28. Panik
"We loved with a love that was more than love." ― Edgar Allen Poe
„Hast du Schmerzen? Wenn ja, kann ich schnell von unten Schmerztabletten holen." Fürsorglich strich meine Mutter mir über die Stirn. Die Feier unten im Haus hatte nach Kellins Angriff ein Ende gefunden. Die Wachen waren alarmiert und außer dem Inneren Kreis waren alle gegangen, waren panisch und entsetzt gewesen, verängstigt, was das zu bedeuten hatte, wie das ausgehen würde. Die Überwachung des Hauses wurde verstärkt und dass Kellin offenbar mein Blut genommen hatte, erschreckte jeden. Sie waren sich allesamt sicher, dass er irgendeinen Weg gefunden hat mich an sich zu binden nur durch mein Blut, dass er die ganze Zeremonie nicht benötigt, und verstört dachte ich daran, dass er bei unserer nächsten Begegnung mich schon mit sich in die Zeit entführen könnte.
„Mir geht es gut", versicherte ich ihr, doch Schmerztabletten würden hier nichts richten. Mein Handgelenk brannte zwar, war nun jedoch gut verbunden, nachdem Cameron die Wunde genäht hatte. Seine Erfahrung reichte dafür aus und anscheinend waren unsere Medizinschränke so gut ausgestattet, dass man eine kleine OP hier notfalls durchführen könnte. Es missfiel mir, wie überwacht ich von nun an sein würde, dass man mich erdrücken würde mit den Vorsichtsmaßnahmen, die ich ja zu schätzen wusste, nur ich hasste es zugleich. Ich brauchte meinen Freiraum und den würde ich so schnell nicht mehr wiederkriegen. Das alles war einfach nur wie ein schlechter Scherz. Ich hatte so gehofft, dass Kellin mich vielleicht doch nicht wollen könnte, alles gut werden würde und nun das. Das hier war der letzte Beweis gewesen, dass er hinter mir her war und von nun wäre alles anders.
Es klopfte leise an der Türe und erstaunt sah ich zu Reed, der in Begleitung von Lilien eingetreten kam. Was tat er denn hier? Ich dachte, er wäre mit den anderen Gästen längst gegangen, wenn auch recht widerwillig, da er meine Seite kaum verlassen wollte, als man ihn dazu gedrängt hatte.
„Sie ist noch wach, gut", sagte Lilien. „Man ist zum Entschluss gekommen, dass Reed die Nacht hier verbringen sollte für den Fall, dass Kellin es schafft direkt ins Zimmer zu kommen, dann könnte der Junge notfalls mit ihr verschwinden."
„Er soll hier schlafen?", fragte meine Mutter schrill und ich selbst sah mit geweiteten Augen zu meiner Tante, aber man konnte kaum verlangen, dass ich mein Bett mit ihm teile!
„Jetzt stell dich nicht so an Cecilia, sie sollen schlafen und nicht... nun ja schlafen."
„Ich schlafe auf dem Sessel, keine Sorge", beruhigte Reed uns alle und deutete auf das alte Teil in der Ecke des Raums. Ich fühlte mich schlecht zu wissen, dass er dort die Nacht verbringen sollte, während ich in einem weichen Bett lag, gleichzeitig fühlte ich mich unwohl mit dem Wissen, dass er überhaupt hier wäre, eine Nacht lang, mit mir in einem Zimmer. Das klang wie der Beginn eines Albtraums.
„Was sagt Henry dazu?", fragte meine Mutter ihre Schwägerin, schien nicht erfreut hierüber zu sein und ich war es ebenso wenig. Wie sollte ich Ruhe finden, wenn er hier war? Ich würde sicher kein Auge zukriegen und wüsste Elin Bescheid, würde sie wohl einen Schreikrampf kriegen und mir davon berichten, wie in allen Geschichten genau so Liebesgeschichten beginnen würden, die Hauptcharaktere Sex hätten und übereinander herfallen, doch lieber steche ich mir die Augen aus, als mit Reed Sex zu haben. Ich wollte mich nicht so unter meinen Wert verkaufen, nicht bei ihm. Ich wollte nicht als irgendein Mädchen herhalten, mit dem er nach Belieben ficken könnte.
„Er ist genauso zerknirscht wie du, doch mein Bruder weiß, dass es sicherer so ist. Cameron ist den Göttern sei Dank schon schlafen gegangen, sonst wäre hier der dritte Weltkrieg vermutlich ausgebrochen, aber auch er müsste einsehen, dass es für heute Nacht zumindest am besten so ist. Reed kann kämpfen und in die Zeit springen, er ist der beste Beschützer, den sie haben könnte."
„Alice...", meinte meine Mutter nun an mich gerichtet, doch ich war zu müde für Diskussionen, fühlte mich wirklich sicherer mit ihm hier und mir war Reed lieber als irgendeiner der anderen Wachen, irgendein Fremder, auch wenn es mich dennoch nicht glücklich stimmte.
„Ist schon gut, ich werde es überleben. Gute Nacht, euch allen", beruhigte ich sie und bevor sie mehr sagen konnte, wünschte Lilien uns allen ebenfalls eine gute Nacht und zog meine Mutter mit sich aus dem Zimmer, ließ Reed und mich allein in diesem zurück und ich glaubte die Spannung im Raum richtig hören zu können. Es war eigenartig in einem Schlafanzug vor Reed zu sein, der zwar keinen Anzug mehr trug, aber auch keine Schlafsachen.
„Und dir ist das egal?", fragte ich ihn unsicher, als er auf den Sessel zulief und sich auf diesen setzte.
„Ich will dich in Sicherheit wissen und bevor die anderen keine Alternative finden oder herausfinden, was man in den Berichten über die vergangenen Jahre übersehen hat, bleibe ich."
„Na gut", seufzte ich, würde nichts weiter sagen, war zu müde dafür und auch einfach zu aufgewühlt.
Eine Weile sagte keiner von uns beiden was. Ich saß nur auf meinem Bett, sah mein verbundenes Handgelenk an und Reed saß auf dem Sessel, den Kopf so angelehnt, dass er die Decke über sich nun anstarrte, doch auch er schien hellwach zu sein, nicht an Schlaf zu denken.
„Dein Bruder, war er immer schon so gewesen?", durchbrach ich die Stille schließlich, richtete meinen Blick unsicher auf Reed, der mich jedoch auch weiter nicht ansah.
„Du meinst, dass er Menschen entführt und umbringt? Teilweise. Ich meine schon vor Malia hat er angefangen sich zu ändern, er hat ein Talent dafür gehabt, sich Gruppen anzuschließen, die nichts Gutes verhießen. Ihn hat Chaos und Gewalt immer fasziniert aber das, was mit deiner Cousine war, war eine neue Stufe von krank", antwortete er leise.
Die drei Brüder waren im Grunde so unterschiedlich, es war verblüffend. Da war zum einen Hayden, der Bindungen irgendeiner Form verabscheute, bevor Daisy kam, der alles mit dem richtigen Humor sah. Dann war da Kellin, der Unruhestifter, der wegen eines Mädchens die Kontrolle verlor. Und zu guter Letzt war da Reed, der von außen wie der größte Bastard schlechthin wirkte, in Wirklichkeit aber einfach nur von der Liebe gebrochen war. Ich glaubte mir ein Bild über sie alle gemacht zu haben, doch ich wusste auch, dass ich sie alle im Grunde kein Stück kannte. An Hayden gab es eine Seite, die er keinem zu zeigen schien, Kellin hat Absichten und Fassaden, die ich mir nicht erklären konnte, und Reed... ja, da war etwas Eigenartiges an ihm auch noch, eine Dunkelheit, vor der ich mich fürchtete, da ich bisher noch nichts von ihr zu Gesicht bekommen hatte, höchstens kleine Ausschnitte.
„Wenn er mich kriegen sollte-"
„Er wird dich nicht kriegen!", unterbrach Reed mich gleich, als ich das sagte, schaute nun endlich zu mir.
„Falls das Glück nicht auf unserer Seite liegt und er mich aber dennoch kriegen sollte, was wird er tun?", fragte ich, wollte wissen, was mein Schicksal sein würde. Würde er mich töten? Einsperren? Mich einfach als Ersatzpuppe für Malia bei sich behalten? Diese Ungewissheit trieb mich ans Ende.
„Ich wünschte, ich könnte es dir sagen. Ich habe einmal gewusst, zu was er fähig ist und zu was nicht, hätte dir sagen können, dass er dir nie ernsthaft geschadet hätte, doch wie es aussieht, ist der Kellin, den ich kannte, längst tot. Meine Familie hat eine Gabe dafür, eine Rolle anderen vorzuspielen." Bedauernd sah er mich an und ich wusste nicht so recht, was ich erhofft hatte zu hören. Die Angst in mir drinnen war unermesslich. Ich hatte Angst zu sterben, Angst in den Händen eines Verrückten zu landen, doch gleichzeitig versuchte ich das alles auch aus meinem Kopf zu verscheuchen, es nicht zu sehr an mich heranzulassen, sonst würde ich vermutlich nur vergehen.
Ihn heute gesehen zu haben war schon erschreckend genug gewesen. Noch erschreckender war es aber, was für eine Wirkung er auf mich gehabt hatte. Als er über mich gekauert war, ganz kurz hatte ich keine Angst mehr gehabt. Für ein paar winzige Sekunden war ich mir ausgeglichen vorgekommen, hatte mich gefühlt, als ob ich einen alten Freund wiedersehen würde. Es war seltsam gewesen, sehr seltsam.
„Ist es nicht eigenartig, dass sich jemand, den man so lange kennt, so sehr ändert?", fragte ich Reed, immerhin kannten sie sich länger als gewöhnliche Menschen es könnten. Reed war ungefähr 300 Jahre alt, er kannte seinen Bruder also verdammt lange und doch hatte er sich so in ihm getäuscht.
„Ich denke, es ist nicht so verwunderlich wie du glaubst. Man hat viel Zeit sich zu ändern, ins Gute oder Schlechte und außerdem waren wir all die Jahre ja nicht immer zusammen. Es gab ganze Jahrzehnte, wo man sich kaum wirklich gesehen hat. Er hat sein Ding gemacht, ich meines. Dass ich mit meiner Familie gerade zusammenlebe, ist eine Seltenheit, die nur zustande gekommen ist, weil Hayden mich fragte, ob wir nicht nochmal die Schule besuchen wollen, solange wir noch jung genug aussehen, weil er wollte, dass wir unsere gemeinsamen Differenzen etwas glätten, die Familie nach Kellin wieder richten, unsere alte Feindschaft etwas beseitigen." Ich sagte nichts weiter dazu, wusste auch nicht wirklich, was ich sagen sollte. Ich hatte keine Ahnung von dem Leben als jemand, der aus der Zeitlinie stammt. Mein Leben war anders, ich würde keine hunderte von Jahren leben, solche Probleme haben, aber es muss seltsam sein. Es war ein Vorteil seine Familie zu haben, die mit einem so lange lebte, doch ich verstand Hayden gut, wieso er niemanden sonst an sich heranließ. Jeder sonst würde irgendwann alt werden und sterben, aber du nicht. Du würdest bleiben und einen nach dem anderen an die Zeit verlieren.
„Wir sollten nun wirklich schlafen, es ist fast ein Uhr", sprach Reed leise, der auf sein Handy sah, ehe er es in seine Hosentasche steckte, und ich wollte mich schon zurücklegen, doch ich würde nicht schlafen können, wenn er auf diesem Sessel ist, ich fühlte mich zu schlecht bei der Sache.
„Du kannst auch im Bett schlafen", schlug ich ihm unsicher vor, merkte, wie meine Wangen rot wurden von diesem Vorschlag. Ich wollte nicht mit ihm ein Bett teilen, aber er blieb meinetwegen und das Bett war groß genug, dass wir uns nicht einmal berühren müssten.
„Verlockende Einladung", sagte Reed und ich war froh, dass es im Zimmer nicht hell genug war, dass man erkennen konnte, wie rot ich wurde, da lediglich die Lampe auf meinem Nachttisch leuchtete.
„Ich meine es auf eine nicht sexuelle Art, also denk nicht einmal daran", stellte ich klar, was ihn zum Lachen brachte. „Ist mir bewusst, aber bist du dir sicher, dass du mich bei dir haben willst? Ich meine, nicht dass du am Ende wieder nicht die Finger von mir lassen kannst."
„Ich will nicht, dass dein Rücken morgen kaputt ist, weil du so schlafen musstest und ich werde nicht über dich herfallen!" Er seufzte ergeben auf von meinen Worten und erhob sich wieder. Ich rutschte bis zum äußersten linken Rand des Bettes, gab ihm Platz im Bett, als er sich schon auf die Matratze niederließ und sich hinlegte.
„Eindeutig besser als der Sessel", sagte er und ich legte mich unsicher nun auch richtig hin, schaltete das Licht aus, drehte mich zu ihm.
„Für so ein altes Bett ist es auf jeden Fall gemütlich", sagte ich.
„Hätte nicht gedacht, dass sie das Zimmer nicht renovieren würden", erwiderte Reed. „Ein paar Dinge wurden seit damals erneuert, aber es wirkt fast noch wie damals, als ich das letzte Mal hier gewesen war."
„Du warst schon einmal hier?", fragte ich erstaunt, sah im Dunkeln, wie er lächeln musste. „Klar, in 300 Jahre ergibt es sich schon einmal."
„Aber wie kommt es, dass du hier warst und Kellin angeblich nie einen Fuß ins Haus gesetzt hat, wobei wir ja jetzt wissen, dass das nicht stimmt und er sehr wohl hier gewesen war."
„Ich hatte früher ein halbwegs gutes Verhältnis zu deiner Familie gehabt, war nicht ganz so auf Kriegsfuß wie der Rest, aber das ist nun auch wieder Ewigkeiten her", erklärte er mir und ich war ziemlich verblüfft von dieser Information, hatte nicht gedacht, dass er sich irgendwie mit jemanden aus meiner Familie mal gut verstanden haben könnte.
„Was hat sich denn geändert?"
„Dies und das", murmelte er und schien ganz eindeutig nicht antworten zu wollen, sagte dann immer das zur Antwort, weswegen ich nicht weiter nachfragte. Das war hoffnungslos bei ihm.
„Wieso warst du nicht in der Schule in den letzten Tagen?", fragte ich ihn leise, wusste nicht so recht, wieso ich ihn das fragte. Ich kannte die Antwort im Grunde längst und dennoch wollte ich sie aus seinem Munde hören.
Ich hörte ihn trocken neben mir auflachen, sah zu ihm und mir wurde ganz warm, als ich bemerkte, wie er sich über die Lippen leckte, mich Gott sei Dank jedoch nicht ansah, sonst hätte er gesehen, dass ich ihn fast schon sehnsüchtig anstarrte. Der Gedanke daran, wie weich sich seine Lippen anfühlten, wie magisch dieser Tag im Wald gewesen war, er ließ mich nur nicht los und es war bitter zu wissen, dass er dennoch nichts verändert hatte.
„Du verwirrst mich, da habe ich Abstand gebraucht."
„Ich habe nichts getan", verteidigte ich mich sofort recht bissig und er lachte erneut, sah zu mir. „Nicht? Du bist nur über mich hergefallen und hast mir gezeigt, dass du nicht das schüchterne, unsichere Mädchen bist, von dem ich dachte, du wärst es."
„Und damit verwirre ich dich?", fragte ich, zog meine Stirn kraus, doch das ergab nicht viel Sinn für mich.
„Du warst bereit einen Fuck auf alles zu geben, indem du mich geküsst hast, so wie ich bereit war auf alles zu scheißen, als ich dich zuvor küsste. Was sagt das über unsere Beziehung aus?", fragte er mich, stützte sich auf seinem Arm ab, sah zu mir hinab und ich fasste mir nervös ins Haar, spielte mit einer meiner Haarsträhnen, wusste gar nicht, was ich dazu schon sagen sollte.
„Wir bewegen uns auf einem gefährlichen Pfad. Wir sollten das mit uns nicht in die Verdammnis befördern", sagte ich. „Wenn wir uns weiter ignorieren und dann heimlich übereinander herfallen, uns anschließend wieder streiten und immer so weiter, dann werde ich früher oder später durchdrehen." Wenn wir nicht endlich unsere Grenzen ziehen, dann wird das unschön enden.
„Dann bleibt einfach alles wie es vor dem Wald war", sagte Reed leise und ich wandte den Blick ab, wollte unter gar keinen Umständen ihm zeigen, wie verletzend diese Aussage war. Wie vor dem Wald. Als hätte es alles nie gegeben. Als wären wir beide weiterhin nichts als Bekannte. Ich nickte, schwieg eine Weile, wollte nichts mehr dazu sagen, wollte aber auch nicht wach neben ihm liegen, ohne ein Wort zu wechseln, hatte Angst, er würde merken, wie verletzt ich von seinen Worten war, dass ich das alles nicht vergessen wollte, doch was war die Alternative? Würden wir so weitermachen, würde das unschön enden und das war keine Option, also müssten wir einfach vergessen, was gewesen war.
„Dawson und Chris", meinte ich leise, war zwar müde, konnte aber einfach noch keine Ruhe finden, war zu aufgewühlt und nun auch noch nervös von seiner Anwesenheit, traurig von seiner Art, „sie wissen nichts von allem, hast du nie darüber nachgedacht, es ihnen zu sagen?"
„Wieso sollte ich?"
„Weil sie deine Freunde sind, meine beste Freundin weiß auch Bescheid", sagte ich und hörte ihn leise lachen. „Nur weil sie meine Freunde sind, müssen sie nicht alles über mich wissen. Ich hatte viele Freunde in meinem Leben, ich teile nicht alles über mich mit jedem."
„Der mysteriöse Reed Wentworth", murmelte ich leise, schläfrig.
„Du bist nicht viel besser. Du denkst vielleicht, ein offenes Buch zu sein und machst sicher auf die meisten auch so einen Eindruck, aber du hast auch so deine Geheimnisse, auch wenn ich langsam glaube, dass du diese selbst vergessen hast."
„Das ergibt keinen Sinn", murmelte ich, war plötzlich doch stärker vor Müdigkeit gepackt als geahnt.
„Ich werde deine Geheimnisse schon noch herausfinden, Herzblatt", versicherte er mir, doch ich antwortete ihm nicht darauf, war wohl doch irgendwann eingeschlafen.
Ich träumte in dieser Nacht nicht von dem üblichen Grauen, es war etwas Neues, das meinen Kopf heute Nacht beanspruchte. In diesem Traum befand ich mich in einem langen Gang, nur es war kein gewöhnlicher Gang, er wirkte eher wie der eines alten Palasts, als ob ich in einem alten, edlen Schloss wäre. In der Ferne hörte ich Stimmen, eher das Gelächter zweier Kinder und neugierig, wie ich es selbst im Traum war, folgte ich ihren Stimmen, die durch die Gänge hallten. Ich wollte wissen, wo ich war, wer sie waren, was das alles sollte. Ich rannte und rannte also und mit jedem Schritt veränderte sich der Gang um mich herum mehr. Er wurde kühler, wirkte zerfallener, als ob jemand die Uhr nach vorne drehen würde und alles um Jahrzehnte altert. Der Boden schien von Schnee bedeckt zu sein. Ich sah meinen Atem als kleine Wolke und das Gelächter verstummte schlagartig, stattdessen hörte ich nun jemanden weinen. Was war hier nur wieder los? Ich wollte rufen, wollte gehört werden, doch ich schien stumm zu sein, kein Laut verließ meine Lippen.
Das Weinen des Mannes konnte einem das Herz zerbrechen, es klang so verzweifelt, hoffnungslos, schrecklich und ich wollte ihm helfen, wollte ihn trösten, ihn finden, ehe ich plötzlich an der Hand gepackt und in ein Zimmer gezogen wurde. Verwirrt sah ich zu der Frau vor mir, die ich nicht kannte, die jedoch anders aussah als irgendwer zu meiner Zeit. Sie trug ein hübsches, helles Kleid, das sie aussehen ließ wie eine Königin oder Herzogin. Ihre braunen, lockigen Haare trug sie offen und obwohl sie recht jung aussah, sah man ihr an, dass sie schon lange lebte. Es war fast, als wäre sie auch aus der Linie der Zeit.
„Du darfst nicht hier sein. Renn!", wies sie mich streng an und verwirrt wusste ich nicht, was ich zu tun hatte, doch was meinte sie? Wohin sollte ich denn rennen? Vor was sollte ich rennen? Meine Stimme war nach wie vor weg, aber mein Körper befolgte ihren Wunsch, ohne zu zögern, denn ich machte kehrt und rannte davon, rannte fort, merkte, wie sich etwas Dunkles nahte, mich versuchte zu umhüllen und...
Schweißgebadet erwachte ich aus dem Traum, lag mit weit aufgerissenen Augen in meinem Bett und hatte Mühe, zu Atem zu kommen. Was war das bitte gewesen?
Ich schaute zu meiner Seite, wo Reed noch tief und fest zu Schlafen schien, unbeschwert, so friedlich. Er wirkte gleich viel jünger, viel unschuldiger und ich erschauderte, als mir auffiel, dass ich ihm doch nähergekommen war im Schlaf als gedacht. Ich lag Gott sei Dank nicht auf ihm drauf oder hatte ihn als Kuscheltier missbraucht, doch in der Nacht hatten wir wohl Händchengehalten. Das war schräg. Meine Hand lag in seiner und diese Nähe gefiel mir, verwirrte mich jedoch auch ein wenig. Es war so eine sichere Geste, fast als hätte ich versucht einen Halt zur Realität zu finden und den hatte ich durch ihn erhalten, war aufgewacht. Ich entzog ihm meine Hand verbittert, wollte mir mein Leben nicht so schwer machen und erschauderte augenblicklich, glaubte kurz die Kälte meines Traums wieder zu spüren, bekam es kurz mit der Angst zu tun, als ob die Jagd auch nach dem Traum weitergehen würde, was schwachsinnig war, nur die Angst blieb bestehen. Panisch erhob ich mich, fiel dabei zu Boden, so sehr hatte ich mich in meinem Bettlacken verfangen, und ich rief nach Reed.
„Was ist los?", fragte Reed alarmiert, der von meiner Stimme aufwachte, angriffsbereit schon auf beide Beine springen wollte, jedoch nur wie ich auch durch die ganzen Decken zu Boden fiel und das direkt auf mich drauf, mir beinahe alle Knochen brach mit seinem Gewicht.
Ganz erstarrt sah ich zu ihm auf, wurde regelrecht unter ihm begraben und war ganz wirr von der plötzlichen so erdrückenden Nähe, hatte Mühe noch klar zu denken. Alle Angst war verflogen, ich fühlte mich gleich wieder so sicher und beschützt in seiner Nähe, musste mich jedoch auch mahnen. Alles war wieder wie vor dem Wald. Keine unerlaubten Küsse und sicher auch nicht mehr als das, selbst wenn es so verlockend war. Er sah so verschlafen einfach hinreißend aus, die Art, wie er mich ansah, sie machte mich ganz hibbelig und zu gern hätte ich erneut den Abstand überbrückt, ihn einfach geküsst, riss mich jedoch zusammen.
„Alles ok?", fragte er, fing sich schneller als ich, bewahrte mich davor, Dummheiten zu begehen und erhob sich, half mir aus dem ganzen Haufen an Decken und Bettlaken und ich erhob mich wieder.
Vom Fenster schien schwach die Sonne ins Zimmer, was wohl hieß, dass es früh am Morgen war, der Traum ein Ende hatte, alles gut war, ich einfach noch zu panisch wohl gewesen war. Diese Dinge sahen und fühlten sich immer so real im Schlaf an. Dass ich überhaupt Schlaf hatte finden können neben ihm, war Wunder genug, doch natürlich hatte nicht einmal seine Nähe geholfen, die Träume fernzuhalten.
„Ich habe nur schlecht geträumt", beruhigte ich ihn, strich mir durch mein verschwitztes Haar, fand es unangenehm, dass er das mitbekommen hatte, ich ihn wirklich geweckt hatte wie ein Feigling. Er musste sicher denken, dass ich verrückt bin.
„Scheint übel gewesen zu sein", merkte er an und setzte sich wieder zurück aufs Bett und ich merkte, wie er mich von der Seite besorgt musterte.
„Ich bin es gewohnt. Ich träume fast immer nur schlecht, auch wenn es dieses Mal anders war", erwiderte ich, sah zu ihm, versuchte den Traum zu verarbeiten, ihn zu verstehen, nur wie sollte ich ihn verstehen? Es war alles so irritierend gewesen. Nichts davon war mir bekannt vorgekommen, weder die Frau noch der Gang, was hatte das zu bedeuten? Versuchte mein Unterbewusstsein mir irgendwas mitzuteilen?
„Willst du darüber reden?"
„Nein, überhaupt nicht", sagte ich. Wie sollte ich jemanden davon erzählen, ohne für verrückt gehalten zu werden? Der Traum hatte immerhin überhaupt keinen Sinn ergeben, dennoch hatte es sich so echt angefühlt. Ich hatte die Kälte gespürt, die Angst als so real empfunden, es war verstörend.
„Es war nur ein Traum, es ist alles gut", beruhigte Reed mich, da ich nach wie vor aufgebracht wirkte, aufgelöst.
„Ich weiß, es ist nur schwer wieder richtig in die Realität zu finden."
„Dann lenke ich dich ab", schlug er vor. „Weißt du, dass du richtig glühst im Schlaf? Es war als würde ich neben einer Heizung liegen."
„Wirklich? Mir ist nachts immer furchtbar kalt", sagte ich. Ich war eigentlich keiner der Menschen, die je wirklich warm waren. Meine Hände waren immer wie Eis dank meiner wunderbaren Durchblutung.
„Also im Winter können wir uns gerne öfters ein Bett teilen, dann schläft man sicher gut", merkte er an und ich lachte auf. „Ich denke nicht, dass wir uns regelmäßig ein Bett teilen werden von nun an."
„Mal sehen", meinte er und zwinkerte mir zu, was mich nur noch mehr zum Lachen brachte, aber auch deutlich überforderte. Flirtete er gerade mit mir? Wow, dass ein so grimmiger Mensch wie er ausgerechnet in der Früh gute Laue hatte war sonderbar.
„Wie spät ist es eigentlich?", lenkte ich etwas ab und er zog sein Handy hervor. Er hatte wirklich damit geschlafen? Er hatte so wie es aussah auch in seiner ganzen Außenkleidung geschlafen, trug nach wie vor eine Jeans. Es war ein Wunder, dass er überhaupt schlafen konnte. Ich konnte in einer Jeans nie schlafen, fand es zu ungemütlich. Ich war auch irgendwie froh, dass er sie anbehalten hatte. Würde er nur in Unterwäsche daliegen, ich wüsste nicht, wie ich reagiert hätte. Dann wären all unsere Vorsätze ohne Bedeutung gewesen, da war ich mir sicher.
„Ähm, kurz nach sieben. Irgendwelche Pläne für heute?"
„Nein, außer vermutlich im Sicherheitsschutz von A nach B geschleppt zu werden", erwiderte ich und hasste es jetzt schon. Von nun an noch enger bewacht zu werden, machte mich krank, es tat mir nicht gut, überhaupt nicht gut sogar.
„Es ist nur für dein eigenes Wohl."
„Weiß ich doch, aber es gefällt mir dennoch nicht. Ich brauche Freiraum und kann es nicht ausstehen, so überwacht zu werden."
„Besser überwacht als... naja, wer weiß schon was wäre", meinte Reed und stand erneut vom Bett auf, wo er sich ausgiebig streckte. „Ich gehe mal ins Bad." Mit den Worten machte er sich schon in dieses auf und ich nutze seine Abwesenheit, um mir neue Klamotten anzuziehen und meine Haare zu einem Zopf zu binden, damit sie nicht mehr wirr von allen Seiten abstanden, was sie nun einmal recht gerne taten, besonders nach so einer Nacht.
Ich machte mein Bett, öffnete das Fenster, um die frische Morgenluft willkommen zu heißen, und sah anschließend auf mein Handy für Neuigkeiten, doch ich hatte keine Nachrichten, wusste, dass ich Elin erst noch über Kellin berichten müsste. Ich war nur leider noch nicht in der Stimmung für ein Telefonat und wollte nicht alles erneut durchgehen müssen. Mein Blick fiel auf mein Handgelenk und ich fragte mich, ob ich es spüren würde, wenn er irgendeinen Bann über uns legen würde, ob ich die Veränderung merke wie bei der Zeremonie mit Reed oder ob es einfach still und heimlich geschehen würde. Keine Ahnung, was mir eigentlich lieber wäre, beides war einfach nur scheiße.
Reed ging schließlich, nachdem er sich fertig gemacht hatte, lehnte das Angebot zu Frühstücken von meiner Oma ab, was wohl auch besser so war, und angespannt saß ich nun mit allen aus meiner Familie, abgesehen von Dari, der noch oben am Schlafen war, am Esstisch. Alle waren bedrückt und der untere Teil der Wohnung war von gestern noch recht unordentlich, doch niemand schien sich mit dem Versuch aufzuräumen zu belasten, stattdessen saßen wir alle da und ich bekam so einige besorgte Blicke ab, während ich meinen Kaffee versuchte zu trinken.
„Warren hat vorhin angerufen und gemeint, dass Alice zur Sicherheit vorerst im Quartier besser bleiben sollte und dort ein Zimmer kriegt, in dem sie Rund um die Uhr bewacht wird", ergriff Lilien als erste das Wort und ich lachte trocken auf. Das konnte doch kaum deren ernst sein, oder? „Also bin ich eine Gefangene?"
„Es ist zu deinem eigenen Schutz", sagte mein Vater sanft, aber ich konnte kaum auf ewig so leben.
„Ist mir langsam wirklich egal!", erwiderte ich deswegen schnippisch. „Jemanden wie Kellin zu schnappen ist mit seiner Kraft unmöglich und ich werde nicht Jahre lang so leben."
„Und was schlägst du vor, was die Alternative ist?", fragte meine Mutter aufgebracht vor Sorge, schien kaum Schlaf gefunden zu haben, so zerzaust wie sie wirkte und es tat mir richtig leid, nur mir ging es kaum anders.
„Ja, willst du lieber wie Malia enden?", fragte mein Großvater nun ebenso besorgt und ich sah, wie Cameron von den Worten sich anspannte.
„Nein, will ich nicht, aber das hier ist keine Option für mich. Ich will nicht so in Angst leben und wenn er mich kriegen will, wird er es vermutlich so oder so schaffen. Wir sollten eher an Möglichkeiten arbeiten, wie man sich das zu Nutzen machen könnte!", beschwerte ich mich, woraufhin Lilien schnaubte. „Willst du ihn etwa töten, wenn er dich in die Hände kriegt? Ist das dein Vorschlag?"
„Nein, aber es muss doch eine andere Lösung geben!"
„Sicherlich gibt es sie, aber solange man keine hat, ist das die sicherste Option, die wir haben", meinte meine Großmutter sachlich und ich leerte meine Tasse in einem Zug, stellte sie ab und stand auf. „Wenn es so ist", murrte ich, glaubte nicht daran, dass man eine andere Lösung sucht, dass es schnell gehen würde und ich war nicht daran interessiert, hierbei mitzumachen, wollte nicht einfach so eingesperrt werden wie irgendein zerbrechlicher Gegenstand, es war keine Option für mich, zumindest keine, mit der ich auf Dauer klarkommen könnte.
Ich lief in die Eingangshalle, zog mir meine Schuhe an, ergriff einen Mantel vom Haken und verließ das Haus. Ich handelte etwas sehr voreilig, doch der Gedanke eingesperrt zu werden, er erschreckte mich, erfüllte mich mit Panik und in solchen Momenten handelte ich instinktiv. Ich rannte los, als ich hörte, wie meine Eltern mir versuchten nachzueilen, beschleunigte mein Tempo, als ich die Wachen in dem Auto vor meinem Haus erkannte, die alarmiert den Motor starteten, weswegen ich einen Weg einschlug, wo kein Auto durchkönnte.
Es war kälter als gestern und der Himmel zeigte deutlich, dass es sicherlich noch regnen würde im Verlauf des Tages, doch fürs erste war es trocken. Ich eilte immer weiter, bis ich die erste U-Bahnstation ausmachen konnte und in dieser Zuflucht suchte, einfach irgendwo in die Innenstadt fahren würde und meinen Kopf frei kriegen wollte. Es war gefährlich, was ich hier tat, das stand außer Frage, aber Kellin konnte nur in der Zeit reisen und sich nicht Teleportieren und niemals würde er auf die Idee kommen, dass ich etwas so Dummes tun würde und allein in der Stadt wäre. Er denkt sicher, ich wäre zu Hause oder im Quartier, also wäre ich hier doch eigentlich am sichersten, oder? Es war ein schwacher Versuch mein Benehmen zu rechtfertigen, aber ich gab mich damit zufrieden.
Ich wusste nicht so ganz, was mein Ziel sein würde, kannte mich nur schwach in London aus. Ich stieg in den nächsten Zug und würde bei der schönsten Station einfach aussteigen, was sich in dem Fall als London Bridge erwies.
Die Fahrt über grübelte ich über meine Zukunft nach, was nun sein würde, was alles geschehen würde und ich hatte auf jeden Fall Angst, dass mein Leben von nun an in Gefangenschaft sein würde, entweder im Quartier oder wenn Kellin mich kriegen sollte, der wohl eher nicht darauf aus war, mich zu töten. Würde er das wollen, hätte er gestern immerhin die Chance dazu gehabt.
Ich folgte den Strom an Leuten in Richtung Ausgang, genoss es trotz ihnen allen allein zu sein, nicht überwacht, nicht umgeben von irgendwem, den ich kannte. Kurz war da nur ich, kein Kellin, keine Wächter und besorgte Verwandte.
Oben angekommen lief ich recht ziellos umher, stellte mein Handy auf stumm, als es wie verrückt am Klingeln war, ignorierte auch die Nachrichten von meinen Eltern, die meinten, ich solle zurück, ebenso ignorierte ich auch Reeds Nachrichten, als dieser anfing, mir zu schreiben, dass ich zurücksollte. Woher er meine Nummer hatte, war mir nicht klar, vermutlich hatte Hayden sie ihm gegeben, doch es spielte keine Rolle, denn fürs erste wollte ich hierbleiben. Fürs erste wollte ich mit niemandem reden, wollte ich nicht zurückmüssen und unter Dauerüberwachung gestellt werden, wollte die frische Luft, die Einsamkeit genießen.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, in der ich unterwegs war. Kurz regnete es mal, dann war ich in einen naheliegenden Supermarkt gegangen und hatte mir die Zeit damit vertrieben, unnötige Kleinigkeiten wie Kaugummis und Schokoriegel zu kaufen, ehe ich wieder hinausgelaufen war und schließlich in abgelegenere Ecken der Stadt kam, oder es war einfach leerer hier, weil es anfing spät zu werden und das Wetter nun auch nicht sehr ideal war, da es sicher gleich wieder das Regnen anfangen würde. Kurz war ich in ein Café gegangen, einfach weil ich auf die Toilette musste und mir so notgedrungen und eventuell auch, weil ich einfach hungrig war, mir ein Stück Kuchen bestellt hatte, doch das war nun auch wieder eine halbe Ewigkeit her.
Ich wusste, dass ich nicht ewig so durch die Gegend irren konnte. Mein Körper war jetzt schon eiskalt und ich brauchte Wärme, war erschöpft und benötigte eine Pause, vielleicht mal wieder was zum Essen, doch wenn ich zurückgehe, würde ich so schnell sicher nicht mehr gehen können und das missfiel mir. Mir blieb leider kaum mehr was anderes übrig, ich konnte ja nicht einfach fliehen.
Ich fischte deswegen mein Handy aus der Tasche, wollte jemanden anrufen und Bescheid geben, dass ich kommen würde, sie sich nicht mehr weiter sorgen müssten, nur die Stimme einer Frau vor mir, hielt mich davon ab. „Alice Noir." Irritiert sah ich auf, direkt zu der Rothaarigen vor mir. Sie war jung, nicht viel älter als ich, hatte rotes, lockiges Haar, das sie in einem losen Zopf trug. In der Gasse war niemand außer mir und ihr und woher sie wusste, wer ich war, wusste ich nicht, da ich sie sicher noch nie zuvor gesehen hatte. War sie eine Wächterin? Hatte sie mich gesucht?
„Kennen wir uns?", fragte ich deswegen, fand es seltsam, wie sie mich musterte, denn etwas abwertendes lag in dem Blick.
„Nicht direkt vermutlich, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis wir uns kennen lernen würden", erwiderte sie. Gehörte sie zu meinen Wachen? Konnte gut sein, vielleicht war sie hier, um mich zu holen, doch wie hatte sie mich in einer so großen Stadt finden können?
„Ok", erwiderte ich gedehnt. „Und du bist wer?"
„Holly", stellte sie sich lächelnd vor, auch wenn dieses nicht sehr echt wirkte. „Linie des Krieges." Linie des Krieges. Kurz brauchte ich etwas, um ihre Worte zu verarbeiten, um wirklich zu kapieren, was das bedeutete, ehe ich mich wieder an das Gespräch mit Daisy und Iran erinnerte. Sie gehörte zu den Apokalyptischen Reitern. Sie war einer der Bösen, sie war eine Reiterin. Sofort wich ich ein Stück zurück, was sie zu erheitern schien. „Ich bin nicht hier, um dir zu schaden, das habe ich nicht nötig", stellte sie klar, als sie mein verängstigtes Gesicht bemerkte. „Es ist eher ein Zufall, dass ich dich gesehen habe, so wie du allein, orientierungslos herumirrst in unserem Territorium."
„Ich weiß, wer du bist, also was willst du von mir?", fragte ich schnippisch, wusste, dass Iran sie nicht ausstehen konnte, aber laut Daisy hatten die Reiter schon lange nicht mehr offen gegen Wächter zugeschlagen, sollen harmlos sein, dennoch konnte ich kein gutes Gefühl hierbei kriegen. Sie waren immerhin unsere Feinde, stammten von etwas Bösem ab. Ich schenkte da Irans Worten mehr Glauben, dass man ihnen nicht trauen sollte, Daisy war einfach zu gutmütig in vielen Dingen.
„Ich wollte sehen, ob es stimmt und du wirklich aussiehst wie Malia, doch offenbar stimmen diese Gerüchte ausnahmsweise mal", erklärte Holly sich und ich erschauderte, als sie Malia erwähnte. Woher kannte sie Malia bitte? Das Mädchen war kaum älter als ich, persönlich hätte sie sie kaum kennen lernen können.
„Woher..."
„Wir Reiter altern langsamer", klärte sie mich erheitert von meiner Verwirrtheit auf. „Nicht so langsam wie welche aus der Zeitlinie, aber wir werden um die 150 Jahre alt, wir halten uns also sehr lange sehr jung."
„Du kanntest Malia also?", fragte ich neugierig nach, damit wäre sie mal jemand, der sie kannte und nicht aus meiner Familie war oder ein Teil der Wächter.
„Ja, und ich muss sagen, das Original gefiel mir besser." Sie musterte mich erneut nicht sehr nett, doch es schien so, als würde sie grundsätzlich nicht nett sein.
„Sei nicht so fies, Holly, sie sieht doch mindestens genauso reizend aus und dieses Mal gibt es keinen nervigen Wentworth, der immerzu da ist. Das wird manche Leute sehr erfreuen zu hören." Überrascht drehte ich mich um, als die Stimme eines Mannes durch die Gasse nun hallte und ich sah zu einem großgewachsenen Jungen mit blonden, lockigen Haaren. Er wirkte jung, war es vermutlich eher nicht. Er wirkte arrogant von der Art, wie er sich kleidete, wie er sich hielt, wie er von mir zu Holly sah. Ich war mir fast zu 100 Prozent sicher, dass er auch ein Reiter war.
„Sieht so aus, als würde Kellin aber sie haben wollen. Ich weiß nicht, ob wir uns da zu sehr einmischen sollten, Teddy", stellte Holly klar und verwundert, dass der Typ ernsthaft Teddy hieß, unterdrückte ich ein Lachen, überspielte es mit einem Husten. Ich war in der Unterzahl und Kerle wie er könnten ein Lachen nicht so witzig sehen wie ich, ich wollte es mir nicht verscherzen müssen.
„Ja, Kellin will mich haben, entführen, töten, was weiß ich und um ehrlich zu sein, habe ich deswegen gerade keinen Kopf für was auch immer das hier nun werden soll", meinte ich, wollte nicht noch mehr von ihnen kennen lernen müssen. Ich hatte schon wahrlich genug Probleme und brauchte nicht auch noch welche mit Reitern, ob sie nun gut oder böse waren, war mir herzlich egal.
„Ich dachte, du wärst interessiert mehr über dein Cousinchen herauszufinden", neckte Holly mich und ich zuckte zusammen, als Teddy an mir vorbeilief, mir dabei übers Haar strich, ehe er sich neben der Rothaarigen positionierte, ich mich somit wenigstens nicht mehr ganz so umstellt fühlte.
„Ich glaube, mein Kopf platzt bei noch mehr Geheimnissen, Verschwörungen, Informationen, es interessiert mich alles nicht mehr", stellte ich klar, wollte nur noch weg von hier, auch wenn ein kleiner Teil in mir zu gerne mehr wissen würde. Doch wer sagte schon, dass deren Worte stimmten? Wieso sollte irgendwas, das sie sagen, stimmen?
„Es gibt Dinge, vor denen man nicht davonlaufen kann", merkte Holly an.
„Vor ihm wird sie gewiss nicht davonlaufen können", warf Teddy ein, wirkte kurz schadenfroh.
„Kellin? Was wisst ihr schon über ihn?"
„Wir wissen, dass er das arme Ding von Malia bei sich hat, vielleicht lebt sie ja sogar noch, wer weiß, er ist verrückt", sagte Holly lieblich, war darauf aus, mir Angst zu machen.
„Wir wissen auch, dass es auch genug von unserer Seite gibt, die Kellin beseitigt sehen wollen für ein paar Differenzen. Was würdest du denken, wenn ich dir sage, dass es mehr als nur einen Verrückten in dieser Geschichte gibt?" Erwartungsvoll sah Teddy mich nun an, wirkte erheitert und verwirrt sah ich zwischen ihnen hin und her, verstand gar nichts mehr.
„Was? Von wem sprich ihr?"
„Armes, naives Mädchen", kicherte Holly und beide wirkten höchst amüsiert, ehe beide plötzlich etwas überrascht an mir vorbeisahen, nicht mehr ganz so erheitert wirkten, und als ich mich umdrehte, um ihren Blicken zu folgen, fast schon erwartete, noch einen Reiter zu sehen, stellte sich zu meinem Überraschen da Hayden an meine Seite.
„Gibt es hier ein Problem?", fragte er kalt an die beiden anderen gerichtet, die eindeutig ganz aus dem Konzept gebracht wurden mit seinem Erscheinen.
„Scheint so, als würde immer ein Wentworth in der Nähe einer Noir sein", sagte Teddy kalt.
„Sieht so aus", erwiderte Hayden und ich fragte mich wirklich, wie er uns nun gefunden hatte, war beeindruckt, wie kalt und ernst er plötzlich wirkte, so war er sonst nie. Von seiner fröhlichen, heiteren Art war nichts mehr zu sehen, er wirkte ziemlich einschüchternd, gar bedrohlich, wirkte nun mehr denn je wie der Bruder von Reed und Kellin.
„Lass uns gehen", sagte Holly an ihren Begleiter gerichtet und ohne weiter was zu sagen, drehten sie sich um und gingen, ließen uns allein zurück.
„Was zur Hölle machst du, Alice?", fragte Hayden mich schon patzig und ich zuckte von seinen harschen Worten zusammen.
„Ich wollte doch nur kurz Abstand."
„Und dann freundest du dich mit zwei Reitern an und begibst dich in deren Gebiet?", fragte er mich, als ob ich verrückt geworden wäre.
„Ich wusste nicht, dass es wirklich spezielle Gebiete gibt. Sie haben mich gefunden und angesprochen", verteidigte ich mich. Ich wollte gewiss keine Freundschaft mit den Zwei.
„Genau deswegen solltest du nicht allein durch die Gegend ziehen. Du kannst glücklich sein, dass ich dich gefunden habe. Denen kann man nicht trauen."
„Schwer sie als Bedrohung auszumachen, wenn einer von ihnen Teddy heißt", merkte ich an, was endlich wieder Leben in sein Gesicht hauchte, als er lächeln musste. „Dummer Name, nicht?", fragte er amüsiert und führte mich aus der Gasse heraus. „Er heißt eigentlich Theodor, aber keiner nennt ihn so, wir hatten vor ein paar Jahren mal ein On Off Ding, doch ich stehe nicht so auf die bösen Mistkerle."
„Du stehst auf Kerle?", fragte ich überrascht nach von seinen Worten. Um ehrlich zu sein, war es mir nie in den Sinn gekommen, er könnte schwul sein.
„Keine Sorge, Mädchen haben genauso eine große Chance bei mir", lachte er und zwinkerte mir zu, woraufhin ich gleich merkte, wie ich rot wurde.
„Gut zu wissen", murmelte ich verlegen.
„Die anderen sind nicht glücklich über deine kleine Flucht, aber ich denke, sie werden mehr erleichtert sein, dass du wieder da bist, als dass sie wütend sind. Ich weiß, dass mein Bruder schon ganz krank vor Sorge ist."
„Oh man, ich wollte keinen Ärger machen, aber ich reagiere panisch, wenn man mich zu sehr einsperren will", seufzte ich trübe, fühlte mich schlecht für das ganze Drama, bereute es dennoch nicht.
„Ich nehme es dir nicht übel. Ich hätte genauso wenig Lust darauf, Tag und Nacht bewacht zu werden, aber solange Kellin den Psycho spielt, haben wir kaum eine andere Wahl."
„Vermutlich. Wie hast du mich eigentlich gefunden?", fragte ich neugierig und stieg in sein Auto ein, das er in der Nähe der Gasse geparkt hatte und wo er sich schon auf den Fahrersitz setzte.
„Ich habe dein Handy geortet."
„Du hast was?"
„Ist nicht so schwer wie du denkst und ich musste wissen, ob es dir gut geht, Daisy hat mich gezwungen", verteidigte er sich, doch ich war äußerst überrascht davon, dass er zu so etwas in der Lage ist.
„Ist das nicht illegal?"
„Wer weiß das schon so genau. Regeln sind so langweilig", meinte er nur schulterzuckend und ich schüttelte den Kopf. „Krank", murmelte ich amüsiert, war jedoch dankbar, dass er es getan hat. Ohne ihn wäre ich noch immer bei Holly und Teddy und wer wusste schon, wie das ausgegangen wäre? Ich hatte keine Ahnung, wieso die zwei so einen Respekt vor Hayden hatten, so auf Abstand durch ihn gegangen sind, sie respektierten ihn offenbar.
„Hey, ich nenne es kreatives beteiligen in schwierigen Situationen."
„Natürlich nennst du es so", lachte ich, hatte nichts anderes von ihm erwartet.
Es war schön wieder im Warmen zu sein, sitzen zu können und ich war glücklich, dass er es war, der mich gefunden hatte und keine fremde Person oder am besten noch jemand aus meiner Familie. Ich konnte mir Lilien gut vorstellen, wie sie eine Szene veranstaltet hätte wegen meines Benehmens. Nein, Hayden war lockerer hierbei und munterte mich gut auf.
Wir waren offenbar nicht sehr weit weg vom Quartier gewesen, denn nach nur 15 Minuten, hielten wir vor dem bekannten Gebäude, und kaum stiegen wir aus, kam schon Reed aus diesem gerannt und nicht wie erwartet meine Eltern.
„Dir geht es gut", rief er erleichtert aus mich zu sehen und ehe ich realisierte, was geschah, hatte er mich schon in die Arme gezogen. Wie jedes Mal, wenn wir zusammen waren, fühlte ich mich gut, geborgen, sicher und so wollte ich mich am liebsten nie wieder aus Reeds Armen lösen müssen, für immer mich an ihn schmiegen, die Wärme, die ihn umgab, aufnehmen. Deswegen drückte ich ihn nicht sofort wieder weg, umarmte ihn länger als es das üblich wäre, doch er machte keine Anstalt, loszulassen und war es wirklich so verkehrt?
Über seine Schulter hinweg sah ich Hayden, der uns besorgt und nicht sehr glücklich musterte, dessen Blick mich irritierte, aber ich war zu gefangen von Reed, um es wirklich zu verstehen, zu benebelt von dem Gefühl diesem nahe zu sein und blendete alles Weitere deswegen einfach aus.
Wörter: 7020
Aloha :) Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen. Was ist eure Meinung zu den Reitern? Würde mich über eure Meinung freuen xx
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