14. Familie
"Unable are the loved to die, for love is immortality." - Emily Dickinson
Immer wieder sah ich es vor mir. Egal wie sehr ich die Bilder verdrängen wollte, in ruhigen Momenten kamen sie wieder hoch und verschlangen mich. Dann sah ich wieder und wieder, wie Irans Herz aus ihrer Brust geschnitten wurde. Dann hörte ich sie schreien, dann schrie ich selbst und glaubte, die Schatten würden mich jeden Moment packen, mit sich reißen. Wie sollte so etwas je verarbeitet werden können? Wie sollte man solche Bilder je aufarbeiten?
Reed war in der Zeit so aufopfernd süß zu mir, dass ich immer noch nicht so ganz begreifen konnte, was er eigentlich von mir wollte. Ich war eindeutig kaputt. Mehr als nur kaputt. Trotzdem blieb er, hielt mich, sprach mir gut zu und er war für mich da, auch wenn ich dreimal in der Nacht schreiend aufwachte und damit schlimmer als ein neugeborenes Baby war. Tagsüber hatte ich den Schrecken gut im Griff, dann lenkte ich mich ab, dann zwang ich mich an alles aber nicht an dieses schreckliche Ritual zu denken. Nachts war es nur leider unmöglich. Nachts hatten meine Gedanken und Erinnerungen mich fest im Griff, das hatten sie schon eine sehr lange Zeit und ich wusste nicht, ob sich das je ändern würde. Vielleicht irgendwann? Vielleicht würde irgendwann wirklich alles besser werden? Wenn ich diese Hoffnung verliere, was würde mir dann schon noch bleiben?
Ich kam mir dumpf vor, saß einfach auf einem Stuhl in Kellins Garten und sah die Blumen vor mir an. Reed hatte mich hergebracht mit der Hoffnung, dass die Natur mir helfen könnte, aber das tat sie nur bedingt. Ich hatte nicht zerbrechen wollen und das tat ich nicht, aber es war auch ziemlich schwer ganz zu bleiben. Dieses Ritual, alles, was geschehen war, es hatte so viele Ängste in mir aufgeweckt. Ich kam mir nicht mehr vor wie jemand, der richtig funktionierte, das war ich schon sehr lange nicht mehr. Ich überspielte alles, ich unterdrückte jede Furcht in mir, aber ich wusste, dass alles irgendwann aus mir herausbrechen würde. Es war nicht gesund einfach alles zu verdrängen und nicht aufzuarbeiten, nur wie sollte so etwas schon aufgearbeitet werden? Ich konnte kaum zu einem Psychologen gehen, da würde ich mich ja gleich einweisen lassen können, wenn ich anfange über Schatten, Reiter und Rituale zu reden.
Im Quartier gab es geschultes Personal für die besonderen Anliegen von Wächtern, aber das Quartier war derzeit kein Ort, zu dem ich gern wollte, auch wenn ich notgedrungen bald dorthin müsste. Wenn ich meine Familie aufsuchen wollte, die im Dorf lebte, würde ich dorthin müssen.
„Willst du rein gehen?", fragte Reed mich, der sich neben mich kniete und mir dabei sanft über die Wange mit seinen Knöcheln strich. Götter, musste er so umwerfend fürsorglich sein? Es machte mich wahnsinnig, dass er so aufmerksam war und trotzdem diesen quälenden Abstand aufrecht hielt. Mir fiel es so viel schwerer als ihm, aber jedes Mal, wenn ich es kurz vergaß, wenn ich mich an ihnen lehnen wollte, riss ich mich zusammen und versuchte den Abstand zu wahren. Den Abstand, den wir beide angeblich brauchten, auch wenn ich mir darüber nicht mehr so sicher war. Natürlich war es schwer zu vergeben und zu vergessen, aber er gab sich so viel Mühe, er half mir so sehr und ich wollte weitermachen, ich wollte nach vorne blicken. Wenn ich ständig nachtragend wegen der Vergangenheit war, würde die Zukunft auch nicht besser werden. Was geschehen war, war geschehen. Es tat ihm leid, er hatte gelitten, wir alle hatten gelitten. Verdienten wir nicht ein glückliches Ende?
Nichts davon sprach ich je laut aus. Bei allem, was derzeit los war, war da kein Platz für Beziehungsdramen und nur weil ich bereit dazu war, ihn an mich heranzulassen, bedeutete das nicht, dass es ihm genauso ging. Vielleicht brauchte er diese Distanz zu mir?
Ich schüttelte zu seiner Frage den Kopf, zog meine Beine zu mir auf den Stuhl und schlang meine Arme um sie.
„Soll ich dir Essen oder Trinken bringen?"
Erneut schüttelte ich den Kopf und er seufzte trübe.
„Hast du dir überlegt, wann du sie besuchen gehen möchtest?"
Er meinte damit, meine Eltern. Meine echten Eltern... na gut, so echt waren sie auch nicht. Aber mein Stiefvater war immer mein echter Vater für mich gewesen, ebenso meine Stiefmutter... falls man sie so überhaupt nennen konnte. Ich hatte mir fest vorgenommen sie aufzusuchen, auch wenn der Gedanke es wirklich zu wagen schwer war, aber meine echte Familie hatte es verdient zu wissen, dass ich zurück war. Sie hatten immerhin über 100 Jahre damit leben müssen, ich wäre tot. Genau deswegen war es nur auch so viel schwerer, sie aufzusuchen. Es würde so schmerzvoll werden, so viele alte Erinnerungen hochbringen. Ich würde es überstehen. Mit Reed bei mir würde ich es überstehen, auch wenn die Angst anfangs immer am größten war.
„Es wird sicher furchtbar", nuschelte ich und er zog mich auf die Beine, hob mein Kinn leicht an, so dass ich zu ihm sehen musste.
„Wieso sollte es? Es ist deine Familie. Du vermisst sie und ich werde immer bei dir sein... wenn du es denn willst."
„Natürlich will ich das!", sagte ich hastig und er lächelte glücklich darüber.
„Dann werde ich bei dir sein, sobald du bereit dazu bist."
Ich war nicht bereit, aber ich wusste ehrlich nicht, ob ich es jemals sein würde und bevor die nächste Katastrophe vor der Tür steht und ich sie niemals mehr gesehen hatte, müsste ich es wagen. Wir hatten vielleicht Rowan und Nasrin war auch bei uns, wenn auch immer noch besessen, aber Hel war nach wie vor frei und Helena ebenso. Zwei Bedrohungen mit vielen Anhängern, die jeden Moment zuschlagen könnten. Wir hatten diese letzte Schlacht gewonnen, aber noch lange nicht den Krieg.
Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg meine Eltern zu besuchen. Diese wussten nichts von dem Besuch, ich wollte sie nicht zu sehr aufregen, falls ich plötzlich doch einen Rückzieher machen sollte.
Im Dorf zu sein und den vertrauten Weg zu meinem Elternhaus entlangzulaufen, war schräg. Dorthin zu gehen, wo ich viele, viele Jahre meines Lebens verbracht hatte, wo meine Mutter mir letztendlich ein Kissen aufs Gesicht gedrückt hatte, mich getötet hatte, es war eigenartig. So viele schräge Erinnerungen, viele von ihnen kamen mir nach all der Zeit mehr wie längst vergangene Träume vor. Es war eigenartig, wie sehr sich alles verändert hatte, dass ich einst hier lebte und ein ganz anderer Mensch war. Zeit war ein merkwürdiges Konzept.
„Ich bin bei dir", sagte Reed und küsste meine Hand, die er in seiner hielt. Die Geste reichte, damit mein Herz ganz aufgeregt das Flattern anfing. Wusste er eigentlich, was er mir antat? Wusste er, dass ich letzte Nacht nicht aus einer meiner alten Albträume aufgewacht war, sondern vor Sehnsucht nach ihm? Ging es ihm ähnlich? Er hatte mir oft versichert, dass er mich liebte, so sehr liebte, aber manchmal reichte das nicht aus. Würde Liebe allein reichen, wären wir ein Paar.
„Ich schaffe das. Ich werde das schaffen." Ich versuchte mir selbst Mut zuzusprechen und zitterte trotzdem unkontrolliert, als wir durch den vertrauten Vorgarten schritten, der vertrocknet und tot wirkte. Das war nicht der blühende Garten, den ich kannte. Skeptisch sah ich mich um und als ob die Natur auf mich reagierte, auf mich gewartet hätte, wurde neues Leben in die Pflanzen gehaucht. Blumen blühten, das Gras und die Sträucher bekamen neue Farbe und ich musste lächeln, als ich das Schauspiel beobachtete.
„Willkommen zu Hause", hauchte Reed, der das mit glänzenden Augen verfolgt hatte, und klopfte an der Tür. Es dauerte nicht lange, da wurde sie von Fulda geöffnet, die mich sah und kurz sprachlos wirkte. Für einen kurzen Moment fehlten ihr die Worte. Ganz erstaunt sah sie zu mir, sah zu Reed, zu dem Garten und wieder zu mir zurück. Gerade als ich glaubte, sie hätte ihre Stimme ganz verloren, lächelte sie und streckte die Arme nach mir aus.
„Komm her." Dafür, dass ich angeblich von den Toten auferstanden war, nahm sie das sehr ruhig hin, aber Fulda war ja schon immer etwas anders gewesen und sie zu sehen, erwärmte mein Herz. Sie war der beste Mutterersatz gewesen, den ich damals hätte finden können und sie hatte mir so schrecklich gefehlt.
„Hey", hauchte ich und musste weinen, als ich von ihr umarmt wurde. Ein wohliges Gefühl machte sich in meinem ganzen Körper breit. Ich war zu Hause. Ich war wirklich zu Hause.
„Mein wundervolles Mädchen, du bist zurück. Du bist wirklich zurück. Ich wusste, die Götter würden uns helfen. Oh, ich habe es so sehr gewusst."
„Wer ist an der Tür?", fragte die Stimme meines Vaters und Fulda ließ mich los, wo ich an ihr vorbei zu meinem Vater sah, der deutlich entsetzter wirkte mich hier vorzufinden. Er fasste sich an die Brust, wich einen Schritt zurück und kurz hatte ich Angst, ich könnte ihn zu Tode erschrocken haben. Er sah aus wie in meinen Erinnerungen. Ein Mann der Zeit, der dennoch langsam am Altern war. Er sah aus wie Ende 30, blondes Haar, blonder kurzer Bart und helle Augen, die nun jedes Detail von mir aufnahmen.
„Gracie?", sagte er, die Stimme so leise, dass es mehr wie ein Wispern klang.
„Hallo Vater." Ich lächelte ihn an, während Tränen unkontrolliert über mein Gesicht kullerten. Ich hatte nicht gedacht die zwei je wederzusehen, nicht so. Es war so viel geschehen und nun... nun hatte ich alles wieder. Ich hatte meine Familie wieder. Mein Vater fing sich wieder. Er war zwar verwirrt und glaubte sicher den Verstand verloren zu haben, doch mit vier großen Schritten war er bei mir, zog mich an sich und weinte bitterlich. Ich wusste nicht, wann ich ihn das letzte Mal weinen gesehen hatte, ob ich ihn je weinen gesehen hatte.
„Mein Mädchen... oh mein kleines Mädchen."
„Sie ist zurück", sagte Fulda.
„Ich habe dich wieder. Oh, ich habe dich endlich wieder. Die Götter waren gnädig. Ich habe gebetet, so sehr habe ich gebetet." Mein Vater kriegte sich kaum mehr ein und nur weil Fulda irgendwann vorschlug, in den Salon zu gehen, lösten wir uns. Ich bemerkte, dass die vielen Bilder, die bei meinem letzten Besuch als ich noch Alice war nicht mehr verdeckt waren und natürlich eine Galerie voller Bilder mit meinem eigenen Gesicht präsentierten.
Hatte Fulda es gewusst?
Wie hätte sie wissen können, dass Alice ich war?
Nur wieso hätte sie sonst die Bilder verdeckt?
Fragen für später.
Es war alles so furchtbar skurril.
Hier zu sein. So viel vergessen zu haben. Die Räume sahen aus wie bei meinem letzten Besuch als Alice, aber mit meinen neuen alten Erinnerungen nahm ich alles ganz anders wahr. Wenn ich in die Ecke des Salons sah, wo nun ein Sofa stand, erinnerte ich mich daran, wie hier einst ein Klavier stand, auf dem Helena immer gespielt hatte. Wenn ich den Türrahmen ansah, konnte ich immer noch die Delle sehen, die entstand, nachdem Alec sich bei einer Prügelei mit seinem Freund so sehr den Kopf gestoßen hatte, dass er einen Zahn verloren hatte.
Ich sah meine Vergangenheit in Form von alten Fotografien, antiken Gemälden wieder. Ich sah sie in unzähligen Momenten in jeder Ecke jedes Raumes. Es war magisch, es war überwältigend.
„Soll ich euch kurz allein lassen?", fragte Reed, der am Türrahmen stehengeblieben war und uns alle mit einem liebevollen Lächeln ansah.
„Du!", sagte mein Vater und deutete auf Reed. Ich befürchtete, er würde ihn gleich anschreien, aus dem Haus jagen, wie er es früher immer getan hatte, aber das, was er schließlich tat, überraschte mich so sehr, das sich nur sprachlos zusehen konnte, als mein Vater Reed in die Arme schloss.
„Du hast sie zurückgebracht. Du hast mir meine Tochter zurückgebracht."
Reed wirkte ähnlich baff wie ich, lächelte verlegen und klopfte ihm unbeholfen auf den Rücken.
„Ich habe ja gesagt, ich werde bis zum Schluss kämpfen, ehe ich verschwinden würde."
„Du gehst nirgendwohin. Du bist Familie, Junge."
Wow.
Ich musste nur einmal sterben, damit mein Vater Reed endlich akzeptiert. So leicht geht es also.
Wir blieben den ganzen Tag bei meinen Eltern. Nach all den Jahrzehnten getrennt wollte ich mich nicht so schnell von ihnen trennen müssen. Wenn es nach ihnen ginge, würde ich gleich wieder hier einziehen, aber ich war nicht bereit dazu, mich so in die Vergangenheit zu begeben und ich wollte mich nicht von Reed trennen müssen. Hier zu sein war ja schön, aber ich war kein Kind mehr und ich wollte nicht erneut in diesem Haus leben müssen. Fulda kochte Suppe und während Reed die knappe Fassung von dem, was geschehen war, erzählte, lag ich in den Armen meines Vaters, der mich gar nicht mehr loslassen wollte. Beide waren schockiert von dem, was geschehen war und ich selbst musste bei einigen Stellen von Reed beruhigt werden, ehe ich voller Panik das Weite gesucht hätte. Ich hasste es diese ganze Geschichte erneut zu hören, es erneut durchleben zu müssen, aber bisher hatten sie die Details nicht gekannt und natürlich hatten sie das alles verstehen wollen. Die Geschichte war ja auch verrückt und verwirrend.
Ich war müde von den vielen Emotionen und döste nach dem gemeinsamen Essen halb in den Armen meines Vaters weg, während Fulda von ihren letzten Reisen erzählte und mich auf den Stand der Dinge brachte. Sie erzählte gerade von einem Trip nach Paris als ich hörte, dass jemand das Haus betrat.
„Alec. Ich hatte ganz vergessen, dass er kommen wollte, um Fuldas Schüssel vorbeizubringen, die er sich geliehen hatte", sagte mein Vater und ich war sofort hellwach. Ich hatte nicht gewusst, dass mein großer Bruder in London war, war nicht darauf vorbereitet gewesen ihn heute auch zu sehen, und er war gewiss auch nicht darauf vorbereitet, mich zu sehen.
„Hey Familie, ich habe die Glasschüssel dabei, es ist auch kein Kratzer drinnen. Siehst du, ich kann sehr wohl mit ausgeliehenen Gegenständen umgehen und-" Alec trat in den Salon und ließ die ziemlich kostbare Schüssel bei meinem Anblick sofort zu Boden fallen, kaum erblickte er mich. Ein Wimmern entwich Fulda, als das wertvolle Stück zu Boden krachte, aber sonst sagte keiner ein Wort. Ich konnte nur meinen Bruder mustern, so wie er mich musterte, als ob ich ein Geist sein müsste. Ich würde mal sagen er war bisher recht ahnungslos gewesen.
„Du lebst... Grace... du lebst. Du bist hier und... ist das real?" Er sah zu unserem Vater, als ob er Angst hätte, den Verstand verloren zu haben. Er hielt sich dabei am Türrahmen fest und rang regelrecht nach den richtigen Worten.
„Sie ist hier. Die Götter haben sie zu uns zurückgebracht."
„Aber... aber du... wie?" Ich hatte meinen Bruder noch nie so gesehen. Wie ich auch hatte er goldenes Haar, das er seit damals kurz geschnitten hatte. Er sah aus wie in meinen Erinnerungen, wenn auch etwas älter. Aus der Linie der Zeit stammend war er wie alle anderen in diesem Raum mit einem langen Leben gesegnet, aber er war dennoch reifer geworden, er hatte die letzten kindlichen Rundungen seines Gesichts verloren, seine Augen wirkten trotz der Tränen schärfer, als ob er in den letzten Jahren viel gesehen, viel erlebt hätte. Ihn so aufgelöst zu sehen, ihn überhaupt nach all der Zeit zu sehen wühlte mich auf. Ich löste mich aus den Armen meines Vaters und lief auf Alec zu, der mich regelrecht an sich zog und mich schluchzend festhielt.
Keine Ahnung, ob ich meinen Bruder je weinen gesehen hatte, es war nichts, das ich gern erneut erleben wollte, vor allem nicht meinetwegen. Er und ich hatten damals viele Probleme miteinander gehabt. Wir waren nie die engsten Geschwister gewesen, hatten nie ein sonderlich gutes Band zueinander gehabt, aber in der Zeit bevor ich starb, hatte sich unser Verhältnis deutlich verbessert. Er war mir wichtig, würde mir immer wichtig sein.
Ich hatte langsam genug von Tränen. Seit ich aufgewacht war, bestand mein Leben nur noch aus Weinen, aber es war auch nicht gerade leicht stark zu bleiben, wenn all das so emotional war. Ich hatte sie alle 125 Jahre nicht mehr gesehen. Sie alle hatten 125 Jahre geglaubt, ich müsste tot sein und nun war ich da.
Trotz der Tränen und all der aufbrausenden Gefühle war dieses Treffen besser als gedacht. Es war schön, es war erwärmend, ich fühlte mich endlich angekommen. Jeder, der von Bedeutung war, war wieder in meinem Leben und ich war glücklich, ich war so unglaublich glücklich, dass ich am liebsten nie wieder gehen wollte. Ich lag angekuschelt an meinen Vater auf dem Sofa, Alec hatte seinen Kopf auf meinen Schoß gelegt und ich streichelte sein weiches Haar, lauschte lächelnd ihren Geschichten und konnte kaum glauben hier zu sein, dass Reed da war, er akzeptiert wurde, alles so normal wirkte. Es war fast wie ein Traum. Genau das hatte ich mir damals immer gewünscht. Dass dieser Traum doch noch real wurde, war perfekt. Es war wie eine kleine Entschädigung für das ganze Leid.
Bevor Reed und ich gingen, um bei Anbruch der Dunkelheit wieder zurück im Haus zu sein, suchten war noch mein Grab im Garten auf. Es war merkwürdig es zu sehen, die Inschrift, die Blumen.
„Ich bin nie hergekommen", sagte Reed. „Ich wollte es nie wahrhaben. Ich glaubte immer, wenn ich hier stehe und um dich trauere, würde ich akzeptieren, dass du fort bist und das war nie eine Option gewesen."
„Gut so", sagte ich lächelnd, auch wenn der Anblick mir eher den Magen umdrehen ließ.
Es hatte eine ganze Beerdigung für mich gegeben. Wie?
„Hat niemand bemerkt, dass der Sarg eigentlich leer war?"
„Ich will ehrlich nicht wissen, wie Helena das hinbekommen hat", schnaubte Reed und legte einen Arm um mich, zog mich enger zu sich.
„Ich hoffe, sie hat niemanden umgebracht."
„Naja, wenn deine Eltern das hier erst einmal beseitigen, werden wir es erfahren."
„Was glaubst du, wo sie ist? Wieso ist sie einfach abgehauen, als sie mich zurückbrachte? Wieso arbeitet sie nun mit den Wanderern zusammen?"
Reed zögerte, er schien darüber gut nachzudenken. „Ich habe keine Ahnung. Eine weitere unendliche Sorge auf unserer Liste, aber lass uns heute nicht darüber nachdenken, Herzblatt. Deine Mutter hat vielleicht all diese Tragödien zu verantworten, aber sie hat nicht gewonnen. Du bist hier, du bist bei uns, du bist zurückgekommen."
„Aber sie wird mich haben wollen. Die Wanderer werden ihr helfen und laut Hel will sie auch nur meine Kraft haben. Offenbar hatte sie diese immer haben wollen."
„Sie kann es gern versuchen. Keiner von beiden wird dich je kriegen, selbst die Götter sind immerhin auf unserer Seite. Als Rowan die Wege zu anderen Welten geöffnet hat, scheint er sie auf uns aufmerksam gemacht zu haben."
Fragend sah ich Reed von dieser Aussage an und er grinste. „Das Gewitter. Beim Ritual."
„Das war nicht Malia?" Es war mir merkwürdig vorgekommen, wie seltsam die Blitze den Himmel erhellt hatten, aber ich hatte angenommen, das wäre Teil von Malias Kraft das Wetter zu beeinflussen gekommen.
Reed schüttelte den Kopf. „Sie war nicht dabei, als wir dich retteten. Kellin hat nicht gesagt, dass wir losgehen. Ich glaube sie ist immer noch sauer auf ihn deswegen."
„Oh, aber..." Ich dachte an den merkwürdigen Moment während des Rituals, wo ich diesen Mann gesehen hatte, wie ich um Hilfe gerufen hatte. War das ein Gott gewesen? Hatte er mir wirklich geholfen? Wieso? Wer war ich schon, dass er mir helfen würde?
Du kennst die Antwort.
Laut Kellin kannte ich die Antwort längst.
Nur war ich bereit, das alles an mich heranzulassen?
„Malia würde sich aber sehr geehrt fühlen, dass du glaubst solch eine Macht würde ihr gehören. Vielleicht würde das ihre Wut gegen meinen Bruder etwas zügeln, auch wenn ich gern sehe, wie er sich wie ein getretener Hund in ihrer Nähe benimmt."
Ich lächelte ihn an, verlor mich für einen Moment in seinen Augen. Diese wunderschönen Augen. Es gab so viel, was ich sagen wollte, was ich mir von der Seele reden wollte, aber da hatte Reed meine Hand in seine genommen. „Wir sollten gehen. Bald wird es dunkel sein." Und so schnell kam ich zurück in die Realität. Mochte vielleicht sein, dass manche Dinge besser geworden sind, aber der Schrecken der Vergangenheit würde ewig an uns nagen.
Wörter: 3282
Aloha :) Ich hoffe es hat euch gefallen. Eure Meinung würde mich sehr interessieren. Mittwoch geht es weiter xx
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