6. Eigene Stärke

"I don't think I've hated something as much as me wanting you." - Jasmine Gibson

Zwei Tage waren vergangen, seit ich wieder zurück war, und in der Zeit wurde ich von meiner Familie mit Liebe regelrecht überschüttet. Meinen Eltern tat es schrecklich leid, dass sie vor der ganzen Sache so kühl zu mir gewesen sind. Sie bereuten es, dass sie mich damals mit Schweigen gestraft hatten, dass unsere letzten Tage ihretwegen so miserabel gewesen sind und sie beinahe nie die Chance bekommen hätten, sich zu entschuldigen. Meine Großmutter kochte jedes meiner Lieblingsgerichte, Dari wollte gar nicht mehr mein Zimmer verlassen und im Prinzip war jeder mehr als nur anhänglich, also jeder außer Cameron. Diesem machte die Sache wohl fast genauso sehr zu schaffen wie mir selbst. Ihn hatte meine ganze Entführung wohl an Malia erinnert, ihm gezeigt, wie schön alles hätte sein können, wäre sie auch nach ein paar Tagen wieder aufgetaucht. Er war bitter darüber, dass sie nie dieses Glück gehabt hatte und gern wollte ich ihm sagen, dass sie vermutlich am Leben war, es ihr gut ging, doch bevor ich keine handfesten Beweise hatte, wollte ich niemanden was darüber erzählen, gleichzeitig würde er mir kaum glauben.

Sein Hass gegen Kellin war zu groß, niemals würde er ein Wort glauben, das dieser erzählt.

Ich hatte Elin Stunden berichten müssen, was geschehen war. Die Arme hatte keine Ahnung von meiner Entführung gehabt, war ratlos gewesen, wieso ich mich Tage nicht bei ihr gemeldet hatte. Bei allem, was hier los gewesen ist, hatte keiner die Zeit finden können, sie zu informieren. Deswegen hatte ich ihr nun auch Rileys Nummer gegeben, damit sie ihn ab jetzt fragen könnte, falls ich in nächster Zeit mal wieder entführt werden sollte.

Wie erwartet war sie entsetzt von dem, was Reed getan hatte, verstand jedoch genauso wenig wie ich, was genau er versucht hatte zu bewirken oder wie man ihn hatte schnappen können.

Ich fragte mich vieles zu der Angelegenheit, doch außer Reed würde mir kaum jemand die Antworten liefern können, die ich mir zu meiner Entführung herbeisehnte.

Ich hatte Acyn gefragt, woher man gewusst hatte, dass Reed mit mir wieder auftauchen würde. Er meinte nur, es hätte einen anonymen Tipp gegeben. Da steckte eindeutig mehr dahinter, nur wie viel, würde ich wohl nicht erfahren. Fürs erste war es in Ordnung. Ich brauchte Ruhe und wäre ich nicht in einem aussichtslosen Deal mit Rowan gefangen, hätte ich diese Ruhe sogar eventuell kriegen können. Zwar hatte Reed mir versichert, fürs erste von Rowan verschont zu bleiben, nur für wie lange? Und was wäre dann? Reed war eingesperrt, er würde mir nicht mehr helfen können und ich wollte auch gar nicht auf seine Hilfe angewiesen sein. Zwar schien er mich mit dieser Entführung zum Großteil nur vor diesem Komitee bewahren zu wollen, doch war es der richtige Weg gewesen, sie alle umzubringen? Laut meiner Familie gab es nun nach dem Tod von diesen Leuten einiges aufzudecken. Genaueres verriet man mir nicht, nur, dass sie vielleicht alle nicht so rein und gut gewesen sind, wie man es immerzu angenommen hatte. Sollte ich deswegen dankbar sein? Sollte ich dankbar sein, dass Reed mich vor diesen Leuten beschützt hatte?

Was Reeds Gefangenschaft anging, da würden mir wiederum andere sicherlich Antworten geben können, die hilfreicher wären, doch ich wollte vorerst nicht ins Quartier, genoss es hier im Haus, in dem ich mich sicher fühlte. Sicher und geborgen und von Liebe überschüttet.

Ich wollte vor allem nicht dorthin müssen, weil Reed dort wäre, untergebracht in einer sicheren Zelle, aus die er nicht in die Zeit springen könnte, bis man ihn nach Griechenland bringen würde. Es war ein schauriger Gedanke, dass er dann für immer fort wäre, man ihn eventuell hinrichten würde, aber es sollte mir ja eigentlich gleich sein. Es war leichter gesagt als getan so zu denken, denn er hatte mich zurückgebracht, er hatte mir nichts angetan in der Vergangenheit und es war sicher naiv von mir dadurch weich zu werden, doch es hieß ja nicht, dass ich ihm traute oder gar befreien würde, ich war lediglich verwundert. Verwundert über seine Pläne, verwundert über Kellin, nur würden Reeds vielen Geheimnisse und Pläne wohl nun mit ihm untergehen und es war sicher besser so für alle. Egal was ich ihm auch bedeuten mochte, für viele andere war er immer noch eine Bedrohung.

Gerade im Moment hatte ich etwas Ruhe daheim. Keiner in meiner Familie versuchte mich mit Nähe zu erdrücken, ich war einfach allein in meinem Zimmer und konnte meine Gedanken etwas ordnen. Leider war das relativ unhilfreich. Ich wusste nach wie vor nicht, was ich nun wirklich tun sollte, wie es weitergehen würde für mich oder Reed oder Kellin. Würde dieser Reed helfen? Sie arbeiteten ja nun zusammen, oder war ihm sein Bruder nach wie vor egal? Es war so schwer einen von beiden einzuschätzen, Hayden war wohl der einzige Wentworth, den ich halbwegs verstehen konnte, von dem ich nicht glaubte, dass er eine komplett andere Persönlichkeit vor mir verborgen hielt.

Ich lag so nur in meinem Bett und sah die Decke über mir an, als mein Handy klingelte.

„Hayden?"

„Hey, Sonnenschein. Sam und ich stehen vor deiner Türe. Können wir rein oder würde deine Familie uns umbringen?"

„Die sind alle weg, ich komme und mache euch auf", sagte ich und legte auf.

Ich lief nach unten und tatsächlich standen die zwei vor der Haustüre, traten ein, kaum machte ich Platz.

„Hübscher Schlafanzug", neckte Sam mich, musterte mich in meinem Outfit, das aus einer rosafarbenen Leggins und einem passendem Top bestand. Ich sah furchtbar aus, aber mir war es gleich.

Ich ließ mich von ihnen in Umarmungen ziehen, die sich wohltuender anfühlen würden, wäre ich in letzter Zeit nicht halb zu Tode umarmt worden.

„Danke", sagte ich knapp und verdrehte die Augen, nachdem ich mich von ihm löste. „Was macht ihr hier?"

Die beiden zogen sich ihre Schuhe aus und folgten mir nach oben.

„Nach dir sehen natürlich. Wir haben es vorher versucht, aber dein Cousin der Idiot hat uns immer verscheucht. Wie geht es dir soweit?"

„Wie soll es mir gehen", sagte ich seufzend und setzte mich auf mein Bett, wo Hayden sich sofort neben mich fallenließ. Sam hingegen sah sich in dem Zimmer um, als erwartete er jeden Moment, ein böses Monster aus einer Ecke springen zu sehen. Klar doch, wenn man hier einmal Hades begegnet war.

„Ich verstehe das alles nicht", sagte Hayden. „Dass er dich entführt, hat mich schon irritiert, dass er dich dann so schnell einfach so wieder zurückbringt, ist noch seltsamer. Was spielt er? Was soll das? Er hat ein ganzes Massaker begangen und nun lässt er sich ohne Gegenwehr einsperren?"

„Wenn ich das nur wüsste. Er spricht in Rätseln, spricht immerzu so, als ob es gefährlich wäre irgendwas zu sagen. Ich verstehe nur nicht, wieso? Was könnte schon passieren? Was könnte das Komitee mir antun, dass er mich so dringend vor ihnen schützen will?"

„Er ist verrückt, braucht man da mehr zu sagen?", sagte Sam und setzte sich letztendlich zögernd auf den Sessel.

„Da muss noch mehr sein. Das alles ist zu eigenartig. Wieso arbeitet er plötzlich mit Kellin zusammen?"

„Er arbeitet mit Kellin zusammen?" Hayden wirkte überrascht und entsetzt zu gleichermaßen. Verständlich. Ich hatte bisher keinem gesagt, dass nicht nur Reed dort gewesen ist, sondern der älteste Wentworth-Bruder ebenso.

Wieso ich diese Information für mich behalten hatte, wusste ich nicht. Ich war zu Beginn einfach zu schockiert gewesen, um mich an alles genau zu erinnern und hatte Kellin aus meinen Gedanken ausgeblendet. Mittlerweile wusste ich nicht, ob diese Info den anderen helfen würde. Vermutlich schon. Ich müsste wohl bald doch ins Quartier. So oder so würde Warren gewiss noch mit mir reden wollen.

„Er war zumindest da. Sie haben sich gegenseitig geholfen. Ich glaube nicht, dass das schon lange geht, es hat auf mich nicht so gewirkt und sie haben beide auch nichts anderes behauptet, aber ich verstehe nicht, was sich geändert hat. Kellin hat diesbezüglich in ziemlichen Rätseln gesprochen." Rätsel, an die ich mich nicht wirklich erinnerte, so wirr war mein Kopf noch von der Spritze aus der Heilanstalt gewesen, während wir unser Gespräch geführt hatten. Manchmal fragte ich mich, ob es je ein Gespräch gegeben hatte oder ob ich einfach nur high gewesen bin.

„Und Malia?", fragte Sam nun nach und ich schüttelte den Kopf. „Keine Spur. Kellin meinte zwar auch weiterhin, ihr würde es gutgehen, aber ich habe keine Ahnung, wo genau sie ist."

„Das ist seltsam. Warren wird dich bald sprechen wollen, er wird alles wissen wollen", sagte Hayden. Damit hatte ich gerechnet, ich wusste, dass ich diesem Gespräch nicht entkommen könnte, auch wenn ich es gern würde. Ich hatte nicht die Kraft, alles so detailliert wiederzugeben.

„Ich weiß nicht, wie ehrlich ich sein soll", gestand ich und die beiden Jungs wirkten erstaunt.

„Wieso willst du lügen?", fragte Sam, zog die Stirn dabei kraus.

„Du hast nichts Falsches getan. Du musst aufhören, meinen Bruder in Schutz zu nehmen."

„Ich will nicht lügen... ich will vermutlich eher gewisse Details auslassen", erklärte ich mich genauer, aber manche Ereignisse waren schräg gewesen. Ich wollte sie nicht teilen müssen, bevor ich sie selbst nicht ganz begriffen hatte.

„Welche?", verlangten beide gleichzeitig zu wissen, waren sehr neugierig geworden, so interessiert sahen sie mich an.

Ich seufzte. „Es ist nur... ich habe das Gefühl, da steckt mehr hinter allem und... ich würde ungern Dinge verraten, die ich heimlich belauscht hatte."

„Was hast du denn belauscht?", fragte Hayden.

„Ein Gespräch zwischen Reed und Kellin, als sie glaubten, ich würde sie nicht hören. Kellin weiß viel über Reeds merkwürdige Beweggründe und Reed... er hat mit Kellin gesprochen, als ob es ihm wichtig wäre, was aus mir wird, was ich von ihm denke. Dass er das Komitee getötet hat, um mich zu schützen. Ich weiß um ehrlich zu sein nicht, wem man im Quartier überhaupt trauen kann. Es muss mehr Verräter geben als wir ahnen und ist es dann so gut, wenn diese alles wissen? Wissen, dass ich mehr weiß als ich es sollte? Dass ich anfange misstrauisch zu werden und nicht mehr alles gutheiße, was das Quartier tut und denkt?" Als ich das Gespräch zu Beginn belauscht hatte, wollte ich nicht daran glauben, dass es dabei um mich gegangen war. Mittlerweile war ich mir allerdings sehr sicher, dass ich gemeint war. Es verunsicherte mich dahingehend, was für Absichten sie alle haben, wer die wahren bösen sind, wie viel ich wem vertrauen kann. Immerhin vertraten im Quartier alle die Ansichten des Komitees, doch wenn diese schlecht für mich waren, was machte das dann aus allen anderen?

„Wieso sollte das Komitee schlecht sein?", fragte Sam skeptisch. „Ich meine klar sind das irgendwelche Anzugträger, die sich wie abgehobene Arschlöcher benehmen... benommen haben, aber wieso sollten sie ausgerechnet gegen dich was haben?"

Meine Familie hatte ja langsam auch Zweifel, wie gut dieses Komitee es mit mir gemeint hätte. Offenbar waren das noch keine weit verbreiteten Vermutungen, wenn die Jungs noch nichts davon ahnten.
„Wieso hatten die Märtyrer was gegen mich? Wieso Olivia? Wieso will Rowan meine Seele so dringend? Irgendwas an mir lockt all diese Verrückten an und ich verstehe nicht, was es ist."

„Und du denkst nicht, dass man dir da im Quartier besser helfen könnte?", fragte Hayden.

„Nein. Irgendwas verbirgt man dort auch nur vor mir. Eigentlich würde ich ja sagen, ich gehe der Sache nach und finde auf eigene Faust heraus, was los ist, aber ganz ehrlich... ich will einfach nur meine Ruhe. Wir haben Abschlussprüfungen und meine Neugier bringt mir auch nur Ärger. Meine Neugier hat mir bisher den meisten Ärger überhaupt eingebrockt. Ich habe genug. Ich will nicht sterben oder wieder entführt werden."
„Dann überlege dir gut, was du alles auspacken willst in deinem Gespräch mit Warren und was besser nicht. Denn er wird dich ausquetschen mit Fragen."



Einen Tag später war das Gespräch auch schon da. Wie zu erwarten, wurde ich so schnell wie möglich ins Quartier eingeladen, wohin meine älteren Brüder mich fuhren.

„Wo ist eigentlich Reed im Moment?", fragte ich zögernd, kaum stiegen wir aus. Es war frisch hier außen, aber mit der Sonne, die kräftig schien, war es ganz angenehm.

Wir hatten mittlerweile Ende April. Seltsam, wie schnell die Zeit auch verging. In so wenigen Monaten war so viel passiert. Es war merkwürdig.

„Wieso willst du das wissen?", fragte Riley und tauschte einen besorgten Blick mit Acyn.

„Ich will nur wissen, ob er noch hier ist oder schon in Griechenland." Die Vorstellung, er könnte in Griechenland sein, eingesperrt und das bis ans Ende aller Tage, es erschütterte mich. Ich wollte nicht, dass er leiden musste, ich wollte ihn nicht verlieren. Aber besser eingesperrt als tot.

„Er ist hier, in einer Zelle immer noch. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er fort ist und keiner von uns ihn hoffentlich jemals wieder sehen muss", sagte Acyn streng und ich nickte, lief ihnen nach ins Quartier hinein.

Vor Warrens Büro ließen sie mich allein, gingen los, um im Wachsaal irgendwas zu bereden, so dass ich meinen Mut sammelte, tief durchatmete und anklopfte, wo ich auch schon hereingebeten wurde.

„Alice, wie wundervoll dich zu sehen. Wie geht es dir? Setz dich doch bitte, setz dich." Warren schloss für mich die Türe und ich setzte mich vor seinen Schreibtisch hin, während er sich auf die andere Seite setzte.

Irgendwie war ich nur in diesem Büro, wenn es um Reed ging. Ich war nur hier, wenn es um schlechte Dinge ging.

Ich hasste dieses Büro.

Bevor ich was sagen konnte, klopfte es erneut und Mr Spencer trat ein. Dass ich mal erleichtert wäre den grimmigen Mann zu sehen, hätte ich vor einigen Wochen niemals gedacht, aber seit er mein Mentor war, hatte sich etwas verändert. Er war mir irgendwie ans Herz gewachsen und es erschien mir, als ob er mich auch deutlich mehr mögen würde, auch wenn ich bisher keinen guten Job als Schülern erledigt hatte und nur genauso verschwunden war wie Malia zuvor. Immerhin war ich wieder aufgetaucht.

„Theodor, herein herein", sagte Warren und Mr Spencer stellte sich zu mir, wo er eine Hand auf meine Schulter legte und ich mich gleich etwas entspannter fühlte.

Wie erwartet, wurde ich detailliert zu der Geschichte meiner Entführung ausgefragt. Von dem Moment an, wo wir zusammen verschwanden, bis hin zu meiner Rückkehr. Ich kam mir ein wenig wie eine Verbrecherin vor, die verhört wurde. Zwar versicherte Warren mir, dass ich es nicht war, ich das Opfer der Geschichte war, aber ich kam mir dennoch schäbig vor. Zum einen, weil ich so schlecht über Reed sprechen musste und zum anderen auch, weil ich manche Dinge für mich behielt. Ich wusste einfach nicht, was für einen Unterschied das alles noch machte. Sie hatten Reed, war der Rest nicht egal? Sie verbargen Sachen vor mir und ich verbarg Sachen vor ihnen. Würden wir alle ehrlich zueinander sein, würde man sich viel Drama ersparen. Aber vielleicht wollten manche Leute ja eben nicht, dass alles friedlich verlief?

Es waren ja auch nur Kleinigkeiten, die ich für mich behielt. Ich erwähnte meinen Aufenthalt in der Heilanstalt nicht, es war in meinen Augen irrelevant und würde sicher nur für Entsetzen sorgen. Ebenso ließ ich viel von den Gesprächen aus, die ich geführt hatte. Ich sagte nur das Nötigste. Ich befürchtete anderenfalls, man würde nur annehmen, ich wäre wieder auf Reed hereingefallen. Es war irgendwie die Wahrheit. Ich war schwach geworden, ich vertraute ihm mehr als es richtig war, aber es war bedeutungslos. Er war eingesperrt. Das alles war für mich vorbei und ich würde nichts mehr sagen wollen. Ich würde Reed nicht noch tiefer in die Scheiße geraten lassen und niemanden sonst mit Informationen versorgen.

„Ich bin erleichtert zu sehen, dass es dir gut geht", sagte Mr Spencer, mit dem ich nach dem Gespräch draußen durch die Gärten des Quartiers lief. Mit der Sonne war es eigentlich das perfekte Wetter für einen Spaziergang und ich war sowieso froh über die Natur um mich herum. Sie stärkte mich.

„Ich auch. Das alles muss für euch hier sicher auch schwierig gewesen sein." Ich wollte mir nicht ausmalen, wie entsetzlich das gewesen sein musste mitanzusehen, wie ich entführt wurde. Meine Familie hatte sehr gelitten, aber ich wusste, dass Mr Spencer das sicherlich nur an Malia denken ließ und wie diese vor mir in diesem Saal einst verschwand.

„Ich habe mir die Schuld gegeben", sagte er ziemlich ehrlich, so dass ich stehenblieb, ihn verwundert ansah.

„Wieso? Inwiefern könnten Sie auch nur irgendwie Schuld haben?"

„Ich glaube langsam verflucht zu sein. Ich dachte dich verdammt zu haben, in dem ich dein Mentor wurde." Er lächelte bitter und tat mir augenblicklich leid. Der Fluch der Zeitlinie. Man lebte so lange, verlor so viele Menschen. Irgendwann war man sicher tatsächlich verdammt so zu sein wie er. Ich verstand, wieso er niemanden an sich heranlassen wollte. Irgendwann war jeder fort und man lebte weiter.

„Ich habe eher Sie verdammt. Ich bin ein Drama-Magnet, falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten." Ich lächelte ihn an und er lachte kurz auf.

Wir liefen weiter.

„Du bist schlimm, da gebe ich dir recht. Aber ich habe in meinem Leben viele deiner Art kennen gelernt, sie alle sind zu früh gestorben. Ich sorge mich um dich, Alice."

Das klang ja erfreulich.

„Kellin meinte, Malia würde leben", sagte ich behutsam. Ich wusste nicht, wie ratsam es wäre ihm falsche Hoffnungen zu machen. Ich hatte immerhin keinerlei Beweise dafür. Am Ende lügt er nur und ich würde allen anderen Schmerzen zufügen.

„Wenn es wahr wäre, wo ist sie dann? Keiner hat sie je wiedergesehen, seit sie verschwand. Ihn ja, sie nicht. Ich weiß nicht, woran ich glauben soll. Ich bin zu alt, um mich an so kleine Fetzen Hoffnung zu klammern. Ich habe genug gelitten in meinem langen Leben, genug verloren. Freunde, Familie, Schüler... aber egal wie schlimm es auch ist, irgendwann werde ich sie alle wiedersehen."

„Sie glauben an ein Leben nach dem Tod?"

„Ich habe gesehen, wie Tote wiederauferstanden sind, ich bin Göttern begegnet, ich habe die Feenkriege miterlebt und Dinge gesehen, die zu schaurig waren, um sie jemals ganz begreifen zu können. Wenn all das sein kann, wieso dann nicht auch ein zweites Leben?"

„Wow", hauchte ich von seiner Erzählung. Er hatte Götter gesehen, er hatte so vieles gesehen. Manchmal fragte ich mich, wie es sein musste, wenn man so alt war und so viel sehen durfte. War es ein Fluch oder ein Segen?

„Ich habe sicher tausende Fragen, auch wenn ich keine stellen werde. Für mehr Informationen hat mein Kopf allmählich keinen Platz mehr."

Er musste lachen. „Es wird irgendwann leichter. Wie soll es mit dir von nun an weitergehen? Was sind deine Pläne für die Zukunft?"

„Wenn ich das wüsste. Ich muss die Schule beenden und dann... dann wohl irgendwas anderes machen", antwortete ich.

Ich hatte es vermieden, zu sehr an die Pläne nach der Schule zu denken. Als ich hergezogen bin, hatte ich nur zurück in meine alte Heimat gewollt, mittlerweile wusste ich nicht mehr, ob ich einfach so von hier wegkönnte. Vielleicht wäre es besser. Vielleicht sollte ich einfach Abstand zu den Wächtern halten und ihnen fernbleiben.

„Du könntest jederzeit eine Ausbildung im Quartier anfangen, deine Fähigkeiten weiter trainieren."

„Oder ich gehe und lasse die ganze Sache mit den Wächtern ruhen", merkte ich an und er schüttelte leicht den Kopf.

„Dieser Sache wirst du nicht einfach entfliehen können. Genügend vor dir haben es versucht. Diese Welt wird dich wieder zurückziehen, es liegt dir im Blut und jemand wie du sollte sowieso nicht allein durch die Welt irren. Kellin ist immer noch frei und an dir ist vieles besonders, vieles, das du weiter lernen solltest."

„Sie meinen das Feuer?" Meine zweite Kraft, die ich nicht verstand und von der kaum jemand bisher wusste. Ich war erstaunt, dass Mr Spencer es niemandem im Quartier bisher erzählt hatte, abgesehen von Warren mittlerweile, der es auch nur für sich behielt. Dass daraus so ein Geheimnis gemacht wurde, gefiel mir nicht. Einerseits ja, weil es nicht jeder wissen musste, nur wieso sahen Warren und Mr Spencer es genauso?

„Feuer ist gefährlich, sehr gefährlich sogar. Das ist eine Kraft, die eine ganz andere Übung bedarf als die Erde."

„Grace konnte das Feuer beherrschen. Wie hat sie es denn erlernt?"

„Es war nicht leicht. Sie hat es hauptsächlich durch Reed geschafft", sagte er bedauernd und ich lächelte bitter.

Reed. Natürlich. Das hätte mir klar sein können. Der allwissende Reed.

„Wie soll ich es dann je ohne ihn schaffen? Wie soll ich irgendwas ohne ihn schaffen?", fragte ich trübe. Ich glaubte nicht, dass ich ein Leben ohne ihn ertragen würde. Wie sollte ich weitermachen, wenn er fort wäre und das auf ewig?

„Du bist mehr als dein Bindungspartner", sagte Mr Spencer zuversichtlich. „Er kann dir helfen, aber deine Kraft gehört dir. Du brauchst niemanden außer dich selbst für sie. Ich habe gesehen, wie du Dinge kreieren gelassen hast, ohne dass Reed Wentworth auch nur in deiner Nähe gewesen ist." Er sprach Reeds Namen aus, als ob es ein Schimpfwort wäre und ich zuckte leicht zusammen von der Kälte seiner Stimme.

„Du wirst es schaffen und ich werde dir helfen", versprach er mir und ich wollte daran festhalten. Ich musste.

Wörter: 3448

Aloha :) Leider kein Reed, ich hoffe ihr könnt es ertragen. Was mich mal interessieren würde: Was denkt ihr, wer in dieser Geschichte eigentlich ein falsches Spiel spielt? Wem kann man eurer Meinung nach nicht trauen? Montag geht es weiter xx

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