80. Fortuna Major
Die Zeit schien wie in einem Stundenglas zu vergehen, welches mit Schlamm und Wasser gefüllt war. Manchmal fließend und schnell, dann wieder zäh und nur in Klumpen. Ganze Tage rasten nur so an James vorbei, während andere wiederum eine ganze Ewigkeit anhielten. Doch eines hatten sie gemeinsam. An jedem dieser Tag wurde die Angst, dass seiner Frau und seinem Kind während seiner Abwesenheit etwas passiert war, nur schlimmer. Und jedes Mal, wenn er nach Hause kam, da zitterten seine Hände ein bisschen, wenn er sah, dass nichts geschehen war. Dass es ihnen gut ging und dass seine Sorgen erneut unbegründet waren.
Aber seine Sorgen waren nicht unbegründet. Die Gefahr lauerte. Sie wartete darauf, dass sie unachtsam wurden, dass sie ihre Deckung fallen ließen, um dann zuzuschlagen. Und genau aus diesem Grund hatten er und Lily eine Entscheidung getroffen. Sie mussten untertauchen. es war ihre einzige Chance, wie sie ihr Kind schützen konnten. Alice und Frank waren ebenfalls in die Versenkung abgetaucht, denn noch immer könnte auch ihr Sohn das prophezeite Kind sein. Beide Familien lebten nun in ständiger Angst.
Und so kam es, dass sie an Heiligabend ein letztes Mal all ihre Freunde einluden. Ein letztes Mal würden sie nun zusammen etwas Zeit verbringen, die Dunkelheit dort draußen vergessen und wieder Licht in ihre Herzen füllen, ehe sie sich verstecken würde. Sie hatten beschlossen, dass sie sofort nach dieser Nacht Dumbledore aufsuchen würde. Selbst wenn sie ihm nicht vollends trauten, er kannte die Schutzmagie, die sie benötigten, um sicher zu sein.
Und obwohl Weihnachten war und obwohl Marlene und Caradoc verlobt waren und es allen verkündigt hatte und obwohl Lin es geschafft hatte, sich für diese Feiertage frei zu nehmen und ihre Cousine zu besuchen, es herrschte dennoch eine trübe Stimmung im Haus der Potters. Nicht einmal der wunderschön geschmückte Baum im Wohnzimmer mit dem Hirsch auf der Spitze konnte ihre Gedanken vereinfachen. Vielleicht würden sie ihre Freunde für viele Monate nicht mehr sehen können und besonders James machte diese Entscheidung schwer zu schaffen.
Remus war noch immer noch wieder aufgetaucht.
"Ach, James", murmelte Ellie und stellte sich neben ihn an die Küchentheke. Seine Knöchel traten bereits weiß hervor, so stark hatte er sich in das Material geklammert, als wäre es sein letzter Rettungsring, in einem stürmischen Meer, welches ihn zu ertränken droht. "Was machst du nur?" Sie zog seine Hand weg und sah ihm in die Augen, während er versuchte ihrem Blick auszuweichen. "Es ist Weihnachten. Sei mal ein bisschen mehr in Stimmung."
"Das geht nicht", knirschte er wütend und riss seine Hand los. Ellie blickte nicht traurig oder enttäuscht drein, sondern mitleidig. "Ich weiß, wie das ist", antwortete sie.
"Nein, tust du nicht", erwiderte James. "Du kannst nicht wissen, wie das ist. In ständiger Angst um deine Familie leben, um deine Frau und dein Kind. Jeden Tag verlassen ich das Haus schweißgebadet, weil ich glaube, ich würde sie zurücklassen und jeden Abend komme ich zurück und habe Angst, dass die Tür bereits offen ist. Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich dafür hasse? Das ich nicht da bin?"
"Es bleibt dir aber nichts anderes übrig, James", sagte Ellie leise, doch er wandte sich schnaubend ab. "Doch. Ich habe die Wahl zu Hause zu bleiben und tue es nicht."
"James", flüsterte Ellie erneut, etwas nachdrücklicher als zuvor. "Lily hat mir von eurem Vorhaben erzählt." Überrascht - nein, nicht überrascht. Entsetzt drehte sich James zu ihr um. "Ich weiß, dass ihr euch abkapseln müsst, um der Sicherheit willen. Wir können uns kaum noch sehen, also... also dachte ich, dass wir wenigstens diesen letzten Tag etwas genießen."
"Klar." James fuhr sich kurz über das Gesicht und glättet damit die Falten, die sich auf seiner Stirn gebildet haben und die ihn so viel älter als zwanzig wirken lassen. "Hey, hör zu, es tut - "
"Ich weiß", sagte Ellie und lächelte schwach. "Und ich verzeihe dir, weil du mir einmal deinen Nachtisch überlassen hast."
"Du meinst, du hast ihn mir gestohlen", murmelte James lächelnd.
"So kann man es natürlich auch sagen. Aber jetzt mal ehrlich. Blas nicht so ein Trübsal, du wirst noch genug Zeit dafür haben. Das ist unsere Weihnachtsparty, also hab mal ein bisschen Spaß und vergiss den Rest einfach." Sie drückte kurz seine Hand. "Außerdem schuldest du mir noch einen Tanz."
"Was?" James war verwirrt.
"Du hast auf der Hochzeit nicht mit mir getanzt. Also wirst du das jetzt nachholen." Ellie sah ihn mit feurigen Augen an. "Komm schon, James. Schenk mir diesen einen Tanz."
Im Wohnzimmer war derweil eine heftige Diskussion zwischen Marlene und Lily ausgebrochen. Die beiden redeten über die Farben, die auf Marlenes Hochzeit die große Rolle spielten sollten und während Lily eindeutig für violett war, wollte die Braut eher orange. Nun brachten beide ihre Argumente klar, während der zukünftige Bräutigam daneben stand und in seinen Drink starrte, als wüsste er nicht ganz, was er in dieser Situation nur sagen sollte, um nicht gleich verlassen zu werden.
Sirius hatte sich mit Lin aufs Parkett begeben und tanzte mit ihr den 'Willkommen zurück für ein paar Stunden'- Tanz, den er erfunden hatte, während Peter den schlafenden Harry im Arm hielt und ihn sanft hin und her wiegte. James war Peter wirklich unsagbar dankbar dafür, dass er ihnen so oft ausgeholfen hatte. Er war ihnen in letzter Freund ein wirklich wahrer Freund gewesen und James überlegte, wie er es ihm zurückzahlen konnte. Er würde etwas mit Lily besprechen, damit sie Peter das geben konnten, was er ihnen gegeben hatte.
"Also, Potter, tu was du zu tun hast", sagte Ellie und hielt ihre Hände hin. James seufzte ergeben und ergriff sie. "Ich hoffe, du trittst mir nicht auf die Füße."
"Ich halte mich zurück, versprochen. Und wenn doch, dann war es pure Absicht, weil ich dich so abgrundtief hasse."
"Das kann ich nur zurückgeben", sagte Ellie lachend, doch es war zittrig und unecht. James sagte nichts, sondern begann sich zum Takt der leisen Musik zu bewegen. Die Zeit schien nun wieder das Wasser im Stundenglas zu sein. Sie floss dahin und ehe er sich versah, da hatten er und Ellie ihren zweiten Tanz hinter sich und sein Nacken war feucht vom Schweiß.
"Danke", sagte sie und deutete einen Knicks an. "Das hat mir viel bedeutet."
"Immer wieder gerne. Es gibt ja bald noch eine Hochzeit, dann bekommst du einen weiteren Tanz." James seufzte etwas erschöpft und nahm sich eine eisgekühlte Flasche mit Saft aus dem Kühlschrank. Ellie lehnte neben der Spüle. "Sicher?", fragte sie leise.
"Hm?"
"Bist du sicher, dass du das einhalten kannst?", fragte sie etwas lauter. "Es wird schwer werden, meint ihr nicht? Überhaupt zu kommen." Sie verschränkte die Arme und blickte James einfach nur an, während dieser an seinem Getränk nippte.
"Es wird schwer, ja", wiederholte er. "Aber wir schaffen das. Wir finden sicherlich einen Babysitter für diesen Tag und dann können wir vorsichtig rauskommen und ein paar schöne Stunden verbringen."
"Ja, vielleicht", murmelte Ellie und wandte den Blick ab. "Ich denke, es wird sich jetzt alles verkomplizieren."
"Du meinst, es kann komplizierter werden?", fragte er, in der Hoffnung die Stimmung etwas aufzulockern.
"Es kann", sagte sie in der selben Tonlage wie zuvor. "Es kann immer schlimmer werden. Aber ich sehe das positiv. Wenn es schlimmer wird, dann ist es noch nicht vorbei." Sie lächelte nun schwach, auch wenn es ihre Augen überhaupt nicht erreichte. "Aber ich habe die Hoffnung, dass es schnell vorbei sein wird."
Sie stieß sich von der Küchentheke ab. "Also, danke für den Tanz, James." Ellie strich über seinen Arm und ging dann ins Wohnzimmer, wo sie sich zu Lily und Marlene gesellten, die nun endlich aufgehört hatten, über Farben zu diskutieren. Lin und Peter saßen zusammen auf der Couch und warfen sich gegenseitig magische Funken zu, die Harry, der in der Mitte auf dem Rücken lag und kicherte, mit großen Augen betrachtete und versuchte mit seinen kleinen Fingern zu berühren. James musste lächeln, als er das sah.
"Hey, Alter." Sirius hatte sich zu ihm gesellt. "Du bist so trübselig."
"Ja, wahrscheinlich", erwiderte James leise und zuckte mit den Schultern.
"Ach, komm schon, es ist Heiligabend. Alles singt und so. Kannst du nicht morgen deprimiert sein?" Sirius schlug seinem besten Freund gegen den Arm und James kam ein Gedanken. Etwas, was Dumbledore ihnen bereits gesagt hatte.
"Hey, sag mal, willst du unser Geheimniswahrer sein." Über Sirius' Schulter bedeutete er Lily, dass sie zu ihnen kommen sollte und glücklicherweise verstand sie sein Winken.
"Euer was, bitte?", fragte der junge Black verwirrt. "Ist das wieder so ein komisches Spiel zwischen euch?"
Lily trat zu den beiden Männern und verschränkte abwartend die Arme. "Nein, nein!", sagte James. "Lily, sollte Sirius unser Geheimniswahrer sein?"
"Oh." Sie setzte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf und biss sich auf die Lippe. "Ich weiß nicht so recht, James. Meinst du nicht, es wäre zu viel?"
"Was ist zu viel? Was ist ein Geheimniswahrer überhaupt?", fragte Sirius und schob den Unterkiefer trotzig vor, so als wolle er nicht außen vor gelassen werden. Lily seufzte.
"Es ist ein Zauber", erklärte sie. "Dumbledore hat uns davon erzählt. Der Fidelius-Zauber verschließt ein Geheimnis in einem Menschen, was diesen zum einzigen macht, welches es aussprechen kann. Wenn Dumbledore also unseren Wohnort mit dem Fidelius-Zauber belegt und ihn beispielsweise in dir verschließt, dann könnte nicht einmal ich persönlich davon sprechen. Es wäre der ultimative Schutz für uns, aber... es ist zu viel Gefahr für dich, Sirius."
"Nein, gar nicht", sagte dieser sofort, als hätte er sein ganzes Leben lang darauf gewartet, dass ihm mal jemand so ein Angebot macht. "Es ist nicht zu viel Gefahr für mich. Es wäre - " Er brach ab und sah in die Ferne. Sein Blick war verschwommen und neblig.
"Sirius?", fragte leise und berührte seinen besten Freund am Arm.
"Ja, ich - ich weiß was." Sirius wirkte aufgeregt. "Die Todesser wisse doch, dass wir uns so super nahe stehen, nicht?", fragte er und James und Lily nickten schwach. "Also wäre es doch nur logisch, wenn sie nach mir suchen würden, wenn sie euch an den Kragen wollen. Ihr wollt nicht sagen, warum ihr untertauchen wollt, aber das ist okay, weil ich euch vertraue - aber es wäre zu offensichtlich, oder?"
"Worauf willst du hinaus, Sirius?", fragte Lily leise und legte den Kopf schief. "Was meinst du?"
"Ich meine, dass es zu offensichtlich wäre. Die Todesser würden sofort zu mir kommen, wenn sie nach euch suchen. Also... wäre es nicht besser, wenn jemand anderes diese Ehre übernimmt?"
"Ich verstehe nicht", meinte Lily, doch James lachte auf und unterbrach sie. "Doch, Sirius, das ist genial. Ich meine, nein, eigentlich ist es das nicht. Es würde trotzdem Gefahr für dich bedeuten, aber - "
"Keine Chance von mir etwas zu erfahren", meinte er und grinste. "Wie wäre es mit Peter? Die Todesser würden ihn nie verdächtigen. Nichts gegen unseren Pete, aber er ist im Vergleich zu uns kein ungemein guter Kämpfer. Wenn dann kann er sich gut verstecken."
"Du hast Recht", murmelte Lily. "Aber ob Peter zu sowas bereits ist? Es ist immer noch eine unglaublich große Gefahr. Ich will eigentlich nicht, dass irgendjemand von euch das übernehmen muss."
"Wir machen das gerne", sagte Sirius stolz. "Ich bin euer Freund, Peter auch und auch Ellie und Marlene."
"Wir hätten sonst Dumbledore als Geheimniswahrer nehmen können, aber... es ist kompliziert", murmelte James. "Wir brauchen mehr Absicherung."
"Sicher, ich versteh das", erwiderte der junge Black. "Und Peter wird es als Ehre sein, meint ihr nicht? Und nur wir vier würden davon wissen."
"Und Dumbledore", ergänzte Lily, die immer noch nicht überzeugt schien.
"Genau. Also, ich bin dafür, dass ihr Peter zum Geheimniswahrer macht. Wenn alle erfahren, dass ihr mit diesem komischen Fiedel-Ding untertaucht, dann werden sowieso alle denken, ich sei es. Keiner wird Peter verdächtigen, euch zu decken." Sirius grinste so breit, als wäre er gerade der Gewinner in einem großen Wettbewerb gewesen.
"Was meinst du, Lily?", fragte James leise und griff nach der Hand seiner Frau. Sie biss sich auf die Lippe und sah noch immer unschlüssig aus. Er konnte sich denken, dass sie Peter nicht in so eine Gefahr bringen wollte. "Sie sind alle bereits in Gefahr", murmelte er. "Jeder, der nicht für ihn ist, ist in Todesgefahr, Lily."
"Ich weiß ja, ich weiß ja." Sie seufzte ergeben. "Fein. Lasst uns Peter fragen, wie er dazu steht." Sie wandte sich um und sah kurz zu, wie er und Lin weiterhin Harry bespaßten. "Aber nicht jetzt. Morgen. Heute will ich davon nichts mehr hören." Ihre Augen glitzerten traurig als sie aus der Küche ging.
Sirius gab James ein Bier und sie stießen an.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top