14. Hilferuf
"She wears strength and darkness equally well, the girl has always been half goddess, half hell." — Nikita Gill
Fuck.
Fuck, Fuck, Fuck.
Ich hörte Schritte hinter mir und ich versuchte nicht vor Angst durchzudrehen, als ich mich langsam umdrehte, als ich mich langsam zu der Person drehte, die gesprochen hatte.
„Ist mir egal, was irgendwer gesagt hat, du hast einen Auftrag zu erledigen!"
Ich presste mich so flach wie es nur möglich war gegen die Wand, als ein Mann in Anzug die Treppe hochlief, nicht mit mir gesprochen hatte, da er wohl am Telefonieren war. Es bestand nur leider die blöde Gefahr, dass er mich jeden Moment sehen könnte.
Entweder würde ich Glück haben und er würde in die andere Richtung gehen oder er biegt gleich zu mir ab, und so wie ich an der Wand gepresst dastand, konnte man mich leider nach wie vor deutlich erkennen.
Ich ergriff also die Flucht. Ich handelte instinktiv, öffnete die Türe neben mir und schlüpfte in das Zimmer hinein, wo ich beinahe erleichtert aufgeatmet hätte, dass es nicht nur verlassen war, sondern auch Malias Zimmer sein müsste.
Ich erkannte diese Art von Zimmer mittlerweile gut. Die Zimmer, die seit Jahren unberührt waren, die wie ein Grab mitten im Haus lagen.
Es gab ein großes, helles Himmelbett, dessen Laken wohl ständig gewechselt wurden, zumindest waren sie nicht so staubig wie alles andere im Raum. Das Zimmer war groß, offen und sah traumhaft schön aus. Die Gefangenschaft hier wurde einem wohl sehr märchenhaft gestaltet. Das Zimmer besaß gewaltige Fenster und das wirklich faszinierende waren die vielen Bilder, die den Raum schmückten. Da waren Staffeleien neben dem Fenster aufgestellt, auf denen unzählige Kunstwerke Malias zu sehen waren. Viele fertig, viele nie vollendet. Pinsel und Farben lagen am Boden um diese Bilder herum, als ob Malia jeden Moment zurückkommen würde, um sie zu vollenden, aber wenn man die eingetrocknete Farbe und das längst verdunstete Wasserglas betrachtete, erkannte man schnell, dass das alles schon eine sehr lange Zeit in diesem eingefrorenen Zustand da lag.
Ich näherte mich zaghaft den Bildern und war bestürzt, wie düster sie waren. Sie sahen aus wie ein Einblick ihrer Seele und ich konnte mir vorstellen, wie traurig und schrecklich es ihr hier ergangen sein musste. Jede Begegnung mit Rowan war wie ein Albtraum für mich gewesen. Wenn ich versuchte mir vorzustellen, hier zu leben und das mit ihm zusammen, wo er sich immer und immer wieder von einem nährt bis man nur noch zerbrochen war... es war eine schreckliche Vorstellung. Es war eine ganz schreckliche Vorstellung.
Die Bilder zeigten nichts anderes. Sie waren alle in dunklen Farben gehalten, zeigten düstere Wälder; Kreaturen, die wie Monster aussahen. Ich sah Bilder, die ganze Blutbäder darstellen sollten. Wollte ich überhaupt wissen, was meine Cousine alles erlebt hatte?
Ich wandte mich ab. Ich müsste den Gegenstand suchen und abhauen, sonst würde ich bald so enden, sonst würde ich nie wieder aus diesem Haus herauskommen.
Bisher hörte ich keinen Krach im Haus, also war Reed irgendwie diskret bisher. Gut, eine Sorge weniger.
Suchend blickte ich mich um. Ich begutachtete jedes Bild, jeden Pinsel. Ich schaute unter das Bett, hob Kissen an und öffnete den Kleiderschrank, der überfüllt mit teuren Klamotten war, viele noch mit Preisschildern dran, die nie getragen wurden. Das wirkte fast, als ob Malia Rowans persönliche Barbiepuppe gewesen wäre. Seine persönliche halbnackte Barbiepuppe. Kaum ei Kleidungsstück würde viel von einem verbergen.
Die Vorstellung widerte mich so sehr an, dass ich den Schrank hastig wieder schloss.
„Es ist nicht hier."
Ich keuchte erschrocken auf und wich taumelnd gegen die Schranktüre, als die Stimme aus dem Nichts heraus ertönte. „Rowan hat es gut verwahrt."
Der Mann, der gesprochen hatte, lief vorsichtig mehr ins Zimmer hinein und auf mich zu, musterte mich dabei ausgiebig.
Ich kannte ihn. Ich hatte ihn gesehen, als ich mit Kellin vor den Reitern in der Schule geflohen war. Er hatte Kellin und mich gehen gelassen. Was machte das dann aus ihm? Einen Verräter Rowans?
„Ich bin wirklich fasziniert, wie ähnlich du ihr siehst. Du solltest aber dringend gehen, Alice Noir. Er wird bald hier sein und wenn er dich findet, wirst du dieses Haus niemals wieder verlassen."
„Wer bist du und wieso hilfst du mir?"
„Ich habe lange zugesehen, wie er deine Cousine bei sich hatte, was er ihr angetan, was er ihr genommen hat. Ich habe lange weggesehen. Keiner sollte so ein Schicksal teilen müssen."
„Wieso bist du dann noch bei ihm?" Ich verstand es nicht. Wieso würde man bei jemanden wie Rowan bleiben, wenn man die Dinge, die er tat, verurteilte?
„Ich werde nicht den Fehler begehen, und ihn mir zum Feind machen. Es ist sicherer an seiner Seite zu sein als gegen ihn zu arbeiten. Ich verhelfe dir deswegen auch nicht zur Flucht, ich lasse dich lediglich an mir vorbeigehen, als wärst du nie hier gewesen, und du solltest schnell an mir vorbeigehen."
Ich nickte, würde den Rat annehmen und das Weite suchen, solange ich es noch könnte. Ich war zwar erfolglos gewesen, aber besser entkomme ich alldem anstatt hier als Gefangene zu vollenden. Ich lief im Schnellschritt zur Türe, hinaus auf den verlassenen Flur. Ich lief so schnell und gleichzeitig so leise wie ich nur konnte zur Treppe und diese hinab.
„Hey, du da!" Ich wusste, dass ich dieses Mal wirklich gemeint war, dass ich dieses Mal wirklich bemerkt worden war und ich fluchte, blieb jedoch nicht stehen. Ich rannte los, nur um bei der nächsten Ecke in einen Mann zu rennen und halb zu Boden zu fallen von dem Zusammenstoß.
„Halte sie fest!", schrie der Mann hinter mir und ich wich den Händen meines Gegenübers aus. Es war ein großer, bulliger Kerl in einem teuren Anzug, der mich nun ansah wie die Beute, die er fangen müsste.
„Das ist das Mädchen!", schrie er laut und alarmierte sicher das halbe Haus. „Das ist das Noir-Mädchen!"
Super. Einfach super.
Ich duckte mich unter ihm hinweg und wollte rennen, aber er schaffte es, seine Arme um meinen Körper zu legen und mich dabei hochzuheben.
Ich strampelte wie verrückt in seinen Armen und versuchte, ihm mit meinen Ellenbogen ins Gesicht zu stoßen. Dabei spürte ich, wie ich ihn traf und ich wurde mit einem lauten Schrei und Fluchen losgelassen. Ich fiel beinahe wieder zu Boden, konnte mich jedoch halten oder zumindest hätte ich mich halten können, wenn der andere Mann mich da nicht eingeholt und zu Boden gedrückt hätte.
Ich schrie vor Schmerzen auf, als sein Gewicht mich zerdrückte. Gewaltsam drehte er mich um, so dass ich auf dem Rücken lag und ich versuchte, ihn zu berühren. Ich konnte nur hoffen, dass mein Selbstschutz von allein reagierte und ich ihm die Haut von den Knochen brennen würde, aber als wüsste er genau, was ich vorhatte, packte er meine Handgelenke und hielt sie so fest zusammen, dass ich glaubte, mir würden die Knochen gleich brechen.
„Seil!", schrie er. Anstatt eines Seils gab der andere Mann ihm einen Kabelbinder, mit dem er meine Handgelenke zusammenzog. Das Material schnitt in meine Haut, drückte mir halb das Blut ab.
„Er ist gleich hier, haltet sie bloß fest. Wenn er hört, dass wir sie gehen gelassen haben, bringt er uns alle um. Wo ist Marek?"
Ich wurde auf die Beine gezogen, war nun nicht mehr fähig, irgendwas zu bewirken. Ich wusste nicht, was ich ohne meine Hände machen sollte. Meine Konzentration, um Pflanzen zu bewegen, war nicht stark genug. Ich war zu verängstigt, hatte zu große Schmerzen. Ich musste mich ganz dringend beruhigen, sonst würde ich dieses Haus nicht mehr verlassen.
Wo war Reed?
War er schon draußen?
Ich betete so sehr, dass es ihm gutging und gleichzeitig hoffte ich, dass er mich retten würde, dass er für mich kommt.
„Da habt ihr also Alice Noir eingefangen."
Ich sah mit Tränen in den Augen zu dem Mann, den ich oben in Malias Zimmer getroffen hatte. Seinem Gesicht konnte ich nichts entnehmen. Weder, dass er mir helfen würde, noch, dass er enttäuscht war, dass ich nun eine Gefangene war.
„Wohin mit ihr, Marek?", fragte der Mann, der mich festhielt und der anders als der andere dünner war und auch wesentlich älter.
Marek nickte in den Raum neben uns und sofort zog mich der Mann dort hinein. Es war ein kleines Zimmer, in dem es außer ein paar Sofas nichts gab. Es wirkte gemütlich hier, aber diese gemütliche Atmosphäre konnte mich nicht beruhigen.
Man hatte mich. Ich würde gleich Rowan treffe. Ich würde dieses Haus nie wieder verlassen. Ich würde hier sterben. Er würde mich umbringen.
„Ich telefoniere, ihr bewacht sie." Marek ging und ich war mit den beiden Männern allein.
Wo war Reed nur? War er noch im Haus? Suchte er mich bereits? Hatte er mitbekommen, wie ich geschnappt wurde? Ich musste irgendwas tun, ich musste irgendwie handeln und freikommen, nur wie?
Mein Herz raste, ich glaubte regelrecht zu fühlen, wie Rowan näher und näher kam und panisch sah ich auf meine Hände. Ich hatte mal ein Video gesehen, wie man sich aus Kabelbindern befreien konnte. Man musste dafür sorgen, dass die Hände so gedreht waren, dass die Daumen oben lagen, und dann müsste man mit voller Kraft seine Arme an seine Brust ziehen. Das Problem war nur, dass diese Kabelbinder dicker aussahen als im Video und jetzt schon fast blutig in meine Haut schnitten. Ich wollte mich nicht am Ende verletzen, aber ich würde es versuchen müssen, wenn ich leben wollte. Ich atmete durch, konzentrierte mich auf das Feuer in mir, versuchte meine Hände heiß werden zu lassen, wenigstens heiß genug, um mir zu helfen, die Fesseln loszuwerden, als ich schon den Trick anwandte.
Ich schrie auf vor Schmerzen, meine Handgelenke bluteten... aber ich war frei
Der ältere Mann war ganz erschrocken, aber noch ehe er realisieren konnte, dass ich frei war, presste ich meine Hände auf sein Gesicht und brachte ihn zum Schreien, als seine Haut laut zischte und regelrecht unter meinen Händen zu kochen schien.
Ich zog seine Waffe aus dem Gürtel und richtete sie auf den anderen Mann, der die Hände hob.
Ich wusste nicht, wie man eine Waffe bediente, ich wusste nicht einmal, wie ich sie entsichern sollte, aber hoffentlich wusste mein Gegenüber nicht, wie ahnungslos ich war.
In dem Moment hörte ich es jedoch. Ich hörte seine Stimme. Im Haus ertönte sie ganz laut, wo er irgendwen anschrie, und ich bekam eine Gänsehaut vor Angst. Ich musste fort. Wie sollte ich nur fort? Was wäre, wenn er direkt vor der Türe wäre? Wo war Reed?
Hilfe Hilfe Hilfe
Ich schrie die Worte in meinem Geist mit der albernen Hoffnung, dass er meine Not vielleicht spüren konnte, irgendwie. Gleichzeitig wollte ich nicht, dass er je wieder in Rowans Nähe kam. Wenn er ihm was antut... es würde mich zerbrechen.
Ich sah zum Fenster hinter dem Mann und traf eine Entscheidung.
Konzentration, ich musste mich konzentrieren. Jetzt. Sofort!
„Sie ist hier!", schrie mein Gegenüber da zu meinem Schreck jedoch. „ROWAN!"
„Nein", sagte ich und als er realisierte, dass ich die Waffe nicht nutzen würde, weil er vielleicht ahnte, dass ich keine Ahnung hatte, was ich damit anzufangen hatte, lief er auf mich zu.
Kurz bevor er mich erreichen konnte, zersprang das Fenster laut als ein Ast durch dieses hindurch brach. Die Zweige umschlangen den Mann und zog ihn mit einem Ruck raus aus dem Zimmer, durch das zersprungene Fenster hinaus und ich rannte ihm nach. Ich rannte aus dem Zimmer, versuchte mich nicht zu schneiden und lief mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte, zum Waldrand. Ich ließ die Waffe unterwegs fallen und hoffte so sehr, nicht erwischt zu werden.
Ich kam an den ersten Bäumen vorbei und wollte mich blind vor Furcht hinter irgendeinem Gebüsch verstecken, als ich ein leises Lachen hörte.
„Du bist ja gerannt, als ob der Teufel dich sucht."
Verschreckt drehte ich mich um, sah allerdings niemanden.
Drehte ich nun durch?
Das war nicht die Zeit für Halluzinationen!
Ich konnte es mir nicht leisten, meine Konzentration zu verlieren.
„Hier oben." Überrascht sah ich zu dem Baum neben mir auf und sah einen Jungen auf einer der Äste sitzen. Ich hatte absolut keine Ahnung, wer er war, wieso er ausgerechnet hier abhing, aber irgendwie passte sein Erscheinen nicht hierher. Er trug etwas, das fast wie eine Schuluniform aussah. Dunkle Hosen, weißes Hemd, einen dunklen Blazer. Sein braunes Haar war zu einem Zopf am Nacken zusammengebunden und leicht irritiert, wer er war, was er hier tat, musterte ich ihn, vor allem, als er leichtfertig zu mir hinabsprang.
„Wer bist du?"
Arbeitete er für Rowan?
Ich sah unsicher zurück zum Haus, aber niemand schien mich hier bisher bemerkt zu haben.
„Du hast um Hilfe geschrien", sagte er und ich zog die Stirn kraus, da sprach er bereits weiter. „Aber du scheinst auch ohne Hilfe bestens klarzukommen. Irgendwie schaffst du es immer."
„Du sprichst, als ob du mich kennen würdest, als ob ich wissen müsste, wer du bist."
„Ich weiß, wer du bist, Kleine. Und in deinem tiefsten Herzen kennst du mich auch, nur solltest du nun dringend weiter, sonst wird dir bald keine Hilfe mehr was bringen, wenn er dich finden wird."
Tatsächlich suchte man bereits die Gartenfläche ab. Ich würde von hier verschwinden müssen.
„Und wohin?"
Als ich keine Antwort bekam, drehte ich mich wieder zu dem Jungen um, der nur fort war.
Er war fort, als ob er nie da gewesen wäre.
War er in die Zeit gesprungen?
Er wusste, wer ich war, es würde also Sinn machen, wenn er in irgendeiner Weise ein Wächter war. Anders hätte er sich in diesem Wald nicht so unbemerkt davonschleichen können.
Das war alles zu schräg. Viel zu schräg.
Ich schüttelte leicht den Kopf und lief leise den Waldrand entlang, versuchte zu der Stelle zu kommen, aus der Reed und ich gemeinsam gekommen waren. Ich lief so schnell wie es möglich war und glaubte mich schon in Sicherheit zu wissen, je weiter ich mich von den Suchenden entfernte, als ich gepackt wurde. Ich wollte erst wieder schreien, sah da jedoch Reeds vertrautes Gesicht und warf mich stattdessen in seine Arme.
„Geht es dir gut?"
Am liebsten hätte ich geweint, aber ich wollte nicht emotional werden. Ich war hier. Ich hatte es aus dem Haus geschafft und er hatte die anderen.
„Ihr seid hier", hauchte ich und löste mich von Reed, sah entsetzt zu Dawson und Reyna. Beide trugen noch ihre Schuluniformen und beide sahen etwas mitgenommen aus.
Dawson eines Auge war geschwollen und verfärbt. Er hatte einen großen Kratzer an seiner rechten Wange und seine Uniform war schmuddelig. Die Krawatte fehlte.
Reynas Haare waren ganz wirr und sie trug nur noch die Bluse, der Blazer war fort. Sie hatte keine Verletzungen, die ich erkennen konnte, dennoch wirkte ihr Blick ganz aufgescheucht.
„Und wir sollten gehen", sagte Reed, den ich genaustens musterte. Er wirkte unverletzt. Gott sei Dank.
„Rowan ist hier, er weiß, dass ich hier war", sagte ich besorgt und sofort setzten wir uns alle in Bewegung.
„Was ist passiert?", wollte Reed wissen und hielt meine Hand dabei in seiner.
„Ich habe es nicht gefunden und bin ein paar Wachen in die Arme gerannt, aber ich konnte fliehen."
„Und du bist verletzt", merkte er an und hob meine Hand höher, um das wunde Handgelenk anzusehen.
„Es ist nicht schlimm. Was war bei euch?"
„Der Typ ist krass", sagte Dawson schwärmerisch. „Der hat die Wachen dort ausgeschaltet, als ob es nichts wäre. Das war wie in einem fucking Actionfilm. Der ist da in die Zellen hineingeplatzt, als ob er Dwayne Johnson wäre."
„Ja, unglaublich", sagte Reyna schlecht gelaunt und eher wenig beeindruckt. Ich würde ganz dringend mit ihr reden müssen, aber erst, wenn wir mehr Abstand kriegen.
„Bald kommt die Grenze der Wächter, sie dürfen das Gebiet nicht betreten, dann sind wir sicher", sagte Reed.
„Wie sehr sich Rowan noch an Grenzen hält, bleibt fraglich", merkte Reyna an. „Die Reiter wollen Krieg. Sie haben genug Regeln gebrochen. Die Grenze wird sie nicht aufhalten."
„Darauf wird es wohl hinauslaufen. Wie geht es weiter? Ich habe das Essen vergessen und der Weg ist so weit", sagte ich, erinnerte mich wieder an die Tasche.
„Keine Sorge, ich habe die nette Tasche geschnappt. Ich wollte erst zu dir, aber weil ich keinen Krach von oben gehört hatte, vertraute ich darauf, dass du es schaffst und ich habe recht behalten." Stolz lächelte Reed mich an und ich senkte verlegen den Blick.
„Knapp."
„Aber du hast es geschafft." Er küsste mich flüchtig auf die Schläfe. Sicher riss er sich nur zusammen, weil wir jetzt nicht mehr allein waren. Wir würden uns jetzt etwas mehr zügeln müssen.
„Geht es euch anderen gut? Dawson, dein Gesicht..."
„Ich bin einfach froh, dass du wohlauf bist. Du warst plötzlich weg und als ich von diesen Arschgesichtern eingekreist wurde, hatte ich das Schlimmste befürchtet."
„Ja, mir wurde geholfen. Deswegen helfe ich dir jetzt."
„Und das mit Reed", merkte Reyna an. „Wie kommt es, dass du frei bist?"
„Ich habe ihn befreit", sagte ich schnell und sah Reed besorgt an. „Wie wird es im Quartier weitergehen? Wirst du rennen?"
„Nein, ich werde mit Warren sprechen", sagte er zu meinem Überraschen und wenn wir nicht auf der Flucht wären, wäre ich jetzt stehen geblieben.
„Du willst was?"
„Wir sind in schweren Zeiten und ich denke, der Konflikt, den er mit mir hat, muss kurz vergessen werden, wenn wir Leute wie Rowan stoppen wollen."
„Das ist irrsinnig", schnaubte Reyna. „Alle denken, dass du mit den Reitern zusammenarbeitest."
„Und doch beweise ich gerade das Gegenteil."
„Das wird niemals ausreichen", sagte Reyna. „Du bist der Feind. Sie haben zu viel gegen dich in der Hand. Eine gute Tat kann hunderte Schlechte nicht wieder richten."
Manchmal wurde ich nicht schlau aus ihr. Mochte sie Reed oder mochte sie ihn nicht? Mal wollte sie, dass ich zu ihm stand und mal nicht. Verwirrend.
„Da hat sie vermutlich recht, Mann. Die werden dich wieder in eine Zelle stecken und die Kleine werden sie niemals wieder in deine Nähe lassen und so gern ich dich ausbrechen würde, weiß ich nicht, ob Muskelkraft allein dafür ausreichen würde", sagte nun Dawson mit einem besorgten Ton, aber Reed ließ sich davon nicht beirren.
„Wir müssten jetzt dann die Grenze erreicht haben", sagte er lediglich, ohne auf dieses ganze Thema weiter einzugehen und so versuchte vorerst auch keiner, ihm das auszureden. Wir hatten noch einen weiten Weg vor uns.
Stunden liefen wir so weiter, wo Dawson die Stille füllte, in dem er von der kurzen Gefangenschaft sprach. Offenbar wurden beide nicht wirklich angerührt. Sie wurden mit Essen versorgt und in unterschiedlichen Zellen weggesperrt. Rowan hatten sie nicht gesehen, aber ihnen wurden ständig Fragen gestellt, hauptsächlich über mich. Sie wollten jedes noch so kleine Detail über mich wissen und ich war ziemlich gerührt, dass Dawson sein Leben riskiert hatte, um zu lügen.
„Die Schwachköpfe haben mir alles geglaubt", sagte er gutgelaunt. „Ich meinte, du hast panische Angst vor Schmetterlingen und dass du in deiner Freizeit Wollmützen für Bedürftige strickst und angeblich sieben Sprachen sprechen kannst."
„Wieso erzählst du so etwas?", fragte ich belustigt nach.
„Sie haben gefragt, was ich über dich weiß und ich dachte mir, ich erzähle einfach mal ein paar Geschichten. Wenn du also bald mit Schmetterlingen attackiert wirst, tut es mir leid." Ich musste nur noch mehr lachen, genau deswegen mochte ich Dawson, seine Art war so befreiend, auch wenn er manchmal ein gewaltiger Idiot sein konnte.
Reed verdrehte von den Geschichten belustigt die Augen und nur Reyna wirkte so, als ob sie gar nichts an der Angelegenheit witzig finden konnte. Sie lief ein Stück abseits von uns und weil ich sowieso mit ihr reden wollte, verließ ich Reeds Seite und schlenderte zu ihr.
„Was ist los?"
„Ich wurde Tage von Reitern gefangene gehalten, was soll schon los sein?", fragte sie gereizt. Ja, das war wohl eine blöde Frage gewesen.
„Wieso bist du ihnen überhaupt nach? Wieso hast du das getan?"
„Diese Bastarde haben zu viel Schaden angerichtet. Sie sollen endlich dafür bezahlen!"
War es wegen ihrem Bruder? Er starb bei den Dunklen Tagen. Wie viel hatten die Reiter damit zu tun?
„Und das werden sie, aber sich allein auf sie zu stürzen ist lebensmüde. Das sind keine Menschen, das sind... gefährliche Wesen." Rowan war es zumindest.
„Ist doch egal, ich lebe, Reed ist der fucking Held, wuhu." Sie klang zynisch und ich sah sie grimmig an.
„Er hat euch gerettet, ich verstehe nicht, was dein Problem mit ihm ist. Mal hasst du ihn dann verteidigst du ihn, kannst du dich mal entscheiden?"
„Ich hasse ihn nicht, ich... ich werde einfach nicht schlau aus ihm", sagte sie aufgebracht. „Ich wollte für ihn da sein, wegen Grace. Ich habe immer gehofft, dass er nicht das ist, was ich vermutete, dass irgendwas Gutes in ihm stecken würde und als er wegen dir glücklich wurde, da dachte ich, es gibt Hoffnung, und dann habe ich dich berührt und-" Sie brach ab, sammelte ihre Worte.
„Und was?"
„Ich habe diese Wärme gespürt. Das Feuer. Ich habe dich berührt und glaubte für einen Moment, Grace zu berühren, es hat mich verunsichert."
Sie hatte Grace gespürt. Ich sah meine Hände an und dachte an meine zweite Kraft. Reyna hatte es so viel schneller als wir anderen gespürt.
„Ich habe nicht verstanden, was das alles soll, wieso Reed interessiert an dir ist, du seine Partnerin bist und diese seltsamen Ähnlichkeiten zu Grace besitzt. Parallel zu allem fing er an, sich seltsam zu benehmen, es erinnerte mich alles zu sehr an damals, also suchte ich Abstand und war froh, dass er fast zeitgleich sowieso das Land verließ. Ich dachte, wir wären alle besser dran. Nur dann kam er als von den Wächtern anerkannte Bedrohung zurück und ich war sauer auf mich selbst, dass ich über hundert Jahre das längst gewusst und mich nur geweigert hatte einzusehen. Ich wusste, dass ich mich dir gegenüber mies verhalten hatte, also versuchte ich es wieder zu regeln. Ich wollte, dass du vorsichtig bist wegen ihm und gleichzeitig erkannte ich, dass er womöglich die einzige Person wäre, die überhaupt auf dich aufpassen könnte, wenn die Reiter an Macht gewinnen."
„Also wusstest du, dass er böse ist, aber du wusstest auch, dass er nicht mit den Reitern zusammengearbeitet hat", stellte ich klar und sie nickte.
„Um sich einen Nutzen daraus zu machen, würde er sicher hier und da Geschäfte eingehen, aber er würde niemals auf deren Seite stehen. Er hat Grace zu sehr dafür geliebt und nachdem, was diese Leute ihr angetan haben, würde er sich niemals mit ihnen verbünden."
„Wie schön, dass du mich wenigstens so weit kennst", spottete da Reed, der mit Dawson näher zu uns getreten war, die letzten Worte wohl gehört haben musste.
„Ich vertraue dir nicht", zischte Reyna. „Nur weil du nicht mit denen zusammenarbeitest, heißt es nicht, dass du gute Absichten verfolgst. Du wirst ihr nicht schaden, aber was ist mit allen anderen?"
„Was hätte ich davon, euch zu schaden?"
„Sag du es mir. Wozu all die Geheimnisse, wenn da nicht mehr dahintersteckt?"
Irritiert sah ich zwischen den beiden hin und her, ähnlich wie Dawson. Wir hatten mittlerweile alle angehalten.
„Es steckt mehr dahinter, wenn du aber nur vom Schlechten ausgehen willst, ist das dein Problem! Ich hätte dich nicht retten müssen, aber ich habe es getan, denn trotz allem bist du meine Freundin, auch wenn deine Launen anstrengend sind."
Reyna schwieg. Sie funkelte Reed lediglich zornig an, ehe sie laut seufzte und die Augen verdrehte. „Es bringt nichts darüber zu streiten. Bis ich nicht weiß, was deine Absichten sind, vertraue ich dir nicht, ganz einfach."
„Musst du auch nicht, ich will lediglich nicht von dir nachts zerfetzt werden", sagte Reed neckend und ich sah, wie ihr ein kurzes Lächeln auf den Lippen lag.
„Ich kann nichts garantieren, Wentworth, aber da ich Alice hier gern sicher sehen will und ich weiß, dass du auf sie aufpasst, verschone ich dich vorerst."
„Gütig von dir", schnaubte er und nahm meine Hand in seine, zog mich weiter und die anderen beiden folgten uns.
Wörter: 3890
Aloha :) Eure Meinung würde mich super interessieren. Da ich leider mal wieder krank bin und mir vorgenommen habe, mich etwas zu schonen und mich sowieso mehr auf ein paar andere Geschichten konzentrieren muss, geht es erst Sonntag weiter. Ich habe euch sowieso viel zu verwöhnt xD Genießt das warme Wetter xx
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