Kapitel 56 || Chaos
Joes bedeutende Sätze wirkten eine Weile nach, bis ich schließlich fragte: "Joe, wo ist Francine? Warum hat sie Lügen über Manuels Verletzungen erzählt?"
Der alte Mann seufzte schwer. "Francine ist der Umwebung von Herr Schmidzon verfallen, sie hat sich gegen mich entschieden. Tragisch, nach so wundervollen, gemeinsamen Jahren."
"Ach so ist das.", zischte Manu, der schon seit längerem etwas säuerlich schaute. "Dann war es Francine, die uns verpfiffen hat." "Leider ja, ich hatte nicht gedacht, dass sie das wirklich tun würde.", erklärte Joe traurig. "Wir haben des Öfteren wegen euch gestritten, doch dass es dir so schlecht ging, konnte auch sie nicht kalt lassen."
"Siehst du Patrick? Das ist das Problem, man kann niemandem hier trauen."
Ich starrte ihn an, wusste aber nicht was ich erwidern sollte. "Das ist rührend wie ihr euch um mich kümmert, aber ich habe nicht danach gefragt. Ich wurde verhaftet, verurteilt und gefoltert. Das hätte ich mir sparen können!" "Woher sollte ich denn wissen, dass-", er ließ mich nicht aussprechen. "Warum hast du mich hergebracht? Weil du Heimweh hattest! Ich verlange nicht, dass du dich zwischen mir und deiner Familie, die, ganz nebenbei bemerkt, ja wirklich sehr liebevoll ist, entscheiden musst. So ekelhaft bin ich nicht! Aber ich wollte niemals nach Nya und es gibt nichts was du besser weißt!", er war immer lauter geworden und von seinem Platz aufgestanden.
Monik hatte schnell ihre Sachen zusammengesucht und verschwand leise aus dem Raum, während Joe uns stumm beobachtete. "Das hatte doch überhaupt nichts mit mir zu tun!", rief ich aus. "Ich habe dir dein verdammtes Leben gerettet! Niemand in Varia, den wir erreicht hätten, hätte dir helfen können!" "Woher willst du das wissen? Woher willst du überhaupt irgendwas über Varia wissen, ich bin der, der dir alles beigebracht hat! Du hast noch nie vor-", diese Mal schnitt ich ihm das Wort ab und sprang ebenfalls auf, so dass der Stuhl laut über die Fliesen kratzte.
"Ich habe dir das Leben gerettet! Das weißt du genau und ich habe das nicht für mich getan. Merkst du nicht, dass mein Leben im Prinzip schon längst eine Klippe hinunter gestürzt ist? Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, ist alles nur noch ein riesiges Chaos! Jetzt sind wir hier und mein Zuhause steht in Flammen! Aber ich beschwere mich nicht! Ich beschwere mich nicht, weil ich will, dass wir in Frieden leben können!"
"Ah ja.", zischte Manuel wütend. "Deine Heimat brennt? Und was ist mit mir? Ich habe ja nicht mal ein Zuhause! Du hast mein Leben kennengelernt und habe ich das je gewollt? Habe ich je von euch Sonnenanschmachtern als minderwertig betrachtet werden wollen? Weil ihr euch für etwas Besseres haltet! Denkst du nicht dieser Angriff ist gerechtfertigt?!", schrie er.
Meine Finger zitterten und Tränen sammelten sich in meinen Augen. "Ist es das, was du denkst? Dass ich mich für etwas Besseres halte?", fragte ich erstickt, "Dass ich dich nur hier hergebracht habe, um mich über dich zu stellen?" Ich schluchzte, er konnte Vieles behaupten und obwohl ich mich im Recht sah, konnte ich verstehen, warum er nicht hatte herkommen wollen. Doch das, was er mir indirekt vorgeworfen hatte, war als hätte man mir den Boden unter den Füßen weg gerissen.
Erschrocken starrte Manuel mich an, als ihm selbst bewusst wurde, was er soeben gesagt hatte. Ich wollte aus der Küche verschwinden, ohne ihn noch einmal anzusehen, doch er hielt mich auf. Noch bevor ich wirklich die Tür erreichen konnte, griff er nach meiner Hand und zog mich zu sich. "Ich... Patrick. Es tut mir leid.", stotterte er. Reue lag in seinem Blick. "Ich, ich hab nicht nachgedacht was ich sage. Wenn ich ehrlich bin, dann hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass ein Mensch aus Nya so wundervoll sein könnte wie du. Nur ist das so schwer zu sehen, wenn alles im Chaos versinkt. So wie du gesagt hast."
Er zog mich fester an sich und wortlos vergrub ich meinen Kopf in seinem Oberteil. "Das ist nichts, was ich dir vorwerfen darf.", gestand er. "Aber du verstehst es doch, oder? Du verstehst doch, dass ich mich in Nya nicht wohlfühlen kann." Ich nickte leicht.
"Ihr stammt aus unterschiedlichen Welten, fast genauso gegensätzlich, wie die Brüder selbst. Ihr dürft nicht erwarten, dass dieser Weg leicht wird.", schaltete Joe sich schließlich ein und ich zuckte etwas zusammen, ich hatte völlig vergessen, dass er noch da war. "Keiner weiß was nun passieren wird, aber ihr müsst euch entscheiden. Entweder steht ihr zusammen oder ihr geht getrennte Wege."
Ich mochte Manuel nicht loslassen, aus Angst er würde seinen eigenen Weg gehen wollen. "Patrick?", fragt er leise, wobei er sein Kinn auf meinem Kopf ablegte. Er schwieg eine ganze Weile bevor er schließlich fragte: "Gehen wir zusammen weiter? Auch wenn das nicht leicht fällt?"
Ich schob mich ein Stück von ihm weg um ihn wieder ansehen zu können und tatsächlich glänzten Tränen auf seinen Wangen. "Manu? Seit wann weinst du denn?", fragte ich grinsend, obwohl ich vermutlich immer noch schrecklich aussah. "Du blöder Kürbis.", murrte er und brachte mich damit zum Kichern. Gleich darauf wurden wir aber wieder ernst. "Was sagst du?", wollte er wissen. Gerade als ich ihm antworten wollte, ertönte ein verzweifelter Schrei.
Ich fuhr herum und starrte aus dem Fenster, dort war nichts zu sehen, doch wir alle wussten, dass wir etwas gehört hatten. Ich machte mich von Manu los und stürmte durch die Kaminstube nach draußen. Dort standen Harald und der Mann, mit dem er vor dem Kamin gesessen hatte.
"Patrick, geh wieder rein. Wir wissen nicht was los ist.", forderte er mich auf, doch ich dachte gar nicht daran, auf den hochgewachsenen Mann zu hören und lief weiter zu Harald, der aufmerksam zwischen die Bäume blickte. "Hallo? Wer ist da?", rief er laut.
Ich meinte, ein Schluchzen zu hören. Einige Meter vor uns fiel der Weg recht steil ab, so dass man ihn weiter unten nicht mehr sehen konnte, von dort musste das Geräusch kommen.
Wir wussten nicht, was wir tun sollten, oder wer da unten war, doch ein einziges Wort konnte ich ganz deutlich zwischen dem Schluchzen heraushören: "Hilfe!"
In diesem Augenblick brach eine Welle düsterer Ahnungen, die sich in den letzten Minuten aufgetürmt hatte, über mir zusammen und ich stürmte los. Harald rief nach mir und auch Manu, der wohl inzwischen nach draußen gekommen war, schrie ich solle hier bleiben, doch ich achtete nicht auf sie.
"Hallo?", schluchzte die Stimme, "Bitte! Irgendwer muss mich doch hören." In diesem Augenblick sah ich den abfallenden Weg vor mir und erkannte Maurice, der fast am Fuß des Hügels kauerte. Neben ihm lag Michael am Boden.
Völlig verzweifelt starrte er zu mir hoch und fing heftig an zu weinen, als er mich erkannte. "Oh Gott Patrick. Bitte... ich..." Im Rennen drehte ich mich um und schrie selbst geschockt nach den Anderen: "Harald! Hilfe!"
Izy
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