8. Eine ruhige Stunde

Auch wenn die Gedanken an Marlene und Sirius schwer wogen, musste Lily nichtsdestotrotz den Einkauf für ihre Mutter erledigen. Nachdem sie so viel Zeit wie nur möglich in dem kühlen Supermarkt verbracht hatten, mussten sie ihn wohl oder übel am Ende doch verlassen. Mit mehreren Tüten und einem erheblichen leichteren Geldbeutel beladen, machten sich Lily, James, Linnea und Ellie schließlich auf den Weg zurück zum Evans-Haus. Es war Nachmittag und die Sonne stand immer noch hoch am Himmel, sodass sie ins Schwitzen gerieten. Lilys Hand schmerzte vom Griff der unhandlichen Plastiktüte und sie musste die Seite alle zehn Minuten wechseln, um ihre Finger wieder spüren zu können.

Es waren immer noch viele Menschen unterwegs, sie sahen viele Jugendliche, die mit Sonnenbrillen und Zigaretten im Park saßen oder auf einer Bank lungerten, ältere Ehepaare die einem gemütlichen Spaziergang im Sonnenschein unternahmen oder Kinder, die umherrannten und schier unendlich Energie zur Verfügung hatten. Lily wünschte sich gerade nichts sehnlicher, als in ihr kühles Zimmer zurückkehren zu können und vielleicht eine Limonade mit Eis zu trinken. Alleine der Gedanke daran ließ ihr das Wasser im Mund zusammen laufen und sie beschleunigte von ganz alleine ihre Schritte. „Lily hör auf zu rennen!", sagte James und erstaunt drehte sie sich um. Ihre Freunde waren etwas zurückgefallen, deshalb blieb sie einen Moment stehen. „Tut mir leid, ich will nur endlich nach Hause."

James grinste schief. „Vermisst du deine Großmutter? Oder etwa Tuni?" Lily lachte leise. „Ja, unendlich." Linnea verzog das Gesicht. „Verschone mich bitte mit denen, ich überlege die ganze Zeit schon fieberhaft, wie ich ihnen die restliche Woche entkommen kann."

Da das Haus der Evans bereits in Sicht kam, beschleunigten die anderen auch ihre Schritte, denn nicht nur waren die Tüten schwer, es war immer noch unerträglich heiß und jeder von ihnen konnte ein kühles Getränk und einen Platz im Schatten sehr gut vertragen. Lily kramte etwas umständlich den Haustürschlüssel aus ihrer kurzen Jeanshose hervor, schloss die Tür auf und trat dann mit einem erfrischenden Atemzug in den kalten Flur – nur um in das nächste, von der Sonne beschienene Feld in der Küche zu laufen. Daran konnte sie sich jedoch nicht lange aufhalten, denn zwei Personen blickten ihr entgegen, wobei eine von ihnen, verquollene und verweinte Augen hatte.

„Marls, was machst du hier? Ich dachte du seist nach Hause appariert!" Lily ließ ihren Beutel auf einen freien Stuhl fallen und setzte sich sofort neben ihre Freundin, die von ihrer Mutter den Rücken gerieben bekam. „Sie saß vor der Tür und hat auf euch gewartet", sagte Mrs. Evans etwas anklagend. „Also habe ich sie hereingeholt. Und dann haben wir geredet und eine kühle Limonade getrunken." Marlene schniefte. „Ich wollte nur mit Ellie zurück...", murmelte sie.

„Ach, nichts da, meine Liebe. Du kannst ruhig noch etwas hierbleiben", sagte Mrs. Evans sehr bestimmend. „So etwas braucht seine Zeit, vertrau mir." Lily blickte Marlene mitleidig an. „Oh, es tut mir ja so leid!"

„Muss es dir nicht", antwortete Marlene. „Es ist ja auch nicht deine Schuld..." Lily packte sie an den Schultern. „Ja, aber du bist meine Freundin und ich muss das sagen. Du würdest dasselbe für mich tun, wenn ich mich von James trennen würde."

„Hey!", rief eben dieser, als er in die Küche trat. „Sowas will ich nicht aus deinem Mund hören, Lily!" Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich hab das nur so gesagt, mach dir nicht ins Hemd. Und jetzt zu dir - " Sie wandte sich wieder an Marlene. „Du musst uns alles erzählen!"

„Was gibt es da schon groß zu erzählen? Ich hab mit ihm gesprochen und er war einverstanden, dass wir eine Pause machen... Ich hätte wissen müssen, dass er es nicht ernst meint, so schnell wie er zugestimmt hat." Marlene wischte sich einmal über die Augen. „Ihr müsst euch nicht von meinem Trübsal runterziehen lassen, ich hab zu Hause noch eine Packung Eis, die wartet darauf, von mir bei einem traurigen Film gegessen zu werden."

„Soll ich mitkommen?", fragte Lily, in der Hoffnung, dass sie ihrer Familie noch etwas länger entkommen könnte, während sie Marlene half. „Nein, ich mach das lieber alleine. Vielen Dank für ihre netten Worte, Mrs. Evans."

„Nicht doch, meine Liebe. Komm jederzeit wieder, ich hab immer Zeit, um ein bisschen zu reden." Mrs. Evans drückte Marlene kurz an ihre Schulter, dann ließ sie sie aufstehen. „Wir sehen uns dann irgendwann", murmelte sie und apparierte dann auf der Stelle. Etwas aufgewirbelter Staub war alles, was zurückblieb. „Armes Ding", sagte Mrs. Evans kopfschüttelnd. „Sie muss sich das wirklich sehr zu Herzen nehmen."

Sie blickte Lily und James an, die mit den Einkäufen in der Küche standen. „Packt ihr das noch aus, oder soll es das alleine tun?"

„Oh, ja!", rief James aus und stellte dann seinen Beutel auf den Boden. „Ich hol noch die anderen, Sekunde!" Er eilte aus dem Raum und ließ Lily mit ihrer Mutter alleine. „Hier, dein Restgeld." Mrs. Evans nahm es gedankenverloren entgegen. „Sag mal, Lily. Das was du gesagt hast: meintest du das ernst?"

„Was?"

„Das du dich von James trennen wirst?" Lily riss die Augen auf und ließ beinahe die Butter fallen. „Was!? Nein! Natürlich nicht!" Mrs. Evans lächelte schmal. „Gut, ich hab nämlich keine Lust darauf, dich auch noch trösten zu müssen." Nur zu gerne hätte Lily ihr gesagt, dass sie sich von James sicher nicht trennen würde, weil sie ihn liebte und weil sie verlobt waren, aber jetzt war nicht der passende Zeitpunkt dafür, deshalb setzte sie nur ein Lächeln auf. „Stimmt etwas nicht?", fragte Linnea, als sie zusammen mit James die Küche betrat. „Nein. Wo ist Ellie?"

„Sie ist nach Marlene sehen", antwortete James und stellte zwei Plastiktüten auf den Stuhl. „Sie bestellt schöne Grüße und wird sich noch mal melden." Lily nickte verstehend, dann machte sie weiter damit, die Einkäufe auszupacken. „Wo ist Oma?" fragte sie an Mrs. Evans gerichtete, die gerade in einer Zeitschrift für Brautmoden blätterte. „Oh, sie ist mit Tuni oben und sieht sich das Kleid an. Sie war ja so stolz, dass wenigstens eine aus der Familie in einem ordentlichen Kleid heiratet." Mrs. Evans rollte mit den Augen und blickte dann auf. „Als ob an meinem Kleid etwas auszusetzen war! Ich fand es wirklich sehr schön."

„Das ist es ja auch, Mum! Oma ist eben etwas – eigen." Mrs. Evans schnaubte. „Das kannst du laut sagen. Lily, ich kann nur hoffen, dass dein Hochzeitskleid ihrem Geschmack entspricht, ansonsten liegt sie mir deswegen ewig in den Ohren." Lilys Ohren nahmen die Färbung ihrer Haare an. „Mum!"

„Was denn? Ich sage ja nicht, dass ihr jetzt sofort heiraten sollt, nur, dass du ein schönes Kleid aussuchst." James vermied Lilys Blick, sie wusste jedoch ganz genau, dass er sein Grinsen verbarg, indem er Eier in den Kühlschrank stellte. Am liebsten hätte sie ihm diese Packung mit Thunfisch an den Kopf geworfen. Aber sie unterdrückte diesen Drang und würde sich das für später aufheben, wenn es keine Zeugen mehr gab.

„Aber du musst dir darüber wirklich Gedanken machen, Lily. Du kannst nicht einfach in einem billigen Fummel heiraten, dafür muss man schon ordentlich Geld ausgeben, weißt du. Der Hochzeitstag ist grundsätzlich der große Tag der Braut. Behalte das immer im Hinterkopf, Lily, dann kann eigentlich nichts schief gehen. Es wird dein Tag werden, also - "

„Mum!", schrie Petunia von oben. „Mum! Komm bitte, ganz SCHNELL!" Mrs. Evans seufzte dramatisch und rollte dann ihre Zeitschrift zusammen. „Obwohl einige dies vergessen sollten", sagte sie mit einem schwachen Lächeln und stapfte dann in den Flur. „Komme ja! Himmel, Arsch und Zwirn, was ist denn nun wieder? Ist ihr Lieblinsyoguhrt schon wieder leer, oder was?", fügte sie murmelnd hinzu.

„Danke, James", zischte Lily und schlug ihm mit einem Laib Brot auf die Brust. „Au, hey."

Lily schlug erneut zu. „Nein, du darfst dich nicht beschweren. Ich hätte gerne etwas Unterstützung von dir gehabt." James griff nach ihrem Handgelenk. „Was hätte ich denn sagen sollen? 'Keine Sorge, Mrs. Evans, Lily und ich sind schon verlobt, machen sie sich darum keine Gedanken, wie wird die schönste Braut des Landes werden.'" Lily zog die Augenbrauen nach oben. „Nur des Landes?", fragte sie anklagend.

James lächelte sie schelmisch an. „Du bist zwar wirklich toll, Lily, aber hast du schon mal einige dieser Muggel-Model gesehen? Hey!", rief er aus, als sie sich aus seinem Griff entwunden hatte und wieder mit dem Brot auf ihn einschlug.
„Habt ihr es bald, das soll man nämlich eigentlich essen", mischte sich Linnea ein und nahm Lily das Brot weg. „Hey, meine Waffe!", sagte sie gespielt empört. „Nichts da, Lily."

„Ja, nichts da, Lily, hör auf deine Cousine – hör auf!"

„Ich kann auch ohne Brot zuschlagen, Potter!", rief sie lachend. James schlang seine Arme um sie, sodass Lily sich nicht mehr bewegen konnte. „Und was jetzt, Evans?", raunte er ihr ins Ohr. „Was wirst du nun anstellen?" Lily blickte ihm in die Augen und leckte sich über die Lippen. „Ich weiß nicht. Wie wäre es – hiermit!"

„Aua!", rief James aus und ließ Lily los, nachdem sie ihm auf den Fuß getreten war. „Du bist ein kleiner Teufel, weißt du das?" Lily grinste schelmisch. „Ja, hat man mir schon mal gesagt." Linnea schüttelte den Kopf. „Ihr seid ja schlimmer als Grundschüler", sagte sie und drückte sich dann an Lily vorbei. „Danke", erwiderten sie gleichzeitig.

„Na immerhin habt ihr euch gefunden", murmelte sie noch, ehe sie ins Wohnzimmer ging. „Ich weiß gar nicht, was sie hat", sagte Lily. „Kann dir nur zustimmen, meine Liebste." Lily zog eine Augenbraue hoch. „Liebste? Wirklich? Sind wir im 18. Jahrhundert oder was?" James lachte leise auf, ehe er eine Packung mit Käse in den Kühlschrank stellte. „Wer weiß", erwiderte er und drehte sich dann um. „Deine Großmutter jedenfalls benimmt sich so." Lily nickte langsam. „Ja, leider. Ich weiß noch nicht, wie ich die nächsten Tage überstehen kann."

„Aw, ich bin ja bei dir, meine Liebste."

„Lass das!"

„Warum denn?"

„Weil es echt verstörend ist, wenn mein Freund redet, wie ein Minnesänger in einer heruntergekommen Spelunke!"
„Ach, jetzt hab dich nicht so, holde Maid!"

„James, ich warne dich!"


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