Epilog
Die Sonne stand tief am Himmel, bald würde sie nur noch ein kurzes Stück über dem Horizont hängen um schließlich ganz zu verschwinden. Er hatte Sonnenuntergänge wie diese schon so oft gesehen und doch würde er niemals vergessen wie die Nacht damals gewesen war. Die Nächte in Nya in denen es nie ganz dunkel geworden war, ganz so, als hatte die Welt Angst gehabt sich der Dunkelheit hinzugeben. Vielleicht war diese Angst damals real gewesen. Vielleicht wären die Schatten aus Varia über das Land der Sonne hergefallen.
Doch letztendlich waren sie alle eines Besseren belehrt worden. Es war nie eine Sache der Götter gewesen, nie Abhängig von Licht und Dunkelheit oder von Magie. Es waren nur die Menschen selbst, die das Schicksal ihres Landes in der Händen hielten.
Zu viele Leben hatte es gekostet das zu erkennen, doch er tröstete sich damit, dass die Kämpfe vor mehr als zehn Jahren den folgenden Generationen eine neue, eine bessere, Chance gegeben hatten. Ein Leben das weder von Hochmut und Gier noch von Angst oder Einsamkeit geprägt war.
Evon war ein Land des Friedens geworden und jeden Tag war er dankbar dafür.
Dankbar für so vieles. Dass er lebte, dass seine Geschwister, seine Eltern und Kinder lebten. Hatte all das Glück nicht auch seinen Preis gehabt? Die Erinnerung an diese Tage war schmerzlich, doch er verdrängte die Bilder nicht, sie waren ein Teil der Geschichte.
Er erinnerte sich an Michaels blasse Gestalt, an dessen Bett er tagelang gesessen hatte. An diese Tage, die so unwissend gewesen waren, an denen Keiner hatte sagen könne, was passieren würde. Erinnerte sich an das Glockenkraut, dass nicht geholfen hatte und fragte sich ob Manuel das gewusst hatte. Hatte er ihm nur von dem Kraut erzählt, um ihm etwas zu geben, an dem er sich festhalten konnte?
Selbst wenn es so war, war er ihm dankbar dafür, denn es war das Letzte was er von dem Jungen aus Varia gehört hatte.
Kurz danach waren Patrick und er gegangen, sie hatten ein neues Leben beginnen wollen. Ein Leben, dass er ihnen so sehr gewünscht hatte, doch anstelle dessen hatten sie nur ihren Tod gefunden. Die Explosion und das Feuer in der Stadt konnten sie nicht überlebt haben und die Tatsache, dass er seit vielen Jahren nichts von ihnen gehört hatte, bestätigte diese Ahnung mit jedem Tag.
"Hey, du stehst ja immer noch hier.", hörte er eine Stimme hinter sich. Kurz darauf legte sich der warme Arm seines Ehemannes um ihn und dankbar ließ er sich dagegen sinken.
"Wird dieser Sonnenuntergang nicht irgendwann langweilig? Wir könnten einmal zum Meer fahren und ihn dort bewundern. Die Kinder fänden es großartig.", schlug der bärtige Mann vor.
"Gerne. Aber ich mag auch diesen hier.", antwortete er erstickt und konnte nicht verhindern, dass man den Anflug von Tränen in seiner Stimme hörte.
"Wer weiß, vielleicht leben Manu und Patrick am Meer. Sie haben womöglich in wunderschönes, kleines Haus mit einem Garten in dem man die Wellen rauschen hört. Vielleicht auf der anderen Seite unseres Horizontes. Vielleicht sehen sie sich jeden Abend den Sonnenuntergang an und denken an den in Varia zurück. Sie können uns keine Nachricht schicken, eine Taube würde es nicht über das Meer schaffen, wer kann schon sagen wo das Portal sie hingeführt hat. Ich glaube nicht, dass sie es nicht rechtzeitig geschafft haben.", erzählt er ruhig, als sei es eine Geschichte für Kinder, die dazu bestimmt war ihn die trüben Gedanken vergessen zu lassen. Maurice atmete tief durch, bevor er sich ein Stück von seinem Mann wegdrückte um besser sprechen zu können. "Vielleicht. Vielleicht geht es ihnen gut. Aber das was passiert ist, bleibt trotzdem ein Teil der Geschichte. Ich möchte es nicht vergessen."
"Ich möchte nicht, dass du darunter leidest. Ich weiß doch selbst genau wie es ist ständig an die Vergangenheit erinnert zu werden.", sagte sein Mann leise und hob die linke Hand vor den dunkler werdenden Himmel. Ganz deutlich zeichnete sich die Silhouette der drei Finger ab, die er damals nicht verloren hatte. "Mach dir keine Sorgen.", versicherte er mit dem Gedanken an die Zeit in der es Michaels zwar endlich besser ging, er aber große Probleme damit gehabt hatte sich selbst, auch nach der Explosion, zu akzeptieren. Es hatte ihn Kraft gekostet zu verstehen, dass die Welt eine völlig andere geworden war und, dass er die Vergangenheit nicht immer mit sich herumschlappen brauchte, auch wenn er sie täglich an sich selbst sehen musste. Maurice hatte niemals in Frage gestellt, dass er auch diese Zeit meistern würde und, dass Michael für ihn der wunderbarste Mensch war, den er jemals hatte kennen lernen dürfen. Die Tatsache, dass er nun selbst so oft zurück dachte, hatte er erst wahrgenommen, als wirklich alles gut zu sein schien.
Sie lebten in einer Siedlung, die zunächst einige der alten Widerstandskämpfer und Bürger von Nya in etwas Entfernung zu der zerstörten Stadt aufgebaut hatte, in der nun aber auch viele Bürger des ehemaligen Varias lebten und die aus der Vergangenheit gelernt hatte. Es war fast eine kleine Stadt, die mit den Jahren immer mehr Ansehen für ihre Gastfreundschaft und Gemeinschaft bekam. Ihr Haus am äußeren Rand der Siedlung hatte ein großes, offenes Grundstück, das nach hinten steil abfiel und den Blick auf das Tal, in dem einst Nya gelegen hatte, frei gab.
Seit dem Neuanfang hier lebte er zusammen mit Michael und natürlich war es manchmal schwierig gewesen, doch letztendlich liebte er ihn genau wie vor Jahren schon, als er ihn im Wiederstand kennen gelernt und versucht hatte möglichst viel Zeit mit dem Jungen zu verbringen der ihn so fasziniert hatte. Heute aber, waren sie nicht mehr nur zu zweit.
"Es ist schon dunkel!", beschwerte sich eine mahnende Kinderstimme von hinten. " Tovu soll schlafen!" Maurice musste schmunzeln. Die Siebenjährige war sehr Pflichtbewusst wenn es um ihren kleinen Bruder ging, mit dem sie seit seiner Geburt vor vier Jahren, bei ihnen lebte. Gerade Livka hatte einige Zeit gebraucht sich daran zu gewöhnen, doch mittlerweile waren die beiden Kinder keine Waisen mehr, sondern ein Teil ihrer Familie.
Michael drehte sich herum und streckte die Arme aus, als der Vierjährige, der überhaupt nicht müde wirkte, lachend ankam. Er schien vor seiner Schwester weg zu rennen, die schon in ihren Schlafsachen ankam und mit gehobenen Zeigefinger erklärte: "Maurice, du darfst nicht so lange draußen stehen."
Er lachte leise und kniete sich zu ihr hinunter. "Es ist noch gar nicht lange dunkel, schau-", er deutete zum Horizont. "Da sieht man noch die letzten Sonnenstrahlen." Sie stellte sich dicht neben ihn und sah in die Ferne. "Siehst du Liv, ich muss gar nicht ins Bett", erklärte Tovu überlegen und kuschelte sich eng an Michas Brust. "Pff", machte das Mädchen und schlang die Arme um Maurice Hals damit er sie auch hoch hob.
"Wir haben überlegt ob wir mal ans Meer fahren wollen.", erzählte Michael. "Ja! Das will ich.", nuschelte Tovu zufrieden. "Ist das nicht weit weg?", wollte Livka wissen. Maurice überlegte kurz. "Wir können mit der Kutsche zum Xy fahren, von dort nehmen wir ein Schiff bis ans Meer. Dann sehen wir sogar Evanur." Livkas Augen wurden groß. "Darüber haben wir in der Schule gelernt. In Evanur leben viele Wissenschaftler, sie bauen Maschienen mit denen Schiffe schneller fahren können. Meine Lehrerin hat erzählt es gibt dort Berge wo man rote Steine findet, die das machen können."
"Du kennst dich aber aus.", lächelte Maurice. "Aber damit du morgen wieder etwas lernen kannst, musst du jetzt erstmal genug schlafen.", ergänze Micha.
"Das habe ich doch eh gesagt.", rief sie sofort. "Na dann los. Nimm Tovu mit, wir kommen gleich nach.", trug Maurice auf und setzte sie ab. Zusammen mit ihrem kleinen Bruder an der Hand tapste sie zum Haus.
"Vielleicht ist es wirklich gut, dass alles so passiert ist.", überlegte er und sah ihnen nach. "Ganz bestimmt.", versicherte Michael. "Mir zumindest gefällt es ganz wunderbar so." Er trat dicht an ihn heran und küsste ihn liebevoll. Maurice nickte. "Mir auch."
Izy
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