21. Gefangenschaft
"Some days I am brave, but other days I almost disappear." - Naomi Shihab Nye
Meine Welt war im Wandel.
Alles änderte sich.
Alles wurde schlimmer.
Mein Körper schmerzte, mein Kopf fühlte sich an, als ob er sich kontinuierlich drehen würde, als ob ich ständig Loopings schlagen würde. Nichts blieb an einer Stelle. Es fühlte sich an, als ob ich einen Abhang herunterfallen würde. Es würde zumindest die Schmerzen und den Schwindel erklären.
Als ich aufwachte, musste ich mich übergeben. Ich hatte auf einem fremden Bett in einem fremden Zimmer gelegen und erbrach mich auf den weißen Teppich, der neben dem Bett auf dem Boden lag, und ruinierte ihn damit.
„Das ist ja widerlich."
Verschreckt sah ich zu Rowan auf, der an einer Wand gelehnt stand und mich wohl schon länger beobachtet hatte. Angewidert sah er von seinem besudelten Teppich zu mir und ich wusste in dem Moment, dass es vorbei war.
Er hatte mich.
Ich war bei ihm.
Alles war dahin.
Die ganze Vorsichtig, die ganzen Pläne. Es war nun alles nicht länger von Bedeutung. Ich hatte gewusst, dass er früher oder später kommen würde, nur hatte ich nicht gedacht, dass es so schnell geschehen würde und auch, dass er dabei so drastisch handeln würde.
Panisch wollte ich mich erheben, ich wollte fliehen, nur mein Körper zitterte zu stark dafür. Ich war zu gelähmt vor Schock.
„Wo bin ich?", fragte ich ängstlich, auch wenn ich die Antwort kannte. Ich kannte diese hellen Zimmer mit den teuren Möbeln. Das musste Rowans Haus sein.
Er hatte mich wirklich. Das war kein Albtraum, das war die Realität.
Immer und immer wieder konnte ich nur daran denken. Ich war verloren. Mit dem Deal, der zwischen uns lag, würde ich nicht vor ihm fliehen können. Ich gehörte ihm. Das wäre nun mein Gefängnis, das wäre nun meine neue Realität... zumindest so lange, bis er es beenden würde und sicher würde es bis dahin nicht lange dauern.
„In meinem bescheidenen Reich. Du solltest dich schonen. Diese unglückliche Explosion hat deinen Kopf etwas geschadet, aber es wird vergehen. Ich hatte ja kurz befürchtet, dich dabei aus Versehen getötet zu haben, aber ich bin erfreut, dass du nicht aus Porzellan gemacht bist, das wird das alles hier so viel erfreulicher gestalten."
„Die Explosion... wo ist mein Bruder? Wo ist Riley? Was hast du ihm angetan?" Bilder davon, wie er ihn erstochen hatte, tauchten vor meinen Augen auf und ich wollte am liebsten erneut brechen. All das Blut... sofort wurde mir wieder schwummerig, sofort schmerzte mein Körper wieder, als ob er sich daran erinnern würde, was geschehen war.
„Tot? Verletzt? Begraben? Keine Ahnung, es ist mir egal." Er zuckte gelangweilt mit den Schultern, setzte sich zu mir auf das Bett und ließ mit einer Handbewegung mein Erbrochenes verschwinden.
Wie hatte er das geschafft?
„Wenn du bei mir bist, bist du wie meine persönliche Batterie", sagte er, als wüsste er, was ich mich gefragt hatte. „Mit dir an meiner Seite werde ich stärker sein. Oh, es wird mir eine Freude sein, dich zu schwächen, dich zu brechen." Er lachte vergnügt, als würde es nichts geben, was er lieber macht.
„Du bist ein Monster."
„Autsch. Wir sind doch alte Freunde, da sollten wir nicht unsere Gefühle verletzen, hast du etwa all deinen Anstand verloren?" Gespielt verletzt fasste er sich an seine Brust und lächelte anschließend erheitert. „Weil es meine Schuld ist, dass du gerade so furchtbar aussiehst, gewähre ich dir etwas Zeit, dich hierauf vorzubereiten. Ich gebe dir eine Stunde, dich hübsch zu machen, dann fängt unser Spiel an."
Er erhob sich und wollte schon gehen, ehe ihm noch etwas einzufallen schien. „Im Schrank sind Kleider... ich bevorzuge die Farbe Schwarz und alles, was mir viel von deinem Körper zeigen würde."
Verwirrt und schockiert zugleich sah ich ihm nach, versuchte nicht vor Ekel und Schwindel erneut auf den Boden zu brechen.
Spiel? Was für ein Spiel? Spiele seiner Art waren keine, die mir gefallen würden.
Die Angst vor dem, was mir blühte, machte mich fertig. Es war Folter. Es war reine Folter.
Ich blieb liegen. Mir war nicht danach, aufzustehen, auch wenn ich das Kleid loswerden wollte. Nur würde ich gewiss keines seiner kurzen Kleider anziehen, um ihm einen Gefallen zu erweisen, auch wenn ich gern neue Kleidung haben wollte. Meine derzeitige war voller Staub, teilweise zerrissen und Blutspur waren auf dem Stoff zu erkennen, inklusive den Resten meines Erbrochenen. Ich sah sicher schrecklich aus, aber wozu frisch machen? Damit Rowan mich noch besser zurichten konnte? Ich wollte mich nicht für meinen Untergang fein machen.
Ich begutachtete meinen Körper genauer. Meine Arme waren zerkratzt. Als ich das Kleid etwas anhob sah ich, dass meine Knie aufgeschlagen waren. Ich wollte gar nicht wissen, wie viele Blaue Flecken und Kratzer ich wirklich hatte oder wie zerzaust mein Gesicht und mein Haar erst sein mussten.
Mit dem Wissen, wo ich war und dass Rowan in einer Stunde wieder hier wäre, konnte ich nicht wieder einschlafen, auch wenn mein Kopf nichts lieber wollte, als dass ich die Augen schließe und mich erhole. Eine Flucht klang verlockend, aber ich wusste, dass es unmöglich war. Er hatte mich zu sich geholt, ich würde nicht fliehen können. Das war der Deal. Ich gehörte ihm, er wollte, dass ich bei ihm war, also würde ich bleiben müssen.
Ich hatte keine Ahnung, was anderenfalls geschehen würde, doch selbst wenn ich versuchte, mich nur dazu zu bringen, einen Fluchtplan zu entwerfen, weigerte ein Teil meines Gehirns sich, dem nachzukommen, ganz so als wüsste dieser Teil genau, dass ich das nicht durfte.
Es war ein erbärmliches Bild, das ich da abgab. Besudelt, schwach und verängstigt lag ich zusammengerollt da. Wollte ich so sterben? Wollte ich so leiden? Nein, nur was für eine Wahl würde ich haben?
Ich richtete mich auf. Ich würde würdevoller aussehen wollen, wenn ich Rowan erneut gegenübertrete. Wenn ich heute sterbe, dann wollte ich besser als wie ein verletztes Mädchen aussehen, dann wollte ich nicht aussehen, als ob ich durch die Hölle gegangen wäre, selbst wenn es so war.
Man sollte mir meine Schwäche nicht ansehen. Ich wollte stark und tapfer aussehen. Wie eine Noir eben!
Kaum stand ich, fiel ich nur leider wieder um. Mein Kopf war von dieser Explosion nicht ganz richtig. Mir war übel, alles schmerzte und ich sah nicht ganz klar. Laufen würde dadurch etwas problematisch werden.
Wie es den anderen nur ging? Mein Magen zog sich schmerzvoll zusammen, als ich wieder an Riley dachte. War er tot? Er durfte nicht tot sein! Er war stark... nur war dieses Messer so tief in ihm gewesen.
Ich schluchzte auf, dachte an all die anderen und beruhigte mich etwas zu wissen, dass Elin und Iran nicht im Saal gewesen sind, Acyn und Dari auch nicht und Hayden und Reed ebenso. Sie wären alle sicher, zumindest hoffte ich es. Sie mussten einfach sicher sein!
Ich betete, dass sie wohlauf waren und dass sie mich nicht zu sehr vermissen würden, denn ich würde nicht von hier wegkommen. Solange kein Wunder geschieht, gab es kein Entkommen.
Ich erhob mich wieder, versuchte gegen den Schwindel anzukämpfen und taumelte ins angrenzende Bad. Ich stieß mich am Türrahmen und fiel nur fast wieder, doch ich hielt mich so fest ich konnte.
Ich ignorierte, wie protzig es hier aussah, da mir in dem Moment nur wieder so übel wurde, dass ich nur noch Augen für die Toilette hatte. Ich übergab den restlichen Inhalt meines Magens. Dieser krampfte fürchterlich, neue Tränen fanden einen Weg über mein Gesicht und schluchzend klammerte ich mich am kühlen Porzellan fest.
Ich war verloren. Ich würde hier sterben, mein Bruder war vielleicht tot und ich sah keinen Ausweg. Ich war nicht in der Lage mir selbst zu helfen und es war so zum Kotzen, dass ich mich am liebsten nur wieder übergeben hätte, aber mein Magen war leer.
„Reiß dich zusammen", mahnte ich mich. Wenn ich nicht stark bleibe, würde Rowan mich gleich knacken wie eine Walnuss. Ich müsste gegen seine Spielchen ankämpfen. Wenn ich jetzt schwächele, würde er mich ruinieren. Er würde mir jedes Glück nehmen, mich wie seine Batterie benutzen. Er durfte nicht so leicht gewinnen. Das durfte er einfach nicht!
Ich spülte, richtete mich auf und taumelte zum Waschbecken, an dem ich mich festhielt und mein Spiegelbild ansah. Ich sah furchtbar aus. Meine Haare waren wirr, mein Gesicht schmuddelig und meine Augen gerötet und voller Tränen, die nur darauf wartetet, vergossen zu werden.
Eilig wusch ich mein Gesicht, spülte meinen Mund aus und versuchte anschließend meine Haare mit meinen Fingern etwas zu kämen. Ich sah immer noch grauenvoll aus, aber immerhin nicht mehr wie die Göttin des Todes, die ich zuvor dargestellt hatte. Am liebsten wollte ich duschen und mich aus dem Kleid schälen, doch ich würde das nicht schaffen. Am Ende würde ich nur in der Dusche ausrutschten und mir den Kopf aufschlagen.
Mühsam begab ich mich deswegen zurück in mein Zimmer, wo ich mich auf das Bett legte, gegen den Schwindel und die Schmerzen ankämpfte.
Meine Augen fielen mir zu, der Schlaf kam jedoch nicht. Mit jeder Kraft, die noch irgendwie übriggeblieben war, kämpfte ich dagegen an, einzuschlafen. Ich hatte Angst, was passieren würde, wenn ich wieder aufwache. Ich wollte auf Rowans Rückkehr vorbereitet sein dürfen.
Innerlich schrie ich um Hilfe, da schrie ich nach Reed, wissend, dass es albern war und rein gar nichts brachte. Er würde nicht kommen. Er konnte nicht kommen. Das hier hatte ich mir selbst eingebrockt und nun müsste ich mit den Konsequenzen leben. Es war besser so. Reed sollte sich von Rowan fernhalten. Würde ihm meinetwegen auch was geschehen, würde es mich umbringen. Noch mehr konnte ich nicht verlieren.
Ich bemerkte gar nicht, wie Rowan zurückkehrte. Erst, als er sich neben mich auf das Bett setzte, realisierte ich, dass die Stunde vorbei war.
„Du siehst etwas... besser aus, auch wenn du dich nicht umgezogen hast", sagte er abschätzend. „Je öfter ich dich sehe, umso weniger ähnelst du Malia. Bedauernswert. Ihre Schönheit kann eben niemand nachahmen."
„Hat lange gedauert", sagte ich verärgert und er lachte auf.
„Mal sehen, wer von euch beiden aber die Stärkere war. Ich will gerne sehen, wie lange du durchhalten wirst." Er hielt mir eine seltsame Pille vor die Nase, die ich kritisch ansah.
„Was ist das?"
„Schluck sie. Dir wird es besser gehen. Die Schmerzen und der Schwindel nehmen dann ab."
„Was ist das?"
„Medizin. Du wirst dich danach... frei wie ein Vogel fühlen, es wird es leichter machen das zu überstehen, was noch kommen wird."
„Das sind Drogen", hauchte ich schockiert von der Erkenntnis, aber keine normale Tablette war so bunt, sah so seltsam aus. „Ich werde das nicht nehmen, niemals!"
Ich schrie auf, als er mich zurück auf die Matratze presste, seine Finger schmerzvoll in meine Schultern bohrte und sich über mich kauerte.
„Ich werde mit Freude deinen Kopf zermalmen, kleine Noir. In deinem Kopf Chaos zu veranstalten, wird einfach werden, vielleicht sollte ich dir eine kleine Kostprobe geben, danach wirst du mich auf deinen Knien anbetteln, dir etwas zu geben, dass es leichter für dich machen wird." Er ließ meine Schultern los, berührte meinen Kopf und ich schrie nur noch lauter, als ein Haufen an schrecklichen Bildern über mich einbrach.
Als ob er ein Ventil an den schrecklichsten Momenten meines Lebens geöffnet hätte, brachen Erinnerungen und die damit verbundenen Schmerzen über mich herein.
Ich sah, wie Riley erstochen wurde, ich sah Daisy mit Hades verschwinden, wie Hayden erschossen wurde. Ich sah Dari in meinen Armen vom Fieber ohnmächtig werden, wie Rowan Reed quälte und blutig schlug, und ich wurde regelrecht ertränkt mit fürchterlichen Erinnerungen, die in mir nichts als seelischen Schmerz auslösten.
„Wusstest du, dass ich derjenige war, der der kleinen Grace den Verstand zerstört hat? Es hat mir so eine Freude bereitet, ihren Kopf in Pudding zu verwandeln. Nichts hat mir jemals so eine Freude bereitet. Ich hatte bei ihr nur schnell handeln müssen, vielleicht habe ich übertrieben in meinem voreiligen Handeln, aber bei dir werde ich mir Zeit lassen. Dieses Mal, werde ich dir langsam alles nehmen. Kommt es dir nicht bekannt vor?"
Ich schüttelte hektisch den Kopf. Seine Worte machten meine Kopfschmerzen nur noch schlimmer und schlimmer. Ich war mir sicher, gleich würde er platzen. So einen Druck konnte man unmöglich überleben.
„Ich frage mich ja, ob ich mit meinen kleinen Tricks verborgene Erinnerungen in dir aufwecken könnte. Aber ich glaube, das hebe ich mir für das groß Ende auf. Dann lasse ich alle Lügen deiner Familie sich in Luft auflösen, erzähle dir jede Wahrheit, die du unbedingt erfahren willst, und sehe zu, wie du den Verstand verlieren wirst. Ich will, dass Reed dir in die Augen sieht und zusieht, wie in ihnen langsam jeder klare Verstand verloren geht." Er lachte boshaft, ließ mich nur wieder Schmerzen empfinden, die mir mein Herz zertrümmern wollten.
Wie Reed vor Qualen schrie, der Anblick von Grace tot in der Badewanne, ich sah mich vor Scott Harvey wegrennen und hörte und sah gleichzeitig Dinge, an die ich mich gar nicht erinnern konnte, die mir so fremd waren, als ob ich sie sehr gut verdrängt hätte.
Ich hörte Reed Schreien, ich hörte, wie er mich anflehte, ihn nicht zu verlassen. Ich spürte eine ungeheuerliche Kälte um mich herum, hörte das Brüllen eines Ungeheuers, oder zumindest kam es mir so vor. Ich sah einen Mann an seinem eigenen Blut ersticken, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich sah so viele Menschen sterben, die ich gar nicht kannte. Da war so viel Blut und Elend und die Schreie von ihnen allen ließen mich selbst auch schreien, als würde ich den Lärm so übertönen können.
Ich weinte. Ich weinte und schrie, immer lauter, bis ich merkte, dass mir die Kraft anfing, verloren zu gehen.
Ich wusste nicht mehr, ab wann alles gestoppt hatte. Plötzlich lag ich einfach nur auf dem Bett und starrte ausdruckslos und schwer atmend die Zimmerdecke an. Es war dunkel geworden, Rowan war fort und ich kam mir... leer vor. Der Schmerz war fort, mein Glück war fort. Ich fühlte mich nicht lebendig. Ich kam mir so vor, als ob ich nie wieder lachen könnte, als ob ich nie wieder fröhlich sein könnte. Hatte Rowan mir mein ganzes Glück geraubt? Ich wollte am liebsten weinen, aber ich hatte nicht die Kraft, um zu weinen. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft, mich zu bewegen. Ich war wie eine leere Batterie, nur dass ich noch nicht leer war. So schnell würde das hier nicht enden. Ich besaß noch meinen Verstand. Er würde es nicht so schnell enden lassen.
„Du musst stärker sein."
Ich drehte meinen Kopf zur Seite, wo Marek ins Zimmer getreten kam.
„Stärker?" Meine Stimme war nur ein Flüstern, klang so monoton und fremd.
„Du musst gegen ihn ankämpfen. Wenn du leben willst, musst du gegen ihn ankommen."
„Und wie? Wie soll ich das schaffen? Ich kann nicht fliehen, ich kann mich nicht wehren, er... er lässt mich Dinge spüren... ich bin so kraftlos."
„Und es wird noch schlimmer werden. Das hier war erst der Anfang. Egal was du auch tust, du darfst keine Pillen schlucken. Diese Teile haben deine Cousine alles gekostet, sei stärker als Malia. Ich sehe dir an, dass du stärker als sie bist. Du bist eine Kämpferin, also streng dich an und ich werde dir helfen. Ich helfe dir das zu finden, was Rowan versteckt hält, was ihn schwächen könnte, was dir helfen könnte."
Schwach erinnerte ich mich an mein letztes Mal in dem Haus, wo ich nach etwas gesucht hatte, das Rowan schwächen könnte. Das angebliche Stück von Rowans verdorbener Seele, das man gegen ihn verwenden könnte und von dem ich absolut keine Ahnung hatte, was es eigentlich darstellen sollte.
„Du weißt, wo es ist."
„Und ich werde dir helfen, aber du musst vorher kämpfen, sonst wird dir all das nichts bringen."
Am nächsten Morgen ging es mir besser. Nicht viel, aber ich konnte mein Bett verlassen, mich bewegen und hatte keine Schmerzen mehr, die mich sofort nur wieder auf den Boden gedrängt hätten. Ich kam mir immer noch ganz leer und traurig und hoffnungslos vor, aber ich tankte beim Anblick des Gartens außen neue Kraft, ebenso mit dem Gedanken an meine Familie. Ich dachte an meine Brüder, meine Eltern, meine Großeltern. Selbst an Lilien und Cameron zu denken, gab mir Kraft. Am meisten gab es mir wohl Kraft an Reed zu denken. Er war da draußen, ihm ging es gut und er würde mir helfen. Er würde mich irgendwie befreien, auch wenn ich noch nicht wirklich wusste, wie er das schaffen wollte. Dennoch wollte ich noch nicht jede Hoffnung aufgeben müssen. Wären die Rollen vertauscht, hätte ich alles getan, um ihn zu retten und ich wusste, das würde er nun auch. Er würde mich retten, ich musste einfach daran glauben.
Mareks Worte trieben mich voran, zu kämpfen. Ich musste stark bleiben und in Rowans Abwesenheit so viel Kraft tanken, wie es nur irgendwie möglich war. Ich ging duschen, zog das hellste Kleid im Schrank an und das längste obendrein. Es ging mi auch nur knapp bis zu den Knien, aber es wäre besser als weiterhin in meinem dreckigen und halb zerrissenen Kleid herumzulaufen. Ich sah den Tag über nichts von Rowan und wurde auch sonst von niemanden aufgesucht. Ich bekam kein Essen, was mir zeigte, dass Rowan das alles vielleicht langsam angehen wollte, doch dass er eindeutig nicht vorhatte, mich sehr lange hier zu behalten. Es war ihm egal, ob ich verhungern würde, er wollte mich schwach und wehrlos halten, doch ich würde weiterkämpfen. Mein Magen schmerzte von der Leere, doch ich würde es überleben und mich auch nicht brav versteckt halten, wie er es vielleicht erwarten würde. So nutzte ich die Zeit, durch das Haus zu wandern. Dieses wurde streng bewacht, aber ich wurde wenigstens nicht in meinem Zimmer festgehalten.
Meine Füße trugen mich wie von allein wieder in Malias altes Zimmer, das noch genauso wie beim letzten Mal aussah.
Ich wusste ja, dass das, was ich suchte, nicht hier wäre, aber es war der einzige Ort, an dem ich mich nicht ganz so einsam und verloren fühlte. Zu wissen, dass meine Cousine einst hier gewesen ist, dasselbe Schicksal wie ich erleiden musste und dass sie entkommen konnte, es gab mir einen Halt. Sie hatte es geschafft, also würde ich es auch schaffen, egal wie unmöglich es auch aussehen mochte. So besessen wie Rowan von Malia war, fiel es mir schwer sich vorzustellen, er könnte sie genauso gefoltert haben wie mich. Sicher war ihr Aufenthalt angenehmer verlaufen als meiner. Sie hatte immerhin sogar Farben und Leinwände zum Malen bekommen. Was genau machte sie aus, dass er so verrückt nach ihr war? Gern wollte ich es ihn fragen, doch am Ende würde er mich dafür nur noch mehr bestrafen.
Marek hatte mir zwar gestern gesagt, er würde mir helfen wollen, aber bisher hatte ich keine Hilfe bekommen oder ihn gar gesehen. Er hatte damals gemeint, Rowan hätte den Gegenstand gut versteckt. Das bewies, dass so ein Gegenstand wirklich existierte. Nur wo war er? Wie sah er aus? Was genau war er? Ich konnte mir alles und auch nichts darunter vorstellen und ohne die Hilfe Mareks, von dem ich immer noch nicht wusste, wie sehr ich ihm vertrauen sollte, würde ich niemals irgendwas finden. Es könnte jeder Gegenstand des Hauses sein, auch wenn ich mir sicher war, dass ich ihn erkennen würde, sehe ich ihn erst einmal. Wenn der Gegenstand tatsächlich so wertvoll und magisch war, würde er irgendwie zu erkennen sein müssen. Zumindest hoffte ich es.
War es in Filmen nicht immer so, dass ein magischer Schimmer zu erkennen wäre oder eine geheimnisvolle Anziehungskraft? Vermutlich hatte ich eine zu lebhafte Vorstellung.
Ich verließ Malias Zimmer wieder und begutachtete den Rest des Hauses. Viele Zimmer waren verschlossen, von anderen hörte ich Stimmen und traute mich nicht, in diese hineinzugehen und bei sonst was für Besprechungen hineinzuplatzen. Ich irrte so mehr durch die Gegend und hoffte, Marek vielleicht zu finden, aber von ihm fehlte jede Spur. Sicher war er von Rowan beschlagnahmt. Er war sein wichtigster Mann, natürlich würde er nicht einfach die ganze Zeit im Haus herumlaufen. Er hatte Besseres zu tun.
Diese Suche würde so absolut nichts bringen. Vermutlich würde ich Rowan näherkommen müssen, um das zu kriegen, was ich wollte. Von der bloßen Vorstellung erschauderte ich. Zum einen wollte ich das nur auf gar einen Fall müssen und zum anderen bezweifelte ich, dass ich es überhaupt schaffen würde. Anfangs hätte ich vielleicht noch eine Chance gehabt ihn mit meinem Aussehen zu verwirren und einzunehmen. Mittlerweile sah er in mir mehr eine Plage, mehr wie ein Mittel, das man nutzen kann, um Reed zu schaden. Er würde sich von meiner Ähnlichkeit zu Malia nicht manipulieren lassen, zumindest nicht, wenn ich mich nicht auch wie sie benehme. Ich wusste nicht gerade viel über sie, nur dass sie offenbar weniger Kampfgeist gezeigt hatte als ich und sich auf irgendeine Weise von Rowan manipuliert haben lassen musste. Die zwei hatten früher eine sonderbare Beziehung gehabt, zumindest wurde es mir so gesagt und laut den Einträgen aus ihrem Tagebuch, hatte Elin nichts anderen entnehmen können. Um Rowan näherzukommen, müsste ich mich von ihm einnehmen lassen und das würde ich nicht. Ich würde es nicht können.
Niedergeschlagen ging ich irgendwann zurück in mein Zimmer und bekam wieder ein flaues Gefühl von der Aussicht, dass Rowan mich sicherlich bald aufsuchen, mich erneut quälen würde und ich danach kaputt, geschwächt und leer sein würde.
Ich legte mich auf mein Bett, umklammerte mein Kopfkissen und spürte einen Zettel unter diesem. Irritiert zog ich das Stück Papier hervor und las die Nachricht auf diesem.
Der Gegenstand, den du suchst, trägt Rowan jederzeit bei sich.
Ein Tipp. Ein schrecklicher Tipp.
Der Gegenstand war bei Rowan? Dann wäre es ja tatsächlich zwecklos. Wie sollte ich ihn je bekommen? Ich würde kaum Rowan abtasten können. Was würde ich machen müssen, um Rowan zu verführen? Allein von der Aussicht wurde mir kotzübel. Ich würde das unmöglich können. Ich wollte das nicht müssen. Mochte ja sein, dass Malia in der Hinsicht stärker wäre als ich, aber ich würde lieber sterben, als so etwas zu erdulden. Sein Vertrauen gewinnen war die eine Sache, das hier wäre was ganz anderes. Es wäre viel schlimmer.
Genervt seufzte ich, zerriss das Papier und ließ die Überreste in meiner Hand zu Asche zerfallen, die ich dann achtlos auf den Boden warf. Rowan könnte das gern saubermachen.
Ich klopfte meine Hände sauber, als fast zeitgleich Rowan ohne anzuklopfen mein Zimmer betrat. Sofort spannte mein ganzer Körper sich an, war in Alarmbereitschaft.
„Du hast wieder neue Kraft, wie schön", sagte er herablassend und näherte sich mir, nachdem er die Türe hinter sich wieder verschlossen hatte. „Das treibe ich dir schon aus. Gestern war nur eine Kostprobe davon gewesen, was dich erwarten wird."
Das klang erfreulich. Gestern war wie ein Albtraum gewesen. Wie wollte er das steigern? Ich wollte es gar nicht herausfinden müssen und doch würde kein Weg daran vorbeiführen. Ich stand vom Bett auf und wollte Abstand zu ihm bekommen, als er sich mir näherte und das wie ein gefährliches Raubtier, bereit zum Sprung.
Bevor ich weit kommen konnte – was im Anbetracht des Zimmers sowieso unmöglich gewesen wäre – packte er mich und schmiss mich so hart auf den Boden, dass es mich nicht wundern würde, wenn mein Körper langsam nur noch aus Blassuren bestehen müsste.
Ich schrie und das war mein Fehler. Ohne Vorwarnung stopfte Rowan mir gleich zwei dieser seltsamen Pillen in den Mund, drückte meinen Mund so zu, dass ich kurz glaubte, an den kleinen Dingern ersticken zu müssen. Sie fingen an sich in meinem Mund aufzulösen und ehe ich endgültig ersticke, schluckte ich sie herunter und merkte fast sofort, wie ihre Wirkung sich ausbreitete. Egal, was das Zeug war, er kickte schnell. Ich hörte auf mich zu wehren und nahm mit einem eigenartigen Gefühl wahr, wie mein Körper frei wurde. Es war, als ob man auf Wolken laufen würde. Eine wohlige Wärme breitete sich in mir aus, ich vergaß jeden Schmerz, jedes Leid. Ich war so frei, so sorglos. Nichts war kurz mehr von Bedeutung und mit einem seligen Lächeln sah ich zu Rowan über mir auf, der mich anblickte wie der Teufel, der gerade eine neue Seele verdammen konnte.
„Wie fühlst du dich?", fragte er fast schon verführerisch, als ob wir Liebhaber wären und er sich nur um mein Wohl sorgte.
„So gut", schnurrte ich und schloss genüsslich die Augen, fand seine Berührung an meinem Gesicht nicht schrecklich, sondern so sanft wie ein Federkissen. Alles fühlte sich einfach nur gut an, als ob es keine Schmerzen mehr geben könnte.
Er hob mich hoch und trug mich zum Bett, legte mich behutsam auf diesem ab, kauerte sich auf diesem über mich und ich verlor mich in seinen hellen Augen, als er nur mal wieder meinen Kopf zwang, mich mit eigenartigen Bildern zu überschütten.
Für einen Moment konnte ich die Realität von meinen Träumen nicht mehr unterscheiden. Ich war wie in einem Strudel aus Bildern und Gefühlen und ich ließ alles raus, spürte, wie Rowan mir alles nahm. Ich war gefangen in meinem Kopf und verlor den Halt zur Welt.
„Komm Tanzen, Glöckchen", lachte Hayden plötzlich neben mir und nahm meine Hand in seine. Wir waren nicht länger in Rowans Haus, sondern in einem prunkvollen Ballsaal und glücklich ließ ich mich, ohne zu protestieren, von ihm mitziehen, zu einem Haufen an tanzenden Paaren. Wir befanden uns in dem Saal, in dem Silvester-Ball stattgefunden hatte, nur fand hier eine gänzlich andere Feier statt. Andere Gäste, andere Musik. Ich lachte und ließ mich von ihm im Kreis drehen, aber dann war seine Hand plötzlich fort und ich war allein in dem Saal, wo überall Blut auf dem Boden lag, Blut und zerbrochenes Glas der kaputten Fenster. Ich drehte mich verschreckt um und war nicht mehr in einem Ballsaal, sondern in einem langen Flur eines alten und doch auch so edlen Hauses. Ich lief auf die Türe zu, die am Ende des Flurs auf mich wartete, regelrecht nach mir rief, aber kaum berührte ich den Griff und öffnete diese, war ich nicht länger in einem Haus. Ich war draußen auf einer blühenden Wiese und vor mir stand ein Mann, der so wunderschön war, dass er nicht von dieser Welt sein konnte. Ich sah in seine grünen Augen, die mich an die von Reed erinnerten, und der Gedanke an Reed riss mich aus diesen seltsamen Träumen. Das hier war falsch, ich musste dagegen ankämpfen, ich musste stark bleiben!
Ich öffnete blinzelnd die Augen, wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, nur, dass Rowan noch da war.
„Ganz ruhig, kleine Noir, willst du mehr?" Er hielt mir eine weitere bunte Pille vor mein Gesicht und ich spürte sofort, wie in mir ein Verlangen nach mehr von dem Zeug heranwuchs. Das Gefühl frei und sorglos zu sein war himmlisch gewesen, aber ich wusste auch, dass wenn ich jetzt diesem Drang nachgebe, ich ein Problem kriegen würde.
„Nein!", sagte ich mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte. Die Wirkung der letzten Pillen verflogen, aber sein Handeln hatte mich schwach gemacht. Ich kam mir erschöpft vor, so furchtbar erschöpft. Ich wollte mich wehren, ihn von mir drücken, da er mittlerweile so nahe war, dass seine ganze Aura mich umhüllte, mich in die Dunkelheit zog.
„Wie du willst, vermutlich muss ich dir auch weiter zeigen, was deine Alternativen sind, wenn du nicht brav kooperierst", sagte er beinahe bedauernd und ich wollte ihn von mir herunterdrücken, ich wollte weg, ganz weit weg von seiner erdrückenden Nähe, was ihn nur amüsierte. „Na, na, du machst es mir schwerer, wenn du zappelst." Er hatte plötzlich eine Spritze in der Hand. Wo war diese aufgetaucht?
Panik überkam mich bei dem Anblick der langen Nadel und ich fing zu Weinen an, als er mir mühelos die Spritze in meine Armbeuge drückte.
Es schmerzte für einen Moment, ehe ich taub wurde, mich nicht mehr bewegen konnte. Mir wurde schwummerig, ich hörte auf meinen Körper zu spüren, der einzuschlafen schien.
„Bitte", schluchzte ich, fürchtete mich davor, die Kontrolle zu verlieren, keine Macht mehr über mich selbst zu haben.
„Psht, ich mache, dass es dir besser gehen wird. Ich werde dir den Schmerz geben und ihn nehmen und nehmen und nehmen. Vielleicht sollte ich unsere netten Momente für Reed filmen. Ihn wütend zu machen, würde so nett sein und sicher würde es ihm nicht gefallen, wenn er wüsste, was ich mit dir mache. Nicht dass er es nicht verdienen würde." Lachend leckte er mir die Tränen vom Gesicht und ich kämpfte gegen die Dunkelheit an, die mich umhüllen wollte, aber schließlich verlor ich. Schließlich schlief ich ein, nicht wissend, was dieser Dämon mit mir anstellen würde.
Wörter: 4706
Aloha :) Ein etwas düsteres Kapitel, das mir nicht gerade leicht gefallen ist zu schreiben. Aber denkt immer daran, Alice kriegt man nicht so schnell klein. Ich hoffe es hat euch gefallen, auch wenn Rowan ein Arsch ist. Donnerstag geht es weiter xx
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