34. Kämpfer
"Make me immortal with a kiss" - Christopher Marlowe
Mein Kopf war brechend voll, während ich im Matheunterricht saß, versuchte zu verstehen, was dort vorne gerade eigentlich vor sich ging, doch ich verstand im Grunde nur Bahnhof. Woher das e in der Funktion kam, war mir schleierhaft, aber wenn es um Ln-Funktionen und den ganzen Mist ging, dann war ich endgültig raus, dann schaltete mein Hirn einfach ab wie ein alter Computer.
Ich war sowieso gedanklich einfach zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, verarbeitete nun langsam besser die ganze Sache vom Samstag und konnte einfach den Abend nicht aus meinem Kopf verscheuchen.
Ich sah Scotts Gesicht vor mir, kaum schloss ich die Augen, sah sein dreckiges Grinsen, sah, wie sein Kopf zerschlagen wurde, und es war so schwer ruhig zu bleiben, still auf meinem Platz sitzen zu bleiben, wenn ich innerlich am Brodeln war vor Nervosität.
Daisy zu meiner Linken schrieb fleißig mit, schien zu verstehen, was hier geschah, Hayden zu meiner Rechten hingegen schien genauso wenig zu verstehen wie ich, so planlos wie er die Tafel anstarrte, und es beruhigte mich etwas, nicht als einzige völlig inkompetent zu sein, doch für ihn war dieser Abschluss nicht so wichtig, ich hingegen hatte keine endlosen Möglichkeiten das nachzuholen, hatte nicht die Zeit. Ich würde sowas von in Mathe durchfallen, das war eigentlich schon eine beschlossene Sache.
„Alles klar bei dir?" Ich sah zu Daisy, die mich nun ansah und nicht mehr mitschrieb, wohl bemerkt hatte, dass ich völlig verloren war.
„Ja, ich verstehe nur gar nichts", stellte ich klar und sie lächelte leicht. „Es ist echt nicht so schwer, wir versuchen gerade wie eigentlich immer ein Ergebnis für x zu berechnen und du darfst e hierbei einfach wie eine Zahl betrachten, ziehst es mit ein in deine Rechnungen", versuchte sie mir zu erklären, was ja echt süß war, doch einleuchtender wurde es dennoch nicht.
„Gib es auf, Daisy. Alice und ich sind hoffnungslos, wenn es um Mathe geht", mischte sich Hayden ein und ich lächelte wehleidig, doch er hatte recht. Das würde niemals besser werden, da könnte ich noch so viel lernen und üben, ich sah die Zahlen an und glaubte chinesisch lernen zu müssen.
„Ihr müsst es lernen, wie wollt ihr die Abschlussprüfung sonst bestehen?"
„Mit einer Menge Fantasy?", fragte Hayden und ich musste lachen. Ich hoffte noch eine kreative Eingebung zu kriegen, wenn es so weit sein würde, alles andere wäre einfach nur tragisch. Davor müsste ich dringend meinen Kopf auch freikriegen, denn solange Dinge wie Scott, Reed oder Kellin in diesem geisterten, würde das nie was werden können.
In der kurzen Pause vor der nächsten Höllenstunde stand ich mit Daisy bei meinem Schließfach, während Hayden aufs Klo gegangen ist, ich meine Bücher austauschte in die, die ich nun brauchen würde.
„Ohweh, da kommen Chris und Dawson", sagte Daisy und ich folgte ihrem Blick, wo tatsächlich die Zwei auf uns zuliefen, andere Schüler ehrfürchtig regelrecht zur Seite sprangen, ihnen Platz machten. Die anderen sahen mit großen Augen zu, wie sie bei uns hielten und ja versuchten sie nicht zu sehr bei allem anzustarren.
„Hey Mäuschen, wie geht es dir? Reed hat uns von dem, was bei der Party war, erzählt", sagte Chris und ich verzog das Gesicht, wollte nicht erneut an die Party denken und wusste gleichzeitig auch nicht, wie viel Reed ihnen erzählt hatte. Würde das alles nie enden?
„Ja... die Party..."
„Wenn ich das miterlebt hätte, was dieser widerwärtige Hurensohn versucht hat, der würde jetzt nicht im Krankenhaus liegen, sondern tief unter der Erde", sagte Chris und ich sah ihn entsetzt an. „Chris!"
„Was? Vergewaltiger und Pädophile gehören allesamt abgestochen und fertig", meinte er angewidert und ich lächelte ein wenig, doch es war süß, dass er sich überhaupt sorgte.
Schwer vorstellbar, dass jeder so große Angst vor ihnen hatte, denn wenn man sie brauchte, waren sie für einen da, waren aufopfernd, richtige Beschützer.
„Ich will dennoch nicht, dass irgendwer Ärger kriegt für so etwas. Jemand wie Scott würde sich da nur als das Opfer herausreden."
„Soll er mal versuchen, meine Anwälte bringen ihn so lange hinter Gitter, bis er alt und grau ist und im Gefängnis kenne ich genug Jungs, die ihm zeigen würden, was es heißt, vergewaltigt zu werden." Entsetzt sah ich ihn von seinen Worten an, was ihn schmunzeln ließ. „Ok, ich denke, ich spare dir weitere Details."
„Ja, besser wäre es, ich will eigentlich nichts mehr von der Sache wissen", sagte ich, blickte zu Daisy, die zu meinem Verblüffen jedoch mit Dawson sprach, dabei am Lächeln war.
„Oh shit, Loverboy wagt einen Move", lachte Chris, der das auch bemerkte. „Das ist das erste Mal, dass sie wirklich miteinander reden, sonst ignoriert das Blondchen ihn ja immer."
„Vielleicht sieht sie ihn ja nun mit anderen Augen?", meinte ich, wusste gar nicht so recht, was ihre Einstellung dem Jungen gegenüber ist, doch ganz so schrecklich konnte sie ihn kaum finden, so fröhlich wie sie gerade wirkte.
„Kommt ihr dann endlich?" Ich sah auf, als ich Reeds Stimme hörte, sah wie dieser einige Meter entfernt von uns stand, nach seinen Freunden rief, und ich sah sehnsüchtig zu ihm.
Also war er wieder auf Abstand aus. Würde ich je schlau aus ihm werden? Verstehen, was das soll? Gestern küsste er meinen halben Körper, war mir so nahe und nun wollte er nicht einmal in meine Nähe kommen?
„Zerbrich dir nicht den Kopf wegen Reed, er ist einfach restlos inkompetent, wenn es um Frauen geht", munterte Chris mich auf, der wohl meinen Gesichtsausdruck bemerkte.
„Wir erziehen ihn schon noch um", versicherte Dawson mir, der sich von Daisy abgewandt hatte, mir zuzwinkerte, ehe er Chris am Arm packte und zu ihrem Kumpel zog, der mich kurz wehleidig musterte, kurz genauso sehnsüchtig wirkte, doch was er sich wohl dachte, wenn er mich so ansah, ich wusste es nicht.
„Was ist denn nun schon wieder zwischen euch vorgefallen?", fragte Daisy mich und ich schüttete frustriert den Kopf. „Wenn ich das nur wüsste, der gute Herr hält es aber nie für nötig, mich auf den neusten Stand der Dinge zu bringen, was seine Launen angeht. Gestern küsst er mich und heute meidet er mich."
„Ihr habt euch wieder geküsst?", fragte sie leise.
„Ja, weswegen ich nicht verstehe, wieso er mich nun meidet", jammerte ich und sie wirkte besorgt.
„Reed ist schwierig, aber was genau ist das mit euch? Der erste Kuss war, weil er verwirrt war, meintest du, aber was hat das nun zu bedeuten?"
„Das ist die Frage", sagte ich, schloss meinen Spind. „Ich weiß nicht, wieso er das tut und noch weniger weiß ich, wieso ich das zulasse, mich regelrecht so danach sehne, von ihm geküsst zu werden, das ist ja nicht Teil der Bindung, du willst doch auch nicht von Hayden geküsst werden."
„Oh, sicher nicht", sagte Daisy angewidert und ich lächelte amüsiert, denn so schlimm würde ich den Gedanken nicht finden von jemanden wie Hayden geküsst zu werden, doch ihr Verhältnis zu Hayden schien mir eher wie das von Geschwistern zu sein. Sie waren sich nahe, kümmerten sich umeinander, aber da waren keine romantischen Gefühle im Spiel und würden wohl auch nie sein.
Das mit Reed und mir war sicher alles, aber definitiv nicht geschwisterlich. Man küsste seinen Bruder immerhin nicht so, doch was es sonst war, wusste ich nicht. Dieses lockere mal küssen hier, mal küssen da würde auf Dauer aber alles ruinieren. Ich konnte das nicht verkraften, nicht für die nächsten paar Jahrzehnte zumindest.
Nach der Schule machte ich mich an der Seite von Hayden und Daisy und natürlich meinen nervigen Wachen auf den Weg nach draußen, wo ich überrascht war Harry zu sehen und das an der Seite von Sasha. Was tat Sasha denn hier? Er ging nicht auf die Schule, ging vermutlich in gar keine Schule mehr, dafür wirkte er zu alt. Ich fragte mich ja sowieso längst, was für einen Bezug die beiden Männer zueinander hatten? Harry war neu hier und Sasha war irgendeine Art Bedrohung in Reeds Augen. Wusste Harry was genau so schlimm an dem sonderbaren Mann war? Oder war das eher mal wieder so ein Reed Problem?
„Alice." Sasha bemerkte mich, winkte mir zu, so dass ich lächelnd auf die beiden zulief, wohin mir die anderen folgten.
„Hey, was machst du denn hier?"
„Ich treffe Harry. Wir wollen Essen gehen, Lust dich uns anzuschließen?"
„Würde ich gern, aber ich muss wohin", sagte ich und er sah an mir vorbei zu den anderen, vor allem zu meinen Wachen, die auf Abstand blieben wie immer.
„Ich sehe", lachte er.
„Dein Wachschutz ist schräg", merkte Harry an. „Hast du die dir wegen Reed besorgt?"
„Wieso wegen Reed?", fragte ich verwundert nach.
„Naja, der Typ ist gefährlich. Manche behaupten ja, er wäre schuldig, dass Scott im Krankenhaus ist", erklärte er mir und ich spannte mich unbewusst etwas an. Woher kam das Gerücht denn nun bitte? Keiner außer uns war überhaupt dort oben gewesen an dem Tag. Das waren blanke Vorurteile, die nicht einmal stimmten!
„Reed hätte keinen Grund dazu!", sagte ich deswegen schnippisch.
„Hey, sei nicht wütend auf mich. Das sind nur die Dinge, die andere hier erzählen. Ich war den ganzen Abend unten im Haus", sagte Harry besänftigend.
„Das ist Schwachsinn", sagte ich und ich hörte Sasha schnauben. „Aggressiv ist er dennoch. So wie jetzt, Er kommt geradewegs auf uns zu, ich denke, ich sollte mich warm anziehen." Ich folgte Sashas Blick und sah tatsächlich Reed in Begleitung seiner Freunde auf uns zugehen, wo er Sasha wütend fixierte. Ohweh, was war das nur mit den beiden?
„Du kannst es nicht lassen, oder?", fragte Reed, als er uns erreichte, die Hände zu Fäusten geballt hatte und richtig geladen wirkte.
„Ich weiß wirklich nicht, was dein Problem ist, aber-", begann Sasha, konnte jedoch nicht zu Ende sprechen, da packte Reed ihn bereits am Kragen. Ich wollte dazwischen, dafür sorgen, dass kein Streit ausbricht, aber Hayden schob mich zurück und trennte die beiden Jungs mit der Hilfe von Harry, was nicht sehr leicht war, da nicht nur Reed geladen zu sein schien. Auch Sasha wirkte gereizt und es drohte in einer kleinen Prügelei zu enden, so wie die vier Jungs dicht aneinander standen, so dass Daisy besorgt ihren Partner wegziehen wollte, dabei jedoch von Sasha zur Seite geschubst wurde und zu Boden fiel. Ja, es hätte eine kleine Prügelei werden können, aber mit der Aktion änderte sich alles und Chaos brach auch. Dawson mischte sich wie Chris ein, verpasste Sasha einen kräftigen Kinnhaken dafür, dass er Daisy geschubst hatte. Ich dachte sechs prügelnde Jungs wären genug, aber Harrys Freunde aus dem Fußballteam sahen ihn in Not und stürzten sich genauso in den Kampf, so dass schließlich gefühlt die ganze Schule vor dem Eingang versammelt war. Entweder zum Gaffen oder um sich in der Schlägerei zu beteiligen. Ich hatte Daisy ganz panisch aufgeholfen und war mit ihr zurückgewichen, während meine Wachen versuchten die schlagenden Jungs zu trennen, jedoch recht erfolglos waren.
„Geht es dir gut?", fragte ich meine blonde Freundin, die schockiert zu dem Haufen sah, aber nickte. „Die bringen sich gegenseitig um." Sie klang besorgt, hatte sicher große Angst um Hayden, und mir ging es nicht anders. Ich wollte weder Hayden noch Reed oder irgendwen sonst verletzt wissen. Lehrer eilten aus dem Gebäude, versuchten genauso die Jungs voneinander zu trennen. Ich konnte nicht fassen, dass das alles geschah, weil Reed und Sasha sich so hassten. Das war absurd. Gern wollte ich dazwischen, aber bei meinem Glück würde ich mir gleich nur auch die Nase brechen oder gleich noch mehr Knochen.
Mit vielen Drohungen konnten schließlich die Jungs getrennt werden. Ich sah viel Blut, viele geschwollene Gesichter, aber auf dem ersten Blick wirkte keiner sehr übel zugerichtet. Daisy rannte sofort auf Hayden zu, dessen Lippe blutete, der aber sonst gesund wirkte. Beide umarmten sich innig und ich näherte mich ihnen auch, wobei mein Blick eher nach Reed suchte, den ich schon fand, wie er gerade von meinen Wachen zurechtgewiesen wurde. Aus seiner Nase tropfte leicht Blut, aber ich glaubte nicht, dass sie gebrochen war, zumindest wirkte sie nicht sehr geschwollen.
„Reed", sagte ich, lief nun auf diesen zu, erleichtert, dass er ansonsten wohlauf war. Zu meinem Überraschen, streckte er seine Arme nach mir aus, kaum hörte er mich rufen. Ich umgriff sein Gesicht, während er seine Hände an meine Taille legte, mich hielt, und besorgt musterte ich ihn, erhoffte nicht noch größeren Schaden zu finden.
„Was machst du nur?", fragte ich ihn erschüttert, streichelte sein Gesicht, wünschte, ich hätte ein Taschentuch, mit dem ich das Blut wegwischen könnte. Ich war nicht gut darin, Blut zu sehen, aber im Moment war es leichter als gedacht.
„Ich passe nur auf dich auf, Herzblatt", sagte er und ich verstand nicht, was das zu bedeuten hatte, konnte aber auch nicht nachfragen, da unsere Lehrer uns alle vom Geländer verscheuchten und meine Wachen weitergehen wollten. Notgedrungen ließen wir voneinander ab und gern hätte ich weiter mit ihm gesprochen, aber er begleitete mich nicht in Richtung Parkplatz, lief mit seinen Freunden in die andere Richtung, wo ich sah, dass Reyna zu ihnen lief, die Reed anfuhr für die Aktion vermutlich. Zu gern würde ich verstehen, was sie da sprachen, aber ich wurde weitergeführt.
Im Quartier lag ich nur nutzlos auf meinem Bett, wusste nichts mit mir anzufangen, auch wenn es wohl förderlich wäre, wenn ich lerne oder wenigstens meine Hausaufgaben mache, nur war mir einfach nicht danach.
Ich dachte zu sehr an Reed, dachte an alles, was auf dieser Party war, war einfach frustriert. Ich konnte nicht vergessen, konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn Kellin nicht aufgetaucht wäre oder etwas später aufgetaucht wäre und es trieb mich richtig in die Verzweiflung.
Ich spürte Scotts Messer wieder an meinem Gesicht, spürte, wie er mich anfasst, ekelte mich schrecklich und spürte Tränen sich in meinen Augen bilden.
„Verdammt nochmal", fluchte ich, wollte mich etwas ablenken, stand auf und sah zu den paar Pflanzen in meinem Zimmer, musste dringend anfangen weiter zu üben. Wenn ich jemals was erreichen wollte, Meister auf meinem Gebiet werden wollte, dürfte ich das alles nicht so vernachlässigen. Ich hatte Ewigkeiten nicht mehr wirklich geübt, hatte das alles viel zu sehr zur Seite geschoben.
Ich lief zielstrebig auf sie zu, setzte mich auf den Boden vor diese und atmete tief durch.
Ich schloss die Augen, versuchte ihre Kraft und Energie zu fühlen, auch ohne sie berühren zu müssen, ich wollte ihnen noch mehr Kraft geben, eins mit ihnen sein, sie größer und prächtiger wachsen lassen und fühlte tatsächlich ihre vertraute Lebenskraft um mich herum, glaubte genau das erreichen zu können. Als ich meine Augen öffnete, sah ich glücklich, dass die Pflanzen allesamt gewachsen waren, neue Blüten bekommen hatten, gesünder und atemraubender aussahen als je zuvor und ich war glücklich über mein Werk, wohl nun wirklich die Basis meiner Kraft zu beherrschen, doch es war eben nur eine Kleinigkeit. Ich wollte mehr schaffen, wollte richtig was bewegen können, nur fehlte mir der richtige Anhaltspunkt dafür noch.
„Störe ich?" Es klopfte leise und Iran trat dabei ein, die zu mir sah, und verwundert sie zu sehen, stand ich auf, hatte eher weniger mit ihr gerechnet, immerhin hatten wir zwei eigentlich nichts miteinander zu tun, auch wenn ich sie mochte, sie cool fand.
Soweit ich wusste, war sie 20, studierte und war höchstens im Quartier für Nasrin, hatte sonst nicht viel mit alledem zu tun.
„Oh Hi, was machst du denn hier?"
„Wollte nach dir sehen, ich habe von deinem kleinen Trip am Samstag erfahren", sagte sie und ich verdrehte die Augen, lächelte dabei jedoch. „Ist das das Drama des Jahrs hier?"
„Man ist eben besorgt, aber ich bin nicht hier, um dich zu tadeln oder so", sagte sie, setzte sich auf einen Stuhl neben einem einfachen Holztisch im Raum, während ich mich wieder aufs Bett setzte, neugierig über ihre Absichten war.
„Wieso bist du dann hier?"
„Um nach dir zu sehen, das, was dieser Kerl dir antun wollte... ich weiß, dass so etwas nicht einfach zu verarbeiten ist", sagte sie einfühlsam und schon tauchte Scotts Gesicht wie gerufen wieder vor mir auf, sein Grinsen, und ich schloss notgedrungen die Augen, wollte nicht darüber nachdenken. „Es ist ja nichts passiert."
„Genug, um einen zu traumatisieren", sagte sie und ich sah sie wieder an. „Es spielt keine Rolle, ob mehr hätte sein können oder nicht, allein die Tatsache, dass er dich angefasst hat und etwas vorgehabt hatte, reicht aus."
„Ich will eigentlich gar nicht darüber nachdenken müssen", meinte ich. Ich sah mich nicht selbst als Opfer einer Sexualstraftat. Dort draußen gab es Frauen mit echten Problemen, Frauen und Männer, die wirklich was durchleiden mussten, ich hatte kein Recht herum zu heulen nur weil beinahe was gewesen wäre.
„Du weißt, dass du das Recht hast traurig sein zu dürfen? Wütend sein zu dürfen?", fragte Iran mich und ich biss mir auf die Unterlippe, war erstaunt, wie wichtig ihr das war, wie sie mich ansah, wie verletzt sie wirkte und ich kapierte, war entsetzt davon. „Was war es bei dir?", fragte ich vorsichtig mit leiser Stimme, hatte mein Lächeln verloren, doch sie lächelte leicht weiter, auch wenn es nicht echt wirkte. „Ich war 14", sagte sie und ich sah sie traurig und schockiert an, aber 14? Verdammte 14? Sie war doch noch ein Kind gewesen.
„Ich war auf meiner ersten Party damals, hatte mich so cool und so erwachsen gefühlt", sagte sie und lächelte, als ob sie es kaum glauben konnte, wie albern das doch war. „Ich habe das erste Mal getrunken und dann war das dieser Kerl gewesen. Er war älter, gutaussehend und so charmant. Heute wüsste ich, dass wenn ein älterer Kerl einem 14 Jahre alten Mädchen Aufmerksamkeit auf so einer Veranstaltung schenkt, er nur krank sein kann, aber mit 14 bist du naiv, so furchtbar naiv und ich habe ihm alles geglaubt, gedacht, er würde sich um mich kümmern, ich wäre sicher bei ihm, er würde mich als reife und tolle Frau betrachten... aber ich war es nicht, war nicht sicher, nichts besonders, nur naiver als die anderen, ein leichteres Opfer." Nachdenklich sah sie an mir vorbei aus dem Fenster heraus. Ich sah, wie ihre Hände krampfhaft miteinander spielten, sie nervös war, es ihr schwer fiel hierüber zu reden und unwohl kratzte ich mit meinen Fingernägeln an meinem eigenen Handrücken herum, fühlte ihren Schmerz, die Angst, die sie gehabt haben muss. Ich dachte an Scott, meine Angst und mir wurde richtig schlecht davon.
„Ich habe mich nie wirklich gewehrt, war einfach zu überfordert gewesen und es hat Jahre gedauert, bis ich mir klarmachen konnte, dass mir was passiert ist, dass ich ein Recht habe, wütend und traurig zu sein. Es gibt so viele Arten von Missbrauch und auch wenn wie bei dir das Schlimmste verhindert werden konnte... du hast den Schrecken vorher erlebt, die Angst, die Hoffnungslosigkeit und das zu verkraften ist so fucking schwer."
„Wie hast du es überlebt?", fragte ich, wüsste nicht, wie ich es überlebt hätte, wenn wirklich mehr geschehen wäre.
„Meine Freunde waren echte Goldstücke zu der Zeit und auch wenn meine Eltern es bis heute nie erfahren haben, so waren sie immer eine großartige Unterstützung, haben gemerkt, dass ich damals anders drauf war, waren für mich da gewesen."
„Wieso hast du es ihnen nie erzählt?", fragte ich, wüsste nicht, ob ich es meinen berichtet hätte, wie sie dann reagiert hätten, und sie schüttelte den Kopf. „Ich bereue es ein wenig, immerhin wären sie für mich noch mehr da gewesen und hätten mir geholfen das noch besser zu überstehen, aber damals dachte ich, das wäre meine eigene Bürde zu tragen, also hatte ich das getan", sagte sie und mir kamen die Tränen, doch sie tat mir leid. Niemand hatte so etwas verdient, niemand sollte so etwas jemals erleben müssen und es war schrecklich zu sehen, dass es so viele dennoch ertragen mussten, aber ich war stolz darauf, wie bemerkenswert stark sie doch war. Sie war so tapfer, so knallhart, sie hatte sich nicht brechen lassen.
„Danke, dass du dich mir anvertraut hast."
„Ich will einfach, dass du weißt, du bist nicht allein, niemals", sagte sie und ich lächelte gerührt von ihren Worten, wünschte ihr nur das Beste auf der Welt.
Iran war so süß mich den restlichen Tag weiter abzulenken, ging mit mir in den Garten des Quartiers, sah geduldig dabei zu, wie ich versuchte weiter zu üben, gab mir Tipps, auch wenn sie nicht viel mehr wusste in der Sache, doch es war nett jemanden an seiner Seite hierbei zu haben, eine Art Unterstützung.
Ich erfuhr, dass sie Jura studierte, dass sie vorhin bei Nasrin war, deren Zustand schon wieder etwas besser war, was mich unheimlich erleichterte zu hören, immerhin waren ihre Schwester und ich uns freundschaftlich nähergekommen in meiner Zeit hier.
„Wie geht eigentlich bei dir und Reed voran? Ist er immer noch so eine Nervensäge?", fragte Iran mich, nachdem ich gefühlt alle Blumen im Garten zum Blühen gebracht hatte und das obwohl das Wetter nicht gerade gut war, es viel zu kalt für sie wäre, doch meine Kraft hielt sie stark.
„Er ist unerträglich", seufzte ich und sie sah mich amüsiert an. „Das klingt, als ob ihr zwei Sex gehabt hättet."
„Was?", fragte ich schrill, sah kurz besorgt zu den Wachen in der Nähe, wollte auf gar keinen Fall, dass sie das hörten. „Wieso denkst du das?"
„Du wirkst auf die Art verzweifelt, wie eine Frau es nur sein kann von einem Typen, den sie flachlegt", meinte sie und ich wurde sicher rot im Gesicht, schüttelte zwanghaft den Kopf. „Wir haben nicht... das haben wir nicht", stammelte ich und sie lachte amüsiert auf. „Aber ihr seid euch nähergekommen?"
„Ja, aber ich weiß nicht, was das alles soll. Ich habe das Gefühl ihn null zu kennen, gegen eine Wand zu rennen, wenn es um ihn geht, und an einem Tag ist er süß und lieb zu mir, küsst mich und am nächsten ist er wieder dieser Bastard, der mich nur ignoriert und kühl ist", jammerte ich und sie nickte verstehend. „Du solltest ihn ein für alle Male zur Rede stellen, deinen Standpunkt vertreten, ihm sagen, dass er dich so nicht behandeln kann, ihr klären müsst, was das zwischen euch ist, sonst wird er nur seine kleinen Spiele spielen und dich am Ende ganz gebrochen zurücklassen."
„Er wollte über uns reden, aber ich habe zu viel Angst davor, was dann sein würde und außerdem weiß ich doch selbst nicht einmal, was das zwischen uns ist und was ich mir eigentlich erhoffe."
„Weißt du nicht? Ich denke die Antwort steht dir praktisch ins Gesicht geschrieben, du bist so hin und weg von dem Typen, das ist schon fast etwas süß", lachte sie und ich sah sie entsetzt an, doch das war nicht wahr!
„Ich bin nicht hin und weg von ihm!"
„Oh Süße, ich kann deine Liebe zu ihm in deinen Augen ablesen", sagte Iran erheitert und ich sah sie verstört an aber Liebe? Liebte ich Reed? Ich mochte ihn, war glücklich in seiner Nähe, liebte es von ihm berührt und geküsst zu werden, fand ihn interessant und liebenswert, wenn er nicht gerade so ein Arsch war und...
Oh.
Oh.
Ich glaube, das bedeutete wohl genau das. Ich liebte ihn. Wie hatte das geschehen können? Wie hatte ich es zulassen können?
Nein, ich musste mich irren, irgendwas ganz falsch in diese Gefühlslage hineininterpretieren, war einfach nur verwirrt.
„Ich weiß ja nicht", sagte ich deswegen und sie atmete laut aus. „Rede mit ihm."
„Und wie? Wenn ich ihn anrufe, wird er mich sicher ignorieren", stellte ich klar und sie grinste breit. „Wie gut, dass ich genau weiß, wo er heute Abend sein wird."
„Wo?", fragte ich verwundert von dieser Info und sie sah kurz zu meinen Wachen, die etwas entfernt standen, flüsterte die nächsten Worte: „Es gibt eine alte Lagerhalle, wo ab und zu Partys geschmissen werden oder illegale Kämpfe stattfinden."
„Oh, sag bitte nicht, dass es das bedeutet, was ich befürchte", murrte ich und sie zuckte mit den Schultern. „Ich denke, es bedeutet genau das. Er nimmt oft an den Kämpfen dort teil, wird es sicherlich heute Abend auch."
„Ok, das ist ziemlich bescheuert von ihm aber abgesehen davon, ich komme hier unmöglich weg, wenn ich erneut gehe und was passiert, wird meine Familie mich umbringen und eigenhändig an Kellin sicher ausliefern", sagte ich, konnte nicht wieder gehen, ihnen das nicht wieder antun.
„Dann schleichen wir uns nicht raus, sondern sind ehrlich, dass wir abends für eine Stunde oder so wegwollen. Hayden kommt einfach mit, dann sind wir sicher und keiner sollte was dagegen haben."
„Die werden mich niemals gehen lassen nach dem Wochenende", sagte ich, konnte mir das kaum vorstellen. Warren und die anderen waren so sauer gewesen, es glich einem Wunder, dass man mich nicht im Zimmer einsperrte, doch das alles war ja keine Strafe, es war mein Schutz und ich verspielte mir meine Sicherheit selbst.
„Du bist erwachsen und keine Gefangene, die können dir nichts verbieten", stellte sie klar, hatte damit eigentlich auch wiederum recht, weswegen ich nickte, denn ich brauchte dieses Gespräch. „Na gut, ich rufe Hayden an."
„Ihr wollt alle gemeinsam in die Stadt?", fragte Warren, sah zwischen Hayden mir und Iran hin und her, hatte einen Gesichtsausdruck drauf, als ob er uns alle für verrückt halten würde. „Um so eine späte Zeit? In dieser Kombination?" Er merkt eindeutig, dass was nicht stimmte, wir irgendwas anderes vorhatten, doch wir waren wirklich ein seltsamer Haufen. Daisy war nicht hier und mit Iran hatten wir sonst nicht gerade viel zu tun, es war merkwürdig.
„Wir dachten, wir fragen dieses Mal um Erlaubnis", sagte Hayden und Warren hob seine Augenbrauen. „Und wenn ich sie nicht gebe, brichst du sie wieder aus?"
„Vermutlich", sagte Hayden ohne Scham und ich sah, wie der Leiter schmunzeln musste von der sehr ehrlichen, aber auch frechen Antwort. „Du bist unmöglich Junge, dass du so lange überleben konntest mit dem Mundwerk, ist ein Wunder."
„Das sagen mir viele", sagte er amüsiert und ich verdrehte belustigt die Augen. Er war manchmal echt unmöglich.
„Na gut, aber gebt Acht, verstanden? Seid vor zehn Uhr wieder hier und lasst Alice nicht aus den Augen. Kellin könnte überall sein und wir wollen keine Katastrophe riskieren", sagte Warren und ich war überrascht, dass er wirklich zustimmte, hierbei mitmachte.
Ich hatte mit mehr Gegenwehr gerechnet, doch offenbar wusste er, dass Hayden mich so oder so ausbrechen würde am Ende, es zwecklos wäre sich querzustellen, er ja auch auf mich aufpassen könnte.
„Natürlich", versicherte ich im glücklich, sah freudig zu den anderen beiden, die genauso erfreut waren, dass es geklappt hatte, so einfach geklappt hatte und gemeinsam verließen wir die Bibliothek, wo wir Warren fast schon aufgelauert waren für die Erlaubnis und der nun sich an meine Wachen wandte, denen Bescheid gab, dass ich gehen könnte ohne sie.
Gemeinsam verließen wir das Quartier, fuhren mit Haydens Auto los und ich saß unruhig auf dem Beifahrersitz, dachte an mein Gespräch mit Iran über meine Gefühle, kam mir verwirrt vor, hatte Angst vor dem Gespräch mit Reed, wie er reagieren würde, wie er sich benehmen würde und gleichzeitig hatte ich Angst ihn dort zu sehen.
Illegale Kämpfe. Das klang wie ein gewaltiges Klischee. Der gutaussehende Badboy, der sich heimlich nachts gegen andere schlägern musste für Geld? Ruhm? Aufmerksamkeit? Wieso tat er das?
„Hast du schonmal einer der Kämpfe mitgesehen?", fragte ich Hayden, war nervös.
„Ja, ein Grund, warum Daisy nicht dabei ist, sie war schockiert, als ich sie mitgenommen hatte damals", sagte er und ich drehte mich um zu Iran. „Und du?"
„Ab und zu. Als ich noch zur Schule ging öfters, aber jetzt habe ich keine Lust mehr mitanzusehen, wie paar ganz Coole sich die Birne gegenseitig einschlagen."
„Wieso tut Reed das aber auch?", fragte ich, verstand es nicht. Ich versuchte wirklich zu verstehen, was einem daran Spaß machen könnte, wie man es mögen könnte geschlagen und verprügelt zu werden, doch für mich war das irrsinnig.
„Ist ein guter Weg etwas Dampf abzulassen. Mein Bruder schleppt Unmengen an Wut und Hass mit sich herum und wir zwei haben in unserer Lebenszeit kämpfen gelernt, viele verschieden Arten zu kämpfen. Eine normale Schlägerei wäre unfair jedem Gegner gegenüber, hier kann er frei sein Können zeigen und sich abreagieren."
„Hast du schon gekämpft?", fragte Iran neugierig und er grinste breit. „Paar Mal, aber ich habe Daisy versprochen, aufzuhören, ihr gefiel das nicht."
„Du Ehrenmann", sagte Iran amüsiert und ich war beruhigt, dass wenigstens er das nicht mehr tat, fand die Sache krank und wusste nicht, wie ich mich benehmen sollte, wenn ich erst einmal dort wäre.
„Weiß ich doch, ich bin manchmal einfach ein Goldstück", sagte Hayden selbstverliebt und ich sah mir die Gegend derweil genauer an, durch die wir fuhren.
Hier waren viele Fabriken, es wirkte recht verlassen auf den Straßen und wir waren eindeutig in einem Industriegebiet, einem schmierigen Teil der Stadt, wo ich niemals freiwillig nachts allein herumlaufen würde, doch Hayden wäre da und Iran auch, neben der ich mich komischerweise ziemlich sicher fühlte, obwohl sie nicht sehr viel größer als ich war oder gar stärker aussah, was vermutlich an ihrer taffen Art lag.
„Da wären wir", sagte Iran, als Hayden auf einem Parkplatz hielt, auf dem schon so einige andere Autos standen, direkt vor einer alten Halle, die auf mich verwahrlost wirkte, aber der Schein trübte hierbei wohl, was er wohl auch sollte, denn die Cops sollten sich nicht hiervon zu sehr angelockt werden.
„Was für Leute sind bei solchen Veranstaltungen dabei?", fragte ich, stieg aus und schlang meine Arme um mich bei dem kalten Wind, der hier wehte.
Ich trug eine Lederjacke, hatte versucht mich etwas mehr anzupassen damit, wäre in einem Mantel am Ende nur zu aufgefallen.
„Paar von der Schule, andere von anderen Schulen, viele Erwachsene. Hier findest du eigentlich alles und jeden. Von Reichen bis hin zu Kriminellen. Tussen, die auf starke Kerle stehen, bis Goths, die die Szene einfach cool finden", sagte Hayden und lief voraus.
„Und dann wären da noch wir", sagte Iran amüsiert, „Das magische Trio."
„Wir haben jetzt schon unseren eigenen Gruppennamen also?", fragte Hayden und lief um das Gebäude herum, wo sich wohl der Eingang befand und wo ich endlich anfing auch Stimmen und Lärm zu hören, bemerkte, dass hier wirklich was stattfinden würde.
Ich sah die ersten Leute, die draußen rauchend in Gruppen beisammenstanden. Die meisten ignorierten uns, andere musterten vor allem Hayden neugierig, der eben wie ein Supermodel wirkte, heiß in den Augen der allermeisten wohl war und ich konnte es ihnen nicht übelnehmen, doch er sah eben unverschämt gut aus.
„Oh ja, der Geruch von Männlichkeit", sagte Iran ironisch, als wir durch die Türe liefen, wo eine Treppe nach unten führte und einem der Geruch von Schweiß stark, fast penetrant entgegenschlug, vermischt mit Alkohol und etwas, das eindeutig nach Gras roch.
Ich rümpfte die Nase, verzog das Gesicht, während Hayden scherzend extra tief Luft holte. „Der Geruch von Siegern", sagte er euphorisch und ich musste lachen, lief vorsichtig die schmale Treppe nach unten, hörte immer mehr den Lärm der jubelnden Menge, die wohl gerade einen Kampf mitansahen, völlig am Ausflippen waren.
„Ja, es sieht noch genauso scheiße hier aus wie in meiner Erinnerung", sagte Iran und ich sah mich in der vollen Halle um.
Ich erkannte eine Bar an der einen Seite, eine metallene Wendeltreppe, die nach oben führte und vom ersten Stock konnte man wie von eine Art Balkon nach unten sehen.
In der Mitte befand sich wohl der Ring, da vor uns ein Haufen an Leuten stand, die den jetzigen Kampf beobachteten, und neugierig folgte ich Hayden weiter zu einem freien Platz, sah zu den beiden Kerlen, die sich gerade gegenseitig verprügelten.
Es war Gott sei Dank nicht Reed, doch beide Typen waren muskulös, groß und sahen bedrohlich aus, was mir Angst machte gegen was Reed es hier zu tun haben würde.
Einer von ihnen war blond, trug nur eine dunkelblaue Trainingsshorts, war sicher keine 25. Sein Gegner hatte dunkles Haar, wirkte etwas jünger, war jedoch größer, trug auch nur Shorts und sein Oberkörper war durch und durch tätowiert.
„Wie gefährlich ist das?", fragte ich unsicher, sah weg vom Kampf, wollte das nicht mitansehen müssen.
„Ziemlich", sagte er schulterzuckend, wirkte gelangweilt von dem Kampf, während Iran Feuer und Flamme zu sein schien, jubelnd den Dunkelhaarigen anfeuerte, und ich sah sie amüsiert an von ihrer Begeisterung. So viel zu, sie hatte keine Lust mehr sich solche Dinge anzusehen
„Ist denn schon jemand gestorben hierbei?"
„Ohja, das passiert echt oft, aber meistens landen sie einfach nur im Krankenhaus."
„Sie sterben?", fragte ich schrill und er lachte amüsiert von meinem geschockten Gesichtsausdruck. „Das ist kein Spielplatz, Sonnenschein."
„Aber das ist doch krank, wieso tut man sich das an?", fragte ich entsetzt, dachte an Reed, hatte Angst um ihn. Was ist, wenn ihm was geschieht? Wenn sein Gegner stärker ist? Er wie Scott im Krankenhaus landet, weil sein Schädel aufbricht? Ich sah das Bild wieder vor mir, merkte, wie mir schlecht wurde.
„Reed wird es gutgehen, es ist fast schon unfair den anderen gegenüber, wie schwer es ist ihn zu besiegen", beruhigte Hayden mich, der mir meine Angst wohl ansah. „Aber schau, da sind Dawson und Chris." Er nickte nach links und ich sah tatsächlich die beiden Kerle, die gespannt den Kampf verfolgten.
Ob sie auch kämpfen werden? Dawson trug recht sportliche Kleidung, möglich wäre es, immerhin waren die Jungs beide stark und waren oft in Kämpfen verwickelt. Ohman, die wollten doch alle sterben. Ich ließ meinen Blick weiter durch die Gegend wandern, suchte andere vertraute Gesichter und fand tatsächlich eines. Sasha. War der Kerl langsam überall? Er hatte mich nicht bemerkt und würde es hoffentlich auch nicht. E war sowieso zu beschäftigt ganz eindeutig Drogen zu dealen. Er steckte gerade einem Mann etwas zu, bekam dafür ein paar Geldscheine zugesteckt und ich zog die Stirn kraus. Wollte Reed mich deswegen vor ihm schützen? Weil er ein Dealer war?
„Ich glaube, es ist ein Fehler hergekommen zu sein", sagte ich nervös, sah zurück zu Hayden, wusste doch überhaupt nicht, was ich zu Reed sagen sollte, wusste nicht mal, ob er wirklich hier ist, war zu aufgewühlt.
„Du schaffst das schon", sagte Hayden aufmunternd, als der Kampf ein Ende fand, der Dunkelhaarige den Blonden K.O schlug, von zwei Typen weggezogen werden musste, weil er dennoch weiter auf diesen einschlug. Verstört sah ich, wie zwei weitere sich um den verletzten Blonden kümmerten, checkten, ob er lebte und als das der Fall war, jubelte die Menge wie wild.
„Oh das war so gut", jubelte Iran erfreut. „Der Typ war ja mal mega heiß."
„Das ist brutal", sagte ich und sie verdrehte schmunzelnd die Augen. „Sie sind nicht hier, um sich zu umarmen, warte nur ab, bis du deinen Reed gleich siehst."
„Ja, das wird übel", sagte Hayden besorgt und mit großen Augen sah ich zur Kampffläche, wo das nächste Paar sich bereits aufstellte.
Zum einen ein Riese von einem Kerl, der keine Haare mehr hatte, furchteinflößend wirkte, und sein Gegner war... Reed. Natürlich. Natürlich musste sein Gegner aussehen wie eine Bestie von Kerl. Oh Gott, bitte lass ihn nicht sterben.
Reed trug kein Oberteil, auch nur wie die anderen Kämpfer Shorts, und der Anblick seines freien Oberkörpers löste eine halbe Schnappatmung in mir aus. Sicher hätte ich das Sabbern angefangen, wenn ich nicht so verängstigt wäre. Reed war stark und groß, aber neben diesem Typen wirkte er dennoch winzig.
„Wuuhuu Reed", jubelte Iran und der Blick von diesem landete dadurch auf uns, landete auf mir und ich erschauderte von der Art, wie er mich ansah. Oh, er war nicht glücklich. Das hier war ein Fehler, ein gewaltiger, riesiger Fehler.
„Ich kann das nicht mitansehen", sagte ich, wollte gehen, wollte das nicht miterleben müssen, verkrafte das nicht zu sehen, wie er verletzt werden könnte, doch Hayden hielt mich fest, bevor ich rennen konnte. „Wenn du gehst, wird er dir folgen, also bleib!"
„Aber das wäre gut, dann kämpft er nicht!"
„Und er wird sauer sein. Wenn er einen Kampf verpasst deinetwegen, wird er verdammt sauer sein, dann wars das mit klärenden Gesprächen. Wenn es zu viel ist, schließe die Augen, aber bleib", sagte er und ich biss mir halb die Unterlippe ab, als der Kampf startete.
Reeds Stärke war, dass er flink war, gelernt hatte sich mit einer Schnelligkeit zu bewegen, die faszinierend war.
Sein Gegner war groß und stark, aber Reed war einfach erfahrener nach all den Jahren.
Ich schloss entsetzt die Augen, als der Typ ihn dennoch erwischte, ihm eine verpassen konnte, ließ sie von da an den restlichen Kampf geschlossen, konnte nur ahnen, was geschah anhand der Geräusche. Ich klammerte mich an Haydens Arm fest, ertrug das alles kaum mehr, wusste nicht, wie die anderen das alles so toll und cool finden konnten, wollte nur, dass es aufhörte.
Ich hörte die Leute jubeln, entsetzt stöhnen und Iran war fast lauter als jeder sonst von ihnen, doch da ich auch wusste, dass sie für Reed war, öffnete ich beruhigt und erleichtert meine Augen, als sie ganz freudig das Schreien anfing. Ich sah, wie Reed den Schrank von einem Mann zu Boden gekriegt hatte, auf ihn einschlug, bis dieser sich nicht mehr rührte und das mit einer Kraft, einer Gewalt tat, die mich entsetzte.
Ich war froh, als es endlich vorbei war, sah fast genauso atemlos zu Reed wie dieser zu mir, war mir nun aber noch unsicherer als zuvor über das alles. Ich konnte nicht mit ihm reden, nicht nachdem, was ich hier gesehen hatte, wusste nichts mit mir anzufangen.
Er verließ unter lautem Jubel den Ring und ich sah wie Chris ihm folgte, weg aus meinem Blickfeld, und erschüttert merkte ich, wie Iran und Hayden mich ansahen.
„Du wirst nicht kotzen, oder?", fragte Iran besorgt.
„Nein, aber ich will nicht bleiben", sagte ich. „Ich kann nicht mit ihm reden, nicht jetzt."
„Es ist deine Entscheidung, Sonnenschein", sagte Hayden und ich wollte ihnen sagen, dass wir besser gehen, uns hier nichts mehr hielt, als Chris auf uns zugelaufen kam. „Hey Mäuschen, Reed will dich sehen."
„Ich weiß ja nicht", sagte ich unsicher und er lächelte leicht. „Nur weil er im Ring der böse Wolf ist, ist er es nicht in echt auch, na los, er beißt auch nicht, das hat er mir versprochen. Ich muss aber los, Dawson kämpft gleich und braucht meine Unterstützung." Er zwinkerte mir zu, zeigte mir noch die Türe, wo ich hinmüsste, ehe er ging, ich mit mir haderte.
„Was wird es sein? Gehen oder Reden?", fragte Iran, stellte die Qual der Wahl und ich sah zu der Türe, hinter der Reed warten würde.
Oh, er würde sauer sein und ich würde vermutlich weinen, ihn anschreien und mit einem grässlichen Gefühl diese Halle verlassen. Wir würden nach diesem Abend uns wieder meiden, vermutlich nie wieder was miteinander zu tun haben, aber dann wäre das Gespräch vorüber, alles wäre danach wohl vorüber.
„Ich gehe zu ihm."
„Ok, aber wir haben Warren versprochen bei dir zu bleiben", sagte Iran.
„Reed wird besser auf sie aufpassen als wir. Trödel einfach nicht, es ist bald zehn", sagte Hayden und ich nickte, lief mit einem unguten Gefühl zur Türe, hatte Angst, doch es musste geklärt werden. Ich konnte dieses hin du her nicht mehr mitmachen.
Ich klopfte leise an, ehe ich eintrat und die Türe gleich wieder hinter mir schloss, unsicher in den Raum sah, der wohl eine Art Aufenthaltsraum für die Kämpfer war und in dem gerade nur eine einzige Person neben mir anwesend war. Reed.
Er stand mit dem Rücken zu mir, hatte die Hände gegen die Wand gestützt und sah ins Waschbecken vor ihm, wirkte angespannt. Schweiß umhüllte seinen Körper, ließ diesen glänzen, ihn nur noch faszinierender wirken, nur ich hatte ausnahmsweise nicht den Kopf ihn anzugaffen.
Langsam lief ich mehr in den Raum, sah zu den schäbigen Sofas an der Wand, den ganzen Plakaten von halbnackten Frauen, Boxern, Weedblättern. Es war ein schäbiger Ort, doch es war auch eine schäbige Veranstaltung.
„Du wolltest mich sehen", sagte ich und er drehte sich um, wo ich zwanghaft meinen Blick auf sein Gesicht richtete, da meine Blicke nun doch wieder richtig zu funktionieren schienen.
„Was tust du hier?", fragte er mich, klang kühl, und ich schloss kurz die Augen, wollte ein klärendes Gespräch, doch nun, wo ich hier vor ihm stand, wusste ich, dass es nichts bringen würde, es hoffnungslos war.
Ich erinnerte mich daran, wie ich ihm schon mal gesagt hatte, wie genervt ich von seinem Verhalten war, wie wir solche Gespräche in der Art schon hatten, wie sinnlos es eigentlich war. Wenn ich ihm sage, wie es um mein Herz steht, wäre es ihm sicherlich egal. Wieso sollte er schon mehr für mich empfinden? Was war ich schon? Für ihn gab es nur Grace, ich war nichts im Gegensatz zu ihr und ich wollte ihm nicht meine Gefühle verraten, um am Ende gebrochen vor ihm zu stehen, wenn er mir abfällig sagt, wie wenig ich ihm eigentlich bedeute.
„Dir sagen, dass ich dich nicht mehr sehen will", hauchte ich und er wirkte überrascht von meinen Worten, ich war es ja selbst auch. „Ich kann das einfach nicht. Ich werde nicht schlau aus dir, will es nicht werden, ich bin es einfach so leid nur gut genug für dich zu sein, wenn es dir gerade passt, ich habe das nicht verdient."
„Und dafür kommst du her? Hierher? Um mir das zu sagen?", fragte er gereizt und ich sah, wie seine Hände sich zu Fäusten geballt hatten, doch ich hatte keine Angst, wusste, dass er mir nichts tun würde, mich niemals körperlich verletzen würde.
„Ich kam her, um mit dir zu reden, aber eigentlich ist es zwecklos. Du wirst mir gar nicht erst zuhören, wieder kurz lieb und nett sein, wirst mich plötzlich wieder an jeder Stelle meines Körpers küssen und so süß zu mir sein, um mich am nächsten Tag zu meiden als wäre ich die Pest. Ich bin kein verdammtes Spielzeug, Reed."
Er sah mich einfach nur an von meinen Worten, ernst, kühl und ich wusste, dass ich auf nicht mehr hoffen müsste von ihm.
„Also hast du nichts mehr dazu zu sagen?", fragte ich ihn leise, fast verzweifelt, denn ein kleiner Teil in mir hoffte dennoch, dass es anders enden würde, er sich ändern würde, irgendwas tut, doch Hoffnung brachte einem wohl doch nur mehr Schmerzen. Ich musste das hier einfach beenden, bevor es zu spät wäre. Irans Worte hatten mir Angst gemacht, denn wenn ich mich an ihn verliere, richtig, endgültig, es würde mich zerstören, wenn er mich weiter so behandelt, irgendwann genug von mir haben würde.
„Du scheinst meine Antwort ja offenbar besser zu wissen als ich. Du glaubst, alles so gut zu wissen und zu verstehen. Was soll ich dazu schon sagen?", fragte er mich und ich nickte lächelnd, merkte, wie mir die Tränen kamen, mein Herz schmerzte, ich Iran verfluchte, mir diese Liebessache in den Kopf gesetzt zu haben. Mein Herz fühlte ich an, als ob es zerbrechen müsste, in tausende kleine Stücke.
„Ok", hauchte ich. „Dann gehen wir ab jetzt getrennte Wege. Danke für alles." Ich drehte mich um, versuchte die Fassung nicht zu verlieren, wollte nicht heulend in die Menge treten, die Leute dort draußen amüsieren.
„Fuck", fluchte Reed hinter mir und ich hörte es laut knallen, doch ich drehte mich nicht um, wollte nur weg, zu Hayden, wollte in mein Bett. Ich erreichte fast die Türe, als er mir mich mit paar schnellen Schritten erreicht hatte und zu sich grob umdrehte.
„Was willst du", fragte ich ihn, keuchte erschrocken auf, als er mich gegen die Türe drängte, mich mit einem Blick ansah, der pures Verlangen ausstrahlte, und ehe ich kapierte, was er vorhatte, lagen seine Lippen schon fordernd auf meinen.
Wörter: 7159
Aloha :) Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen, auch wenn es furchtbar lang geworden ist. I'm so sorry. Ich wollte es kürzen, aber anstatt dass ich das geschafft habe, ist es nur noch länger geworden. Das kann auch nur mir passieren xD. Morgen geht es weiter, wo es leider nur ein Tagebuch-Kapitel geben wird. Aber immer schön geduldig sein, das Buch ist fast vorbei und der zweite Teil steht schon in den Startlöchern xx
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