Epilog

"All great truths begin as blasphemies." - George Bernard Shaw

Stürmisch und eiskalt prasselte der Regen wie die letzten paar Stunden schon vom Himmel hinab, überflutete die Londoner Innenstadt regelrecht, begrub sie beinahe schon in den Massen bestehend aus Wasser. Zu der späten Stunde und bei dem Wetter war kaum jemand mehr auf den Straßen unterwegs und doch eilte eine junge Frau, halb verborgen unter ihrer dunklen Regenjacke, durch eine Gasse, mied andere Passante, mied deren neugierigen Blicke, wenn sie an ihr vorbeiliefen, das Rot ihrer Haare erblickten, sahen, wie gehetzt sie zu sein schien.

Sie lief, ohne je anzuhalten, weiter, war schon spät dran und wollte nichts Wichtiges verpassen müssen. Man würde nicht unnötig auf sie warten, sie wusste das. Dafür hatte er nicht die Geduld. Sie schnaubte beinahe, aber seine Geduld war schon seit Jahren so eine Sache. Er hatte sich verändert, und sie wusste genau wieso, jeder wusste es, es war ein offenes Geheimnis, aber niemand sprach je darüber. Man sollte manche Dinge in der Vergangenheit ruhen lassen, darüber war sich jeder einig.

Sie kam schließlich atemlos vor einer der Steinhäuser zum Stehen, wo sie schon laut an der schweren Holztüre klopfte.

Es dauerte nicht lange und sie wurde geöffnet, offenbarte einen breiten, grimmigen Mann, der den Weg in das Innere versperrte.

„Ich bin es", sprach die junge Frau, zog die Kapuze etwas zurück und offenbarte ihre lockigen, roten Haare und ihr hübsches, blasses Gesicht, wodurch ihr sofort der Weg freigegeben wurde, die Wache fast schon ehrfürchtig wirke.

„Sie warten alle im Salon", sprach er freundlich und untergeben, kaum wurde ihm bewusst, wer da vor ihm stand, dass es nicht irgendein Passant war, jemand einfaches, unbedeutendes, sondern sie, jemand, der das komplette Gegenteil von alledem war.

Die Frau trat ein in das trockene Innere, streifte sich ihre nasse Jacke ab und hing sie auf, ehe sie durch den dunklen Flur geradeaus lief. Es war kühl hier drinnen, doch wärmer als draußen und auch trockener. Der Gang war kaum beleuchtet, die Wände wie der Boden auch alt, steinern, alles wirkte in gewisser Weise unheimlich, als ob man sich im Inneren einer verlassenen Burg befinden würde und nicht in einem Wohnhaus, doch nichts hatte hier wirklich Ähnlichkeiten mit einem.

Von Weitem hörte man schon die aufgeregten Stimmen der anderen, sie alle waren tief in Gesprächen versunken, stritten und diskutierten über das, was in den vergangenen Stunden drüben in den USA geschehen war, deuteten die Zeichen, versuchten zu verstehen und nur dafür war die junge Frau auch hergekommen. Es war ihre Pflicht hier anwesend zu sein in solch einer ernsten Stunde, egal wie wenig es ihr auch gefiel, egal wie sehr sie auch wusste, dass die ganze Geschichte sicher kein gutes Ende nehmen würde, nicht nachdem, was geschehen war.

Mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck öffnete sie die zwei Flügeltüren und trat in den deutlich wärmeren Saal ein, wo hinten in einem großen Kamin ein Feuer brannte, und sofort verstummten alle Gespräche an dem runden Tisch. Die Blicke aller waren nun auf sie gerichtet, und ohne was zu sagen, nahm sie Platz auf dem letzten freien Stuhl.

„Was wisst ihr?", fragte sie, sah jeden von ihnen kurz an, zeigte keine Emotionen.

„Es gibt keine konkreten Hinweise", antwortete der junge Mann mit den blonden, lockigen Haaren zu ihrer Rechten, Teddy.

„Wir brauchen auch keine Hinweise", erwiderte ein weiterer Mann, der ihr gegenübersaß, die Kapuze seiner Jacke noch aufgesetzt hatte, fast unheimlich wirkte in dem schwachen Licht und von der Art, wie er sprach, wie seine tiefe Stimme durch den Raum hallte, fast wie das Bellen eines Hundes.

„Brauchen wir nicht?", fragte die Rothaarige nun herausfordernd und sie sah, wie von der anderen Seite des Tisches ihr Cousin mit dem Kopf schüttelte, sie versuchte dazu zu bringen, doch still zu bleiben, sich nicht mit ihm anzulegen, nur sie war niemand, der den Mund brav und artig hielt, sie würde immer ihre Meinung sagen, würde vielleicht Respekt vor dem Kapuzenträger haben, ihn niemals unterschätzen, doch sie würde nicht leise nachgeben. Sie war kein Kind mehr, sie war alt genug, um sich ihren Platz an diesem Tisch mehr als nur verdient zu haben, und jeder von ihnen wusste das auch, der Kapuzenträger ganz besonders.

„Ihr alle glaubt, dass eine dunkle Macht sich erhoben hat und das Quartier in Chicago angegriffen hat. Die Wächter glauben, dass wir es waren, und unsere Ältesten halten sich wie sie es doch so gern tun aus allem raus. Ich sage, es ist unsere Chance einzugreifen, etwas zu bewegen, dass wir uns endlich wehren!", sagte der Mann mit der tiefen Stimme nun und viele im Kreis pflichteten ihm bei, waren für die direkte Konfrontation, einen Krieg, für das Ende des Friedens. Sie schienen wohl vergessen zu haben, wie es letztes Mal endete. „Wir haben uns lange genug im Untergrund bewegt. Ich habe lange genug zugesehen, wie die Wächter alles regelten und regierten und es hat uns so viel gekostet. Ich werde nicht länger nur stillsitzen. Wir sitzen seit fast 14 Jahren still. Es reicht!"

„Und was ist mit Chicago? Du glaubst das Quartier hat sich selbst angegriffen?", fragte die Rothaarige, da sie an etwas anderes glaubte, eine Ahnung hatte, was hier wirklich los war und wenn es so wäre, dann müssten sich nicht nur die Wächter fürchten, sondern sie alle auch, dann wäre niemand mehr sicher.

„Du willst unbedingt daran glauben, dass der Tod erwacht ist und wieder an Stärke gewinnt, Holly, aber es gab seit über hundert Jahren keinen Reiter des Todes mehr und noch nie hat jemand davon gehört, dass welche aus dem Nichts wieder auferstanden sind", blaffte der Mann sie nun an, wollte nicht an die Zeichen glauben dürfen, doch sie wäre nicht so dumm das alles auf die leichte Schulter zu nehmen, sie hatte wie die meisten aus ihrer Linie, der Linie des Krieges, immer daran geglaubt, dass der Tag kommen würde, wo die letzte Linie, die des Todes, sich von neuem erheben würde. Es erschien einfach unmöglich, dass eine so mächtige Linie einfach ausgerottet sein konnte, es war unmöglich.

Von klein auf hatte sie gelernt die Zeichen zu deuten, hatte Geschichten gehört, dass der Tag kommen würde, sich alles ändert und vielleicht war dieser Tag nun endlich gekommen.

„Er hat recht, Holly. Wieso sollte ausgerechnet jetzt die Linie wiedererwachen?", fragte nun ihr Cousin, Ivan, sie, schien keinen Streit in der Runde haben zu wollen, war sowieso schon immer zu weich, zu schwach für all das gewesen. Es war fast schon erbärmlich.

„Wegen Alice Noir", erwiderte sie jedoch wenig beeindruckt, ließ sich keineswegs beirren, sie hatte das Mädchen gesehen, Dinge gehört. Sie war damals da gewesen, als Kellin und Malia hier waren, sie wusste so einiges also.

„Alice Noir?", fragte der Mann nun amüsiert. „Das neue Wächtermädchen?"

„Du hast sie nicht gesehen, Rowan", sagte Holly gereizt an den Anführer dieser Versammlung gerichtet. „Sie sieht aus wie sie. Ein kleines Ebenbild von deiner geliebten Malia, du erinnerst dich doch sicher noch an sie? Oder hast du sie nach all den Jahren einfach vergessen und eingesehen, dass du über sie hinwegkommen musst?" Der Gesichtsausdruck Rowans war schwer zu deuten, doch sie wusste, dass sie einen wunden Punkt mit dem toten Mädchen der Naturlinie getroffen hatte. Jeder kannte die Geschichten, jeder wusste, dass das, was vor 14 Jahren geschehen war, nach wie vor an den stolzen Mann der Linie nagte. Malia war der Anfang vom Ende gewesen. Ihr Verschwinden hatte in den Reihen der Reiter alles zerbrochen. Ein ganzes Imperium war mit ihr in die Brüche gegangen und keiner hatte Rowan je so sehr am Boden gesehen wie an diesem Tag vor 14 Jahren. Es hatte alles verändert, es hatte ihn verändert und die ganze Untergrundszene. Er würde das alles niemals vergessen, nur deswegen war er so auf Rache aus, nur deswegen wollte er die Wächter so sehr fallen sehen. Er hatte Kellin Wentworth auf einer Liste stehen und er würde ihn töten, wenn nicht sogar zerreißen, falls er ihn je in die Finger kriegen sollte.

„Mir ist es egal, wie sie aussieht, mir ist es egal, was damals war, ich glaube an keine Prophezeiungen und an Tote, die wiedererwachen. In Chicago sind die Wächter vermutlich durchgedreht oder andere der Reiter haben heimlich, ohne uns einzuweihen, etwas geplant. Wir sollten uns auf die Zukunft konzentrieren, unsere Bestimmung und die liegt vor uns."

„Also willst du den Frieden zerstören?", fragte Teddy nun nach, wirkte angespannt und sie ahnte, dass es etwas mit einem bestimmten jungen Mann aus der Zeitlinie zu tun hatte, den er ungern tot sehen wollte.

„Das hier war nie ein Frieden", merkte Rowan sachlich an. „Sie haben uns unterdrückt und wie wertlose Zweitrangige behandelt, wie Abschaum, dabei sind wir der Schrecken der Welt, der Untergang des Friedens und zu lange haben unsere Vorfahren sich herumkommandieren lassen, doch damit ist jetzt Schluss!"

Holly wusste, dass sie niemanden überzeugen könnte von ihren Theorien und sie wusste, dass jeder für diesen Krieg war, sie selbst war es ja auch, auch wenn sie vorsichtig sein würde. Sie würde nicht vergessen, was in Chicago war und was sich dort für eine dunkle Macht erhoben hat, die sie alle mit Sicherheit bald aufsuchen würde und dann würden sich die Zeiten wahrlich ändern, für sie alle.

Ende Band 1


Aloha :) Ich hoffe euch hat dieses letzte Kapitel des Buches gefallen. Würde mich über all eure Vermutungen zu der ganzen Sache sehr freuen. In ein paar Tagen gibt es den zweiten Teil. Danke an euch alle für die Unterstützung. Ich hatte am Anfang ja echt Angst gehabt mein erstes eigenes Buch hier zu veröffentlichen, das mal keine Fanfiction ist, und deswegen danke ich euch paar Leuten, die der Sache dennoch eine Chance geben und mich mit Votes und Kommentaren unterstützen die ganze Zeit über. Schaut doch gerne bei ‚Bad Habits' vorbei, wenn euch die Geschichte von Kellin und Malia interessiert, aber seid gewarnt, dass es eventuell Spoiler für die Avenoir-Reihe haben könnte ab einem gewissen Punkt xx

Danke für die:
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Stand: 12.03.2021

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