Kapitel 44 || Widerstand

Ich starrte auf die Zeilen, die Wörter verschwammen in meinem Kopf zu einem zähen Brei, aus dem es mir unmöglich war Informationen herauszufiltern. Ein seichter Windzug strich durch meine Haare. Ich hob meinen Blick, sah aus dem Fenster. Das Kloster war so abgelegen, dass es fast ein bisschen wie in Varia aussah. Nur viel gepflegter. Seit vier Tagen war ich nun schon in dieser Lehre, hatte noch nichts von Manuel gehört. Ob das gut oder schlecht war, wusste ich nicht. Einerseits hoffte ich jeden Morgen in der Zeitung zu lesen, dass der gefährliche Wilde ausgebrochen war, andererseits hießen keine Informationen auch, dass der Gerichtsprozess noch nicht lief. In Nya war es eine Tradition, dass alle Einwohner an den Prozessen teilnahmen, als wären diese sie ein abstruses Schauspiel. Allerdings waren diese so selten, dass es fast schon ein wenig verständlich war. Die Medien mussten die Fälle immer so sehr aufblasen, dass man mindestens ein Jahr darüber tratschen konnte, ansonsten gab es nur kaum Gesprächsstoff in dieser scheinbar perfekten Gesellschaft. Statt neuen Berichten über Manuels Gerichtsprozess waren die Schlagzeilen momentan aber über mich und dem Zauber, den Manuel mir auferlegt hatte. Mein Vater tat momentan alles, um sein Image aufzubessern, einmal hatte er sogar ein Interview gegeben. 

"Und, wie weit bist du?" Die Stimme von Herr Kamir riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich herum und sah ihn überrascht an. In der Zeit, die ich schon in seiner Lehre war, hatte ich ihn noch nie kommen gehört. Es war unheimlich, wie der scheinbar so schwerfällige Priester sich von hinten an einen anschleichen konnte. "Ich bin erst am Anfang." "Dann lass mich hören." Ich schielte auf die brüchigen Seiten des Buches. "Du warst bei ihm, oder?" "Was?" "Bei deinem Jungen." "Meinem - Sie meinen Manuel?" "Den Jungen aus Varia. Deine Gedanken waren bei ihm, hab ich recht?" "Woher wissen Sie das?" "Dieser Blick... ich kenne ihn. Mittlerweile kenne ich ihn zu gut." Ich hob die Augenbrauen, wartete, dass er weiter sprach. Doch er schweig. "Denken Sie auch, er hat mich verzaubert?" Er brach in herzhaftes Gelächter aus. "Nein, diesen Unsinn schenke ich keinen Glauben. Ich will nicht behaupten, ich wüsste alles über die Religion und die Welt in Varia, aber doch so einiges. Und auch wenn es früher Hexen gab, sind sie nicht nur ausgerottet, sondern konnten auch nur den Tod bescheren. Liebestränke wären mir bekannt, vertrau mir." Ich lächelte erleichtert, glücklich darüber, dass er meine Gefühle zu Manuel ernstnahm. "Sie respektieren mich auch trotzdem?" "Hätte ich dich sonst in meine Lehre genommen? Bei Ayn, Bursche, in meiner Amtszeit sind mir schon drei verwirrte Jugendliche untergekommen, die nicht wussten, wohin mit ihren Gefühlen. Ich habe keinen von ihnen verstoßen, was für ein Unmensch müsste ich sein? Also lass mich auch dir helfen, deine Sehnsucht ist ja kaum auszuhalten." "Mein Vater würde das nicht gutheißen." "Ich hätte dich nicht so eingeschätzt, dass dich das etwas interessieren würde." "Mich nicht, aber Sie vielleicht." Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. "Mach dir da keine Sorgen." 

Etwas später liefen wir in unbehagliches Schweigen gehüllt einen kleinen Weg lang, der gerade zu in den Wald führte. "Du solltest es nicht zu direkt ansprechen, auch wenn sie offener sind als Schmiddi, ist es ungewohnt, so etwas zu Ohr zu bekommen." Bei dem Spitznamen, den Herr Kamir Herrn Schmidzon gegeben hatte, musste ich schmunzeln. "Wer sind sie? Und wo führen Sie mich hin?", erkundigte ich mich. "Zu dem wohl einzigen Ort in Nya, über den Schmiddi und sein Gefolge nichts wissen, dem Versteck der Widerstandskämpfer. Um das zu schützen,", er hielt an, öffnete seine Tasche und holte ein Tuch heraus, "muss ich dir leider die Augen verbinden, bis wir uns sicher sein können, dass du die Organisation nicht verraten wirst." Ich sah zögerlich zwischen dem Priester und der Augenbinde hin und her. Er lächelte mich aufmunternd an. "Ich werde dich schon nicht umbringen." Zaghaft erwiderte ich sein Lächeln und trat nahe genug an ihn heran, dass er mir die Augen verbinden konnte. 

Ohne Frage war es riskant sich von einem nahezu Fremden mit verbunden Augen durch einen abgelegenen Wald führen zu lassen, auch in Nya, doch mein Leben war so sehr aus den Fugen geraten, dass es mir praktisch egal war, was mit mir geschehen würde. Mit dem Wissen, dass Manuel meinetwegen in Gefangenschaft war, wollte ich sowieso nicht normal weiterleben. 

Vielleicht zehn Minuten später kamen wir zum Stehen. Ich hörte, wie Herr Kamir fünf mal an eine Tür klopfte, sie ein wenig später quietschend aufging und eine Frau ihn begrüßte. "Harald. Schön, dich zu sehen, du hast dich lang nicht mehr blicken lassen." "Du nennst vier Tage lang? Hast du mich etwa vermisst?" Die Beiden brachen in schallendes Gelächter aus, sodass mich ein wenig fehl am Platz fühlen ließ. "Ähm... Herr Kamir, darf ich -" "Natürlich. Nimm die Augenbinde bloß ab. Tut mir leid. Ach und nenn mich bitte Harald." Als ich mich befreit und blinzelnd wieder an das Licht gewöhnt hatte, fiel mein Blick auf die Frau. Ihre Haare waren honigblond und von vereinzelten, grauen Strähnen durchzogen. Sie erinnerten mich ein wenig an ein Spinnennetz. Ihre Nase war spitz und um ihren Mund und ihre Augen hatten sich mit der Zeit Lachfältchen gebildet. "Patrick, das ist Ines. Ines, das ist Patrick, ein Junge, seit neustem bei mir in der Lehre ist. Ich weiß nicht, ob du über ihn gelesen hast, aber ich finde, er passt gut in unsere Truppe." "Das glaub ich dir. Kommt doch rein, Michael und Maurice sind auch gerade da." Er drehte sich zu mir. "Ihr drei werdet euch bestimmt verstehen." Ich nickte nur und folgte den Beiden in die kleine Hütte. 

Von Innen war sie viel größer, als man es von außen erwarten würde. Wahrscheinlich hatten die Erbauer, wie auf bei dem Haus der von Opfers, den Platz in dem Hügel dahinter genutzt. Öllampen und Kerzen verbreiteten warmes Licht, die Einrichtung bestand großteilig aus warmen Holz, Fellen und Pflanzen. Auf einem Sofa saßen zwei Jungen, etwa in meinem Alter. Der Eine hatte blonde Locken der Andere braunes Haar. "Hallo Harald." "Guten Abend, ihr beiden. Das ist Patrick, er ist neu hier. Patrick, das sind Michael", er deutete auf den Braunhaarigen, "und Maurice. Setz dich ruhig zu ihnen." 

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