17. 1840

"Life seems but a quick succession of busy nothings." - Jane Austen

1840. Das war vor 179 Jahren, noch bevor meine Großeltern geboren wurden oder deren Großeltern. Das war vor den Weltkriegen, Victoria war Königin des Landes, doch viel mehr, was genau nun in diesem Jahr schon gewesen war und was erst noch kommen würde, wusste ich nicht. Es wäre viel, sehr viel. Das hier war eine ganz andere Epoche, hier lebten Generationen, die in meiner Zeit schon lange, lange, lange tot waren. So viele Dinge wurden noch nicht entdeckt, noch niemand war auf dem Mond oder gar im Weltall gewesen, die Medizin war eine einzige Katastrophe, in Frankreich und vielen anderen Ländern wurden Leute noch öffentlich hingerichtet, Frauen durften noch nicht wählen, hatten keine Rechte und überhaupt war alles anders als zu meiner Zeit.

Ich löste mich von Reed, sah mich in dem Saal um, der verlassen war, aber fast exakt so aussah wie zu unserer Zeit. Die Decke war genauso schön gestrichen, der Boden und die Wände wirkten nicht anders, also war der Saal einer der wenigen nicht veränderten Dinge des Quartiers.

„Wieso das Jahr?", fragte ich Reed, der schon zu einer Türe lief, die mir bisher nie wirklich aufgefallen war, von der ich so auch nicht wusste, wohin sie führte.

„Einfach so. Ich wollte weit weg und nicht Gefahr laufen mir selbst über den Weg zu laufen und 1840 war ich in Deutschland, also werde ich hier nicht auftauchen." Ich nickte verstehend, war immer noch überwältigt, selbst wenn sich optisch noch rein gar nichts verändert hatte.

„Was ist, wenn jemand kommt? Und wir können doch nicht so herumlaufen in den Klamotten, oder?", fragte ich und er schüttelte den Kopf, öffnete die Türe und offenbarte dahinter eine kleine Kammer mit Klamotten, mit der ich nun überhaupt nicht gerechnet hatte. Das war ein seltsamer Ort für einen Kleiderschrank.

„Hier werden passende Sachen für jedes aktuelle Jahr gelagert in allen verschiedenen Größen, damit Zeitreisende wie wir uns anpassen können", meinte er und zog mich schon in die Kammer, wo ich zu den gewaltigen Kleidern sah, die hier ausgestellt wurden.

„Oh heilige Scheiße", staunte ich bei dem Anblick der gewaltigen Röcke. Es war ein kleiner Traum mal so etwas zu tragen und ich konnte mir kaum was Besseres vorstellen als mir eines dieser Kleider anzuziehen, mich wie eine Prinzessin in diesen zu fühlen, doch es gab ein Problem.

„Wie soll ich das anziehen?", fragte ich überfordert. „Diese Kleider sind gigantisch und ich kann mein Korsett kaum selbst zubinden. Wurden die Frauen damals nicht von drei Leuten gleichzeitig gekleidet?"

„Sei froh, dass wir nicht noch weiter zurückgesprungen sind, sonst hättest du noch eine Perücke tragen müssen", neckte er mich und suchte sich selbst einen einfachen Anzug heraus, wo er gewiss keine Probleme haben würde beim Anziehen.

„Was soll ich aber tun? Ich meine, selbst wenn ich das Kleid ankriegen sollte, meine Haare sind ganz unpassend, ich falle auf wie ein Papagei."
„Ist eigentlich egal, hier im Quartier wissen die Leute, dass es Zeitreisende gibt, du kannst auch ruhig in deiner Schuluniform herumlaufen, die Leute werden es vermutlich skandalös sehen, dass du so freizügig bist, aber sonst werden sie dich nicht völlig verurteilen."

„Nicht verurteilen? Werden die sich nicht fragen, wer wir sind?"

„Sie wissen, wer ich bin, auch wenn ich eigentlich wo anders sein sollte, aber wenn es dir hilft, kannst du ja wenigstens einer der Hosen hier anziehen, dann sieht man nicht so viel von deinem Körper."
„Auffallen werde ich trotzdem, welche Frau hat damals schon Hosen getragen? Das war sicher noch nicht im Trend", merkte ich an und er verdrehte die Augen. „Ist doch egal. Wir meiden andere Leute und gut ist, nächstes Mal lasse ich dich vorher ankleiden, ok?" Nächstes Mal? Er würde erneut mit mir in die Zeit reisen? Ich wurde gleich glücklicher von seinen Worten, von der Aussicht, noch mehr solcher Abenteuer mit ihm erleben zu können, dass er womöglich nicht weiter versuchen würde mich so zu meiden, mich endlich als Partnerin richtig akzeptierte. Ich nickte deswegen brav und suchte mir bei den Männersachen eine Hose, die mir irgendwie passen könnte. Reed würde, währenddessen, mir zur Liebe auch seine Schuluniform anlassen, so dass wir beide, wenn schon, auffallen würden, auch wenn ich in meinen Hosen und in einem Blazer gehüllt sicher noch skurriler wirken müsste.

Die ganze Angelegenheit ließ mich fragen, ob irgendwann bei uns ein Zeitreisender auftauchen würde? Würden wir ihn erkennen? Würde er sich seltsam gekleidet haben und alles? Durften diese einem Dinge über die Zukunft mitteilen, oder war das verboten? Wie viel könnte sich dann ändern? Das ganze Prinzip mit dem Ändern der Vergangenheit hatte ich noch nicht begriffen, doch Reed meinte, ich sollte mir keine Sorgen machen, also versuchte ich darauf zu hören.

„Hast du schon mal jemanden aus der Zukunft gesehen?", fragte ich Reed, während ich mich im hinteren Teil des Raums umzog, verborgen vor seinen Blicken, sicher nicht wollte, dass er mich so halb entblößt sah.

„Nein, es ist aber auch wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass wir uns nicht so einfach offen zeigen. Wenn ich in die Vergangenheit gehe, sage ich auch nicht jedem, dass ich aus der Zukunft stamme, auch wenn man es wie in diesem Fall wohl merken wird", erklärte er mir und lächelnd zog ich mir die Hose an, die unbequem war, ein wenig zu locker lag, aber sie würde nicht nach unten rutschen und das war die Hauptsache.

„Was ist, wenn dich jemand angreift und zwingt Dinge über die Zukunft preiszugeben?", fragte ich und kam angezogen zu ihm, wo er mich amüsiert in dem sicher sehr schrägen Outfit musterte, während er selbst leider wie immer zu gut aussah, selbst in dieser verdammten Uniform.

„Dann haue ich einfach ab", meinte er. „Wir werden gewiss auffallen."
„Dann werden wir das eben", meinte ich lächelnd, öffnete die Türe wieder und betrat mit ihm zusammen den leeren Saal, fragte mich, wie anders der Rest wohl aussehen würde, würde zu gern London selbst sehen, doch dafür müsste ich wirklich anders gekleidet sein, sonst würde ich am Ende für Hexerei verbrannt werden, auch wenn das wohl das falsche Jahr für solche Dinge war.

„Wo war Hayden in dem Jahr?"

„Mein Bruder?", fragte er erstaunt, dass ich nach ihm fragte, während er die Türe zum Gang öffnete. „Der war glaube ich hier in London sogar mit meinen Eltern, kann aber auch sein, dass ich mich irre. Man kann schnell den Überblick verlieren." Ich nickte und sah erwartungsvoll auf den Gang und wurde dieses Mal nicht enttäuscht. Der sonst so schöne viktorianische Gang in meiner Gegenwart existierte so noch nicht, war hier stattdessen ein alter, steinerner Gang, der mehr Ähnlichkeiten zu etwas aus einer alten Burg des Mittelalters hatte. Mir gefiel mein Gang lieber.

Kurz fragte ich mich, wie es eigentlich mit Krankheiten stand und ob es nicht gefährlich war ungeimpft durch die Zeit zu springen, nicht dass wir andere am Ende anstecken würden mit unseren neuartigen Bakterien oder selbst Seuchen wie die Pest abbekamen, aber bevor ich meine Frage stellen konnte, beanspruchte was anderes unsere Aufmerksamkeit.

„Reed." Überrascht von der vertrauten Stimme, die nach Reed schrie, blieben er und ich stehen, drehten uns zu keinem anderen als Hayden um, der einen Anzug trug, in einer sehr tristen Farbe meiner Meinung nach, einen Hut in der Hand hielt und ansonsten kaum anders als zu unserer Zeit wirkte. Minimal jünger wirkte er vielleicht schon, eher wie ein 16 Jahre alter Junge als wie 18 oder 19 und seine Haare trug er noch ordentlich zur Seite gekämmt, ebenso hatte er noch kein Piercing im Gesicht. Das hier war Hayden aus dem Jahr 1840 und kurz war ich versucht ihm strahlend Hallo zu sagen, war entzückt ihn zu sehen, lächelte automatisch, doch er kannte mich noch gar nicht, würde mich für verrückt halten, wenn ich wüsste, wer er war, ihn so offen begrüßte.

„Bruder", sagte Reed, schmunzelte leicht, schien anders als ich das nicht schlimm zu sehen. War das nicht schräg? Durfte er ihn denn sehen? Warf das keine Fragen auf? Immerhin sahen Reed und ich wirklich albern gerade im Moment aus.

„Ich dachte, du bist fort, wann bist du hergekommen?"

„Ich bin nur spontan hier, das wird kein langer Aufenthalt werden", antwortete Reed ihm und nun fiel Haydens Blick auf mich, wo er mich recht verstört musterte, wohl überfordert von meinem Style war. „Und das ist?"

„Claudia, ich habe sie unterwegs kennen gelernt, sie wollte unbedingt mehr von London sehen", antwortete Reed und zog mich an der Taille näher zu sich, woraufhin ich sofort errötete, was Hayden zum Grinsen brachte. Typisch. Manche Dinge ändern sich wohl nie.

„Na gut, ich dachte immer, ich wäre der Frauenheld der Familie, aber dein Geschmack ist sehr... ja." Er brach ab und musterte uns erneut, schien nicht zu verstehen, was wir zwei darstellen sollten und ich war überrascht, dass er noch nicht eins und eins zusammengezählt hatte.

„Ich lasse euch dann mal allein." Mit den Worten lief er an uns vorbei und ich atmete erleichtert aus, lief ein Stück weg von Reed, würde sonst noch kollabieren von dieser Nähe, was dieser jedoch kaum bemerkte.

„Wird er es nicht kapieren? Ich meine, er muss den 1840 Reed nur einmal anrufen oder wohl eher einen Brief schreiben und weiß Bescheid."

„Klar wird er das, aber das macht es so unterhaltsam", sagte er amüsiert. „Ich habe ihn so oft in der Vergangenheit getroffen und so oft habe ich ahnungslos Anrufe oder Briefe erhalten, dass er mich angeblich sah, ist irgendwie witzig."

„Hast du dich auch schon mal selbst gesehen?", fragte ich und er schüttelte den Kopf. „Solche Dinge sollte man vermeiden, es kann angeblich gefährlich werden, aber frag mich nicht inwiefern. Ein Vorfahre von mir, Urgroßonkel Enrico, hat sich angeblich selbst getroffen und den Verstand verloren, aber keine Ahnung, wie wahr das ist."

„Ich stelle es mir auch komisch vor mir selbst zu begegnen, irgendwie ist das falsch", meinte ich. Wie würde man da schon reagieren? Mein vergangenes Ich aus einer Zeit, bevor ich Bescheid wusste, würde doch denken, irre zu werden und das würde sicher mich in der Zukunft beeinflussen.

Wir sprachen nicht weiter übers Zeitreisen, während wir durch die Gänge liefen. Es schien mir so, als ob Reed kein wirkliches Ziel vor Augen hätte, zumindest lief er recht wahllos durch die Gänge, mied geschickt die belebteren Teile des Gebäudes, so dass wir nur sehr selten jemanden unterwegs sahen, auch wenn wir dann dennoch immer noch sehr verstört angestarrt wurden.

Es war irgendwie nett so durch die Gegend zu laufen, besonders da die Probleme von zu Hause einem so weit entfernt vorkamen, was sie auch waren. Diese Probleme lagen 179 Jahre in der Zukunft, existierten hier noch gar nicht, auch wenn Kellin hier bereits lebte, unwissend, dass er irgendwann eine Partnerin mit dem Namen Malia haben wird, die er so sehr liebt, dass er sie dafür tötet. Ich verscheuchte diese Gedanken hastig, der Sinn hierbei war es ja abgelenkt zu werden und so ließ ich das auch zu, wollte nicht weiter über meine oder Reeds Familie nachdenken müssen, zumindest klang dieser Plan einfach in meinem Kopf, ihn auszufüllen wurde mir nur von meinem Umfeld schwerer gemacht als geahnt.

„Verdammt, das kann doch nicht wahr sein!", zischte Reed plötzlich neben mir leise und irritiert folgte ich seinem Blick nach vorne, wo ein mir unbekannter Mann mit dem Rücken zu uns gedreht stand, aus einer der großen Fenster nach draußen blickte. Wer war das? Was hatte es mit ihm auf sich, dass Reed so angespannt wirkte.

„Was ist...", begann ich neugierig nachzufragen, konnte jedoch nicht zu Ende sprechen, da hatte er mich schon an der Hand gepackt und durch die nächste Türe gezogen, direkt in eine Art Abstellkammer hinein, denn hier drinnen war es eng, sehr eng und sehr dunkel ohne Fenster und ohne Licht. Ich hatte nicht mal wirklich eine Ahnung, wo genau Reed stand, merkte seine Nähe, merkte, wie ich ihn berührte, nur war das sein Rücken oder seine Brust vor mir? Wollte ich es denn wissen? Meine verfluchten Hormone drehten so oder so schon völlig durch.

„Was ist los?", fragte ich leise, da er ja offenbar nicht gesehen werden wollte, anders konnte ich mir das nicht erklären.

„Ich habe etwas übersehen", murmelte er, aber die Antwort klang eher, als ob er mit sich selbst sprach anstatt mit mir.

„Was denn? Was ist los, Reed?", fragte ich, musste einfach wissen, was vor sich ging, zuckte schon überrascht zusammen, als ich merkte, wie er mit seinen Händen meine ergriff, sie festhielt, mein Herz halbe Luftsprünge in meiner Brust zu machen schien. Ohweh, ohweh.

„Ich habe vergessen, dass ich eventuell in dieser Zeit doch in London gewesen bin, bereits einmal aus einer anderen Zeit hierher gesprungen bin."
„Aber wozu? Um diesen Mann dort zu treffen?", fragte ich verwirrt, hörte in dem Augenblick tatsächlich draußen Reeds Stimme ertönen. Verrückt.

„Ich hoffe Euch nicht allzu lange warten gelassen zu haben", sprach der Reed einer anderen Zeit draußen, seine Stimme hallte nur dumpf zu uns in die Kammer, irritierte mich. Was tat er hier? Warum würde er in die Vergangenheit reisen, um diesen Kerl zu treffen?

„Spielt keine Rolle", antwortete der Reed meiner Zeit und ich schüttelte den Kopf, für mich spielte es eine Rolle, doch natürlich sah er meine Kopfbewegung nicht.

Warum sollte Reed hierherkommen? Wieso sollte er sich mit irgendwem in dieser Zeit treffen?

„Ich werde es eh gleich erfahren", stellte ich klar, konnte das Gespräch draußen immerhin mit anhören.

„Was ist es, worüber ich nun so dringend mit Euch bereden soll?", fragte der Mann draußen und ich lauschte neugierig, wollte die Antwort erfahren, nur offenbar lag Reed viel daran, dass ich eben das nicht werde.

Ich keuchte auf, als er meine Hände losließ, um dafür seine Hände nun an mein Gesicht zu legen, es in seinen Händen zu wiegen.

„W-Was tust du da?", fragte ich stammelnd, völlig überfordert von dieser Nähe, dass er mich berührte, mir so nahegekommen war.

„Ist es nicht offensichtlich? Ich lenke dich ab", sagte er ohne Scham und ich lachte leise auf, doch war das sein Ernst? Er spielte so mit meinen Empfindungen, das war mies.

„Wenn es dir so wichtig ist, wieso bringst du uns nicht einfach weg, in eine andere Zeit?"

„Weil in unserer Zeit diese Kammer nicht existiert und in vielen anderen Zeiten es hier sehr, sehr vollgestellt ist, was keine angenehme oder gar sichere Angelegenheit wäre."

„Also lenkst du mich ab, indem du mein Gesicht berührst?", fragte ich, wollte mir nicht anmerken lassen, dass es wirklich funktionierte, auch wenn ich mir sehr sicher war, dass er die Wahrheit kannte. Mein Körper verriet mich eben zu sehr, die Art, wie ich mich seinen Berührungen hingab, seine Nähe richtig suchte. Ich war erbärmlich. Oh, wieso konnte ich nicht mehr so abgehärtet sein wie er? Es würde mir alles deutlich vereinfachen, aber nein, ich benahm mich wie eine Hormongesteuerte 15-Jährige.

„Wir sind Bindungspartner, alles, was mit mir zu tun hat, kann dich ablenken", stellte er klar und ich schnaubte von dieser Arroganz. „Da ist aber jemand sehr von sich überzeugt. Würde das stimmen, müsste ich dich genauso gut ablenken!"
„Ich habe mehr Erfahrung in der Sache als du, kann mich leichter zusammenreißen", stellte er klar und ich schnaubte erneut. Unfair. Irgendwann würde der Tag kommen, wo ich das auch schaffe und dann würde er schon sehen, was ich mir noch gefallen lasse!

„Was auch immer, ich höre von draußen nichts mehr", sagte ich, öffnete die Türe, bevor Reed mich aufhalten konnte, wollte nur weg von ihm und seinem Einfluss und sah mit großen Augen, dass ich mich vielleicht etwas geirrt hatte mit meiner Vermutung, dass die Luft rein wäre.

Panisch sah ich zurück zur Kammer, wo Reed mich mit seinen Blicken geradezu erdolchen versuchte, wohl auch wusste, dass die Luft eben noch nicht rein war, doch es war zu spät.

„Wer bist du?", fragte der Reed der Vergangenheit mich und hastig schloss ich die Türe, wollte nicht, dass die zwei Reeds sich sehen würde, eine Katastrophe passierte. Ich stand nun recht unbeholfen vor dem Reed der Vergangenheit. Aus welchem Jahr er wohl stammte? Er sah auch minimal jünger aus als mein Reed, vielleicht wie 17, trug sein Haar ebenfalls ordentlich, dazu einen ähnlich tristen Anzug wie Hayden ihn getragen hatte. Seine Begleitung schien fort zu sein, also ein Problem weniger und doch war noch nicht alles gut.

„Ich... äh...", stammelte ich nicht sehr schlau, war verwundert zu merken, dass ich die Bindung zu ihm spüren konnte, sie sogar sehr deutlich spüren konnte, mich kurz abhalten musste, ihm nicht von allein näherzukommen. Reichte diese Seelenbindung so weit zurück, dass ich das Band sogar zu einem Reed der Vergangenheit fühlen konnte? Ich hatte, um ehrlich zu sein, nicht gedacht, dass das ging, immerhin hatten wir zwei noch keine Zeremonie miteinander gehabt, er kannte mich bis jetzt noch gar nicht, doch anscheinend spielte so etwas keine Rolle.

„Du bist nicht von hier", stellte er fest, konnte sich das einfach zusammenreimen anhand meines Outfits, von der Art, wie ich sprach, wie ich mich hier präsentierte. Wenn ich als jemand aus den 1840er Jahren durchgehen würde, dann höchstens als Geisteskranke.

„Du auch nicht", erwiderte ich und er verengte die Augen, kam näher, was mir irgendwie Angst machte. Das war nicht mein Reed. Er kannte mich nicht, sah mich vielleicht als Bedrohung an und wer wusste schon, zu was ihm das bewegen könnte, denn Vergangenheit hin oder her, er war auch hier breit gebaut, groß und wirkte sehr bedrohlich.

„Was weißt du über mich?", fragte er, klang sehr gefährlich dabei, bedrohlich und ich schluckte schwer, wich etwas zurück von der Art, wie er mich ansah. Es war, als ob er ein Raubtier bereit zum tödlichen Sprung wäre.

„Du bist Reed Wentworth, mehr nicht", hauchte ich, wusste, der Reed meiner Zeit wird mich hierfür häuten lassen.

„Und du bist?", fragte er und ich schüttelte den Kopf. „Niemand", antwortete ich und er schien davon genug zu verstehen, wirkte plötzlich interessiert, verblüfft. „Ich werde dich irgendwann erst noch kennen lernen."

„Und wir wollen ja nicht zu sehr mit den Zeiten spielen", meinte ich leise, hoffte, er würde es sein lassen, die ganzen komischen Gesetze der Zeit respektieren.
„Interessant", meinte er leise, nachdenklich, kam noch ein Stück näher auf mich zu, wo er den Kopf schieflegte und mich musterte, ich die Spannung zwischen uns deutlich spüren konnte, wie zum echten Reed mich magisch angezogen zu ihm fühlte. Ich fragte mich, ob er das auch tat und wenn ja, was er sich wohl dazu dachte, ob er das nicht eigenartig fand.

„Ja... sehr interessant, aber ich habe Termine und sollte wohl weiter", sagte ich, versuchte der Sache hier zu entkommen, wohin auch immer, schließlich konnte ich kaum einfach in die Abstellkammer treten, dann würde er doch erst recht denken, ich wäre irre und nachsehen, was ich dort tue, dabei Reed finden und dann würde es chaotisch werden.

„Irgendwas an dir ist seltsam", sagte er leise und ich wollte was erwidern, ihm versichern, dass er sich das sicher nur einbildete, als ich hörte, wie jemand näherkam, Schritte im Gang hallten. Oh, Gott sei Dank. Das war meine Erlösung.

„Wir sollten beide verschwinden", sagte ich alarmiert, nahm das als meine Chance wahr, von hier zu verschwinden, doch keiner von uns sollte hier sein, gesehen werden, was er immerhin auch so sah, denn er nickte nur, sah mich ein letztes Mal an, ehe er mit einem leisen Plopp verschwand.

Der echte Reed verließ daraufhin schon die Kammer, packte mich am Arm, zog mich mit sich hastig weg von den näherkommenden Leuten und drängte mich in einem verlassenen Korridor gegen die nächste Wand, engte mich zwischen dieser und sich ein, wirkte wirklich nicht glücklich.

„Was sollte das?"
„Ich dachte, der Gang wäre leer!"
„Verdammt nochmal, so eine fucking Scheiße ist gefährlich", zischte Reed und ich sah ihn verwirrt an, aber es war doch nur er gewesen.

„Das warst nur du, was hätte schon geschehen können?", fragte ich und er lacht auf, als ob die Frage dumm wäre und ich erinnerte mich wieder an die Dunkelheit, die ich in ihm gesehen hatte, dachte an die Art, wie er mich in diesem Gang angesehen hatte, es war schaurig gewesen.

Ein Reed, der mich nicht kannte, er wäre vielleicht wirklich gefährlicher geworden, doch wie weit wäre er gegangen? Hätte er mich einfach getötet, nur weil ich eben da war? War Reed denn ein Mörder? Ich sah ihn an und wusste es im Grunde nicht, wusste kaum etwas über ihn. Seltsam. Ich fühlte mich ihm so verbunden, glaubte ihn so tief und innig zu kennen und wusste doch eigentlich rein gar nichts.

„Die Vergangenheit ist kein Spielzeug, egal wen du aus der Zukunft auch zu kennen magst, hier ist alles anders. Hayden ist hier nicht der Hayden, den du kennst, ich bin in diesem Jahr nicht der Reed, den du kennst, Menschen ändern sich."

„Wie warst du denn damals?", fragte ich leise, fand die Nähe zwischen uns merkwürdig. Es lag ein Knistern in der Luft. Obwohl ich sonst immer ein Fan davon war, jeden Abstand zu ihm zu überbrücken, so wollte ich es gerade nicht, denn gerade strahlte er etwas so Dunkles aus, dass mein Körper mich davor warnte, mich in Acht zu nehmen, vorsichtig zu bleiben.

„Das willst du nicht wissen", erwiderte er, musterte mein Gesicht eingehend dabei und am liebsten hätte ich gekontert, dass ich sonst ja wohl kaum gefragt hätte, beließ es jedoch.

Wer war Reed Wentworth? Er war wie ein Mysterium für mich, von dem ich kaum eine Ahnung hatte. Ich wusste nur, dass er zwei Brüder hatte, im Haus nebenan wohnte, Dawson und Chris irgendwas wie Freunde für ihn waren, mehr wusste ich nicht und es gab sicher so viel über ihn zu erfahren.

„Aus welchem Jahr war der andere Reed hergesprungen?", fragte ich ihn weiter und er atmete tief durch. „1895."
„Und du erinnerst dich nicht daran, mich hierbei gesehen zu haben?", fragte ich ihn verwundert, brachte ihn zum Lächeln und er stieß sich von der Wand ab, brachte mehr Abstand zwischen uns und ich konnte nicht leugnen, dass er im Licht der vielen Fackeln umwerfend aussah. Seine gebräunte Haut schien zu strahlen, seine Augen wirkten noch mehr wie Edelsteine als je zuvor. Wieso hatten manche Leute auch so ein Glück mit ihrem Aussehen?

„Ich sage ja, manche Dinge kannst du verändern in der Vergangenheit, manche nicht."
„Also habe ich die Zukunft mit meinem Erscheinen verändert?", fragte ich besorgt, hatte Angst, was für Konsequenzen das haben könnte.

„Ich bezweifle, dass sich irgendwas großartig ändern wird. Ich kenne dich nun eben etwas länger, doch vertraue mir, wenn ich dir sage, dass ich im Jahr 1895 ganz andere Probleme gehabt habe als dich, dich vermutlich ganz schnell einfach vergessen habe."
„Was ist in dem Jahr denn gewesen?", fragte ich und er schnalzte mit der Zunge, wirkte nicht so, als ob er gern darüber reden wollte und ich würde ihn sicher nicht weiter dazu drängen, auch wenn meine von Natur aus unerträgliche neugierige Seite es einem nicht immer so leicht machte.

„Ist eigentlich auch egal", sagte ich deswegen, stützt mich selbst nun von der Wand ab. „Vielleicht sollten wir aber besser zurück. Das alles hier ist ja ganz nett, aber ewig kann ich den Problemen der Gegenwart nicht davonlaufen."
„Eigentlich schon, bleibe hier und sie sind auf ewig egal", meinte Reed scherzend und ich verdrehte amüsiert die Augen.

„Ich würde meine Familie nie so im Stich lassen."
„Am Ende wäre ich vermutlich eh der Böse, der dich in die Vergangenheit verschleppt hat", sagte Reed und reichte mir seine Hand.

„Wir sollten denen beweisen, dass Bindungen zwischen unseren Linien nicht alle zum Scheitern verurteilt sind", meinte ich und ergriff sie, ließ mich näher zu ihm ziehen, erschauderte gleich ungewollt von der Art, wie unsere Körper sich aneinanderschmiegten.

„Mal sehen, ob das hier nicht in einer Katastrophe enden wird", stellte er rau klar.

„Wie wird es weitergehen, wenn wir zurück sind?", frage ich unsicher, immerhin würde zurück ein großes Chaos immer noch herrschen und die Angst wäre am größten.

„Egal was ist, ich bin da."

„Du nimmst das plötzlich ja so ernst mit der Rolle des Bindungspartners", merkte ich an und er zuckte mit den Schultern. „Wir sind aneinandergebunden und wenn dir was passiert, geht es mir nicht besonders gut, außerdem ist Kellin mein Bruder und damit meine Verantwortung, ich muss dich beschützen und werde es auch, Alice."

„Danke", sagte ich ehrlich lächelnd, war froh für den Tag, war froh ihn als Partner zu haben, auch wenn ich mich innerlich zu oft über ihn beschwerte. Er machte seine Rolle ziemlich gut dafür, dass er das alles nie wollte, mich nicht bräuchte und im Grunde war ich ihm wirklich zu sehr großem Dank verpflichtet, würde versuchen mich von nun an weniger über ihn zu beschweren, denn er gab sein Bestes vermutlich.


Wörter: 4049

Aloha :) Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen. Langsam verstehen die beiden sich ja. Würde mich sehr über eure Meinung freuen und später kommt vermutlich schon das nächste Kapitel xx

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