22. Gefährliches Spiel

"Your memory feels like home to me. So whenever my mind wanders, it always finds it's way back to you." ― Ranata Suzuki

Ich bekam keine Freiheit mehr. Als ich zum Morgengrauen aufwachte, wurde ich nur gleich wieder ruhiggestellt. Rowan gab mir keine Zeit, mich zu erholen. Er hielt mich schwach, um mich zu zerbrechen. Er wollte mr zeigen, wie hilflos ich war, wie mächtig er hingegen sein konnte und wie er mich behandeln konnte, wie es ihm beliebte.

Ich verlor ein bisschen mein Zeitgefühl. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, die zwischen den Momenten verging, in denen ich es schaffte, die Augen zu öffnen, aber ich wusste, dass es insgesamt höchstens paar Tage gewesen sein konnten.

So ging das mehrere Male. Ich wachte auf, bekam eine Spritze in meinen Arm gedrückt und schlief wieder ein. Es war die reinste Folter nie ganz aufzuwachen, so verwirrt zu sein, so verloren in der Dunkelheit. Es war so also weniger verwunderlich, dass ich fast vor Erleichterung geweint hätte – würde ich es noch können – als ich irgendwann aufwachte und wach bleiben durfte. Außer mir war keiner im Zimmer, der mich gleich ruhigstellen könnte. Ich durfte wach bleiben, wo ich allerdings erst einmal einige Momente brauchte, um mich damit anzufreunden, wieder wach zu sein. Es dauerte, bis mein Kopf halbwegs klar denken konnte, bis ich es schaffte, meine Finger und Zehen zum Bewegen zu bringen. Irgendwer hatte mir ein schwarzes Nachtleid angezogen, das in meinen Augen zu durchsichtig und kurz war. Die Vorstellung, Rowan könnte die Person gewesen sein, die mir das angezogen hatte, widerte mich einfach nur an. Was er sonst wohl mit mir angestellt hatte, als ich bewusstlos war? Wollte ich es überhaupt wissen?

Es kostete mich sämtlich Kraft ins Bad zu gelangen. Ich musste krabbeln, so sehr zitterten meine Beine. Wie viel Zeit wohl schon vergangen war? Die Verletzungen an meinem Körper wirkten minimal abgeheilt also konnte seit der Explosion sicher keine Woche vergangen sein, aber wirklich einschätzen konnte ich es nicht. Ich schaffte es nicht einmal mir wirklich Gedanken darüber zu machen. Ich musste versuchen, diesem Beruhigungsmittel zu entkommen. Wenn ich weiterhin ständig betäubt wurde, würde ich niemals etwas erreichen. Mein Kopf war wie Pudding, mein Körper zu nichts zu gebrauchen und es gab kein Entkommen. Wie sollte ich in diesem Haus nach etwas suchen, das mir hilft? Vor allem, wenn dieses etwas bei Rowan war? Nein, ich müsste versuchen, ihm nahezukommen. Ich müsste versuchen, zu kooperieren. Sicher wäre es zwecklos, aber irgendwas musste ich machen! Würde er mich nur weiterhin betäuben, würde ich niemals irgendwas schaffen. Ich musste ihn von mir überzeugen, ich musste ihn überzeugen, dass ich harmlos war, gefügig und wach viel amüsanter wäre als im schlafenden Zustand.

Im Bad setzte ich mich entkräftet unter die Dusche und versuchte mir gleichzeitig die Zähne zu putzen. Mein Mund fühlte sich wie Staub an. Ich muss seit einer Ewigkeit nichts gegessen haben, so sehr schmerzte mein Magen, und dass ich noch nicht dehydriert war, glich einem Wunder. So trank ich sicher zwei Liter aus dem Wasserhahn und hätte mich beinahe nur wieder übergeben, so sehr stresste ich meinen Magen mit all der plötzlichen Flüssigkeit.

„Du solltest es langsam angehen, wenn du nicht brechen willst."

Verschreckt sah ich zu dem fremden Mann, der an der Türe gelehnt stand und mich musterte, wie ich mich zitternd am Waschbecken klammerte und versuchte zu trinken, ohne dabei umzukippen.

„Bist du hier, um mich zu betäuben?", fragte ich verängstigt und er lächelte schwach, beinahe traurig.

„Nein, das würde ich dir nie antun", versicherte er mir aufrichtig, so dass ich die Stirn krauszog, ihn irritiert musterte.

„Du bist der Mann aus dem Wald", stellte ich fest. Langsam fing ich an ihn zu erkennen: das freche Grinsen, die dunklen Haare, die seltsame Kleidung, die aussah, als wäre sie mehr Schuluniform und weniger ein Anzug. Ich hatte ihn bei meiner Flucht aus dem Haus gesehen, da hatte er auf einem Ast gesessen, ehe er einfach verschwunden war. Natürlich würde ich ihn hier sehen. Er arbeitet ja für Rowan.

„Du erinnerst dich." Er strahlte mich an, als ob ich ihm keinen größeren Gefallen erweisen könnte.

„Du arbeitest für Rowan... und doch sprichst du, als ob du ihm keineswegs helfen würdest. Das ist absurd."

„Du hast um Hilfe gerufen, deswegen bin ich hier", sagte er, als ob alles andere idiotisch wäre. Seine Worte ergaben absolut keinen Sinn.

„Und wirst du mir helfen?"

„Ich wünschte ich könnte", seufzte er bedauernd und es wirkte sogar ziemlich aufrichtig dabei. „Leider bin ich dazu nicht mehr in der Lage, aber ich bin hier, um dir Mut zu machen. Du bist stark, viel stärker als du es glaubst und du wirst das hier schaffen und die anderen werden kommen und dich retten, aber solange musst du kämpfen. Du darfst nicht aufgeben, du darfst ihn nicht gewinnen lassen!"
„Das kannst du kaum wissen."
„Ich weiß es aber." Er grinste. „Kämpf einfach nur etwas länger weiter, Kleine."

Ich schnaubte, drehte das Wasser zu und wollte ihm am liebste sagen, dass es nicht gerade leicht war, doch als ich wieder zu ihm sah, war er bereits fort. Er liebte es wohl ganz mysteriös zu verschwinden, aber na gut. Es war für ihn sicher riskant mit mir hier zu reden.

Seltsamer Kerl.


Als ich mich frisch hergerichtet und völlig erschöpft von diesem kleinen Trip ins Bad zurück auf mein Bett fallenließ, kam der Teufel persönlich eingetreten. Ale Ruhe war gleich dahin. Mehr Zeit zum auskurieren würde es offenbar nicht mehr geben.

„Wie schön dich mal wach zu sehen. Es ist fast etwas langweilig geworden, wenn ich dich nicht mehr schreien hören konnte."

Am liebsten wollte ich finster schauen und ihn beleidigen aber da ich kurz andere Pläne hatte, müsste ich anders vorangehen.

„Es tut mir leid", sagte ich bedauernd. „Ich wollte dich nie so verärgern." Beinahe ergeben sah ich hinab, hoffte, meine untergebene Haltung würde ihn neugierig machen.

„Na sieh an wer anfängt zahm zu werden. Kann man einer Feuerbändigerin so schnell das Feuer rauben?"

„Ich will nur nicht wieder so betäubt werden", sagte ich flehend, erhob mich vom Bett und fiel gleich hin, was ich nutzte, um bettelnd vor ihm sitzen zu bleiben. „Ich tue alles, aber bitte betäube mich nicht wieder, bitte, bitte, bitte." Es war erbärmlich. Ich hasste es so betteln zu müssen, aber wenn ich mich weiterhin wehre, würde ich nie etwas erreichen.

Überrascht ließ ich mir von Rowan aufhelfen, der mich zurück aufs Bett drückte und sich auf diesem zu mir setzte. Ich sah ihm an, dass meine Tränen und mein Flehen ihn irritierten. Er hatte mit mehr Widerstand gerechnet.

Vergaß er wohl kurz, wer ich war? Würde ich mehr über Malia wissen, würde ich eher versuchen können sie zu kopieren, um Rowan zu manipulieren, leider hatte ich keine Ahnung von ihrer Art und Haltung, doch offenbar hatte sie eine Vergangenheit mit Rowan gehabt und da Malia als zerbrechlich beschrieben wurde, versuchte ich das nachzuahmen. Weinend warf ich mich praktisch in Rowans Arme und versuchte den Ekel in mir herunterzuschlucken.

„Ich will nicht betäubt werden. Ich weiß jetzt, dass du mir einen Gefallen erweist. Du nimmst mir den Schmerz, das ist ok."

Für einen kurzen Moment rührte er sich nicht, ehe er mich plötzlich von sich drückte, auf die Matratze zurück, wo er eine Hand an meiner Kehle hatte, diese gefährlich zudrückte. Nicht genug, dass ich ersticke, aber genügend, dass es unangenehm war.

„Was für ein Spiel spielst du mit mir?", fragte er scharf, bedrohlich.

„Gar keins. Was würde es mir schon bringen? Ich gehöre dir."

„Ahja? Und ich soll dir glauben, dass du plötzlich ganz artig geworden bist?" Er löste seine Hand von mir und ich vergoss ein paar Tränen, um das alles überzeugender wirken zu lassen.

„Solange du mich nicht betäubst, mache ich alles, was du willst."

Misstrauisch sah er mich an, ehe er meine Oberschenkel berührte und gefährlich mit seinen Händen diese hinaufstrich.

Oh fuck.

Was hatte dieser Perverse bitte vor?

„Alles?", fragte er, wollte mich eindeutig testen.

Das war ein Test.

Rowan würde mir niemals an die Wäsche gehen... zumindest hoffte ich das. Würde er mich zu sehr mit Malia verwechseln, wäre wohl alles möglich. Es war egal, ich müsste kurz mitmachen.

Ich musste so tun als ob. Ich musste sein Spiel kurz mitspielen.

Es war nur so schwer.

Wie ein Kaninchen vor den Fängen eines gefährlichen Raubtiers sah ich ihn einfach nur ganz erschrocken an und er lächelte gefährlich.

„Reed würde es sicher verstehen", versicherte er mir und ich wusste, dass ich handeln musste. Ich würde mich sicher nicht von ihm auf so eine Weise anfassen lassen, aber kurz könnte ich es mir zu Nutzen machen. Ich musste es wenigstens versuchen und dann beten, dass er von mir ablässt.

Ich schlang meine Arme um ihn, überraschte ihn mit meinem Handeln. Er nahm es wohl als Einladung wahr, weiterzumachen, da er seine Hände weiter über meine Beine streicheln ließ und zu meinem großen Ekel auch noch anfing, meinen Hals zu küssen. Nein, Küssen wäre schön ausgedrückt. Er biss mir regerecht in den Hals, als ob er versuchen würde, mich aufzuessen, so dass ich verschreckt aufkeuchte und beinahe vor Schock vergessen hätte, wieso ich das hier eigentlich tat.

Er nährte sich tatsächlich von mir.

Ich spürte regelrecht, wie mein Körper nur noch schwächer wurde, während er von meinen Gefühlen kostete. Ich durfte mich davon nicht ablenken lassen!

Ich tastete ihn ab, ich tastete seinen Körper nach irgendwas ab, das mir helfen könnte. Das, was ich suchte, trug er laut dem geheimen Zettel angeblich immer bei sich. Es musste also irgendwo sein.

Ich spürte seine Rückenmuskeln, ein Handy, eine verdammte Waffe, die ich zu gern genommen hätte, um ihm ein verdammtes Loch in den Kopf zu pusten. Leider konnte ich es nicht und leider realisierte er schnell, was ich im Schilde führte.

Ganz abrupt ließ er von mir ab, packte meine Hände und drückte sie schmerzhaft über meinem Kopf zusammen, wobei ich sie mir am Bettkopf alles andere als sanft anstieß.

„Ich weiß nicht, was du planst, kleine Noir, aber du solltest es dir aus dem Kopf schlagen", sagte er warnend. „Aber da ich dir die Chance gebe, dich noch einmal umzuentscheiden, solltest du jetzt weise wählen. Noch eine Chance wirst du nicht kriegen."

Panisch sah ich ihn an, als er mir wieder diese verfluchte bunte Pille vor die Nase hielt. Ich wusste, was das bedeutet. Entweder spiele ich das Spiel weiter und nehme das Zeug und erlebe einen himmlischen sorglosen Trip, oder ich weigere mich, verstimme ihn und werde wieder betäubt, wo ich für Tage bewegungslos in diesem Zimmer liegen werde, gefangen sein werde.

Frische Tränen kullerten über mein Gesicht, als ich den Mund öffnete, die Pille freiwillig schluckte und Rowan glücklich lächelte.

„Braves Mädchen", sagte er und streichelte mir die Tränen weg, während ich glaubte, völlig frei zu werden.

War das hier besser als die Betäubung? Es fühlte sich zumindest besser an aber viel bringen tat es mir nichts. Wie lange würde dieses Martyrium anhalten und wie sollte ich die kurzen Zeiten zwischen den Drogen nutzen, um irgendwas aus Rowan zu bekommen?

Meine Augen fielen mir zu, als er sich das von mir nahm, was er wollte. Meine Welt drehte sich und ich war froh, dass als der Schmerz kam, ich mein Bewusstsein verlor.



So ging das einige Zeit. Ich wachte auf, Rowan kam, gab mir einer diese Pillen und ich schlief wieder ein. Es war weniger fürchterlich auf diese Weise als mit der Spritze, nur gab ich mich dem weichen, dumpfen Gefühl der Drogen zu schnell hin.

Wenn ich aufwachte, war ich so leer, dann schmerzte alles, dann wollte ich nur, dass es aufhörte. Es war Folter. Es war die reinste Folter und es erschien mir, als ob es kein Ende nehmen würde. Ich aß nicht, ich trank nicht, ich glaubte kaum richtig zu leben. Wie ich nicht tot sein konnte, verstand ich nicht.

Das einzig halbwegs positive an der ganzen Geschichte war wohl, dass ich durch meine Kooperation und meinen sowieso mehr als geschwächten Zustand Rowans Vertrauen gewann. Leider hatte mein sehr unüberlegter Plan darin eine Schwachstelle. Ich war nicht länger in der Lage, irgendwas zu bewirken, ihn nach irgendwas auszufragen, ihn nach irgendwas abzusuchen. Ich war mehr ein Zombie als Mensch. Ich war einfach nur armselig, denn Rowan hatte mich so verdammt schnell kleinkriegen können, es war erbärmlich.

Als ich zum Abend hin meine Augen öffnete und glaubte, nur gleich wieder ruhiggestellt zu werden, von Rowan weiter erniedrigt und entkräftet zu werden, war ich irritiert, als das eben nicht geschah. Für ein paar Minuten lag ich in meinem Bett, konnte mich von den vielen Pillen und all der Kraft, die man mir geraubt hatte, nicht bewegen.

Den Grund für sein Fehlen erkannte ich, als ich realisierte, dass im Haus Trubel herrschte. Schüsse waren von unten zu hören, ich hörte Leute schreien, hörte, wie jemand durch den Flur rannte.

Was war los?

Ich wurde nervös. Mich nicht bewegen zu können war gerade mehr als nur unpraktisch. Hier war eine Gefahr und ich wusste nicht, was für eine. War das eine Gefahr für Rowan? Würde diese Gefahr auch mich angreifen? Ich würde mich nicht wehren können. Im Moment konnte ich mich nicht einmal bewegen.

Ich versuchte es, so sehr, aber ich glaubte höchstens zu krampfen bei dem Versuch.

Neben dem offensichtlichen Angriff im Haus, herrschte auch noch ein Angriff in meinem Kopf. Von dem Zeug, das Rowan mir gegeben hatte, vermischt mit dem Diebstahl meiner Kraft fing ich immer noch an zu halluzinieren.

Das war ein sehr unpraktisches Timing.

Ich sah ein kleines Mädchen mit braunen Haaren auf meinem Boden sitzen, das ein Buch zu lesen schien und weder mich noch den Lärm im Haus bemerkte. Sie war gekleidet wie eine Fee, zumindest sah sie in ihrem seidenen, grünen Kleid, das im Licht der untergehenden Sonne ganz sanft funkelte, so aus. Von meinem Fenster wehte Musik herein, als ob draußen eine Feier stattfinden würde. Ich roch frische Farbe und glaubte fast Schwerter zu hören, die aufeinandertrafen, als ob die Männer im Haus den Kampf mit den Waffen aufgegeben und nun ihre Schwerter gezückt hätten.

Es war albern. Ich wusste gar nicht einmal, ob der Kampf im Haus real war. Zumindest wusste ich es nicht, bis da meine Türe laut aufkrachte und ich zu vier unbekannten Männern sah.

Sie waren ganz in schwarz gehüllt, hielten gefährliche Waffen in den Händen. Schockiert sah ich sie an. Ich wollte schreien, aber mein Mund war gelähmt und taub und nicht in der Lage, Wörter zu formen.

„Ich kann nicht glauben, dass sie es tatsächlich ist."

„Ich bin beeindruckt, das ist eine Ehre."
„Können wir uns sicher sein, dass sie es tatsächlich ist? Sie wirkt nicht gerade eindrucksvoll."

„Drogen", murmelte der vermutliche Anführer kritisch. Er war deutlich älter als die anderen drei. „Sie wird sich nicht so schnell bewegen können. Nimm sie hoch, Luc, wir können keine Zeit verlieren."

Mit großen Augen sah ich zu, wie einer der Männer, vermutlich dieser Luc, auf mich zulief und mich auch schon auf seine Arme hob.

„Keine Angst, ich habe dich ja", sagte er, als ob mich das beruhigen könnte. Er war vielleicht so um die 30, hatte eine eiserne Miene und sah konzentriert nur zu den anderen, nachdem er sichergegangen war, dass er mich feste in den Armen hatte und mein Kopf nicht schlaff hinabhängen würde.

„Vorsichtig und beeilt euch. Der Rauch wird sich gleich gelichtet haben. Wir müssen weg sein, bevor das Monster kommt."

Ich wusste, wer das Monster war. Rowan war das Monster, das mich in meinen Träumen verfolgte und das länger, als ich es mir manchmal eingestehen wollte.

„Sei behutsam mit dem Mädchen. Sie ist zu wichtig", donnerte der Anführer.

„Ich denke, sie verliert sowieso gleich das Bewusstsein. Egal was der Typ ihr gegeben hat, sie ist kaum richtig hier. Das wird ihm nicht gefallen", sagte Luc und hatte recht. Noch während er zum Fenster lief und die kühle Nachtluft mich traf, verlor ich wieder an Kraft und alles um mich herum wurde dunkel.


Immerhin sah ich dieses Mal keine schrägen Bilder, da Rowan sich mir nicht aufzwang. Es war einfach wie ein traumloser Schlaf, der nur leider keine Erholung brachte.

Als ich nämlich wieder erwachte, kam ich mir immer noch wirr vor, schwach und benebelt.

Ich schaffte es, meine Finger zu bewegen noch bevor ich die Augen richtig geöffnet hatte. Ganz zaghaft ließ ich meinen Körper wach werden, versuchte meine Muskeln zu bewegen und gegen den Schmerz anzukämpfen. Alles in mir wollte mehr von diesen Pillen, um dem Schmerz zu entkommen, doch ich würde den Schmerz ertragen, ich würde es durchstehen, denn ich musste aufwachen, wach bleiben und endlich kämpfen.

Ich bekam Panik, als meine Augen sich an die dämmrige Umgebung gewöhnten. Der Ort, an dem ich mich befand, war mir unbekannt. Das war weder Rowans Haus noch mein eigenes. Es war auch nicht das Quartier oder überhaupt irgendeine vertraute Umgebung.

Wer waren diese Leute gewesen und wo haben sie mich hergebracht und vor allem zu welchem Sinn und Zweck?

„Ganz ruhig, kleine Wächterin."

Verschreckt sah ich zu Luc, der sich neben das Bett kniete, auf dem ich lag und von dem ich mich immer noch nicht rühren konnte. Ich konnte mich bewegen, aber schwer. Mein Kopf war immer noch ganz wirr.

„Was ist hier los?", fragte ich weinerlich. In meinem Leben war ich selten so hilflos gewesen wie in den letzten Tagen und es machte mich fertig. Rowan hatte mir die Kontrolle über meinen Körper und über meinen Geist genommen. Ich war hilflos in seinen Händen gewesen und hatte mich nicht wehren können und nun lag ich hier, schon wieder bei Fremden, die mir sonst was antun wollten.

„Alles ist gut. Vor uns brauchst du keine Angst haben. Wir sind die Wanderer der Zeiten und Welten. Wir haben dich gerettet und bringen dich nach Hause."

„Wanderer?" Der Name war so vertraut. Mir kam es fast so vor, als ob ich den Begriff in einem früheren Leben mal gehört hatte und tatsächlich erinnerte ich mich. Ich erinnerte mich an eine Lagerhalle, wo der ehemalige Anführer der Märtyrer vor mir kniete und meinte, ich solle nach den Wanderern fragen. Ich hatte damals eine Weile darüber nachgedacht, war jedoch nie zu etwas Brauchbarem gekommen und hatte so viele andere Dinge zwischendurch im Kopf gehabt, dass diese mystischen Wanderer mir wieder aus dem Sinn gekommen waren. Ich hatte gedacht, das wäre nur das Gerede eines Verrückten gewesen. Offenbar nicht.

„Wir sind eine alte Gruppe, nur erschaffen, um unserem Herrn zu dienen."
„Und wer ist euer Herr?" Und wieso will er mich haben? Ich will nicht erneut in die Hände eines Verrückten geraten.

„Das sollte dich fürs erste nicht interessieren, aber keine Sorge, fürs erste will er dich einfach nur in Sicherheit wissen."

Fürs erste. Das sollte beruhigend klingen aber für mich hatte das einen bitteren Nachgeschmack. Jetzt würde ich gehen dürfen, irgendwann nicht mehr.

„Du machst ihr Angst." Der Mann, der offenbar der Anführer dieser Gruppe war, trat in das Zimmer ein und musterte mich knapp. Er war deutlich älter als Luc. Sein dunkles Haar war mehr grau als braun und sein Bart ebenso. Wie Luc trug er recht altmodische lederne Kleidung, als ob sie allesamt Jäger wären... Jäger vergangener Zeiten.

Sein Blick wirkte kritisch, als würde es ihm nicht gefallen, in was für einem miserablen Zustand ich war.

„Ich habe ihr nur gesagt, was los ist."
„Und ihr Angst gemacht", brummte der Mann. „Dein Bruder hat uns geschickt. Er hat uns erklärt, wer du bist und was es mit dir auf sich hat. Wir konnten nicht zulassen, dass jemand wie Rowan dich bei sich hat und an dir nährt und stark wird. Wir sind erfreut dich überhaupt gefunden zu haben. Du bist ein gut getarntes Mädchen. Da versucht jemand mit aller Kraft dich vor dunklen Wesen zu verstecken. Offenbar scheitert diese Person nur, wenn der Mann der vielen Namen dich finden konnte."
„Ich verstehe kein Wort", murmelte ich und mir schwirrte der Kopf von seinen Worten. Das einzige wirklich wichtige war, dass mein Bruder sie geschickt hatte.

Acyn? Riley war verletzt und Dari würde es kaum gewesen sein.

„Siehst du? Es ist unnötig ihr irgendwas zu erklären. Sie ist so vollgepumpt mit Drogen, vermutlich denkt sie, wir wären nur irgendeine Halluzination", schnaubte Luc spöttisch.

„Das ist nicht witzig!", sagte der Mann harsch und setzte sich dann zu mir aufs Bett, wo er meine Stirn fühlte. „Wenn das Zeug deinen Körper verlässt, wird es dir nicht gut gehen. Du wirst mehr wollen, du wirst mehr brauchen, lass uns hoffen, dass dein Bruder schnell kommt, du wirst deinen kleinen Seelenpartner brauchen, wenn du das überstehen willst. Der kalte Entzug wird dich umbringen können."

Das klang ja erfreulich. Vermutlich würde es mir mehr Angst machen, wenn ich mich nicht schon so elendig fühlen würde. Ich glaubte, jeder Muskel in mir würde sich verkrampfen müssen. Ich fühlte mich alles andere als gut und es gefiel mir nicht. Da ich nie zuvor krank gewesen war – mal abgesehen von meinen kleinen Fieberzuständen hier und da – war es ungewöhnlich, wenn ich so kaputt war und gerade im Moment war ich kaputt, so furchtbar kaputt.

„Ich hätte euch finden sollen", sagte ich, ohne auf irgendeines der vorher gesprochenen Worte einzugehen.

„Jetzt haben wir ja dich wieder gefunden", sagte Luc. „Und damit hat die Welt eine Chance zu überleben."

„Wieso?", fragte ich, aber bekam keine Antwort, da in dem Moment ein weiterer Mann eingetreten kam, der dem Anführer etwas ins Ohr flüsterte.

„Dein Bruder ist hier", sagte dieser nun laut an mich gerichtet und tatsächlich trat da auch schon Acyn ein, bei dessen Anblick ich in Tränen ausbrach und meine Hände nach ihm ausstreckte. Kurz fühlte ich mich wieder wie ein kleines Kind, wie an dem Tag, als ich das erste Mal in die Schule gehen musste, da hatte er mich auch am Klassenzimmer verabschiedet und ich hatte meine Hände nach ihm ausgestreckt und hatte von ihm gehalten werden wollen. Damals wie heute nahm er mich in die Arme und hielt mich bei sich.

„Alles wird gut. Ich bin ja da, ich passe auf dich auf. Ich bringe dich wieder nach Hause und dann wird alles gut", versicherte er mir und hob mich hoch. Laufen war unmöglich für mich, ich konnte mich kaum an ihn halten, so dass er mich umso fester an sich gedrückt hielt, auch wenn mein Gewicht sicher nicht leicht war.

„Danke", sagte er an die Wanderer gerichtet.

„Er wird für sie kommen. Er wird keine halben Sachen mehr machen. Ihr solltet fliehen, wir werden ihn nicht stoppen können, er hat zu viel Kraft von ihr", sagte der Anführer ernst und ich wusste, er meinte Rowan.

„Sobald sie gesund ist, gehen wir, in dem Zustand kann ich sie nicht aus der Stadt bringen. Sie muss zuerst zu Reed."

„Hat er sich nicht zu uns getraut?", spottete Luc.

„Er wollte keinen Konflikt vor ihr riskieren."

„Schlau."

„In der Hinsicht ja", sagte Acyn und klang nicht gerade glücklich. Ich hörte gar nicht mehr wirklich, was weiter gesprochen wurde. Es fiel mir schwer, richtig wach zu bleiben, kaum lief er mit mir durch die Hütte und geradewegs nach außen.

Egal, wo wir uns auch gerade befunden hatten, es war irgendwo im Wald gewesen. Die Natur besänftigte mich, nur nicht genug. Gegen alles, was Rowan mir angetan hatte, was er mir genommen hatte, reichte es einfach nicht mehr aus.

„Wir sind bald daheim, dann wird alles gut", sagte Acyn, der mich zu seinem Auto brachte und auf dem Beifahrersitz absetzte, anschnallte.

„Was ist mit Riley?"

„Er wird schon wieder werden. Denk nicht über ihn nach, denk kurz bitte nur darüber nach, selbst stark zu sein. Ich kann mich nicht um zwei Geschwister gleichzeitig sorgen, also sei du wenigstens stark und tapfer und halte durch, bis wir Reed erreichen."

Ich versuchte es. Mit jeder Kraft, die ich sammeln konnte, wollte ich wach bleiben und gegen die Schmerzen, die Halluzinationen und die Dunkelheit ankämpfen, aber es war hart. Für mich war es unklar, wo genau wir uns befanden, wo wir hinfuhren. Es lichtete sich erst, als wir bei unserem Haus anhielten und Acyn mich schon in dieses hineintrug.

Ich konnte nicht sagen, ob meine Familie da war, jemand uns in die Quere kam, aber plötzlich war ich in meinem Zimmer und Reed nahm mich in die Arme.

Er war da.

Oh, bei den Göttern, er war da.

Sofort brach ich in Tränen aus, schmiegte mich an ihn und nahm seine ganze Nähe wie eine warme Hülle, einen Schutz um mich herum wahr.

„Alles wird gut. Ich habe dich. Ich habe dich." Er küsste mein Gesicht bei jedem Satz, ließ mich wieder ein bisschen ganz werden.
„Bring mich weg. Bitte... bitte bring mich weg", schluchzte ich und war froh, dass er auf mich hörte. Ich spürte, wie wir in der Zeit verschwanden, ich hörte, wie Acyn noch dagegen protestieren wollten, aber da verschwanden wir auch schon.


Wörter: 4052

Aloha :) Ich hoffe es hat euch gefallen. Jetzt hat Alice ihre kleine Folter ja ein Ende gefunden... fürs erste zumindest. Da das nächste Kapite etwas überarbeitet werden müsste, kann ich nicht versprechen, rechtzeitig fertig zu werden, aber ich versuche es bis Dienstag zu schaffen xx

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