auf den einen Versuch, wo er fast an der Traube erstickt wäre.

„Schon?", fragte er nun verwundert und ich schmiegte mich nur noch enger an Reed, mit der Hoffnung, er würde mich vor der Dunkelheit abschirmen, wenn sie kommt.

„Es ist spät, wir sollten kleine Schritte angehen", sagte dieser und half mir aufzustehen.

„Ahja, ich habe ein paar Klamotten im Zimmer abgelegt, damit du dich auch umziehen kannst, also falls du vor hast hier länger zu bleiben", sagte Hayden, der dabei die letzten Überbleibsel des Essens einsammelte.

„Ich bleibe, solange sie es will."

Er sollte bloß nicht gehen!

„Bitte", sagte ich flehend, würde es nicht ertragen, die Nacht allein zu verbringen.

„Natürlich. Erst wenn du es sagst, gehe ich. Nicht eine Minute vorher." Reed lächelte mich beruhigend an. Da war eine gewisse Erleichterung in seinen Augen, als ob er genauso wenig von mir getrennt werden wollte wie ich von ihm.

Ich nahm ihn beim Wort.

„Kommt ihr wieder?", fragte ich die anderen und beide schenkten mir strahlende Lächeln.

„Als ob du uns noch loswerden könntest", schnaubte Hayden und zog mich in seine Arme, brachte mich zum Kichern, als er mich mit sich im Kreis drehte und erst aufhörte, als Reed mich praktisch aus seinen Armen zog.

Vielleicht würde ja doch irgendwann alles gut werden können?

Ich hatte einen normalen Tag überstanden, ich würde auch jeden weiteren Tag überstehen, ich wusste, dass ich es könnte. Es würde nicht leicht werden, aber ich war nicht allein. Ich war weniger allein als ich es geglaubt hatte und das gab mir Kraft.


Zurück im Zimmer waren tatsächlich einige Sachen von Reed, die Hayden dort abgelegt hatte. Er schlug vor, dass ich mich zuerst im Bad herrichten könnte, doch die Aussicht allein in diesem Zimmer zu sein, stimmte mich nervös. Ich wollte es dennoch versuchen. Ich hatte diesen Tag heute so gut überstanden, dann wollte ich das auch schaffen. Mit einem Schlafanzug bewaffnet tapste ich ins Bad, sah von der alten Dusche auf der einen Seite, weiter zur Badewanne auf der anderen, und Schreckensbilder kamen wieder hoch. Ich glaubte zu ersticken, ich glaubte unterzugehen, nach Hilfe zu schreien, von den Schatten gefangen zu werden.

Gut, vielleicht waren kleinere Schritte nötig, um das zu schaffen.

„Kannst du mit rein?" Flehend sah ich zurück zu Reed. Wenn dieser glaubte, ich wäre verrückt, ließ er es sich nicht anmerken. Ohne nach dem Grund zu fragen, kam er zu mir ins Bad.

„Ich bin da und lasse nicht zu, dass dir was geschehen wird", versicherte er mir aufrichtig und setzte sich dabei auf den zugeklappten Klodeckel, drehte mir dabei den Rücken zu, so dass ich ungestört duschen konnte. Mit ihm hier war es einfacher. Würde ich gepackt werden, wäre er da. Würde ich um Hilfe schreien, würde er mich hören. Ich war nicht allein.

Es war mir sehr wichtig, das zu wissen. Ich ertrug die Einsamkeit nicht. Ich ertrug es nicht, verlassen zu werden.

Obwohl Reed hier war, duschte ich mich so schnell es möglich war und lauschte währenddessen seinen Worten. Er erzählte ganz banale Geschichten. Was wir morgen machen könnten, wie furchtbar der Wasserdruck im Quartier war, wie abscheulich er die Fliesen hier fand.

„Immerhin ist die Seife gut", sagte er. „Meine Haut fühlt sich immer so weich an, wenn ich hier dusche. Ich frage mich, wo sie die herbekommen. Seit Jahrzehnten ist es immer dieselbe Sorte."

„Philosophierst du wirklich über Seifen?", fragte ich belustigt von seinem sinnlosen Gerede und ich trocknete mich ab, wickelte das Handtuch feste um mich, ehe ich mein Haar in ein zweites, kleineres wickelte und nun vorsichtig aus der Dusche lief.

„Hey, du musst zugeben, dass sie ziemlich gut riecht und..." Er stoppte, als ich vor ihm stand, sah mich mit offenem Mund einen Moment sprachlos an, ehe er sich fing, hastig wegsah und doch tatsächlich rot wurde.

„Du bist fertig, wunderbar. Ich bin dann dran. Ich hoffe das Wasser ist noch warm, hier drinnen ist es wie in einer fucking Sauna."

Ich machte ihn nervös. Es war beinahe komisch, nur wurde ich selbst nervös, als er anfing, sich auszuziehen, weswegen ich mich hastig wegdrehte, nicht mehr sehen wollte oder eher konnte, sonst würde ich mich in eine menschliche Tomate verwandeln. War das nicht albern? Wie oft hatte ich ihn schon nackt gesehen? Nur irgendwie war es jetzt anders. Alles war so anders.

Ich hasste es.

Ich hasste es so unglaublich sehr. Nur einfach weitermachen war unmöglich.

„Jetzt bist du an der Reihe mir vom Badezimmer zu erzählen", sagte Reed und ich hörte das Wasser aufdrehen.

„Du hast recht", sagte ich und sah mir die alten Fliesen an. „Es ist hässlich hier."

Ich hörte ihn lachen und musste über den Klang lächeln. Er hat den Tag über nie so aufrichtig wie jetzt gelacht. Gelächelt ja, aber er war meistens so abgelenkt gewesen, dass er nicht ganz bei der Sache war.

„Sag ich ja. Ich schlage Warren demnächst mal eine Renovierung vor. Das halbe Gebäude muss sowieso saniert werden, da kann er die Badezimmer gleich mit erneuern."
„Wäre angebracht. Ein Gebäude wie dieses muss ständig erneuert und verbessert werden. Wir können ihm ja einen netten Stil vorschlagen. Wie wäre es mit Badezimmern, die so groß sind wie römische Badekammern?"
„Oder gleich eine einzige Badekammer für alle?" Ich lächelte von der absurden Vorstellung, wie wir alle im Quartier nackt in einem Wasserbad sitzen. Danach würden mich ganz andere Albträume plagen.

Als er fertig war und wie ich auch nur ein Handtuch trug, war ich froh, dass meine Wangen von der Hitze hier drinnen sowieso schon gerötet waren.

Ohje war das unangenehm.

Er sah wie immer einfach umwerfend aus, zu umwerfend.

Es machte mich wieder so furchtbar verlegen.

Wir zwei benahmen uns gegenüber wie zwei pubertierende Teenager.

Nicht einmal damals, bevor wir je ein Paar waren, war alles so schrecklich peinlich gewesen.

„Wir sollen uns im Zimmer umziehen, ich glaube hier fange ich gleich wieder zu Schwitzen an", lachte er und ich war voll und ganz dafür. Er drehte sich in diesem mit dem Rücken zu mir und ich mich mit meinem zu ihm, so dass wir uns beide umziehen konnten. Ich trocknete meine Haare so gut es ging und hoffte, sie würden nicht ganz so kraus am nächsten Tag aussehen, auch wenn es mir eigentlich egal sein könnte. All diese äußeren Erscheinungen waren im Grunde irrelevant.

„Schön zu sehen, dass du immer noch keine Motivation hast, dich um dein Haar zu kümmern." Belustigt ergriff Reed nach einer Bürste und begann, mein Haar zu entknoten. Ich war kurz ganz überrascht von seinem Handeln. Er tat es, als sei es das Normalste auf dieser Welt und genau das war es früher auch mal gewesen.

Ich setzte mich aufs Bett und ließ Reed meine Haare glatt kämen. Das Gefühl war herrlich. Mir fielen die Augen zu, ich genoss das Gefühl so umsorgt zu werden.

„Ich hoffe, ich schaffe es noch halbwegs gut", sagte er scherzend und versuchte mir nun Locken ins Haar zu kneten, so dass sie beim Trocknen zur alten Form zurückfinden würden.

„Sicher besser als ich", sagte ich und lächelte ihn sanft an.

„Wir werden sehen, wie es morgen aussehen wird", sagte er und sah anschließend das Bett an.

„Was ist?", fragte ich ihn verunsichert und er räusperte sich leicht.

„Ich... soll ich wo anders schlafen? Ich kann mich auf den Teppich legen oder den Stuhl versuchen gemütlich zu machen, oder-"
„Was?", fragte ich verwundert. Was sagte er denn da? „Willst du denn nicht mit mir im Bett schlafen?"
„Fuck, natürlich will ich das... ich meine... wann genau ist es so furchtbar peinlich zwischen uns geworden? Ich stammle und werde rot und weiß kaum, was ich sagen soll, wenn ich bei dir bin. Das ist verrückt, wir kennen uns so verdammt lang und ich kann dir kaum mehr in die Augen sehen, ohne mich wie ein kleiner Junge zu fühlen."
„Wir müssen uns wohl erst wieder aneinander gewöhnen", sagte ich verlegen und er schnaubte.

„Einen Scheiß müssen wir. Ich weiß, wer du bist, du weißt, wer ich bin. Wir sind kein Paar mehr, aber wir sind immer noch Seelenpartner, das bedeutet was."

Wir sind kein Paar mehr. Die Aussage schmerzte mehr, als dass sie es sollte. Aber so war es eben.

„Na gut", sagte ich leise. „Dann schlafen wir auch zusammen in einem Bett. Ganz normal."

„Ganz normal", bestätigte Reed mit einem Nicken und setzte sich auf die andere Seite. Ich rutschte unter die Decke und kaum lag Reed neben mir, ergriff ich seine Hand, hatte das Gefühl, so erst sicher zu sein.

„Reed?"

Wir sahen uns in die Augen und ich erschauderte, als er mit seinem Daumen über meinen Handrücken streichelte.

„Danke, dass du da bist."

„Ich verspreche dir, dich niemals zu verlassen. Niemals."
Das hatte er zuvor auch.

Und er hatte es gebrochen.

„Sag niemals nie."

Er legte seine freie Hand an mein Gesicht und ich sah wieder zu ihm auf.

Er machte es nicht gerade leicht, nicht verlegen in seiner Nähe zu sein, wenn er mich so ansah, so berührte.

„Ich werde alles geben, um es einzuhalten. Alles. Ich werde vergangene Fehler niemals bereinigen können, aber ich werde alles dafür geben, um es wenigstens zu versuchen."

Ich schlief eingekuschelt an Reeds Seite ein und so ging das die ganzen nächsten Tage.

Reed war da, er versuchte mich zu beruhigen, half mir mich an diese neue verdrehte Welt zu gewöhnen und ließ mich nie allein. Tagsüber gingen wir spazieren, ich sah Hayden, Sam oder Mr Spencer und nachts hielt er meine Hand, die ganze Zeit hindurch, bis es wieder hell wurde. Es wurde über nichts von Relevanz gesprochen, wofür ich dankbar war. Ich war nicht bereit dazu, alles zu verstehen, darüber zu reden und meinen Kopf zu ordnen.

Tagsüber und vor allem nachts sah ich schon genug Schrecken. Ich hörte Stimmen, sah Schatten, wurde gejagt, von Erinnerungen geplagt.


Dieses Mal rannte ich im Traum durch die riesigen Hallen eines scheinbar Verlassenen Palasts. Draußen war der Himmel schwarz, ein schauriger Schein lag in der Luft, Schreie hallten in der Ferne. Der Gang war am Zerfallen. Risse in der Decke, an den Wänden. Türen waren aus den Angeln gerissen worden, auf dem Boden waren ganze Marmorplatten regelrecht zersprengt, so dass unterschiedlich große Krater zu sehen waren. Was hier geschehen war, dass es so aussah, wusste ich nicht. Obwohl ich Schreie hörte, sah ich niemanden und doch wurde ich verfolgt. Von was wusste ich nicht, aber ich spürte, dass ich rennen musste, entkommen musste. Ich spürte, dass ich nicht erwischt werden durfte.

Jemand rief von hinten meinen Namen, aber ich wusste, es war ein Trick. Ich durfte mich nicht umdrehen, ich durfte nicht anhalten, ich durfte nicht gepackt werden und-

Schweißgebadet und zitternd erwachte ich, als mich jemand wachrüttelte. Ganz hektisch wollte ich fliehen, wollte Schutz suchen und dem Grauen Entkommen, doch Reed war da und er zog mich in seine Arme.

„Psht, alles gut. Es war nur ein Traum. Nur ein böser Traum", sagte er und ich weinte.

Ich weinte und weinte und presste mich an seine Seite, versuchte die Fassung zurückzugewinnen, was so schwer war.

„Ich bin da", sprach er mir gut zu und wartetet geduldig, bis ich mich beruhigte.

Es dauerte.

Lange sogar.

Aber nach einer Weile kam ich wieder ganz in der Realität an, meine Tränen stoppten, meine Atmung wurde ruhiger und gefasster. So war es jeden Morgen.

„Ich will, dass es aufhört", hauchte ich ganz erschöpft von meinem Zusammenbruch. „Ich will endlich normal sein."
„Du bist normal."

„Bin ich nicht. Ich bin kaputt und ich werde nie wieder ganz sein", schniefte ich, fand die Vorstellung grauenvoll, dass das mein Leben war. Auf ewig. Ewig würde ich verfolgt werden, Angst haben, Dinge sehen und hören, die nicht da sind. Mein Kopf würde nie wieder so funktionieren wie er es einst hatte. Als Alice hatte ich normal sein können oder eher normaler, das war nun dahin.

„Du bist nicht kaputt", sagte Reed und drückte mich fester an sich. „Du bist du. All das ist ein Teil von dir und ich kann mir vorstellen, dass es hart ist. Ich sehe dir an, dass es hart ist, aber du bist stark. Du hast damals geschafft damit fertig zu werden und du wirst es wieder und ich werde dir helfen und irgendwann wird es leichter sein."

„Das kannst du nicht wissen", nuschelte ich gegen sein Oberteil und ich hörte ihn lachen.

„Natürlich kann ich das. Du bist doch meine kleine Kämpferin."

Seine Worte ließen mich lächeln und ich löste mich von ihm, wischte mir übers Gesicht und atmete tief durch.

„Danke."

„Dafür bin ich hier, Reed Wentworth, immer für ein paar aufbauende Worte gut", lachte er und ich schaffte es wie jedes Mal, mich gänzlich aus der Dunkelheit zu ziehen.



Ich hatte gehofft durch Reeds Zuspruch vielleicht den Tag besser durchstehen zu können, leider mochte das Schicksal es nicht gut mit mir. Mit keinem von uns. Ganz und gar nicht sogar.

Gerade als wir gemeinsam wie fast jeden Tag in den Garten liefen, kam schon Mr Spencer in Begleitung von sicher einem Dutzend an Wachen zu uns.

Das sah nicht gut aus. Das sah sogar gar nicht gut aus.

„Ihr seid hier, den Göttern sei Dank."
„Was ist geschehen?", fragte Reed alarmiert und sein Druck auf meine Hand verstärkte sich.

„Er ist fort... wir wissen nicht, wie er es geschafft hat. Er muss Hilfe bekommen haben, doch er ist ausgebrochen und nun ist jeder in Alarmbereitschaft."

Keiner von uns musste den Namen sagen, um zu wissen, wer gemeint war, aber als Reed es dennoch tat, glaubte ich mich in meinen Traum zurückversetzt zu fühlen.

„Rowan", sagte Reed entsetzt und ich taumelte leicht.

Rowan.

Der Mann der vielen Namen.

Die Person, die mein Leben verdammt hatte.

Mehrmals.

Ich drohte die Fassung zu verlieren.

Die Aussicht dieses Monster könnte frei sein, für mich kommen, mir erneut schaden, es ließ mich innerlich durchdrehen. Ich wollte schreien und mich verstecken. Ich wollte nur fort.

Wie hatte er sich befreien können?

Die Zellen im Quartier waren beinahe ausbruchssicher. Irgendwer sehr Mächtiges muss ihn da herausgeholt haben, nur wer?

„Malia und Kellin sind informiert. Sie kommen her und wollen mit euch deswegen reden. Ich wollte nur schnell sichergehen, dass es euch gut geht und ihr ihm nicht begegnet seid."

„Uns geht es gut aber wir werden hier nicht mehr bleiben", sagte Reed ernst und ließ meine Hand los, nur um nun dafür seinen Arm um mich zu legen, mich fester zu sich zu ziehen. Mittlerweile zitterte ich und tausende Bilder von meinen Begegnungen mit Rowan schossen mir durch den Kopf. Er hatte mir alles genommen. Einfach alles und er würde nicht aufhören, bis ich vor ihm in Staub zerfalle. Das hatte er zumindest zu oft angedroht.

„Und wohin wollt ihr gehen?"

„Einfach nur fort. Das Quartier besteht aus Verrätern. Ich kann kaum jemanden hier vertrauen und bleibe an keinem Ort, wo es so unsicher ist. Grace ist unter meinen Leuten sicherer und das müssen Sie einsehen."

„Wenn sie geht und ihre Familie sie nicht vorher sieht oder weiß, wo sie ist und wie es ihr geht, werden sie durchdrehen."
„Sie haben mich belogen", sagte ich leise und schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht Teil ihrer Familie."

„Sie muss niemanden sehen, wenn sie es nicht will", sagte Reed und bedauernd sah Mr Spencer mich an.

„Überlege es dir, Grace. Keiner von uns will dir was anhaben. Wir wollen alle nur dein Bestes und deine Familie hat genauso wie Reed nur versucht dich zu beschützen, und ihm konntest du verzeihen."

Konnte ich das?

Ich war dankbar für Reeds Unterstützung aber verziehen hatte ich niemandem irgendwas bisher.

Reeds Fehler lagen nicht nur bei den Lügen, die ich bei einer richtigen Erklärung vielleicht ja verstehen und nachvollziehen könnte, doch alles, was während der Dunklen Tage war, was am letzten Tag damals war... wie sollte ich das alles einfach verzeihen? Ich war durcheinander. So durcheinander.

„Das ist alles zu viel", sagte ich und riss mich von Reed los, lief in zügigen Schritten fort von ihm und Mr Spencer.

„Grace, warte!"

„Ich will allein sein!"

„Rowan könnte überall sein!"

„Er wird nicht zuerst nach mir suchen, das wissen wir doch alle, also lass mich bitte allein, Reed!" Ich war froh, dass er stoppte, mir nicht weiter folgte und hastig durchquerte ich den Garten, hasste es, wie ordentlich und gepflegt er war. Ich würde gern viel lieber die Wildheit der freien Natur sehen, musste mich damit aber zufrieden geben. Erschöpft setzte ich mich ins Gras und rieb mir die Schläfen. Ich kam mir verloren vor und wusste nicht, wohin mit mir. Wem konnte ich vertrauen? Wie sollte es weitergehen? Ich musste langsam mal über alles, was geschehen ist, reden. Es gab keinen Weg daran vorbei, doch war ich bereit dafür? Alles war eine Lüge. So gut wie jeder hatte mich belogen und mochte ja sein, dass sie gute Gründe dafür gehabt hatten, doch es ließ mich an jedem zweifeln. Konnte ich irgendwem überhaupt vertrauen? Naiv anderen Menschen zu vertrauen, hatte mich erst in diese Misere gebracht. Ich hatte einst Rowan vertraut, dann hatte er mich zerstört. Ich hatte Reed vertraut und er hatte mich verlassen und nun mit Lügen versorgt. Meine Familie hatte mein ganzes Vertrauen gehabt und dann hatte ein Teil von ihnen mich an Rowan verraten und der Rest hatte vor mir diese Wahrheit verborgen gehalten. Es war schwer so vielen Leuten zu verzeihen. Es war schwer zu wissen, wie ich mit so viel Verrat zurechtkommen sollte.

„Darf ich mich zu dir setzen?"

Überrascht sah ich zu Malia und erschreckte mich für einen Moment ihr Gesicht zu sehen. Ihr Gesicht, das einst mal mein Gesicht hätte sein können. Nun wird uns nie wieder irgendwer verwechseln.

„Wo ist Kellin?"
„Spricht mit Reed. Sie kommen sicher gleich, aber ich wollte gern kurz allein mit dir reden."
„Keine Angst, dass Rowan dir hier auflauert?"

Sie lachte und schüttelte den Kopf, setzte sich zu mir ins Gras. „Wie ich ihn kenne, sucht er erst einmal Schutz. So unüberlegt handelt er äußerst selten und er kann kaum wissen, dass ich hier bin."

Da hatte sie vermutlich recht.

Still sah ich sie an, musterte ihr Gesicht und dachte daran, wie zu Beginn sich alles nur um sie und ihren vermeintlichen Tod gedreht hatte. Es war beinahe witzig, was für einen Weg diese Geschichte genommen hatte.

„Du bist sauer", stellte sie klar und ich schüttelte den Kopf.

„Nein, ich bin nur so... verwirrt. Du und Kelin, ihr habt versucht mich zu beschützen doch war das alles wirklich notwendig?"

„Es ist eine lange Geschichte und wir haben in dieser viele Fehler begangen. Kellin und ich hatten dich immer nur beschützen wollen, aber das ist das Problem beim Spielen mit der Zeit und dem Schicksal, es ist riskant. Mit solch einer Wahrheit zu offen umzugehen, kann so viel verändern."
Beschützen.

Dafür hatten sie mit meiner Mutter, Helena, zusammengearbeitet.

Und diese hatte mich umgebracht.

War das ihre Definition von Schutz gewesen?

„Ich fühle mich nicht beschützt", sagte ich leise, mied ihren Blick.

„Kann ich im Moment sehr gut nachvollziehen, aber das alles ist außer Kontrolle geraten. So wie es jetzt ist, hätte es nie enden sollen und es tut mir leid, dass es so ist wie es ist aber eins musst du wissen, deine Familie, unsere Familie, liebt dich sehr und wir alle wollen nur, dass du nach Hause kommst. Deine Eltern und Dari sind zurück nach London gekommen. Jeder von ihnen will dich sehen. Ich befürchte Acyn wird bald eigenhändig sich einen Weg ins Quartier erkämpfen, wenn man ihn weiter aussperren wird."

Schmerzvoll und mit einer gewissen Sehnsucht dachte ich an meine Eltern, an meine Brüder, an meine Großeltern. Selbst Cameron und Lilien fehlten mir und dann war da immer noch Elin, die dort lebte... und die es auch gewusst hatte.

Wie konnte es jeder gewusst haben?

„Können wir euch stören?" Kellin trat mit Reed an seiner Seite vorsichtig zu uns. Anders als sein Bruder sah er nur Malia an, die nun wiederum mich ansah.

Ich nickte. „Ist gut."

Beide setzten sich zu uns ins Gras, wobei Kellin beinahe lächerlich in dem teuren Anzug aussah. Es war so unpassend.

Schmerzvoll nahm ich wahr, dass Reed sich gegenüber von mir setzte und nicht neben mich.

Er wollte mir Abstand geben. Abstand, den ich selbst ja aufgesucht hatte. Was ein dummer Wunsch von mir.

„Ich habe ihr gerade gesagt, wie schön es wäre, wenn sie nach Hause kommt, zumindest nur um zu reden. Du willst sicher eine Erklärung hören und sie alle sind bereit, dir eine zu geben."

„Was soll das alles schon rechtfertigen können?" Ich wurde umgebracht, um mein Leben beraubt, belogen, behandelt, als ob alles gut wäre, ich mir Dinge nur einbilde und nun plötzlich wollte endlich jeder ehrlich sein?

„Du kannst es versuchen", sagte Kellin zu meinem Überraschen und das sanfter als ich es ihm zugetraut hätte. „Jeder hier hat Fehler im Bezug zu dir begangen. Die Geschichte ist eben nicht so leicht. Das rechtfertigt für dich nichts, was verständlich ist, aber wenn du irgendwann alle Antworten haben willst, wenn du verstehen und lernen willst mit allem umzugehen, wirst du mit ihnen reden müssen."

Ich dachte erneut an alles, was war. Meine Eltern waren nicht meine Eltern, meine Brüder nicht meine Brüder. Und doch waren wir so aufgewachsen. Ich dachte daran, wie meine Mutter mich als Kind ins Bett gebracht hatte, wie sie mich tröstete, wenn ich Albträume hatte. Ich dachte daran, wie meine Brüder mir Fahrrad fahren beibrachten, wie wir zusammen in den Urlaub fuhren, Weihnachten feierten. Unzählige Schneeballschlachten als Kinder, der Tag, an dem Dari geboren wurde. So viele Erinnerungen, so viel Liebe. Es musste echt gewesen sein, oder? Reed sagte, alles, was in den letzten Monaten zwischen uns gewesen ist, war echt, dann war alles zuvor doch auch echt gewesen, nicht wahr?

Mir kamen die Tränen und ich sah zu Reed.

„Wirst du mich begleiten?"

„Ich begleite dich überallhin, wenn du es denn willst."



Malia und Kellin waren vor gegangen, um meine Familie zusammenzutrommeln und darauf vorzubereiten, was kommen würde. Meine Eltern waren zusammen mit Dari zurück in die Stadt gekommen, nachdem sie erfahren hatten, dass ich die Wahrheit kannte. Es war gewiss riskant für sie, doch davon abbringen hätte man sie in Anbetracht der Lage nicht können.

Während der Fahrt war ich ein Nervenbündel. Ich klammerte mich an Reeds teurem Ledersitz fest und sah unruhig aus dem Fenster, überlegte fieberhaft, ob ich bereit war, das nicht zu früh war. Wenn ich sie sehe, wäre ich dann sauer? Enttäuscht? Verletzt? Wie würden sie mich aufnehmen? Mit Distanz? Ich würde das nicht verkraften.

Erst als Reed eine Hand vom Steuer nahm und meine Hand dafür ergriff, wurde es etwas leichter. Nicht genug, aber es wurde erträglicher

„Was ist, wenn sie mich nun hassen?"

„Hassen? Wieso sollten sie dich hassen?" Verwirrt sah Reed kurz zu mir.

„Weil ich eigentlich nie ihre Tochter war. Ich bin nicht Alice."
„Herzblatt, das ist nicht so simpel, wie du es vermutlich glaubst", sagte er beruhigend und parkte das Auto. „Dir wird sicher alles sachlich erklärt werden und du wirst sehen, wie albern diese Angst ist."

„Und was ist, wenn ich sie hasse?" Ich tat es nicht, doch was wäre, wenn die Geschichte, die sie mir nun erzählen wollten, mich verstimmt, wenn sie schlimmer ist als gedacht. Bisher wusste ich gar nichts. Keine Beweggründe, keine Erklärung, nichts, das all das hier rechtfertigen könnte.

„Das wirst du nicht. Du wirst sicher sauer sein und verletzt und du hast jedes Recht dazu, aber du wirst sie nie hassen. Sie sind deine Familie, du hast ein so großes Herz, irgendwann wirst du ihre Beweggründe verstehen. Nicht unbedingt gutheißen, aber du wirst verstehen."

Kellin öffnete uns die Haustür. Es war skurril. Wie lange war er die Bedrohung gewesen und nun öffnete ausgerechnet er die Tür zu dem Haus, in dem ich einst gelebt hatte.

„Sie warten im Wohnzimmer", sagte er und ich klammerte mich an Reeds Arm fest, dass ich fast befürchtete, er könnte noch abbrechen.

Langsam folgten wir Kellin in den Salon, wo meine ganze Familie inklusive Elin in der hinteren Sitzecke zusammengequetscht saß.

„Alice...", hauchte meine Mutter und sprang auf, wollte zu mir rennen, doch sofort wich ich hinter Reed zurück und mein Vater stoppte sie, zog sie sanft zurück neben sich.

Sie nach all der Zeit getrennt zu sehen, war unglaublich. Ich hatte sie so sehr vermisst und doch konnte ich mich über diese Zusammenkunft nicht so freuen, wie ich es wollte.

„Am besten halten wir vorerst Abstand", sagte Reed und zaghaft sah ich an ihm vorbei zu den anderen. Sie alle wirkten bestürzt, sahen mich ausgiebig an, als hätten sie mich noch nie gesehen... hatten sie auch nicht. Nicht so.

In den Augen aller lag eine gewisse Trauer, da lag Bedauern, Angst. Bei allen außer Dari.

Mein kleiner Bruder saß zwischen Acyn und Riley und sah mich eher skeptisch an, als wüsste er nicht, was er von mir halten sollte, als sei ich nur eine Fremde.

Ich war eine Fremde.

Mein Herz schmerzte von seinem Blick.

„Wie geht es dir, mein kleiner Engel?", fragte meine Großmutter sachte und ich riss mich von Daris Anblick los, sah nun zu ihr.

„Gut", log ich. „Es hätte besser sein können", korrigierte ich mich sofort.

„Grace hier hat viele Fragen und sie ist verständlicherweise sehr verwirrt von allem. Ich habe ihr gesagt, dass wir ihre Familie sind und sich daran nie was ändern wird", sagte Malia, die sich neben Kellin stellte, der sofort einen Arm um sie legte.

„Natürlich", sagte meine Mutter und sprang nur erneut auf. „Natürlich sind wir deine Familie. Du bist mein kleines Mädchen, du wirst immer mein kleines Mädchen sein." Tränen kullerten über ihr Gesicht und ich selbst stand kurz davor, an meinen Gefühlen zu ertrinken.

„Aber ich bin nicht Alice", sagte ich traurig.

„Doch", sagte Acyn fast energisch, als er sich erhob. „Du bist als sie aufgewachsen, ein Teil von ihr ist in dir und ich akzeptiere nichts anderes!"
„Ich verstehe nicht wie."

Was war geschehen? Wie konnte ich Teil dieser Familie geworden sein? Wieso war ich Alice? Wie konnte jemand zwei Menschen gleichzeitig sein?

„Du warst als kleines Kind krank... sehr sehr krank. Wir dachten, du würdest sterben, wir waren uns so sicher, du würdest sterben", erklärte mein Vater nun.

„Doch dann kam Malia mit einer Idee sie zu retten. Wir hatten nicht ganz verstanden, was dahintersteckte zu Beginn, wir dachten nur, wir retten unser Kind."

„Wir dachten, wir retten Grace und Alice."

Meine Mutter schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wir hatten gar nicht so recht gewusst, was deine wahre Vergangenheit als Grace war, wir dachten nur, wir würden mit unserem Handeln zwei Leben retten können und selbst wenn es bedeutet, dass unsere Tochter nicht mehr wirklich wäre, so wäre sie doch irgendwie da gewesen, denn ein Teil von Alice ging in Grace über."

„Alice starb und wurde zugleich durch die Kraft von Grace gerettet. Es hat beide verbunden, es hat dafür gesorgt, dass du von beiden Seiten einen Teil in dir trägst und das wird immer so sein", sagte mein Vater weiter. „Einzig und allein die Erinnerungen und Kräfte von damals wurden unterdrückt... zu deinem Schutz, damit diese Bindung nicht zu schrecklich chaotisch für dich wird, um deinen Geist vor dunklen Bedrohungen zu schützen, um dir Normalität zu geben und dich einfach wohlbehütet aufwachsen zu lassen. Seitdem versuchten wir alles, um dich in Sicherheit zu bewahren. Wir erfuhren, wie gefährlich das Leben unter den Wächtern für dich sein könnte, wie jede Erinnerung dich umbringen könnte. Also verschwiegen wir die Wächter, zogen fort, verließen unser altes Leben und hofften so sehr, dich beschützen zu können. Vor der Wahrheit, der Vergangenheit."

„Aber ich bekam Kräfte", sagte ich leise.

„Die Anzeichen waren da. Wir hofften einen Weg zu finden, diese zu unterdrücken oder dass wir uns irren. Leider nicht erfolgreich."
„Als du dann auch noch mit Reed anfingst in Kontakt zu geraten, wurden wir sehr nervös", merkte mein Vater an und warf dabei Reed einen finsteren Blick zu.

„Ich habe auch nie was anders versucht, als sie in Sicherheit zu wiegen", verteidigte dieser sich.

„Und doch hast du ihr die Wahrheit gesagt, Rowan hat sie gefunden, jede erdenkliche Dunkelheit hat sie gefunden!", sagte mein Vater wütend und ich wich etwas weiter zurück von seinen Worten.

„Ich bin froh um die Wahrheit und es ist nicht Reeds Schuld, dass Leute wie Rowan mich jagen. Sie jagen mich nicht seinetwegen, sie jagen mich für die Person, die ich nun einmal bin."

„Denk nicht, dass wir dir die Wahrheit nicht sagen wollten", sagte Acyn nun sachte. „Wir wollten dir einfach nur die Möglichkeit auf Normalität geben. Rowan hat dir damals so sehr geschadet. Wir haben gehört, wie schlecht es dir ergangen war, und diese Wahrheit hätte es nur schlimmer gemacht, viel schlimmer. Wir wollten dich einfach nur heile sehen."

„Und euch ist egal, dass ich nun trotzdem alles weiß, anders aussehe... dass ich beschädigt bin?"
„Du bist doch nicht beschädigt", sagte meine Mutter, lief erneut auf mich zu, wo Reed sich gleich wieder in den Weg stellen wollte, doch dieses Mal hielt ich ihn auf. Die Liebe in ihrem Blick war echt. Die letzten Jahre waren es ebenso. Ich war vielleicht nie die echte Alice Noir gewesen, ich war nie als sie geboren worden, doch gleichzeitig war sie ein Teil meins Lebens, sie würde immer Teil meines Lebens sein. Ich war sie seit 15 Jahren und würde sie bis ans Ende meines Lebens bleiben.

Als meine Mutter ihre Arme um mich legte, ich Reeds Hand losließ, um die Umarmung zu erwidern, zerbrach ich. Ich weinte und weinte und weinte.

Erst in ihren Armen, dann in denen meines Vaters, ehe Acyn und Riley mich in Beschlag nahmen. Irgendwann hatte ich jeden umarmt, jeden gehalten, mich von jedem geliebt gefühlt.

„An den neuen Look und den Namen muss ich mich erst noch gewöhnen, aber ich hoffe sehr, dass du auch als Grace meine Freundin sein willst", sagte Elin und ich lächelte sie strahlend an.

„Für immer und ewig, auch wenn ich selbst mit den Namen verwirrt bin. Du kannst mich auch gern Alice nennen, wenn es dir lieber ist, ich weiß ehrlich selbst nicht, welcher Name noch angebracht ist", sagte ich und würde ihr genauso verzeihen, wie den anderen auch, auch wenn ich noch tausende Fragen hatte. Woher hatte sie es gewusst? Wie lange wusste sie es schon? Ich war immer noch sauer für die Geheimnisse, immer noch sehr durcheinander und ich würde vorerst bei Reed bleiben und nicht zurück nach Hause gehen, ich konnte es einfach nicht, doch ich liebte sie alle und sie mich auch.

Dari blieb als letzter übrig.

Als einziger saß er noch auf einer der Sofas und sah mich kritisch an. Zögernd lief ich zu ihm und lächelte unsicher, was er nicht erwiderte.

„Du freust dich nicht, mich zu sehen?"

„Woher soll ich wissen, dass du Ally bist? Du siehst nicht aus wie sie, du bist anders, du bist nicht echt", sagte er und seine Worte waren verletzend und auch die Wahrheit.

„Ich war nie jemand anderes als deine große Schwester, die große Schwester, die für dich bis in die Unterwelt reisen würde, um dich zu retten, die dich aufrichtig liebt, für dich kämpfen und sterben würde oder um es weniger dramatisch zu machen, für dich versuchen wird jedes noch so schwere Level auf deinem Nintendo zu erreichen. Wir sind das Detektiv-Duo und ich werde immer deine Schwester sein, auch wenn ich jetzt anders aussehe und mich anders benehme, an meiner Liebe zu dir hat sich rein gar nichts geändert." Er war immerhin die einzige Person in diesem Raum, die mich nicht belogen hatte. Für ihn war das alles eben ein genauso großer Schock wie für mich. Er würde immer mein Baby Bruder sein und ich weigerte mich, dass irgendeine Wahrheit mir das wegnimmt.

Meine Worte ließen das Misstrauen schwinden. Er sah mich an, wirkte plötzlich so traurig und fing auch schon zu weinen an.

„Tut mir leid, dass ich das Geheimnis nicht früher lüften konnte, ich habe es wirklich versucht, Ally", weinte er bitterlich und ich hielt ihn, weinte selbst nur noch mehr und wusste in dem Moment, dass sich vielleicht alles geändert hatte, meine Familie jedoch immer bei mir sein würde, egal auf welche Weise.

Dann blieb jetzt nur noch die anhaltende Gefahr von Rowan bestehen... erst dann würde alles wirklich gut werden.


Wörter: 6159

Aloha :) Eine kleine Familienvereinigung. Ich hoffe es hat euch gefallen. Rowan ist frei... wäre ja auch zu einfach gewesen, wenn der Gute fort ist. Montag geht es weiter xx


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