81. Stummes Leid
„Es ist wirklich sehr... freundlich von dir, Peter, das du das übernimmst", sagte Lily leise. Der immer noch etwas plumpe junge Mann machte eine wegwerfende Handbewegung, obwohl ihm der Schweiß auf der Stirn stand.
„Gar nicht", erwiderte er. „Ich helfe euch gerne und wenn es um eure Sicherheit geht, dann bin ich bereit, dieses Risiko einzugehen." Er lächelte schwach, als Lilys Gesichtsausdruck nur noch sorgenvoller wurde. „Ich werde es nur vermissen, hier zu sein."
„Oh, wir werden dich auch vermissen, Wurmschwanz", meinte James. „Aber, wenn wir Glück haben, dann dauert das alles nicht allzu lang an. Vielleicht sind wir in ein paar Monaten schon raus aus der Gefahr." Er versuchte sich an seinem üblichen Grinsen, doch es wirkte etwas steif. „Also, lasst es uns hinter uns bringen." Er räusperte sich und hob den Zauberstab an.
Seit Tagen übten er und Lily den Fidelius-Zauber und an diesem Morgen hatten sie es endlich geschafft, ihn zu vervollständigen. Sie hatten abwechselnd versucht den Ort ihres Gartens in einen von ihnen einzuschließen und als es geklappt hatte und die schöne Rasenfläche vor James Augen verschwunden war, hatten sie sofort Peter zu sich gerufen. Jetzt standen sie da, alle drei mit angespannten Gesichtern. Sie hatten Dumbledores Angebot ausgeschlagen, dass er den Zauber übernehmen könnte und sogar den Geheimniswahrer übernehmen würde. Erneut.
„Bereit?", fragte Lily leise und Peter nickte. Sie und James hoben beide ihre Zauberstäbe an und begannen in perfektem Einklang die Zauberformel zu murmeln, die im sanften Rauschen des Windes unterging. Es dauerte seine Zeit, doch dann schossen goldene, kettenartige Strahlen aus ihren beiden Stäben, vereinigten sich in der Luft und drangen dann in Peters Brust ein, der zwar ein kurzes Pfeifen von sich gab, aber sonst unversehrt war. Sofort schien das Potter-Anwesen zu flackern und James meinte, dass er sehen konnte, wie sich eine schützende Glocke über das Grundstück legte, doch im nächsten Moment war alles wieder normal.
„Hat es auch geklappt?", fragte Peter vorsichtig. „Ich kann das Haus ja noch sehen."
„Dumbledore und die Bücher meinten, der Zauber hat gewirkt, wenn niemand außer dem Geheimniswahrer den Namen des Ortes aussprechen kann, der versiegelt wurde", sagte Lily und steckte ihren Stab wieder weg. Sie öffnete den Mund erneut, um zu sprechen, doch lediglich kehlige Laute entkamen ihr. James zog die Augenbrauen zusammen, verstand dann aber und tat es ihr gleich. Er versuchte ebenfalls ihre Adresse zu sagen, doch kein Wort verließ seinen Mund.
„Du bist nun der einzige der den Namen dieses Ortes sagen kann", verkündete Lily. „Es sei denn, du weihst jemanden mit in das Geheimnis ein, was schlecht wäre, denn dann würde der Zauber abschwächen."
„Ihr habt mein Ehrenwort", sagte Peter. „Ich sage niemandem von Ihr-wisst-schon-was." Er lächelte, obwohl seine Lippen etwas zitterten und er ziemlich blässlich wirkte. „Aber jetzt sollte ich wohl gehen, oder? Und euch in Ruhe untertauchen lassen."
Lily zog den kleineren Mann in eine feste Umarmung, flüsterte ihm etwas zu, das James nicht verstand, und entließ ihn dann zum sicheren Apparieren außerhalb der Grenze. Ein frischer Wind kam auf, kaum das Peter verschwunden war und ein Schneegestöber fuhr durch ihre Haare. James griff nach Lilys Hand und ging mit ihr zurück ins Haus, vorbei an der unförmigen Schneeskulptur, die Sirius mit Harry gebaut hatte und die nun direkt am Wegesrand stand. Er würde es vermissen.
Im Haus war es viel zu still. Harry lag oben und schlief, der Kater tat sowieso nichts anderes und die Fenster waren verdichtet worden, damit es nicht ziehen würde. Lily bewegte sich sofort aufs Sofa zu, setzte sich und winkelte die Beine an. James blieb im Türrahmen stehen.
„Es wird alles so anders werden, jetzt", meinte sie nach einer Weile. „Oder nicht?"
James seufzte. „Natürlich wird es das. Wir werden die anderen nicht mehr sehen können und werden jeden Tag hier sein müssen." Mit verzogenem Gesicht dachte er an den Tag zurück, als er schweren Herzens seine Ausbildung abgebrochen hatte. Moody war enttäuscht und wütend und sauer gewesen, als er ihm keinen konkreten Grund nennen konnte. „Wir sind alle in Gefahr, Junge!", hatte er auf James' halbherzige Antwort gegeben. „Und ich dachte, du verstehst das. Du wolltest wie dein Dad werden. Da hab ich mich wohl geirrt." James hatte nichts lieber gewollt, als Moody davon zu erzählen, dass er nicht freiwillig in die Versenkung ging, dass er gezwungen wurde sich zu verstecken, um seine Familie zu schützen, aber er war ruhig geblieben. Er hatte sich abgewandt und war gegangen und hatte dabei einen Teil von sich verloren, schien es. Die Blicken in seinem Rücken waren ihm sogar egal gewesen.
Caradoc war zwar ebenfalls enttäuscht gewesen, als er es ihm gesagt hatte, aber er hatte es weitaus lockerer genommen als Moody. „Dann hab ich wohl nur noch Black zum Schinden da", hatte er mit einem schiefen Grinsen gesagt und James auf die Schulter geklopft. „Komm wieder, wenn du bereit bist."
James hatte genickt und war dann gegangen, hatte seiner Zukunft als Auror den Rücken gekehrt und war direkt nach Hause zurückgegangen. Seine Brust hatte sich schwer angefühlt und seine Beine wie Blei, als er sich auf das Sofa gesetzt und die gegenüberliegende Wand angestarrt hatte, mit der Hoffnung, keinen riesigen Fehler begangen zu haben. Lily hatte sich stumm zu ihm gesetzt und seine Hand gehalten.
„Aber es wird schon gut gehen", sagte James. „Solange wir einander haben, wird es bestimmt nicht langweilig. Und es wird... es wird hoffentlich bald vorbei sein." Er schluckte und ballte die Hand zur Faust. Dort draußen tobte ein Krieg und er musste nun zu Hause hocken, in der Hoffnung, das andere für ihn kämpfen und sterben würden. Der Orden würde für eine heile Zukunft kämpfen, würde viele Mitglieder verlieren und James konnte nichts tun, um zu helfen. Bereits jetzt hatten sie talentierte Zauberer verloren. Edgar Bones war in der Silvesternacht getötet worden und Fabian und Gideon Prewett, die Brüder von Molly, waren ebenfalls tot. Sie hatten sich mit Todessern angelegt, die in der Überzahl waren und die bessere Magie beherrschten. James und Lily waren bei keiner der Beerdigungen gewesen.
„Bist du dir da sicher?", fragte Lily und wandte ihm ihr Gesicht zu, welches Spuren von Angst und Trauer zierte. Nein, wollte er sagen, wollte ehrlich zu ihr sein.
„Ja", sagte er stattdessen und hielt seine Stimme ruhig. Er musste sie beschützen.
Lily schloss die Augen und ließ sich etwas im Sofa sinken. Sie sagte nichts mehr sondern blieb so sitzen, als würde sie jeden Moment einschlafen oder nur darauf warten, dass es an der Tür klingeln würde und Ellie hineinschneien würde. Es kam James wie eine Ewigkeit vor, die er dort stand und sie einfach nur ansah.
Und als es Abend wurde und die Schneeflocken gegen die Fenster stoben und alles Licht verschluckten, da wurde James bewusst, wie sehr seine Worte sich bewahrheiten würde. Während er mit Lily und Harry in diesem Haus bleiben würde, würden Sirius und Ellie und Marlene und Caradoc dort draußen jeden Tag kämpfen und er würde nichts tun können, um ihnen zu helfen. Er konnte ihnen nicht den Rücken stärken, oder sie von feindlichen Zaubern abblocken. Er war nutz – und hilflos geworden.
„James?" Lilys Stimme klang am Morgen rau und verschlafen. „James, bist du wach?"
Er brummte zur Antwort, hielt die Augen aber noch geschlossen. Vielleicht würde sie ihm jetzt sagen, dass er zu spät zur Arbeit kommen würde, dass alles nur ein schlimmer Albtraum gewesen war und nichts davon die Wahrheit war. „James, wo hast du deinen Tarnumhang?"
Seine Augen öffnete sich von alleine und er wandte den Kopf an Lily, die sich auf einen Ellbogen stützte. „Wieso das?", fragte er gähnend und hielt sich eine Hand vor den Mund.
„Ich muss irgendwie einkaufen gehen, aber ich kann nicht einfach so aus dem Haus. Das würde uns verraten." Ein kurzer Funke an Trauer verriet, dass es Lily genauso schlecht damit ging, wie ihm.
„Er müsste im Schrank sein", murmelte er, weil er ihr nicht in die Augen blicken konnte.
„Okay. Du passt auf Harry auf, ja?", fragte sie und küsste ihn auf die Wange. „Ich beeil mich." James nickte nur und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Leise stand Lily auf und machte sich fertig, während er liegen blieb, eine Hand an der Stirn, kurz vor seinen Haaren. Er sah nicht, wie Lily ihn anblickte, aber er spürte ihre Augen. Wie sie Löcher in seinen Körper zu brennen schienen. „Bis später."
Sei vorsichtig, wollte er ihr noch nachrufen, doch kein Laut verließ seine Stimme. Lediglich sein Atem war im Zimmer zu vernehmen und vom Flur drangen Lilys Schritte, die langsam die Treppe hinunterging. James drehte sich auf die Seite und blickte zum Fenster. Lily hatte es nicht geöffnet, wie sie es jeden Morgen tat, sondern geschlossen gelassen und er beobachtete den Schnee, der in sanften Kaskaden vom Dach rieselte.
Vor dem Haus stand eine vermummte Gestalt. James konnte sie sowohl aus dem Schlafzimmerfenster beobachten, als auch aus dem Flur. Sie starrte dorthin, wo ihr Gartenzaun mit dem Tor war, obwohl sie es nicht sehen konnte. Sie wurden also beobachtet, stellte er bitter fest. Und es war den Todessern allem Anschein nach nicht entgangen, dass das Haus für alle anderen nicht mehr sichtbar war.
Bis Lily wieder nach Hause kam, lief James ungeduldig im Wohnzimmer auf und ab und stieß sich dabei mehr als einmal den Zeh am Tischbein. Es könnte ihn jedoch nicht weniger kümmern, dass sein Fuß wohl schon grün und blau war. Viel wichtiger war nun, dass Lily sicher nach Hause kommen würde.
Als die Tür endlich wieder auf und zu ging, atmete er erleichtert aus und beendete seine stumme Wacht.
„Hast du - ", fragte er und sie nickte hastig.
„Ja, sie sind im ganzen Dorf. Ich war mir unsicher und hab den Umhang anbehalten und man konnte sie überall sehen." Lilys Stimme war gehetzt und ihr Gesicht glänzte vom Schnee. „Wir müssen jetzt noch vorsichtiger sein."
„Nicht einmal mit dem Fidelius-Zauber sind wir vollends sicher", murmelte er mit einem bitten Beigeschmack und Lilys Augenbrauen wurden kraus.
„Hast du denn wirklich geglaubt, dass es so einfach werden würde." Sie lächelte schwach und drückte seine Hand. „Aber wir schaffen das. Das hast du selber gesagt."
James bewunderte, dass Lily solch eine Stärke vortäuschen konnte und half ihr dabei, den Einkauf einzuräumen, während er so tat, als würde er ihre brennenden Blicke nicht bemerken.
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