4. Reeds Sicht Teil 1
"She wasn't mine to take. I was taking her anyway." - Ana Huang
Reed
Ich sollte sie nicht beim Schlafen beobachten. Ich sollte ihr gar nicht nahe sein, ich hatte keinerlei Recht mehr dazu. Nur leider war es beinahe unmöglich mich von ihr fernzuhalten. Ich suchte ihr Zimmer mit der Ausrede auf, nachzusehen, ob sie noch da war, um mich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. In Wirklichkeit spürte ich, dass sie da war und wusste, dass es ihr ganz und gar nicht gut ging.
Wie könnte es das?
Nein, ich suchte sie nur auf, damit ich sie sehe. Vor allem in Momenten wie diesen, wo sie schlief und sorgenfrei wirkte. Dann sah sie mich nicht verachtend an, dann konnte ich sie mit meinen Taten nicht verletzen. Ich suchte sie aus meinen ganz egoistischen Gründen auf. Was eine erbärmliche Person ich nur war.
Verzweifelt vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen, während ich auf meinem Stuhl neben Alices Bett saß. Ich hatte ja gewusst, dass diese Entführung meine Beziehung zu ihr nicht verbessern würde, gleichzeitig hatte ich jedoch gehofft, es ihr hier erklären zu können, stattdessen wurde alles nur immer schlimmer und schlimmer.
Sie war in einer verfluchten Heilanstalt gelandet. Ich ließ sie praktisch durch die Hölle gehen. Wenn ich könnte, würde ich mich von ihr fernhalten. Dann würde ich sie in Ruhe lassen. Sie verdiente so viel Besseres als mich, nur leider konnte ich sie nicht in Ruhe lassen. Nicht nur wegen unserer Bindung, sondern weil sie sterben würde, wenn ich sie jetzt im Stich lasse. Rechtfertigte das Ziel alle Mittel? Ich konnte nur hoffen, dass sie das am Ende so sehen würde, aber manche Taten waren zu grausam, als dass man sie einem je verzeihen könnte.
„Wolltest du nicht gehen?"
Mit einem spöttischen Grinsen trat mein Bruder ins Zimmer, wo er sich an die Wand neben mich lehnte.
„Wo warst du? Ich kann nicht gehen, wenn du fort bist und das weißt du genau."
„Ich bin ja jetzt da und du solltest dich beeilen. Ich habe später noch eine Verabredung, die ich nicht verpassen werde, weil ich Babysitter für deine Freundin spielen muss."
Ich verdrehte die Augen von seinen Worten. „Ich bin so schnell wie es geht. Malia wird auch kurz ohne dich klarkommen."
„Sie will nur unbedingt bei unseren schrecklichen Nachbarn essen. Ich verstehe nicht, wie sie es schafft, sich so schnell mit denen anzufreunden, wir sind keine drei Monate in dieser Zeit bisher."
„Nicht jeder ist eine so fürchterliche Gesellschaft wie du", merkte ich spöttisch an und erhob mich, wo ich nur wieder zu Alice sah. Friedlich schlief sie gut eingekuschelt unter der Decke. Sie war immer noch ganz geschwächt von was auch immer man ihr in dieser Heilanstalt gegeben hatte. Genau dort würde ich nun hingehen. Ich hatte nicht gedacht, dass Alice mir so unbewusst bei meinen Plänen verhelfen würde, doch sie hatte nur mal wieder bewiesen, was für eine enorm starke Anziehungskraft sie für manche Dinge besaß. In diesem Fall wäre es ausnahmsweise gut. Sie würde vermutlich nie verstehen, wie sehr sie mir mit diesem unbeabsichtigten Aufenthalt geholfen hat, dann wäre sie nicht dort gelandet, dann hätte ich nie herausgefunden, dass sich dort jemand versteckt, von dem ich nicht gedacht hätte jemals zu finden.
„Ich passe schon auf sie auf", versicherte Kellin mir, der meinen Blick bemerkte.
„Ich weiß."
Egal wie viele Probleme er und ich auch haben mochten, ich wusste, dass er auf sie aufpassen würde. Ich wusste, sie würde sicher bei ihm sein.
Zurück im Bethlem Royal Hospital wurde mir sofort weitergeholfen. Das Personal fürchtete mich. Nicht nur wegen des Geldes, das ich hier um mich warf, um zu bekommen, was ich wollte. Nein, meine Ausstrahlung war es, die ihnen Angst machte. Die Arbeiter hier kannten sich bestens mit kaputten Seelen und dunklen Auren aus. Dass ich nicht normal war, dass an mir etwas Dunkles haftete, sie konnten es spüren. So wie sie mich ansahen, mich musterten, war es eindeutig. Sie wussten, dass irgendwas an mir nicht normal war, nur wussten sie nicht, was genau mir denn fehlte.
Mir war es jedoch gleich. Nach dem heutigen Tag würde ich nicht erneut hierherkommen. Ich war nur hier, weil ich erneut jemanden aus dieser Klinik holen müsste.
„Und es soll sicher keiner dabei sein? Sie ist unberechenbar, auch wenn sie harmlos und zierlich aussehen mag. Manchmal darf man die Kraft der Patienten nicht unterschätzen", sagte die Pflegerin beunruhigt, als sie die Türe vor mir aufsperrte.
„Ich werden schon klarkommen", versicherte ich ihr kühl. Am liebsten wollte ich das ganze Gebäude dafür niederbrennen, dass sie Alice hier eingesperrt hatten, aber es würde zu viel an der Zukunft verpfuschen und die Patientin hier konnten nun wirklich nichts dafür.
Ich ging in das kleine Zimmer und schloss die Türe hinter mir, ehe ich zu der einzigen Person im Raum sah. Eine junge Frau, die auf ihrem Bett saß und mich mit großen Augen ansah.
„Ich weiß, wer du bist", hauchte sie leise und ich lächelte.
„Gut, das erspart uns viel Zeit, findest du nicht?"
„Bist du hier, um mich zu töten?"
Amüsiert schnalzte ich mit der Zunge und näherte mich ihr langsam, was sie genaustens beobachtete, sich mit jedem Schritt mehr und mehr anspannte.
„Ich bin hier, um dich an ihn zu übergeben."
Hektisch schüttelte sie den Kopf. „Dann bring mich gleich um! Er wird mich zerstören, er wird mich in Stücke zerreißen und..."
„Wenn du ihm gibst, was er will, wird dir nichts geschehen."
„Das kannst du nicht wissen! Wir sprechen von einem Monster", zischte die Frau angewidert.
„Das ist dein Problem. Man legt sich nicht mit dem Herrscher der Unterwelt an, wenn man nicht bereit ist, mit den Konsequenzen zu leben."
„Mein Herrscher ist er nicht", schnaubte sie. „Er hat sich den Thron ergaunert. Er ist nichts als ein mörderischer Verrückter. Er ist ein Dieb!"
„Was auch immer du meinst, Kalma"
„Mein Name ist Andrea!"
„Was auch immer. Mir ist es gleich, wie du dich mittlerweile nennst, du bist, wer du bist und selbst wenn du dich versteckst, wirst du deiner Bestimmung niemals entkommen können."
Sie sah mich mit Tränen in den Augen an, die mich nicht bewegen konnten. Ich hatte genug Leute verdammt, genug Leben ruiniert. Sie könnte vielleicht das Mitleid anderer ergattern, doch ich wusste, wer sie war und eigentlich tat ich ihr einen Gefallen, in dem ich sie aus dieser Irrenanstalt befreite. Die Pillen hier ließen sie zu oft vergessen, wer sie war. Die lange Zeit als Gefangene in dieser Welt, auf der Flucht vor Hades hatten sie mehr gequält als irgendwas sonst. Würde ich sie mitnehmen und an Hades überreichen, dann würde diese nie endende Jagd ein Ende finden. Er wollte sie, ich würde sie ihm geben und dafür würde er mir helfen und Hades' Hilfe war es, die ich bräuchte, wenn ich das alles hier schaffen wollte, wenn meine Pläne nicht weiter scheitern sollten.
„Ich weiß genau, wer du bist. Der Dunkle Reiter, der Boote des Todes. Der Wächter, der seine Seele verkauft hat. Ich habe gesehen, wie du gestern das Mädchen mitgenommen hast. Was hast du mit ihr vor? Verkaufst du sie auch an Hades?" Ernst sah sie mich an, ehe sie den Kopf schüttelte. „Nein... du warst zu fürsorglich. Sie ist dir wichtig. Du willst sie beschützen, aber das wirst du nicht schaffen. Sie wird dunkle, dunkle Mächte anlocken. Wenn du schlau wärst, würdest du sie hierlassen. Hier ist sie sicher."
„Meine Pläne und Alice haben dich nicht zu interessieren, also hop. Pack ein was auch immer du hast... viel wird es kaum sein und viel wirst du kaum brauchen."
„Ich habe in das Innere des Mädchens gesehen so wie ich dein Inneres sehe", sagte sie giftig. „Weiß Hades denn von ihr? Verfrachtest du mich deswegen an ihn wie eine Sklavin? Um sie zu retten?"
„Ich sagte, es hat dich nicht zu interessieren und nun los!"
Trotzig erhob sie sich, richtete sich ihr fürchterliches Nachtkleid und sah mich feindselig an. Dass sie in der Lage war, zu sehen, wer Alice war, zu sehen, wer ich war, war problematisch nur hatte ich damit gerechnet. Leute wie sie konnten durch den Schein von uns hindurchblicken. Ich konnte es mit meiner Macht genauso. Ich hatte sie gesehen, als ich Alice abgeholt hatte und hatte sofort die Dunkelheit in ihr erkannt. Die Dunkelheit, die nur jemand aus der Unterwelt mit sich trug, die Dunkelheit, die zu gefährlich wäre, hier auf der Erde wandeln zu lassen. Die Anwärter des Thrones der Unterwelt sollten ihre kleinen Gefechte allein klären und wenn Kalma oder Andrea oder wie auch immer sie sich nun nennen mag dabei von Hades vernichtet werden sollte, wäre es bedauerlich, jedoch ihr Problem.
„Egal was für einen Pakt du auch mit ihm haben magst, du solltest dich in Acht nehmen. Dieses Mädchen könnte der Schlüssel für seinen Sieg sein... oder seinen Untergang." Sie lachte laut und hysterisch auf, kriegte sich kaum mehr ein, so erheiternd schien sie die Aussicht auf Hades' Untergang zu finden.
Wir würden ja sehen, wie viel sie bald noch zu Lachen haben würde. Ich würde ihr ja gern die Zeit dafür geben, doch meine Geduld erreichte eine Grenze. Ich wollte das hier erledigt wissen, denn alles in mir schrie danach, so schnell es ging zurück zu Alice zu gehen und vorher würde ich noch einen Abstecher in die Gegenwart machen. Wenn ich Alice dorthin zurückbringen wollte, dann würde ich noch ein paar Dinge vorher klären müssen.
Wenn sie zurückgeht, dann nur, wenn ihr vorerst keine Gefahr droht und dafür müsste ich Rowan ablenken.
Wörter: 1559
Aloha :) Ein sehr kurzes Kapitel aus Reeds Sicht. Die Reed Kapitel ersetzen ein bisschen die Tagebuchkapitel, die es in den anderen Büchern gegeben hatte und die es in dem Teil mal nicht mehr geben wird. Ich hoffe es hat euch gefallen. Mittwoch geht es weiter xx
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